Josef Pfabigan, Geschäftsführer von VIER PFOTEN, Bild: VIER PFOTEN | Adrian Almasan

VIER PFOTEN: Es geht um exis­ten­zi­elle Bedrohungen

Am 28. Februar startet in Nairobi in Kenia die fünfte UN-Umweltversammlung. VIER PFOTEN ist als Beobachterin dabei. Der Geschäftsführer der Tierschutzorganisation Josef Pfabigan spricht im Interview über die Verbindung von Klima- und Tierschutz, seine Erwartungen an die Versammlung und was unser Verhältnis zum Tier mit der Pandemie zu tun hat.

The Philanthropist: Im Zentrum der fünf­ten Umwelt­ver­samm­lung der Verein­ten Natio­nen stehen die Sustainable Deve­lo­p­ment Goals. Hat der Tier­schutz bei diesen eine ange­mes­sen Rolle?

Josef Pfabi­gan: Die Ziele für nach­hal­tige Entwick­lung (Sustainable Deve­lo­p­ment Goals, SDGs) stehen bei der Arbeit der Verein­ten Natio­nen stets im Fokus. Leider fehlt das Thema Tier­wohl derzeit noch in der stra­te­gi­schen Diskus­sion. Die Maßnah­men zum Schutz von Tieren sind bis dato völlig unzu­rei­chend. Das hat auch verhee­rende Auswir­kun­gen auf den Erhalt der Biodi­ver­si­tät, auf das Klima, und auf unsere Gesundheit.

Was erwar­ten Sie von der Versammlung?

Mehr und mehr Wissen­schaft­ler und poli­ti­sche Entschei­dungs­trä­ger erken­nen an, dass indus­tri­elle Fleisch­pro­duk­tion und kommer­zi­elle Ausbeu­tung von Wild­tie­ren haupt­ver­ant­wort­lich für das Auftre­ten von Pande­mien und Zoono­sen und für den Verlust an Biodi­ver­si­tät sind. Dazu tragen sie zur Klima­krise bei. Wissen­schaft­li­che Erkennt­nisse zeigen auf, dass eine quali­täts­volle Reduk­tion der Nutz­tier­hal­tung sehr posi­tive Effekte auf die Umwelt und das Klima hat und so die Erreich­bar­keit der SDGs maßgeb­lich fördert. Eine Etablie­rung von Tier­schutz und Tier­wohl im UN-Umwelt­pro­gramm UNEP komplet­tiert auch die wissen­schaft­li­che Basis für bessere und effek­ti­vere Arbeit in diesem Programm. 

Die Maßnah­men zum Schutz von Tieren sind bis dato völlig unzureichend.

Josef Pfabi­gan, Geschäfts­füh­rer von VIER PFOTEN

Als erster Schritt soll eine Reso­lu­tion zum Tier­wohl, die seitens der Regie­rung von Ghana vorge­bracht wurde, verab­schie­det werden. Sie wird von Burkina Faso, der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kongo, Äthio­pien, Paki­stan, dem Südsu­dan und dem Sene­gal unter­stützt. Wir hoffen, dass die Reso­lu­tion den Dialog zum Thema unter allen Mitglieds­staa­ten inten­si­viert. Die Reso­lu­tion fordert von der Umwelt­ver­samm­lung (UNEA) Zustim­mung dazu, dass das Umwelt­pro­gramm UNEP einen Bericht in Auftrag gibt zur Verknüp­fung der Themen Tier­wohl – Umwelt – nach­hal­tige Entwick­lungs­ziele (SDGs).

Wie hat die VIER-PFOTEN-Orga­ni­sa­tion ihren Beob­ach­ter­sta­tus erlangt?

