The Philanthropist: Im Zentrum der fünften Umweltversammlung der Vereinten Nationen stehen die Sustainable Development Goals. Hat der Tierschutz bei diesen eine angemessen Rolle?
Josef Pfabigan: Die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) stehen bei der Arbeit der Vereinten Nationen stets im Fokus. Leider fehlt das Thema Tierwohl derzeit noch in der strategischen Diskussion. Die Maßnahmen zum Schutz von Tieren sind bis dato völlig unzureichend. Das hat auch verheerende Auswirkungen auf den Erhalt der Biodiversität, auf das Klima, und auf unsere Gesundheit.
Was erwarten Sie von der Versammlung?
Mehr und mehr Wissenschaftler und politische Entscheidungsträger erkennen an, dass industrielle Fleischproduktion und kommerzielle Ausbeutung von Wildtieren hauptverantwortlich für das Auftreten von Pandemien und Zoonosen und für den Verlust an Biodiversität sind. Dazu tragen sie zur Klimakrise bei. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen auf, dass eine qualitätsvolle Reduktion der Nutztierhaltung sehr positive Effekte auf die Umwelt und das Klima hat und so die Erreichbarkeit der SDGs maßgeblich fördert. Eine Etablierung von Tierschutz und Tierwohl im UN-Umweltprogramm UNEP komplettiert auch die wissenschaftliche Basis für bessere und effektivere Arbeit in diesem Programm.
Die Maßnahmen zum Schutz von Tieren sind bis dato völlig unzureichend.
Josef Pfabigan, Geschäftsführer von VIER PFOTEN
Als erster Schritt soll eine Resolution zum Tierwohl, die seitens der Regierung von Ghana vorgebracht wurde, verabschiedet werden. Sie wird von Burkina Faso, der Demokratischen Republik Kongo, Äthiopien, Pakistan, dem Südsudan und dem Senegal unterstützt. Wir hoffen, dass die Resolution den Dialog zum Thema unter allen Mitgliedsstaaten intensiviert. Die Resolution fordert von der Umweltversammlung (UNEA) Zustimmung dazu, dass das Umweltprogramm UNEP einen Bericht in Auftrag gibt zur Verknüpfung der Themen Tierwohl – Umwelt – nachhaltige Entwicklungsziele (SDGs).
Wie hat die VIER-PFOTEN-Organisation ihren Beobachterstatus erlangt?
VIER PFOTEN hat den Beobachterstatus im Oktober 2021 erhalten. Dazu musste der Akkreditierungsprozess des UN-Umweltprogramms (UNEP) durchlaufen werden. VIER PFOTEN kann nun während der Diskussionen Erklärungen abgeben, über das Sekretariat des UN-Umweltprogramms (UNEP) schriftliche Stellungnahmen an die Regierungen weiterleiten und an den Diskussionen im Plenum, im Gesamtausschuss und bei den Ministerkonsultationen teilnehmen. Über diesen Austausch mit den Mitgliedsstaaten kann VIER PFOTEN die Verknüpfung zwischen Tierwohl und Umweltschutz, Klimawandel, Gesundheitsfragen und nachhaltiger Entwicklung stärker ins Bewusstsein rücken.
Was sind Ihre wichtigsten Anliegen, die Sie an der Umweltversammlung vertreten wollen?
Es geht um existenzielle Bedrohungen – für Tiere, und für Menschen. Tiere sind keine Ressource, die ohne Konsequenzen verwendet werden sollte. Tierhaltung, Umwelt, Klima, nachhaltige Entwicklung – das alles ist verknüpft. Wo Tiere leiden, leiden Menschen.
Im Nachhaltigkeitsbereich liegt heute an starker Fokus auf der Klimafrage. Fehlt Ihnen dadurch die Aufmerksamkeit für den Tierschutz oder sehen ist das Thema als Chance, um auch auf das Wohl der Tiere hinzuweisen?
Nachhaltigkeit, Klima und Tierwohl stehen in enger Verbindung zueinander. Industrialisierte Fleischproduktion wurde bei der UN-Klimakonferenz CoP26 nicht direkt angesprochen. Aber es wurde anerkannt, dass es hier Diskussionsbedarf gibt. Bisher lag der Fokus auf Technologien zur Reduktion von Emissionen und auf dem Ausgleich von Emissionen. Symptome mit Technologien zu bekämpfen kann jedoch nicht genug sein. Es muss die Wurzel des Problems der Emissionen durch sogenannte «Nutztiere» behandelt werden – die Überproduktion.
