The Philanthropist: Was hat Sie zur Gründung von Valeriana bewogen?
Salomé Fässler: Wir sind ein Venture Philanthropy Paar und wollten ein Projekt mit Social Impact, einer sozialen nachhaltigen Wirkung im Thema Integration aufbauen.
Bora Polat: Meine Herkunft liegt in den kurdischen Bergen. Salomé stammt aus den Appenzeller Bergen. Dies gibt uns beiden eine andere Sicht auf die Welt. Gleichzeitig sehen wir, wie gut es uns geht. Und wir haben die Möglichkeit, etwas zu bewirken. Wir wollen mit Technologie, Ausbildung und einer Community Projekte realisieren, die skalierbar sind.
SF: So können wir sehr viel bewirken.
BP: Wir wollen eine Community aufbauen und diese mit «kindly nudging» – einem freundlichen Anreiz – zu einer positiven Entwicklung bewegen.
SF: Unser Hauptprojekt ist Valeriana.ch. Es ist ein Integrationsprogramm für Frauen mit Migrationshintergrund. Das oberste Ziel ist die hiesige und eingewanderte Bevölkerung zusammenbringen. Wir wollen «Touchpoints» schaffen, wo es sonst keine gibt.
TP: Was verstehen Sie unter «Touchpoints»?
SF: Wir bieten den Frauen eine Arbeit. Die Bevölkerung kann die Services im Haushaltsbereich bei Valeriana online buchen. So entstehen Kontakte zwischen den Frauen und der Bevölkerung. «Touchpoints». Zu unserer Idee inspirierte uns die Situation von Boras Mutter. Sie stammt aus Kurdistan. Ihre Kinder besuchten hier die Schule. Sie wurden integriert. Aber die Mutter war zu Hause. Die Mütter haben neben den Kindern noch Kontakt beim Einkaufen und mit ein paar Bekannten. Doch ansonsten sind sie eher isoliert. Zur hiesigen Bevölkerung haben sie kaum Kontakt.
Die Frauen haben eine intrinsische Motivation. Sie wollen unbedingt arbeiten, aber sie wissen nicht an wen sich wenden.
Salomé Fässler
TP: Und das ändert Valeriana?
SF: Wir sahen, dass Boras Mutter viele Fähigkeiten hat, die ungenutzt blieben. Sie wollte immer eine Anstellung. Aber mit den Kindern und ohne anerkannte Ausbildung war es schwierig für sie. Für solche Frauen haben wir Valeriana gegründet. Diese wollen wir unterstützen. Sie sollen ihr eigenes Geld verdienen und damit mehr Selbständigkeit erlangen. Gerade auch für ihre Rolle als Vorbild für die Kinder ist das entscheidend.
TP: Wie erreichen Sie das?
SF: Die Frauen erhalten von uns Schulung «on the job» und erlangen Zertifikate und zusätzlich bieten wir ihnen Deutschunterricht und weitere Community-Aktivitäten. Wir bilden sie weiter, fördern und fordern sie. Lebenslanges Lernen ist für uns wichtig.
BP: Wichtig ist für uns Technologie. Bei Valeriana läuft vieles digital. Das heisst, die Frauen erhalten digitale Fähigkeiten, lernen den Umgang mit unserer App, können dies ihren Kindern zeigen.
SF: Das Frauen mit Migrationshintergrund Technologie nutzen können wird oft in Frage gestellt. Wir stellen diese Fragen nicht. Wir setzen das voraus. Sie sollen es einfach versuchen. Die Mütter entwickeln sich so weiter und die Kinder erleben das mit.
BP: Mit diesen Fähigkeiten und dem Arbeiten bleiben diese Frauen nicht eine Belastung für das Sozialsystem sondern werden selbst zu einer Stütze.
TP: Wie erreichen Sie die Frauen überhaupt?
