The Philanthropist: Welche Rolle spielt die Venture Philanthropie bei der Jacobs Foundation?
Fabio Segura: Die Jacobs Foundation hat schon immer an die Kraft unternehmerischer Ansätze geglaubt, um Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche zu schaffen.
Wir fördern seit Jahrzehnten marktorientierte Unternehmen und bieten ihnen massgeschneiderte Unterstützung. 2015 schufen wir ein experimentelles Venture-Philanthropie-Portfolio, das ursprünglich auf die Förderung von Bildungs-Start-ups in Westafrika beschränkt war.
2021 führten wir eine Sub-Anlageklasse für Bildungseinrichtungen auf der ganzen Welt ein. Wir nannten diese Anlageklasse «Scientific Capital», um zu einem ergebnisorientierten Ansatz und zur Entwicklung und Integration strenger wissenschaftlicher Nachweise in die Produkte und Dienstleistungen dieser Einrichtungen anzuspornen. Unsere nächste Herausforderung besteht darin, unsere Strategie des wissenschaftlichen Kapitals durch konventionelle Anlagefonds und multilaterale Finanzierungen zu ergänzen.
Für welche Arten des Engagements eignet sich die Venture Philanthropie am besten?
Die Verwendung von Eigenkapital, Darlehen und Wandelanleihen sollte in der Philanthropie auf die Finanzierung nachhaltiger marktorientierter Unternehmen beschränkt sein, die den Investorinnen und Investoren realistische Ausstiegsmöglichkeiten bieten. Wenn solche Investitionen mit einer Impact-Management-Strategie verknüpft und die Marktbedingungen günstig sind, kann ihre Wirkung durch das Wachstum des Unternehmens erhöht werden.
Es gibt keine Hierarchie und kein anerkanntes Regelwerk, um die Wirksamkeit der beiden Philanthropie-Ansätze zu vergleichen.
Fabio Segura, Co-CEO Jacobs Foundation
Venture-Philanthropie-Kapitalgebenden stehen jedoch auch andere Ausstiegsmöglichkeiten zur Verfügung, wie die Übernahme auf politischer oder gemeinschaftlicher Ebene, die Schaffung öffentlicher Güter oder der Aufbau eines Ökosystems. Die Umsetzung dieser Optionen gelingt oft am besten durch eine strategische Mittelvergabe (Beihilfen, Erfolgsentlohnung, Finanzierung nach ergebnisorientierten Kriterien etc.), da diese mit einem geringeren Risiko und einer höheren Kapitaleffizienz verbunden ist.
Gemäss der European Venture Philanthropy Association (EVPA) umfasst die Venture Philanthropie verschiedene Aktivitäten – von Zuwendungen, die an bestimmte Engagements gebunden sind, bis hin zu Impact Investments. Ist es möglich, die Venture Philanthropie in nur wenigen Worten klar zu definieren?
Der Ausdruck Venture Philanthropie beschreibt die Verwendung von Investitionen, um philanthropische Ziele zu verfolgen. Sie umfasst im Allgemeinen die Förderung von Unternehmen (anstatt der Förderung von Projekten), den Einsatz zahlreicher Finanzierungsinstrumente (z. B. Darlehen, Eigenkapital, Wandelanleihen sowie Beihilfen), die Bereitstellung einer massgeschneiderten Unterstützung nach der Investition (z. B. in Form von sozialem oder intellektuellem Kapital) und ein systematisches und langfristiges Impact Management.
Gibt es eine Hierarchie bezüglich der Wirksamkeit? Stimmt es zum Beispiel, dass die Venture Philanthropie im Vergleich zur traditionellen Philanthropie vor allem durch die nicht-finanzielle Unterstützung oder durch ihre grössere Flexibilität hinsichtlich der Finanzierung eine Wirkung erzielt?
Es gibt keine Hierarchie und kein anerkanntes Regelwerk, um die Wirksamkeit der beiden Philanthropie-Ansätze zu vergleichen, da die Wirksamkeit ein werturteilsbehaftetes und kontextabhängiges Konzept ist.
