Fotos: Gian Marco Castelberg

Verant­wor­tungs­volle Globalisierung

Jörg Dräger war Senator in Hamburg und Unternehmensberater. Seit zwei Jahren ist er geschäftsführender Stiftungsrat der Kühne-Stiftung und erklärt, wie diese ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnimmt.

Im vergan­ge­nen Jahr gab die Kühne-Stif­tung 40 Millio­nen Fran­ken aus und beschäf­tigte 500 Mitarbeitende.

Inzwi­schen nähern wir uns sogar 50 Millio­nen Fran­ken und 600 Mitar­bei­ten­den. Das klingt zwar sehr gross. Jedoch handelt es sich bei den Mitar­bei­ten­den haupt­säch­lich um Wissenschaftler:innen und medi­zi­ni­sches Perso­nal in unse­ren Einrich­tun­gen. Auf der Geschäfts­stelle arbei­ten nur sehr wenige.

Die Stif­tung wächst?

Die Stif­tung grün­det sich auf den unter­neh­me­ri­schen Erfol­gen von Klaus-Michael Kühne. Es sind seine Betei­li­gun­gen an Kühne+Nagel, aber auch an weite­ren Unter­neh­men wie der Luft­hansa oder Hapag-Lloyd, die uns ermög­li­chen, als opera­tive Stif­tung zu wirken und zu wachsen.

Das muss gema­nagt werden.

Ja. Dazu brau­chen wir gute Mitar­bei­tende, eine vernünf­tige Gover­nance und hohe Professionalität. 

Als Stif­tung über solche Mittel zu verfü­gen, bringt eine gesell­schaft­li­che Verant­wor­tung mit sich.

Auch hier steht Grösse nicht an erster Stelle. Es geht uns um die Wirkung, die wir mit unse­ren Projek­ten erzie­len können. Dies reflek­tiert die Philo­so­phie unse­res Stif­ters. Klaus-Michael Kühne ist der Ansicht, dass aus unter­neh­me­ri­schem Erfolg eine gesell­schaft­li­che Verant­wor­tung entsteht. Dazu gehört auch die Frage, wie wir die Mittel effi­zi­ent einsetzen.

Das verlangt nach Transparenz?

Trans­pa­renz ist uns wich­tig. Wir erklä­ren die Ziele unse­rer Arbeit und erläu­tern, welche Projekte wir zur Errei­chung der Ziele machen. Über die Stif­tung selbst kommu­ni­zie­ren
wir schwei­ze­risch respek­tive hansea­tisch zurück­hal­tend. Unsere Projekte sollen erzäh­len, was sie tun und wie sie wirken. So können wir Part­ner finden, mit denen wir Projekte gemein­sam reali­sie­ren können. So finden wir auch die Mitar­bei­ten­den, die wir brau­chen – und viel­leicht können wir noch andere anstif­ten, ein solches gesell­schaft­li­ches Enga­ge­ment einzugehen. 

Wie es Klaus-Michael Kühne tut?

Er ist einer der erfolg­reichs­ten Unter­neh­mer Euro­pas, der dazu noch sein ganzes Vermö­gen in die Stif­tung gibt. Dies inspi­riert hoffent­lich auch andere.

Wie prägend ist Klaus-Michael Kühne noch? 

Herr Kühne ist ein sehr akti­ver Stif­ter. Das betrifft die Themen, aber insbe­son­dere auch die Metho­dik, wie wir Dinge ange­hen. Dass wir eine opera­tive Stif­tung sind, die unter­neh­me­risch handelt. Dass wir sehr inter­na­tio­nal aufge­stellt sind und effi­zi­ent agie­ren – das ist von ihm geprägt.

Tauschen Sie sich regel­mäs­sig mit ihm aus? 

Wir tauschen uns fast täglich über die Stif­tung aus. Er ist Präsi­dent des Stif­tungs­rats, in dem auch ich sitze, und defi­niert die gros­sen Leit­li­nien. Und er inter­es­siert sich auch sehr für unsere Wirkung: Sind wir agil genug? Wo besteht Inno­va­ti­ons­po­ten­zial? Das hat beispiels­weise im vergan­ge­nen Jahr zur Grün­dung des neuen Schwer­punkts Klima geführt. Bisher inves­tie­ren zu wenige Stif­tun­gen in diesen Bereich. 

Gewinnt das Thema für Sie weiter an Bedeutung? 

