Im vergangenen Jahr gab die Kühne-Stiftung 40 Millionen Franken aus und beschäftigte 500 Mitarbeitende.
Inzwischen nähern wir uns sogar 50 Millionen Franken und 600 Mitarbeitenden. Das klingt zwar sehr gross. Jedoch handelt es sich bei den Mitarbeitenden hauptsächlich um Wissenschaftler:innen und medizinisches Personal in unseren Einrichtungen. Auf der Geschäftsstelle arbeiten nur sehr wenige.
Die Stiftung wächst?
Die Stiftung gründet sich auf den unternehmerischen Erfolgen von Klaus-Michael Kühne. Es sind seine Beteiligungen an Kühne+Nagel, aber auch an weiteren Unternehmen wie der Lufthansa oder Hapag-Lloyd, die uns ermöglichen, als operative Stiftung zu wirken und zu wachsen.
Das muss gemanagt werden.
Ja. Dazu brauchen wir gute Mitarbeitende, eine vernünftige Governance und hohe Professionalität.
Als Stiftung über solche Mittel zu verfügen, bringt eine gesellschaftliche Verantwortung mit sich.
Auch hier steht Grösse nicht an erster Stelle. Es geht uns um die Wirkung, die wir mit unseren Projekten erzielen können. Dies reflektiert die Philosophie unseres Stifters. Klaus-Michael Kühne ist der Ansicht, dass aus unternehmerischem Erfolg eine gesellschaftliche Verantwortung entsteht. Dazu gehört auch die Frage, wie wir die Mittel effizient einsetzen.
Das verlangt nach Transparenz?
Transparenz ist uns wichtig. Wir erklären die Ziele unserer Arbeit und erläutern, welche Projekte wir zur Erreichung der Ziele machen. Über die Stiftung selbst kommunizieren
wir schweizerisch respektive hanseatisch zurückhaltend. Unsere Projekte sollen erzählen, was sie tun und wie sie wirken. So können wir Partner finden, mit denen wir Projekte gemeinsam realisieren können. So finden wir auch die Mitarbeitenden, die wir brauchen – und vielleicht können wir noch andere anstiften, ein solches gesellschaftliches Engagement einzugehen.
Wie es Klaus-Michael Kühne tut?
Er ist einer der erfolgreichsten Unternehmer Europas, der dazu noch sein ganzes Vermögen in die Stiftung gibt. Dies inspiriert hoffentlich auch andere.
Wie prägend ist Klaus-Michael Kühne noch?
Herr Kühne ist ein sehr aktiver Stifter. Das betrifft die Themen, aber insbesondere auch die Methodik, wie wir Dinge angehen. Dass wir eine operative Stiftung sind, die unternehmerisch handelt. Dass wir sehr international aufgestellt sind und effizient agieren – das ist von ihm geprägt.
Tauschen Sie sich regelmässig mit ihm aus?
Wir tauschen uns fast täglich über die Stiftung aus. Er ist Präsident des Stiftungsrats, in dem auch ich sitze, und definiert die grossen Leitlinien. Und er interessiert sich auch sehr für unsere Wirkung: Sind wir agil genug? Wo besteht Innovationspotenzial? Das hat beispielsweise im vergangenen Jahr zur Gründung des neuen Schwerpunkts Klima geführt. Bisher investieren zu wenige Stiftungen in diesen Bereich.
Gewinnt das Thema für Sie weiter an Bedeutung?
Ja. Es ist das Thema, das wir am stärksten ausbauen werden. Es ist ein dringliches. Wissenschaft, Wirtschaft, Staat und Stiftungen werden in den nächsten 10 bis 20 Jahren im Klimaschutz erhebliche Fortschritte erzielen können. Dazu wollen wir einen Beitrag leisten.
Wo sehen Sie Potenzial?
Wir interessieren uns dafür, wie wir den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft beschleunigen können, wie wir Wachstum von Treibhausemissionen entkoppeln können. Wir gucken beispielsweise, wie wir mehr CO2 aus der Atmosphäre entziehen und erfolgsversprechende Ansätze skalieren können. Zudem wollen wir helfen, die Logistikkette insgesamt grüner zu machen. Dafür werden wir ein Klimacenter einrichten. Dieses wird einen starken Fokus auf den globalen Süden haben.
Sie bearbeiten viele Themen, von Logistik über Medizin bis zu Kultur: Gibt es ein übergeordnetes Gemeinsames?
Die Stiftung ist über bald 50 Jahre natürlich historisch gewachsen. Aber für viele unserer Bereiche ist die Frage relevant, wie wir mit Wissen und Bildung die Globalisierung verantwortungsvoll gestalten können. Diese Frage beschäftigt unsere Logistikwissenschaft, unsere Klimaaktivitäten, unsere humanitäre Arbeit. Als Logistikunternehmer hat unser Stifter die Globalisierung mitgeprägt und davon profitiert.