VIER PFOTEN hat den Beob­ach­ter­sta­tus im Okto­ber 2021 erhal­ten. Dazu musste der Akkre­di­tie­rungs­pro­zess des UN-Umwelt­pro­gramms (UNEP) durch­lau­fen werden. VIER PFOTEN kann nun während der Diskus­sio­nen Erklä­run­gen abge­ben, über das Sekre­ta­riat des UN-Umwelt­pro­gramms (UNEP) schrift­li­che Stel­lung­nah­men an die Regie­run­gen weiter­lei­ten und an den Diskus­sio­nen im Plenum, im Gesamt­aus­schuss und bei den Minis­ter­kon­sul­ta­tio­nen teil­neh­men. Über diesen Austausch mit den Mitglieds­staa­ten kann VIER PFOTEN die Verknüp­fung zwischen Tier­wohl und Umwelt­schutz, Klima­wan­del, Gesund­heits­fra­gen und nach­hal­ti­ger Entwick­lung stär­ker ins Bewusst­sein rücken.

Was sind Ihre wich­tigs­ten Anlie­gen, die Sie an der Umwelt­ver­samm­lung vertre­ten wollen?

Es geht um exis­ten­zi­elle Bedro­hun­gen – für Tiere, und für Menschen. Tiere sind keine Ressource, die ohne Konse­quen­zen verwen­det werden sollte. Tier­hal­tung, Umwelt, Klima, nach­hal­tige Entwick­lung – das alles ist verknüpft. Wo Tiere leiden, leiden Menschen. 

Im Nach­hal­tig­keits­be­reich liegt heute an star­ker Fokus auf der Klima­frage. Fehlt Ihnen dadurch die Aufmerk­sam­keit für den Tier­schutz oder sehen ist das Thema als Chance, um auch auf das Wohl der Tiere hinzuweisen?

Nach­hal­tig­keit, Klima und Tier­wohl stehen in enger Verbin­dung zuein­an­der. Indus­tria­li­sierte Fleisch­pro­duk­tion wurde bei der UN-Klima­kon­fe­renz CoP26 nicht direkt ange­spro­chen. Aber es wurde aner­kannt, dass es hier Diskus­si­ons­be­darf gibt. Bisher lag der Fokus auf Tech­no­lo­gien zur Reduk­tion von Emis­sio­nen und auf dem Ausgleich von Emis­sio­nen. Symptome mit Tech­no­lo­gien zu bekämp­fen kann jedoch nicht genug sein. Es muss die Wurzel des Problems der Emis­sio­nen durch soge­nannte «Nutz­tiere» behan­delt werden – die Überproduktion.

Als Beispiel: Wenn wir die Zahl der land­wirt­schaft­li­chen Nutz­tiere verrin­gern, können weit­läu­fi­gere Haltungs­for­men im Freien umge­setzt werden. Mode­rate Tier­hal­tung hilft, Weide­land zu erhal­ten. Und intakte Grün­flä­chen sind wich­tig zur Bindung von Kohlen­stoff in der Natur. So können die Emis­sio­nen von Farmen effek­tiv redu­ziert werden. Darüber hinaus hat das Stress­le­vel der Tiere massi­ven Einfluss auf die von ihnen produ­zier­ten Emissionen.

Tiere spie­len bei der Klima­frage auch als Verur­sa­cher eine Rolle aufgrund der Tier­hal­tung für die Fleisch­pro­duk­tion. Welche Rolle kommt den Tieren in der Klima­frage zu?

Um die globale Nach­frage nach tieri­schen Produk­ten zu decken, werden welt­weit rund 80 Milli­ar­den Tiere auf engs­tem Raum gezüch­tet. Zusätz­lich zu unglaub­li­chem Leid nimmt man enorme nega­tive Auswir­kun­gen auf das Klima in Kauf. Durch die Tiere direkt verur­sachte Emis­sio­nen verschmut­zen die Luft, das Wasser, den Boden. Wenn die Fleisch­pro­duk­tion weiter ansteigt, ist sie demnächst für die Hälfte des «Emis­si­ons­bud­gets» verant­wort­lich, das maxi­mal verbraucht werden darf, um die Erder­wär­mung bei 1,5 Grad Celsius einzubremsen. 