Ja. Es ist das Thema, das wir am stärks­ten ausbauen werden. Es ist ein dring­li­ches. Wissen­schaft, Wirt­schaft, Staat und Stif­tun­gen werden in den nächs­ten 10 bis 20 Jahren im Klima­schutz erheb­li­che Fort­schritte erzie­len können. Dazu wollen wir einen Beitrag leisten. 

Wo sehen Sie Potenzial?

Wir inter­es­sie­ren uns dafür, wie wir den Über­gang zu einer kohlen­stoff­ar­men Wirt­schaft beschleu­ni­gen können, wie wir Wachs­tum von Treib­hau­se­mis­sio­nen entkop­peln können. Wir gucken beispiels­weise, wie wir mehr CO2 aus der Atmo­sphäre entzie­hen und erfolgs­ver­spre­chende Ansätze skalie­ren können. Zudem wollen wir helfen, die Logis­tik­kette insge­samt grüner zu machen. Dafür werden wir ein Klima­cen­ter einrich­ten. Dieses wird einen star­ken Fokus auf den globa­len Süden haben. 

Sie bear­bei­ten viele Themen, von Logis­tik über Medi­zin bis zu Kultur: Gibt es ein über­ge­ord­ne­tes Gemeinsames?

Die Stif­tung ist über bald 50 Jahre natür­lich histo­risch gewach­sen. Aber für viele unse­rer Berei­che ist die Frage rele­vant, wie wir mit Wissen und Bildung die Globa­li­sie­rung verant­wor­tungs­voll gestal­ten können. Diese Frage beschäf­tigt unsere Logis­tik­wis­sen­schaft, unsere Klima­ak­ti­vi­tä­ten, unsere huma­ni­täre Arbeit. Als Logis­tik­un­ter­neh­mer hat unser Stif­ter die Globa­li­sie­rung mitge­prägt und davon profitiert. 

Wie eng können und wollen Sie mit dem Un-terneh­men Kühne+Nagel zusammenarbeiten?

Es sind getrennte Welten. 

Es findet kein Wissens­trans­fer statt? 

Nein, jedoch ist in unse­rer gemein­sa­men DNA das Inter­esse an der Logis­tik per se. Aber zum Port­fo­lio von Herrn Kühne gehört ja auch mehr als nur Kühne+Nagel. Wir sind keine Corpo­rate Foun­da­tion – wir sind eine unab­hän­gige Stiftung.

Sie sind keine Förderstiftung?

In der Kultur agie­ren wir als Förder­stif­tung, insbe­son­dere für exzel­lente Musik. Wir unter­stüt­zen Insti­tu­tio­nen, Fest­spiele und Auffüh­run­gen beispiels­weise in Hamburg, Salz­burg, Luzern oder Zürich. 

In den ande­ren Themen sind Sie dage­gen opera­tiv tätig?

Korrekt: Wir grün­den für unse­ren Stif­tungs­zweck jeweils eigene Orga­ni­sa­tio­nen. Wir verfü­gen über neun Töch­ter wie die Kühne Logi­stics Univer­sity (KLU) in Hamburg oder die Hoch­ge­birgs­kli­nik in Davos. Dabei über­le­gen wir stets, ob wir durch unsere opera­tive Arbeit die grösste Wirkung erzie­len können.

Wie bedeu­tend ist diese Frage für Sie?

Gerade für eine opera­tive Stif­tung ist es sehr wich­tig, sich selbst zu hinter­fra­gen und sich der eige­nen Wirkung bewusst zu sein. Wir wollen rele­vant sein und blei­ben. Wir müssen uns deswe­gen immer wieder an den Bedürf­nis­sen unse­rer Kunden, beispiels­weise unse­rer Studie­ren­den oder Pati­en­ten, messen.

Den Mass­stab für das Messen der eige­nen Wirkung müssen Sie selbst bestimmen?

In Teilen ja. Wir defi­nie­ren den Erfolgs­mass­stab ein Stück weit selbst. Anwen­dungs­for­schung ist uns in der Medi­zin beispiels­weise wich­ti­ger als Grund­la­gen­for­schung. Im Klima­schutz wollen wir Erfolge gerade auch im globa­len Süden erzie­len. An diesen stra­te­gi­schen Leit­li­nien orien­tiert sich die Wirkung unse­rer Projekte. 

Sie stos­sen auch Projekte an, die eigene Erträge erwirt­schaf­ten – wie ist das zu verstehen?