SF: Hauptsächlich über Mund zu Mund-Propaganda. Wir sind mit fünf Frauen gestartet. Diese haben die Information von unseren Schulungen, den Deutschkursen in ihre Community getragen. Wir sind auch über Migrantenvereine aktiv. Und wir haben jede Woche ein Zeitfenster im Büro. Hier können sie vorbeikommen und Fragen stellen. Die Frauen haben eine intrinsische Motivation. Sie wollen unbedingt arbeiten, aber sie wissen nicht an wen sich wenden.
Wir orientieren uns standardmässig an den Nachhaltigkeitszielen der UNO.
Bora Polat
TP: Und Sie geben Ihnen Ausbildung und Arbeit?
SF: Das Onboarding läuft Schritt für Schritt. Gewisse haben ein staatliches Programm durchlaufen oder ein Praktikum absolviert. Aber dann fehlt der Anschluss.
BP: Zum Teil geht es auch darum, dass die Frauen dank der Ausbildung bei uns und den Kontakten mit den anderen Frauen Selbstvertrauen erhalten. Sie lernen, dass sie auch Nein sagen dürfen. Lohn und Versicherung ist das eine. Vor allem die Community ist wichtig. Das macht sie stolz.
TP: Die Frauen hatten zum Teil eine andere Ausbildung in ihrem Herkunftsland. Führt das zu Frustration, wenn sie diese hier nicht nutzen können?
SF: Im Bewerbungsverfahren lernen wir sie kennen. Wir hatten beispielsweise eine ausgebildete Hebamme. Aber die Sprachbarriere verhinderte, dass sie hier als Hebamme arbeiten konnte. Wir bringen diesen Frauen Wertschätzung entgegen und zeigen ihnen, dass die Arbeit bei Valeriana ein erster Schritt ist. Es ist ein Einstieg. Sie verharren nicht. Oft gehen sie weiter, wenn sie das entsprechende Sprachniveau erreicht haben.
TP: Valeriana orientiert sich an den Sustainable Development Goals, den Nachhaltigkeitszielen der UNO.
SF: Wir haben uns schon immer mit diesen auseinandergesetzt. Es war für uns logisch, unser Projekt an diesen auszurichten. Sie geben die Richtung vor. Wie stark wir diese erreichen, ist natürlich offen.
BP: Wir orientieren uns standardmässig an diesen. Wir kommen aus dem Unternehmertum. Und wir wollen einen skalierbaren Impact.
TP: Mit wem arbeiten Sie zusammen?
BP: Wir haben einen Austausch mit ähnlichen Projekten. Wir suchen nach dem besten Programm für die Betroffenen. Passt eine Frau besser in ein anderes Programm, dann streben wir einen Wechsel an. Bis jetzt arbeiten wir unabhängig von Institutionen oder Kantonen.
TP: Und wie stehen Sie zu anderen Unternehmen im Reinigungsbereich?
BP: In diesem Bereich hat es ganz andere Player. Mit diesen wollen wir uns gar nicht vergleichen. Für uns sind Arbeit und Leistung nur der «Entrypoint», die Basis. Unsere grosse Arbeit ist die Community.
TP: Welche grossen Herausforderungen erfahren Sie mit Ihrem Projekt?
SF: Am Anfang von Valeriana war gerade der Umgang mit den Behörden ein «Learning by doing». Oft half und hilft ein Telefonanruf bei einem Amt, um ein Problem zu lösen.
BP: Wir finden immer eine Lösung, oft dank der Digitalisierung relativ einfach.
TP: Was sind ihre nächsten Schritte?
SF: Wir wollen das System internationalisieren. Für 2022 haben wir ein Pilotprojekt in Ghana geplant. Dabei steht weniger die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund im Fokus sondern die faire Entlöhnung und die Ausbildung. Und wir sind am Fundraisen um die Wirkung von Valeriana zu multiplizieren.
BP: Auch in Deutschland und Österreich suchen wir Möglichkeiten. Und neben afrikanischen Ländern haben wir Anfragen von Südamerika.