Von 0 bis 1 digital

Digitalisierung ist mehr als ein Spendenbutton.

«Ob NFTs erhal­ten blei­ben oder nicht, ist eigent­lich unwich­tig», sagt Michael Harr. Der Geschäfts­lei­ter Pro Senec­tute beider Basel (PSBB) fügt an: «Die Tech­no­lo­gie ist da. Und wir wollen uns ernst­haft mit dieser Thema­tik ausein­an­der­set­zen.» Vor zwei Jahren hat PSBB eine Spen­den­ak­tion mit Non- Fungi­ble Tokens, kurz NFTs, lanciert. NFTs sind digi­tale (Kunst-)Werke, Bilder, Videos und ande­res. Jedes Objekt ist einzig­ar­tig. Es kann nicht verän­dert werden, weil es dezen­tral auf der Block­chain gespei­chert ist. Über 4000 NFTs hat PSBB im Rahmen der Aktion «Swiss Crypto Marvels» in den Verkauf gebracht. 66 Fran­ken kostet ein Objekt. Dabei handelt es sich um Land­schafts­fo­tos der Schweiz, ergänzt mit einem futu­ris­ti­schen Objekt. Wie Pro Senec­tute stehen sie für Michael Harr für Konstanz und Verän­de­rung. Das Ziel der Aktion war: «Wir woll­ten Spen­den gene­rie­ren, um im Meta­verse Land zu kaufen», sagt er. Beim Meta­verse handelt es sich um einen digi­ta­len Raum, der mit virtu­el­ler Reali­tät erwei­tert wird. Die Mittel für den Land­kauf in der digi­ta­len Welt soll­ten nicht aus den bestehen­den Spen­den­töp­fen stam­men. So wollte PSBB allfäl­li­ger Kritik vorbeu­gen, dass Gelder für eine digi­tale Spie­le­rei verschwen­det würden. Gesucht war eine Spen­den­idee, welche die bestehen­den Akti­vi­tä­ten nicht kanni­ba­li­siert. Mit den «Swiss Crypto Marvels» wollte PSBB gezielt neue Spender:innen anspre­chen. «Niemand hatte es zuvor gemacht», erklärt Michael Harr den Ansporn, es auszu­pro­bie­ren. Die Akti­vi­tät war vom Anfang bis zum Ende digi­tal durch­dacht: ein digi­ta­ler Spen­den­ka­nal für ein Projekt im digi­ta­len Raum. 

Spen­den in Kryptowährung

Die digi­ta­len Kanäle bieten spen­den­su­chen­den Orga­ni­sa­tio­nen eine breite Palette
an neuen Möglich­kei­ten. Die Bedeu­tung nimmt denn auch zu. Für das Jahr 2022 stellte der Zewo-Spen­den­re­port von 2023 fest, dass erst­mals zehn Prozent der Spen­den über direkte digi­tale Kanäle flos­sen. Dabei erfolg­ten 80 Prozent aller digi­ta­len Spen­den über Twint. Nicht erwähnt sind Kryptowährungen. 

«80 Prozent aller digi­ta­len Spen­den erfol­gen über Twint.»