Unser Anlie­gen ist es, den unter­neh­me­ri­schen Geist in der Stif­tung zu fördern. Die leiten­den Perso­nen in unse­ren Töch­tern soll­ten nicht auf Geld und Anwei­sun­gen aus Schin­del­legi, dem Sitz der Stif­tung, warten, sondern eigen­in­itia­tiv und unter­neh­me­risch handeln. Unsere Klinik konkur­riert mit ande­ren um die best­mög­li­che Pati­en­ten­ver­sor­gung. Unsere Forschen­den entwi­ckeln paten­tier­bare Ideen. Unsere Univer­si­tät soll aktiv Dritt­mit­tel und Forschungs­gel­der akqui­rie­ren und über­le­gen, in welchen Berei­chen Studi­en­ge­büh­ren sinn­voll erho­ben werden können. Wir erwar­ten von all unse­ren Projek­ten, dass sie stets hinter­fra­gen, wie sie ihre Arbeit im Sinne des Stif­tungs­zwecks weiter inten­si­vie­ren und verbes­sern können. Erwirt­schaf­tete Mittel flies­sen dann direkt zurück in die Projekte, wo wiederum neue Ansätze erprobt werden dürfen. 

Sie haben sich schon als Sena­tor in Hamburg für Studi­en­ge­büh­ren einge­setzt. Ist das ein Wider­spruch, wenn Sie gleich­zei­tig die Forschung und Lehre mit Spen­den fördern?

Über­haupt nicht. Studie­rende sollen die best­mög­li­che Bildung erhal­ten. Das hat einen Wert und dafür sollen die Studie­ren­den einen Beitrag leis­ten. In der Schweiz ist dies ja nicht unge­wöhn­lich. Warum dann nicht auch für eine stif­tungs­fi­nan­zierte Hochschule? 

Wie die Kühne Logi­stics University?

Zum Beispiel. Die Studie­ren­den an der KLU zahlen eine Studi­en­ge­bühr. Das vermit­telt ihnen, dass Bildung einen Wert hat. Die KLU wurde übri­gens von den Studie­ren­den zu einer der belieb­tes­ten Hoch­schu­len welt­weit gewählt – trotz Gebüh­ren. Es ist wie mit der Pizza: Die kosten­lose Pizza schmeckt nie so gut wie jene, für die man bezahlt hat. Wir wollen den Studie­ren­den klar­ma­chen, dass sie hier das wahr­schein­lich Wert­vollste im Leben erhal­ten: eine heraus­ra­gende Bildung. Dazu müssen sie sich anstren­gen und einen finan­zi­el­len Beitrag leis­ten – soweit sie das können. 

«Im Stif­tungs­be­reich ist es ein ande­rer Wettbewerb.»

Jörg Dräger, geschäfts­füh­ren­der Stif­tungs­rat der Kühne Stiftung

Und wenn nicht?

Für jene, die es nicht können, ist es am Staat oder eben an Stif­tun­gen, alter­na­tive Finan­zie­run­gen aufzu­zei­gen. Niemand darf ausge­schlos­sen werden. Wir können Stipen­dien, Darle­hen und andere Finan­zie­rungs­mög­lich­kei­ten mit Studi­en­ge­büh­ren kombi­nie­ren – sozial und fair. 

Sehen Sie auch eine Gefahr, wenn Spen­den­gel­der zu einfach fliessen?

Träg­heit hat noch nie zu Verän­de­rung geführt. Anstren­gung, Wett­be­werb und Inno­va­tion führen zu mehr Wirkung und gesell­schaft­li­cher Verän­de­rung im posi­ti­ven Sinne. Im Stif­tungs­be­reich ist es übri­gens ein ande­rer Wett­be­werb als im ökono­mi­schen Umfeld. Es ist die Suche nach der besten Lösung, die Suche nach der funk­tio­nie­ren­den Skalie­rung und dem effi­zi­en­tes­ten Mittel­ein­satz. Als Stif­tung geht es darum, die Mittel dort einzu­set­zen, wo sie am meis­ten Wirkung erzie­len, und nicht darum, besser als andere zu sein. 

Können umge­kehrt Insti­tu­tio­nen wie Univer­si­tä­ten einen Wett­be­werb unter den Spender:innen und Geldgeber:innen fördern und selbst Impulse setzen, was noch geför­dert werden könnte?

Wir brau­chen Förde­rung auf Augen­höhe. Univer­si­tä­ten suchen mit ihren exzel­len­ten Ideen die geeig­ne­ten Förde­rer. Stif­tun­gen suchen die erfolg­ver­spre­chends­ten Insti­tu­tio­nen zur Förde­rung. Das ist für mich ein gesun­der Wett­be­werb, wenn die besse­ren Ideen, die Inno­va­tio­nen mit der grös­se­ren Wirkung auch mehr Geld erhalten. 