Wie eng können und wollen Sie mit dem Un-ternehmen Kühne+Nagel zusammenarbeiten?
Es sind getrennte Welten.
Es findet kein Wissenstransfer statt?
Nein, jedoch ist in unserer gemeinsamen DNA das Interesse an der Logistik per se. Aber zum Portfolio von Herrn Kühne gehört ja auch mehr als nur Kühne+Nagel. Wir sind keine Corporate Foundation – wir sind eine unabhängige Stiftung.
Sie sind keine Förderstiftung?
In der Kultur agieren wir als Förderstiftung, insbesondere für exzellente Musik. Wir unterstützen Institutionen, Festspiele und Aufführungen beispielsweise in Hamburg, Salzburg, Luzern oder Zürich.
In den anderen Themen sind Sie dagegen operativ tätig?
Korrekt: Wir gründen für unseren Stiftungszweck jeweils eigene Organisationen. Wir verfügen über neun Töchter wie die Kühne Logistics University (KLU) in Hamburg oder die Hochgebirgsklinik in Davos. Dabei überlegen wir stets, ob wir durch unsere operative Arbeit die grösste Wirkung erzielen können.
Wie bedeutend ist diese Frage für Sie?
Gerade für eine operative Stiftung ist es sehr wichtig, sich selbst zu hinterfragen und sich der eigenen Wirkung bewusst zu sein. Wir wollen relevant sein und bleiben. Wir müssen uns deswegen immer wieder an den Bedürfnissen unserer Kunden, beispielsweise unserer Studierenden oder Patienten, messen.
Den Massstab für das Messen der eigenen Wirkung müssen Sie selbst bestimmen?
In Teilen ja. Wir definieren den Erfolgsmassstab ein Stück weit selbst. Anwendungsforschung ist uns in der Medizin beispielsweise wichtiger als Grundlagenforschung. Im Klimaschutz wollen wir Erfolge gerade auch im globalen Süden erzielen. An diesen strategischen Leitlinien orientiert sich die Wirkung unserer Projekte.
Sie stossen auch Projekte an, die eigene Erträge erwirtschaften – wie ist das zu verstehen?
Unser Anliegen ist es, den unternehmerischen Geist in der Stiftung zu fördern. Die leitenden Personen in unseren Töchtern sollten nicht auf Geld und Anweisungen aus Schindellegi, dem Sitz der Stiftung, warten, sondern eigeninitiativ und unternehmerisch handeln. Unsere Klinik konkurriert mit anderen um die bestmögliche Patientenversorgung. Unsere Forschenden entwickeln patentierbare Ideen. Unsere Universität soll aktiv Drittmittel und Forschungsgelder akquirieren und überlegen, in welchen Bereichen Studiengebühren sinnvoll erhoben werden können. Wir erwarten von all unseren Projekten, dass sie stets hinterfragen, wie sie ihre Arbeit im Sinne des Stiftungszwecks weiter intensivieren und verbessern können. Erwirtschaftete Mittel fliessen dann direkt zurück in die Projekte, wo wiederum neue Ansätze erprobt werden dürfen.
Sie haben sich schon als Senator in Hamburg für Studiengebühren eingesetzt. Ist das ein Widerspruch, wenn Sie gleichzeitig die Forschung und Lehre mit Spenden fördern?
Überhaupt nicht. Studierende sollen die bestmögliche Bildung erhalten. Das hat einen Wert und dafür sollen die Studierenden einen Beitrag leisten. In der Schweiz ist dies ja nicht ungewöhnlich. Warum dann nicht auch für eine stiftungsfinanzierte Hochschule?
Wie die Kühne Logistics University?
Zum Beispiel. Die Studierenden an der KLU zahlen eine Studiengebühr. Das vermittelt ihnen, dass Bildung einen Wert hat. Die KLU wurde übrigens von den Studierenden zu einer der beliebtesten Hochschulen weltweit gewählt – trotz Gebühren. Es ist wie mit der Pizza: Die kostenlose Pizza schmeckt nie so gut wie jene, für die man bezahlt hat. Wir wollen den Studierenden klarmachen, dass sie hier das wahrscheinlich Wertvollste im Leben erhalten: eine herausragende Bildung. Dazu müssen sie sich anstrengen und einen finanziellen Beitrag leisten – soweit sie das können.
«Im Stiftungsbereich ist es ein anderer Wettbewerb.»
Jörg Dräger, geschäftsführender Stiftungsrat der Kühne Stiftung
Und wenn nicht?
Für jene, die es nicht können, ist es am Staat oder eben an Stiftungen, alternative Finanzierungen aufzuzeigen. Niemand darf ausgeschlossen werden. Wir können Stipendien, Darlehen und andere Finanzierungsmöglichkeiten mit Studiengebühren kombinieren – sozial und fair.