Unternehmen, die neben finanziellen Zuwendungen auch andere Arten von Unterstützung wie z. B. Fachwissen oder Zugang zu relevanten Netzwerken erhalten, stehen dem Programm des Geldgebenden im Allgemeinen näher als Unternehmen, die nur Geld erhalten. Um jedoch diese Nähe in eine grössere Wirksamkeit umzuwandeln, bedarf es seitens des Geldgebenden ganz erheblicher Fähigkeiten, einschliesslich solider Kernkompetenzen, eines starken Wunsches, eine Wirkung zu erzielen, eines umfassenden Verständnisses des jeweiligen Kontexts, eines effektiven Einflusses und ausgeklügelter Impact-Management-Systeme.
Handelt es sich bei der Venture Philanthropie eher um eine Anlagekategorie oder um ein Förderengagement?
Genauso wie der Kapitalmarkt bietet auch die Venture Philanthropie den Kapitalgebenden eine Reihe von Anlagehorizonten mit der Möglichkeit von Folgefinanzierungen und einer grossen Vielfalt von Risiko-/Ertragsprofilen in jeder Branche, entsprechend den unterschiedlichen Erwartungen in Bezug auf die finanziellen Erträge.
Tatsächlich orientiert sich die Venture Philanthropie an unternehmerischen Prinzipien wie Innovation, Effizienz bei der Umsetzung, ergebnisorientiertem Management und Wachstumsabsicht.
Fabio Segura, Co-CEO Jacobs Foundation
Bei einer im Jahr 2020 vom Global Impact Investing Network (GIIN) durchgeführten Umfrage gaben 88 Prozent der Befragten an, dass ihre finanziellen Erwartungen erfüllt oder übertroffen wurden. Während viele Geldgebende bewusst unter dem Marktdurchschnitt liegende Renditen in Kauf nehmen, um ihre Wirkungsziele zu erreichen, streben die meisten GIIN-Mitglieder wettbewerbsfähige Renditen über dem Marktdurchschnitt an, was durch ihre treuhänderische Verantwortung bedingt sein könnte.
Auf der anderen Seite benötigen Venture-Philanthropie-Anlagen in aufkommenden Wirtschaftszweigen oder unterentwickelten Märkten mehr geduldiges Kapital, da sie sich im Branchenvergleich oft durch eine geringere Liquidität und längere Ausstiegshorizonte charakterisieren.
Wie hat sich die Venture Philanthropie in den vergangenen Jahren entwickelt? Gibt es Dinge, die nicht funktioniert haben?
Die Venture Philanthropie/das Impact Investment hat vor allem drei Schwachpunkte. Diese können jedoch auch als Chancen betrachtet werden, um eine Wirkung zu erzielen:
Nur wenige Unternehmen sind bedeutend gewachsen: Obwohl es unzählige gesellschaftliche und ökologische Herausforderungen gibt, waren nur einige wenige Unternehmen in der Lage, eine bedeutende Grösse zu erreichen und zu wahren. Deshalb konzentriert sich die Venture-Philanthropie-Förderung vor allem auf einzelne Unternehmen und nur in geringerem Ausmass auf die schwer überwindbaren Wachstumshindernisse, mit denen die Einzelunternehmen konfrontiert sind, einschliesslich schlechter Lieferketten, unzureichender öffentlicher Güter und ungünstiger Regulierungssysteme.
Mangel an ausreichenden Beweisen: In vielen Fällen mangelt es an wissenschaftlicher Evidenz, um die Impact-Ansprüche sozialer Massnahmen zu untermauern. Dies gilt auch für die Massnahmen, die durch die Venture Philanthropie gefördert werden. Allzu oft handelt es sich bei den kausalen Zusammenhängen der «Theory of Change» eines Unternehmens um schwache, nicht hinterfragte «Vertrauensvorschüsse», und die Forschung wird von Investorinnen und Investoren weitgehend als zu kostspielig abgetan. Infolgedessen wird zu viel Kapital für Finanzierungsmodelle vergeudet, die daran scheitern, die gewünschten Ergebnisse in grossem Umfang oder in einem anderen Kontext zu replizieren.