Fehlt Ihnen der Wett­be­werbs­ge­danke in der Stiftungswelt? 

Ein entschie­de­nes Jein. Nein, weil klas­si­scher Wett­be­werb zwischen Stif­tun­gen nur begrenzt sinn­voll ist. Stra­te­gi­sche Part­ner­schaf­ten sind weit effek­ti­ver als eine wett­be­werbs­ori­en­tierte Abgren­zung. In meinen 16 Jahren im Stif­tungs­we­sen habe ich ausge­zeich­nete Erfah­run­gen damit gemacht, gute Ideen mit ande­ren zu teilen und von ande­ren zu über­neh­men. Wenn eine Stif­tung einen hervor­ra­gen­den Ansatz hat, ist es ideal, wenn drei weitere Stif­tun­gen diesen aufgrei­fen oder sich im Rahmen einer Koope­ra­tion betei­li­gen. Auf diese Weise können erfolg­rei­che Konzepte schnel­ler und brei­ter umge­setzt werden.

Wett­be­werb und Partnerschaft?

Wett­be­werb der besten Ideen, kombi­niert mit stra­te­gi­scher Part­ner­schaft: Das ist mein «Ja» im Jein. Und meine Inter­pre­ta­tion eines von Inno­va­tion getrie­be­nen Wett­be­werbs im Stiftungssektor.

Auch unter Hoch­schu­len haben Sie sich für mehr Wett­be­werb eingesetzt. 

Ja, wiederum für den Wett­be­werb der besten Ideen bei gleich­zei­ti­ger Aufga­ben­tei­lung. Es wäre ja nicht sinn­voll, wenn alle in densel­ben Forschungs­fel­dern tätig sind. Als in der medi­zi­ni­schen Forschung aktive Stif­tung haben wir auch deswe­gen einen unter­re­prä­sen­tier­ten Bereich, in unse­rem Fall die aller­gi­schen Erkran­kun­gen, gesucht, in dem wir wirk­sam sein können, ohne dass mehrere andere bereits aktiv sind. Hier können wir effi­zi­ent dazu beitra­gen, die
Volks­krank­heit Aller­gie zu lindern und Betrof­fe­nen zu helfen. 

Wie stark ist der Austausch mit ande­ren Stiftungen?

In meinen zwei Jahren in der Schweiz habe ich gerade mit den grös­se­ren Stif­tun­gen den Austausch gesucht und natür­lich auch zu Swiss­Foun­da­ti­ons Kontakte geknüpft. Und ich bin sehr dank­bar, hier so viel Offen­heit für Dialog und stra­te­gi­sche Koope­ra­tio­nen zu finden, gerade bei Stif­tun­gen, die nicht nur ein Vermö­gen besit­zen, sondern auch eine Verant­wor­tung für unter­neh­me­ri­sche Betei­li­gun­gen haben. Ich bin über­zeugt, dass das Stif­tungs­we­sen ohne einen solchen Austausch nicht die glei­che Wirkung erzielt wie mit. 

Sie waren Geschäfts­füh­rer des Nort­hern Insti­tute of Tech­no­logy, als Sena­tor von Hamburg waren Sie in der Poli­tik enga­giert, jetzt führen Sie eine grosse Stif­tung. Wo sehen Sie die Aufgabe einer Stiftung?

Stif­tun­gen können und sollen den Staat nicht erset­zen. Und sie können und sollen die Privat­wirt­schaft nicht erset­zen. Aber sie sind als der dritte Sektor eine weitere zentrale Säule in unse­rem Gemeinschaftswesen.

Welche Rolle können sie einnehmen?

Stif­tun­gen können tempo­rä­res Markt­ver­sa­gen über­brü­cken. Wir können mit höhe­rem Risiko agie­ren, Pilot­pro­jekte lancie­ren, wo ein Staat dies nicht kann, weil er grös­sere Rechen­schafts­pflich­ten gegen­über den Wähler:innen hat. Im Klima- oder Medi­zin­be­reich arbei­ten wir an Themen, bei denen noch nicht klar ist, ob sie funk­tio­nie­ren, und wie sie sich skalie­ren lassen. Ist das aller­dings dann der Fall, sehe ich den Staat und die Wirt­schaft in der Rolle, diese Themen zu über­neh­men und dauer­haft zu betreiben. 

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