Sehen Sie auch eine Gefahr, wenn Spendengelder zu einfach fliessen?
Trägheit hat noch nie zu Veränderung geführt. Anstrengung, Wettbewerb und Innovation führen zu mehr Wirkung und gesellschaftlicher Veränderung im positiven Sinne. Im Stiftungsbereich ist es übrigens ein anderer Wettbewerb als im ökonomischen Umfeld. Es ist die Suche nach der besten Lösung, die Suche nach der funktionierenden Skalierung und dem effizientesten Mitteleinsatz. Als Stiftung geht es darum, die Mittel dort einzusetzen, wo sie am meisten Wirkung erzielen, und nicht darum, besser als andere zu sein.
Können umgekehrt Institutionen wie Universitäten einen Wettbewerb unter den Spender:innen und Geldgeber:innen fördern und selbst Impulse setzen, was noch gefördert werden könnte?
Wir brauchen Förderung auf Augenhöhe. Universitäten suchen mit ihren exzellenten Ideen die geeigneten Förderer. Stiftungen suchen die erfolgversprechendsten Institutionen zur Förderung. Das ist für mich ein gesunder Wettbewerb, wenn die besseren Ideen, die Innovationen mit der grösseren Wirkung auch mehr Geld erhalten.
Fehlt Ihnen der Wettbewerbsgedanke in der Stiftungswelt?
Ein entschiedenes Jein. Nein, weil klassischer Wettbewerb zwischen Stiftungen nur begrenzt sinnvoll ist. Strategische Partnerschaften sind weit effektiver als eine wettbewerbsorientierte Abgrenzung. In meinen 16 Jahren im Stiftungswesen habe ich ausgezeichnete Erfahrungen damit gemacht, gute Ideen mit anderen zu teilen und von anderen zu übernehmen. Wenn eine Stiftung einen hervorragenden Ansatz hat, ist es ideal, wenn drei weitere Stiftungen diesen aufgreifen oder sich im Rahmen einer Kooperation beteiligen. Auf diese Weise können erfolgreiche Konzepte schneller und breiter umgesetzt werden.
Wettbewerb und Partnerschaft?
Wettbewerb der besten Ideen, kombiniert mit strategischer Partnerschaft: Das ist mein «Ja» im Jein. Und meine Interpretation eines von Innovation getriebenen Wettbewerbs im Stiftungssektor.
Auch unter Hochschulen haben Sie sich für mehr Wettbewerb eingesetzt.
Ja, wiederum für den Wettbewerb der besten Ideen bei gleichzeitiger Aufgabenteilung. Es wäre ja nicht sinnvoll, wenn alle in denselben Forschungsfeldern tätig sind. Als in der medizinischen Forschung aktive Stiftung haben wir auch deswegen einen unterrepräsentierten Bereich, in unserem Fall die allergischen Erkrankungen, gesucht, in dem wir wirksam sein können, ohne dass mehrere andere bereits aktiv sind. Hier können wir effizient dazu beitragen, die
Volkskrankheit Allergie zu lindern und Betroffenen zu helfen.
Wie stark ist der Austausch mit anderen Stiftungen?
In meinen zwei Jahren in der Schweiz habe ich gerade mit den grösseren Stiftungen den Austausch gesucht und natürlich auch zu SwissFoundations Kontakte geknüpft. Und ich bin sehr dankbar, hier so viel Offenheit für Dialog und strategische Kooperationen zu finden, gerade bei Stiftungen, die nicht nur ein Vermögen besitzen, sondern auch eine Verantwortung für unternehmerische Beteiligungen haben. Ich bin überzeugt, dass das Stiftungswesen ohne einen solchen Austausch nicht die gleiche Wirkung erzielt wie mit.
Sie waren Geschäftsführer des Northern Institute of Technology, als Senator von Hamburg waren Sie in der Politik engagiert, jetzt führen Sie eine grosse Stiftung. Wo sehen Sie die Aufgabe einer Stiftung?
Stiftungen können und sollen den Staat nicht ersetzen. Und sie können und sollen die Privatwirtschaft nicht ersetzen. Aber sie sind als der dritte Sektor eine weitere zentrale Säule in unserem Gemeinschaftswesen.
Welche Rolle können sie einnehmen?
Stiftungen können temporäres Marktversagen überbrücken. Wir können mit höherem Risiko agieren, Pilotprojekte lancieren, wo ein Staat dies nicht kann, weil er grössere Rechenschaftspflichten gegenüber den Wähler:innen hat. Im Klima- oder Medizinbereich arbeiten wir an Themen, bei denen noch nicht klar ist, ob sie funktionieren, und wie sie sich skalieren lassen. Ist das allerdings dann der Fall, sehe ich den Staat und die Wirtschaft in der Rolle, diese Themen zu übernehmen und dauerhaft zu betreiben.