Mit einer neuen Wissenschaftsplattform wollen Sie Forschende und Stiftungen vernetzen. Wie weit wirkte Corona als Geburtshelferin?
Reto Kaderli: Reise- und Kontaktbeschränkungen, abgesagte Kongresse und Symposien – all das stellte plötzlich unbekannte Hürden dar, die es insbesondere jungen Akademikerinnen und Akademikern erschwerte, in der Welt der Wissenschaften Kontakte zu knüpfen. Warum gab es kein Netz, das dieses Problem auffing? So kamen wir auf die Idee der Plattform.
Benny Wohlfarth: Die Pandemie hat letztlich gezeigt, wie zentral die Forschung und wie allgegenwärtig die Digitalisierung ist. Deshalb gab es für uns mit Blick auf die Plattform eigentlich nur eine Frage: Wenn nicht jetzt, wann dann?
Die Forschenden sollen nach Ihren Vorstellungen auf der Plattform nicht untereinander bleiben. Wie kamen die Stiftungen ins Spiel?
RK: Schnell wurde uns das Potenzial klar: Warum die Vernetzung nicht weiterspinnen und auch Kontakte zu Drittmittelgebern erleichtern? Das ist heute ebenfalls eine Hürde für junge Forschende.
Wie wollen Sie die Beschaffung von Drittmitteln konkret erleichtern?
BW: Nicht alle Stiftungen sind heute leicht zu finden. Manchmal fehlen Webseiten, Kontaktangaben oder Informationen zu Ausrichtung und Grössenordnung der Forschungsförderung. Aussichtsreiche Drittmittelanträge zu schreiben und passende Stiftungen zu finden bindet daher Zeit und Kräfte. Mit SCINION erhalten Stiftungen die Möglichkeit, fachspezifisch und übersichtlich abrufbar zu werden. Das ermöglicht den Forschenden, rascher den für ihr wissenschaftliches Feld optimalen Drittmittelgeber zu finden.
In erster Linie geht es hier darum, laufende und geplante Projekte einem globalen, wissenschaftlichen Netzwerk zu präsentieren.
Benny Wohlfarth, SCINION
Und worin liegt der Nutzen für die Stiftungen?
RK: Die Stiftungen haben den Vorteil, dass ihre Gelder von den Forschenden effizienter genutzt werden. Diese müssen für die Beschaffung von Drittmitteln weniger Aufwand betreiben und sind nicht mehr gezwungen, nach einer erfolgreichen Einwerbung von Mitteln gleich den nächsten Antrag zu schreiben.
BW: Stiftungen wollen möglichst innovative und erfolgversprechende Arbeiten unterstützen. Auf der Plattform können sie die Kriterien ihrer Forschungsförderung und den Umfang der ausgeschriebenen Gelder klar deklarieren und erhalten dadurch passendere Anträge. Ebenso dürfen die Stiftungen mit einer grösseren Auswahl an qualitativ hochwertigen Anfragen rechnen. Denn auf SCINION können sie sich national und international einem breiten Publikum präsentieren.
Ihre Kraft entfaltet die Plattform aber nur, wenn genug Stiftungen und Forschende mitmachen.
RK: So ist es. Je mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einerseits und Stiftungen anderseits sich hier präsentieren, desto wirkungsvoller ist die Vernetzung.
Was ist der Mehrwert gegenüber anderen professionellen Netzwerken mit Ausrichtung auf Wissenschaft?
RK: Die bestehenden Plattformen ermöglichen den Austausch von Informationen und Ideen unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Meist werden diese als eine Art Online-Lebenslauf genutzt: Fachartikel werden hochgeladen und geteilt. Es ist zwar auch möglich, wissenschaftliche Fragen zu diskutieren und dem eigenen Netzwerk laufende Projekte vorzustellen, allerdings nicht in einer vergleichbar differenzierten Form wie auf SCINION.
BW: Auf unserer neuen Plattform können Forschende ebenfalls abgeschlossene Projekte publizieren. Aber in erster Linie geht es hier darum, laufende und geplante Projekte einem globalen, wissenschaftlichen Netzwerk zu präsentieren. Ziel ist es, interdisziplinäre, nationale und internationale Kollaborationen zu ermöglichen und zu vereinfachen. Voraussetzung hierfür ist die Art der Projekteingabe, wie sie bei SCINION einzigartig ist.
Wie funktioniert das genau?
BW: Nebst Inhaltlichem können Forschende etwa Länder und Fachgebiete angeben und anhand dieser und weiterer Kriterien spezifisch nach Projekten für Kollaborationen suchen. Mit demselben Raster lässt sich nach passenden Drittmittelgebern suchen. Diese sind ebenfalls thematisch oder unter Angabe von Land und Fachgebiet auffindbar.
Verfolgen Sie mit der Plattform ein kommerzielles Interesse?
RK: Sämtliche Kosten für den Aufbau und den Unterhalt des Startups haben wir beide als Firmeninhaber getragen. Wir haben das Projekt in vollem Umfang unentgeltlich in der Freizeit entwickelt. Auch in Zukunft soll SCINION vollständig unabhängig bleiben. Deshalb muss der Betrieb kostendeckend sein. Die Art und Weise der Kostendeckung ist aktuell noch offen.
Wir wollen in dieser schwierigen Situation helfen, in der Welt der Wissenschaften Brücken zu schlagen.
Reto Kaderli, SCINION
BW: Mit der Geschwindigkeit, mit der SCINION aktuell wächst, werden die Betriebskosten immer mehr zur Herausforderung und auch für die Weiterentwicklung wird es Einnahmen brauchen. Bereits gibt es Konzepte für Funktionserweiterungen. Um all das sicherzustellen und den erwarteten, wachsenden administrativen Aufwand abdecken zu können, wollen wir mittelfristig Leute einstellen, zum Beispiel IT-Experten.
Die Schweizer Universitäten leiden gegenwärtig unter dem Ausschluss aus dem europäischen Forschungsprogramm Horizon. Kann SCINION dazu beitragen, die Nachteile abzufedern?
RK: Die EU fordert unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf, die Schweiz zu verlassen, wenn sie gesprochene Gelder der prestigeträchtigen ERC-Grants von Horizon erhalten möchten. Diese Aufforderung ist wider dem verbindenden Geiste der Wissenschaft und der Spitzenposition, die der Forschungsstandort Schweiz einnimmt. Wir wollen in dieser schwierigen Situation helfen, in der Welt der Wissenschaften Brücken zu schlagen.
BW: Die Plattform könnte den Wissenschafts- und Innovationsstandort Schweiz stärken und durch die Förderung von länderübergreifenden Forschungskollaborationen den positiven Geist der Wissenschaft im internationalen Sinne betonen. Organisation und Vernetzung zählen zu den klassischen Stärken der Schweiz. SCINION kann sich auf hiesige Kernkompetenzen berufen.
Wissenschaftsplattform
SCINION (Scientific Union) ist eine neue Wissenschaftsplattform, konzipiert von einer Gruppe aus Medizinern und Informatikern der Schweiz mit langjähriger Erfahrung im Bereich der Forschung, aber auch der praxisorientierten Arbeit. Die Plattform will Stiftungen und Forschende gleichermassen unterstützen: die einen bei der Suche nach erfolgversprechenden Arbeiten, die anderen beim Einwerben von Fördergeldern.