Land­wirt­schaft­li­che Nutz­tiere sind zudem oft «opti­mierte», schnell wach­sende Rassen. Um sie zu füttern, werden Wälder gero­det. Das führt zur Frei­set­zung von Kohlen­di­oxid. Der Einsatz von Dünge­mit­teln belas­tet die Umwelt noch zusätz­lich. Die Herstel­lung und Verar­bei­tung dieser Futter­mit­tel ist für rund 45 Prozent der nutz­tier­be­zo­ge­nen Emis­sio­nen verant­wort­lich. Man muss kein Fach­ex­perte sein um zu sehen: Das derzei­tige System der Nutz­tier­hal­tung ist nicht nur in Bezug auf den Tier­schutz proble­ma­tisch. Es befeu­ert die Klima­krise, verschlim­mert globale Ungleich­hei­ten und bedroht die Ernährungssicherheit.

Die großen Welt­kli­ma­kon­fe­ren­zen enttäu­schen oft mit wenig konkre­ten Maßnah­men. Wie schät­zen Sie die Chan­cen der Umwelt­ver­samm­lung ein, wirkungs­volle Ergeb­nisse zu erzielen?

Wir hoffen, dass die UN auf Basis unse­rer Beiträge – und jener ande­rer Orga­ni­sa­tio­nen – aner­kennt, dass die Themen Tier­wohl und Umwelt Quer­schnitts­ma­te­rien über alle Berei­che sind. Sie haben Auswir­kun­gen auf das Wohl­erge­hen von Menschen.

Die Pande­mie hat Licht auf die zerrüt­tete Bezie­hung zwischen Mensch, Tier und Natur geworfen.

Josef Pfabi­gan, Geschäfts­füh­rer von VIER PFOTEN

Die Rolle der Tiere in der Gesell­schaft ist je nach Kultur unter­schied­lich. Welche Chan­cen und Heraus­for­de­run­gen bringt das für Sie, Verbes­se­run­gen beim Tier­schutz global zu erreichen?

Entwick­lung und Wachs­tum bedeu­ten nicht in allen Teilen der Welt dasselbe. Auch Konzepte zum Thema Tier­wohl sind geogra­fisch unter­schied­lich. Was aber in allen Kultu­ren gleich ist: Tiere spie­len zentrale Rollen. VIER PFOTEN arbei­tet inter­na­tio­nal part­ner­schaft­lich und auf Augen­höhe mit ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen zusam­men. So können wir vonein­an­der lernen und Heraus­for­de­run­gen gemein­sam bewältigen.

Die Pande­mie war in den vergan­ge­nen zwei Jahren das domi­nie­rende Thema. Hat der Tier­schutz darun­ter gelit­ten, etwa dass Mittel fehlten?

Die Pande­mie hat Licht auf die zerrüt­tete Bezie­hung zwischen Mensch, Tier und Natur gewor­fen. Wenn wir an Massen­tier­hal­tung, Pelz­tier­zucht und ‑haltung, kommer­zi­el­lem Handel mit Wild­tie­ren und Lebend­tier­märkte fest­hal­ten, ist die nächste Pande­mie nur eine Frage der Zeit. Wir fordern Regie­run­gen sowie die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­tion, die Ernäh­rungs- und Land­wirt­schafts­or­ga­ni­sa­tion der Verein­ten Natio­nen, die Welt­or­ga­ni­sa­tion für Tier­ge­sund­heit sowie UNEP deshalb auf, das Wohl­erge­hen von Mensch, Tier und Natur bei Rege­lun­gen zu Konsum, Wirt­schaft und Gesund­heit vernetzt zu betrach­ten. So können weitere Pande­mien verhin­dert und die Drama­tik der Klima­krise kann gebremst werden.

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