Zewo-Spen­den­re­port 2023

Verschie­dene Orga­ni­sa­tio­nen bieten heute die Möglich­keit, Bitcoin, Ether und andere Kryp­to­wäh­run­gen zu spen­den. Zu diesen gehört SOS-Kinder­dorf Schweiz. Seit Sommer 2020 ermög­licht die Stif­tung, sie auf diese Weise zu unter­stüt­zen. Der neue Kanal wurde problem­los akzep­tiert. Kommu­ni­ka­ti­ons­lei­te­rin Corne­lia Krämer hält fest: «Das Feed­back – sowohl nega­tiv als auch posi­tiv – hielt sich in Gren­zen.» Das Spen­den­vo­lu­men der Kryp­to­wäh­run­gen vari­iert von Jahr zu Jahr. Und auch die einzel­nen Spen­den weisen eine breite Spanne auf: von 50 bis 1500 Fran­ken. Der Maxi­mal­be­trag, der gespen­det werden kann, liegt bei 4000 Fran­ken je Spende. Auslö­ser, diesen Kanal zu nutzen, war das Anlie­gen, neue Spender:innen zu gewin­nen. «Als inno­va­tive NGO waren wir auf der Suche nach neuen Optio­nen, Spen­den zu ermög­li­chen und beispiels­weise auch einer jünge­ren Ziel­gruppe einen Weg zu bieten, unkom­pli­ziert zu spen­den», sagt sie. Die Erfah­run­gen sind posi­tiv. Es zeigte sich, dass das Hand­ling der Kryp­to­wäh­run­gen SOS-Kinder­dorf nicht spezi­ell heraus­for­dert. «Die Zusam­men­ar­beit mit erfah­re­nen Part­nern wie Coinify und Data­trans macht es uns sehr einfach. Die Prozesse sind etabliert und auto­ma­ti­siert», sagt sie. Die Kryp­to­wäh­run­gen werden von diesen Part­nern in Fran­ken umge­rech­net und so an SOS-Kinder­dorf überwiesen.

Clever genutzt

Zufrie­den mit den Feed­backs ist auch Michael Harr. «Die Ausstrah­lung gegen aussen war sehr posi­tiv», sagt er. Aber auch intern hat die Aktion viel ausge­löst. Dabei zeigte sich, dass die Diskus­sio­nen intern ausge­spro­chen ernst­haft geführt wurden. Die Mitar­bei­ten­den waren viel stär­ker invol­viert, als wenn das Meta­verse nur in einer Arbeits­gruppe thema­ti­siert worden wäre. Diese Ausein­an­der­set­zung mit den digi­ta­len Möglich­kei­ten war auch für Michael Harr ein zentra­ler Grund, die Aktion durch­zu­füh­ren, selbst wenn er der Digi­ta­li­sie­rung durch­aus zwie­späl­tig gegen­über­steht. Er bezeich­net sie als Fluch und Segen zugleich – gerade für die Ziel­gruppe der Pro Senec­tute. Sie kann Menschen isolie­ren, wenn die digi­ta­len Instru­mente sie über­for­dern. Gleich­zei­tig bietet die Digi­ta­li­sie­rung neue Kommu­ni­ka­ti­ons­mög­lich­kei­ten: etwa, wenn ältere Menschen mit einge­schränk­ter Mobi­li­tät dank Whats­App wieder einfa­cher Kontakt halten können. In jedem Fall ist es Michael Harr wich­tig, sich ernst­haft mit der Thema­tik zu befas­sen. Dass er die NFT-Aktion insge­samt posi­tiv bewer­tet, hat sicher auch damit zu tun, dass das Ziel erreicht wurde. Zwar konn­ten sie nicht alle 4000 NFTs verkau­fen –, sie stehen noch immer zum Verkauf – aber das war auch nicht die Erwar­tung. Schliess­lich reichte der Erlös, um Land im Meta­verse zu kaufen. Klar war für ihn, dass dieses Ziel nur mit genü­gend Kommu­ni­ka­tion erreich­bar sein würde. Dabei setzte PSBB auf einen Influen­cer. Marcus Händel von «Visit Switz­er­land» teilte die Aktion mit seinen über 800’000 Follo­wern auf Insta­gram. Solche Akti­vi­tä­ten zeigen die Möglich­kei­ten der Digi­ta­li­sie­rung für das Fund­rai­sing. Sie verdeut­li­chen, dass sie clever genutzt von einer guten Kommu­ni­ka­tion abhän­gen. Denn die Digi­ta­li­sie­rung des Fund­rai­sings beschränkt sich nicht nur auf das Einbauen eines Spen­den­but­tons auf der eige­nen Website. Erfolg­rei­che Kampa­gnen können gezielt die Eigen­schaf­ten des Kanals aufneh­men, frech mit ihnen spie­len, so wie es die Kampa­gne #Last­Sel­fie von WWF Türkei gemacht hat. Die Orga­ni­sa­tion nutzte den Social-Media-Kanal Snap­chat. Dessen Eigen­art ist es, dass die verschick­ten Bilder nach weni­gen Sekun­den auto­ma­tisch gelöscht werden. So wurde die Eigen­heit des Kanals geschickt mit der Botschaft der vom Ausster­ben bedroh­ten Tier­ras­sen verbun­den – ein letz­tes Bild, bevor diese verschwinden. 