Als Beispiel: Wenn wir die Zahl der landwirtschaftlichen Nutztiere verringern, können weitläufigere Haltungsformen im Freien umgesetzt werden. Moderate Tierhaltung hilft, Weideland zu erhalten. Und intakte Grünflächen sind wichtig zur Bindung von Kohlenstoff in der Natur. So können die Emissionen von Farmen effektiv reduziert werden. Darüber hinaus hat das Stresslevel der Tiere massiven Einfluss auf die von ihnen produzierten Emissionen.
Tiere spielen bei der Klimafrage auch als Verursacher eine Rolle aufgrund der Tierhaltung für die Fleischproduktion. Welche Rolle kommt den Tieren in der Klimafrage zu?
Um die globale Nachfrage nach tierischen Produkten zu decken, werden weltweit rund 80 Milliarden Tiere auf engstem Raum gezüchtet. Zusätzlich zu unglaublichem Leid nimmt man enorme negative Auswirkungen auf das Klima in Kauf. Durch die Tiere direkt verursachte Emissionen verschmutzen die Luft, das Wasser, den Boden. Wenn die Fleischproduktion weiter ansteigt, ist sie demnächst für die Hälfte des «Emissionsbudgets» verantwortlich, das maximal verbraucht werden darf, um die Erderwärmung bei 1,5 Grad Celsius einzubremsen.
Landwirtschaftliche Nutztiere sind zudem oft «optimierte», schnell wachsende Rassen. Um sie zu füttern, werden Wälder gerodet. Das führt zur Freisetzung von Kohlendioxid. Der Einsatz von Düngemitteln belastet die Umwelt noch zusätzlich. Die Herstellung und Verarbeitung dieser Futtermittel ist für rund 45 Prozent der nutztierbezogenen Emissionen verantwortlich. Man muss kein Fachexperte sein um zu sehen: Das derzeitige System der Nutztierhaltung ist nicht nur in Bezug auf den Tierschutz problematisch. Es befeuert die Klimakrise, verschlimmert globale Ungleichheiten und bedroht die Ernährungssicherheit.
Die großen Weltklimakonferenzen enttäuschen oft mit wenig konkreten Maßnahmen. Wie schätzen Sie die Chancen der Umweltversammlung ein, wirkungsvolle Ergebnisse zu erzielen?
Wir hoffen, dass die UN auf Basis unserer Beiträge – und jener anderer Organisationen – anerkennt, dass die Themen Tierwohl und Umwelt Querschnittsmaterien über alle Bereiche sind. Sie haben Auswirkungen auf das Wohlergehen von Menschen.
Die Pandemie hat Licht auf die zerrüttete Beziehung zwischen Mensch, Tier und Natur geworfen.
Josef Pfabigan, Geschäftsführer von VIER PFOTEN
Die Rolle der Tiere in der Gesellschaft ist je nach Kultur unterschiedlich. Welche Chancen und Herausforderungen bringt das für Sie, Verbesserungen beim Tierschutz global zu erreichen?
Entwicklung und Wachstum bedeuten nicht in allen Teilen der Welt dasselbe. Auch Konzepte zum Thema Tierwohl sind geografisch unterschiedlich. Was aber in allen Kulturen gleich ist: Tiere spielen zentrale Rollen. VIER PFOTEN arbeitet international partnerschaftlich und auf Augenhöhe mit anderen Organisationen zusammen. So können wir voneinander lernen und Herausforderungen gemeinsam bewältigen.
Die Pandemie war in den vergangenen zwei Jahren das dominierende Thema. Hat der Tierschutz darunter gelitten, etwa dass Mittel fehlten?
Die Pandemie hat Licht auf die zerrüttete Beziehung zwischen Mensch, Tier und Natur geworfen. Wenn wir an Massentierhaltung, Pelztierzucht und ‑haltung, kommerziellem Handel mit Wildtieren und Lebendtiermärkte festhalten, ist die nächste Pandemie nur eine Frage der Zeit. Wir fordern Regierungen sowie die Weltgesundheitsorganisation, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, die Weltorganisation für Tiergesundheit sowie UNEP deshalb auf, das Wohlergehen von Mensch, Tier und Natur bei Regelungen zu Konsum, Wirtschaft und Gesundheit vernetzt zu betrachten. So können weitere Pandemien verhindert und die Dramatik der Klimakrise kann gebremst werden.