Niedrige Erfolgsquote: In den letzten Jahren sind die Aktiva der Venture Philanthropie und des Impact Investing exponentiell gewachsen, da sie durch die Entstehung neuer Fonds und Mandate sowie durch eine zunehmend breite Palette von Einschlusskriterien und ‑definitionen Auftrieb erhalten haben. Global betrachtet bleibt der Anteil des Investitionskapitals in der Venture Philanthropie im Vergleich zu den insgesamt verwalteten Vermögen (auch Assets under management, AUM) jedoch winzig. Laut der jährlichen EVPA-Umfrage stellten die Impact-Investoren 2019 6,2 Milliarden Euro zur Unterstützung von Sozialunternehmen bereit, wohingegen GIIN schätzte, dass sich die insgesamt verwalteten Vermögen der Impact-Investment-Branche Ende 2018 auf 502 Milliarden US-Dollar beliefen. PricewaterhouseCoopers (PwC) sagte seinerseits voraus, dass die globale AUM-Summe bis 2025 auf 145,4 Billionen US-Dollar steigen wird. Aus philanthropischer Sicht scheint ein Paradigmenwechsel der Vermögenskonvertierung notwendig zu sein, und zwar zugunsten von Modellen, die auch Nicht-Wirkungskapital integrieren, dieses mit Anreizen verbinden und wirksam einsetzen.
Die Venture Philanthropie orientiert sich stark an unternehmerischen Prinzipien. Besteht nicht die Gefahr, dass der philanthropische Gedanke in den Hintergrund gerät oder gar verschwindet, wenn der Fokus auf unternehmerischen Prinzipien liegt? Ist der philanthropische Ansatz überhaupt noch notwendig, wenn ein Ziel durch unternehmerische Mittel erreicht werden kann?
Tatsächlich orientiert sich die Venture Philanthropie an unternehmerischen Prinzipien wie Innovation, Effizienz bei der Umsetzung, ergebnisorientiertem Management und Wachstumsabsicht. Diese Prinzipien können dazu beitragen, die Wirkung der Philanthropie über alle Finanzierungsinstrumente hinweg zu verstärken, einschliesslich Zuwendungen an Unternehmen, die sich finanziell nicht selbst erhalten können.
Wie bereits erwähnt, erfordert eine umfassende Lösung der weltweit dringendsten Probleme mehr Kapital, als den Vertretenden der Venture Philanthropie und des Impact Investments zur Verfügung steht. Das philanthropische Kapital besitzt die einzigartige Fähigkeit, das Risiko zu übernehmen, das dem Nachweis eines Politik- oder Investitionsfalles innewohnt, und staatliche und private Investitionen zu katalysieren.
Das philanthropische Kapital besitzt die einzigartige Fähigkeit, das Risiko zu übernehmen, das dem Nachweis eines Politik- oder Investitionsfalles innewohnt, und staatliche und private Investitionen zu katalysieren.
Fabio Segura, Co-CEO Jacobs Foundation
In marktorientierten Sozialunternehmen kann es zu erheblichen Spannungen zwischen Wirkungszielen und Renditen kommen, insbesondere wenn die Geldgebenden unterschiedliche Ziele verfolgen. Deshalb ist es wichtig, Strukturen zu schaffen und diese Multi-Stakeholder-Beziehungen so zu verwalten, dass die Ziele nicht verwässert werden (Mission Creep).
Entspricht die aktuelle Schweizer Gesetzgebung den Anforderungen der Venture Philanthropie oder glauben Sie, dass Änderungen vorgenommen werden sollten?
Bei der Finanzierung der Entwicklung des privaten Sektors ist die Schweiz in Bezug auf das Investitionsvolumen und die Anzahl der verwalteten Fonds weltweit führend. Der Swiss Microfinance & Impact Investing Report 2019 schätzt den Marktanteil des verwalteten Impact-Vermögens in der Schweiz auf 32 Prozent. Regierungsbehörden wie SECO und DEZA spielen weltweit eine Vorreiterrolle bei der Positionierung von Entwicklungsfinanzierungen, einschliesslich Impact-Investitionen.
Andererseits haben sich die Venture Philanthropie und das Impact Investment so schnell entwickelt, dass philanthropische Stiftungen für ihre Investitionen in der Schweiz und auf internationaler Ebene günstigere Rahmenbedingungen benötigen.
Die laufenden Diskussionen über die nachhaltige Finanzierung im Bundesrat und die Konsultationen der Interessengruppen, die darauf abzielen, Wettbewerbsfähigkeit und Innovation in diesem Bereich zu erhöhen, sind ermutigend, und wir freuen uns darauf, unsere Kenntnisse und Erfahrungen einzubringen.