«Die On- und Offline-Möglich­kei­ten müssen opti­mal kombi­niert werden.»

Mela­nie Roth, Swissaid

Ein digi­ta­les Puzzle

Trotz inno­va­ti­ver Ansätze und der Viel­falt an Möglich­kei­ten zeigen die Erkennt­nisse der NPO-Umfrage 2022 der Stif­tung Zewo, dass im digi­ta­len Bereich noch Poten­zial liegt. Hilfs­werke messen den digi­ta­len Instru­men­ten beim Fund­rai­sing noch geringe Bedeu­tung zu. Aber sie steigt. Und bereits jedes zweite Hilfs­werk nutzt sie und sammelt Erfah­run­gen. «Die Heraus­for­de­rung besteht darin, von Beginn weg konse­quent vernetzt zu denken und damit die Möglich­kei­ten von on- und offline opti­mal zu kombi­nie­ren», sagt Mela­nie Roth, verant­wort­lich für Online-Fund­rai­sing und Online-Marke­ting bei Swis­said. Zwar sind die digi­ta­len Kanäle für sie auf der Einnah­men­seite noch von gerin­ger Bedeu­tung. Doch sie wächst. «Dazu kommt, dass sowohl in den tradi­tio­nel­len Offline-Kanä­len des Public-Fund­rai­sings als auch im indi­vi­du­el­len Fund­rai­sing digi­tale Kanäle immer wich­ti­ger werden», sagt sie. Um der Commu­nity gerade in der Pande­mie neue Möglich­kei­ten zu bieten, sich selbst einzu­brin­gen, hat Swis­said eine digi­tale Puzzle-Platt­form lanciert. So konn­ten Schul­klas­sen, die seit 80 Jahren Abzei­chen für Swis­said auf der Strasse verkauf­ten, auch in der Pande­mie im digi­ta­len Raum Spen­den sammeln. «Wir haben das Tool von Beginn weg so gedacht und entwi­ckelt, dass es auch für Privat­per­so­nen oder Grup­pen als Spen­den­tool für eigene Aktio­nen funk­tio­niert.» Auf der Platt­form kann für ein Swis­said-Projekt eine Spen­den­ak­tion lanciert werden. Je näher man dem Spen­den­ziel ist, desto mehr Puzzle­teile sind zusam­men­ge­setzt. Die Reso­nanz war unter­schied­lich. «Zu Beginn konn­ten gleich ein Dutzend Schu­len gewon­nen werden», sagt sie. Konstant Schul­klas­sen – und auch Privat­per­so­nen – zum Mitma­chen zu bewe­gen, stellte sich aber als heraus­for­dernd dar.
Dage­gen hat sich das Tool insbe­son­dere für die eige­nen Akti­vi­tä­ten gelohnt: Die eige­nen Spen­den­ziele hat Swis­said immer erreicht. «Wir sind über­zeugt, dass das Poten­zial noch nicht ausge­schöpft ist. Vor allem mit besse­rer und geziel­te­rer Bewer­bung können wir mit dem Ange­bot noch mehr Reso­nanz errei­chen», sagt sie.

«Gesucht war eine Spen­den­idee, welche die bestehen­den Akti­vi­tä­ten nicht kannibalisiert.»

Michael Harr, Pro Senec­tute beider Basel

Nieder­schwel­li­ger Zugang

Auch Michael Harr sieht gerade in der Kommu­ni­ka­tion noch Poten­zial. Wohl hat die PSBB auf einen nieder­schwel­li­gen Zugang geach­tet, mit Erklär­vi­deo auf einer Landing­page. Dennoch: «Wir würden noch mehr digi­tal kommu­ni­zie­ren», sagt er. Mela­nie Roth sagt: «Die Bewer­bung ist das A und O, sowohl bei Privat­per­so­nen wie auch bei Schu­len oder bei einem eige­nen Spen­den­auf­ruf. Die Aktion muss bekannt gemacht werden, ob im Bekann­ten­kreis, in Social Media oder bei den Spender:innen.» Wich­tig ist eine genaue Botschaft. Wofür die Spen­den­ak­tion ist, muss einfach und klar sein. Deshalb bietet Swis­said eine Hand­voll konkre­ter Projekte zur Auswahl an. Auch wenn der Einbe­zug der Commu­nity heute noch keinen gros­sen Stel­len­wert hat, ist Mela­nie Roth von der parti­zi­pa­ti­ven Entwick­lung über­zeugt. Gerade wegen der fehlen­den Spen­den­mög­lich­kei­ten auf den Social-
Media-Kanä­len. «In der Schweiz haben wir bisher vergeb­lich auf die Spen­den­funk­tion auf den Meta­platt­for­men gewar­tet. Wenn Meta diese nun per Mitte Jahr im rest­li­chen Europa wieder abschal­tet, rückt das in weite Ferne», sagt sie. Dass spen­den­sam­melnde Orga­ni­sa­tio­nen ihrer Commu­nity deshalb auf einer unab­hän­gi­gen Platt­form ermög­li­chen, eigene Aktio­nen zu star­ten, könnte auch deshalb an Bedeu­tung gewinnen.

Einfach auspro­bie­ren

Mit der NFT-Aktion hat PSBB einen eige­nen Spen­den­ka­nal gewählt. Konse­quent ist dabei, dass die Spen­den­ak­tion mit dem Spen­den­ziel und dem ganzen Projekt abge­stimmt ist. Denn der Land­kauf bedeu­tete nicht das Ende des Projek­tes. Nun steht das Nutzungs­kon­zept für das Stück virtu­el­les Land an. «Dazu haben wir die Pilot­gruppe ‹meta­verse expe­ri­men­tal­la­bor› gegrün­det», sagt Michael Harr. Die Ziel­gruppe soll bestim­men. Für die Gruppe wurden denn sechs Senior:innen ausge­wählt. Sie konn­ten sich im Meta­verse bewe­gen. Sie soll­ten sich selbst ein Bild machen. Anschlies­send hatten sie die Aufgabe, zu entschei­den, was mit dem Land geschieht. In einem spie­le­ri­schen Ansatz wurde in mehre­ren Work­shops die Lösung erar­bei­tet: Im digi­ta­len Meta­verse wird ein Reise­an­ge­bot für hoch­be­tagte Menschen mit Einschrän­kun­gen in der Mobi­li­tät geschaf­fen. Dass dies nicht für alle passt, dass es ältere Menschen gibt, die Mühe haben, die Virtual-Reality-Brille zu tragen, um ins Meta­verse einzu­tau­chen, dessen ist sich Michael Harr bewusst. Er sagt: «Unsere Ange­bote sind nie für alle. Aber für einige passen sie.» Dass es für die einen nicht passt, lässt er als Argu­ment nicht gelten, es für die ande­ren nicht zu entwi­ckeln. Für die Finan­zie­rung ist er nun bereits mit Stif­tun­gen im Gespräch. Bis 2025 will er das Projekt in mehre­ren Alters­hei­men ausrol­len. Es wird zudem von einer wissen­schaft­li­chen Studie beglei­tet. So visio­när das Projekt gestar­tet ist, so fundiert soll das Ergeb­nis bewer­tet werden. «Wir werden sehen, ob das Meta­verse eine rele­vante Möglich­keit ist, für ältere Menschen Akti­vi­tä­ten erleb­bar zu machen», sagt Michael Harr. «Man muss es einfach ausprobieren.» 

StiftungSchweiz engagiert sich für eine Philanthropie, die mit möglichst wenig Aufwand viel bewirkt, für alle sichtbar und erlebbar ist und Freude bereitet.

Folgen Sie StiftungSchweiz auf

-
-