Mit Oorja bieten Sie Bauern in Uttar Pradesh in Indien Dienstleistungen wie die Bewässerung der Felder mit Solarpumpen an. Sie sind als gewinnorientiertes Unternehmen organisiert, engagieren sich aber gezielt für die Ärmsten: War die Form einer gemeinnützige Organisation bei der Gründung keine Option?
Clementine Chambon: Es war uns klar, dass wir einen marktorientierten Ansatz wollten. Dies vereinfacht eine Skalierung und ist nachhaltiger.
Amit Saraogi: Ebenso war uns aber klar, dass wir soziale Unternehmer und soziale Unternehmerin sein wollen und erschwingliche Lösungen anbieten wollten für dieses Marktsegment, das von den Angeboten von Konzernen ausgeschlossen sind.
Wie zeigt sich das?
AS: Wir haben eine klare Mission: Unser Unternehmen Oorja dient einkommensschwachen Gemeinschaften. Unser Angebot richtet sich an jene, die täglich kämpfen müssen und weder von staatliche Programmen oder der Privatwirtschaft Unterstützung erhalten.
Was erreichen Sie für diese Menschen?
AS: Unsere Wirkung zeigt sich in den Dimensionen Soziales, Wirtschaft und Umwelt.
CC: Wir sorgen dafür, dass Dieselpumpen ersetzt werden durch effiziente Bewässerungspumpen, die mit Solarenergie betrieben werden. Dies wirkt für die Umwelt. Statt fossilem Brennstoff laufen sie mit sauberer Energie. Wir haben festgestellt, dass dies den Dieselverbrauch der Bauern um mindestens 95 Prozent senkt.
AS: Die CO2-Einsparungen können wir monetarisieren und die Erlöse für neue Projekte verwenden.
CC: Genau, wir wissen, wieviel Diesel für jeden gepumpten Liter Wasser eingespart wurde und können Zertifikate für erneuerbare Energy verkaufen. Wir bieten unseren Kund:innen Beratung an. Wir schulen sie bspw. in klimaintelligenter Landwirtschaft und zeigen ihnen, welche neuen Kulturen sie ganzjährig anbauen können.
AS: Wenn sie diversifizieren und hochwertigere Kulturen oder Mehrfachkulturen anbauen, können sie mehr Einkommen erzielen.
«Wir konzentrieren uns auf die am meisten benachteiligten Kommunen.»
Clementine Chambon
CC: Zudem sind wir in Regionen aktiv, die an vorderster Front vom Klimawandel betroffen sind. Hitzewellen, Dürreperioden, veränderte Regenmuster wirken sich stark auf ihre Erträge aus. Wir helfen, ihre Ernteerträge zu erhalten und zu verbessern.
AS: Früher haben in Indien viele Bauern dreimal pro Jahr geerntet. Wegen der Klimaveränderung und unberechenbarer Regenfälle verzichten viele darauf, ein drittes Mal anzubauen. Dank dem Zugang zu unserem ganzjährigen Bewässerungsservice und unserer Beratungsunterstützung können sie die dritte Erntesaison wieder realisieren, was ihre Verdienstpotenzial erhöht.
CC: Wir zeigen ihnen, wie sie präziser bewässern können. So können sie ihre Ernteerträge um 30 bis 50 Prozent steigern. Das betrifft auch die wirtschaftliche Dimension.
AS: Zudem bedeuten unsere Dienstleistungen mit Solarenergie direkte Kosteneinsparung von mindestens 20 Prozent im Vergleich zur Verwendung von Diesel. Und wir beleben die lokale Wirtschaft, indem wir Arbeitsplätze vor Ort schaffen, um unsere Solaranlage zu betreiben. Wir schulen die Bauern und Bäuerinnen vor Ort und sie kümmern sich um den Tagesbetrieb unserer dezentralen Anlagen.
«Viel wichtiger ist es, dass wir geeignete Geschäftsmodelle haben.»
Amit Saraogi
CC: Der soziale Aspekt schliesslich ist implizit: Wir haben uns auf die benachteiligten, einkommensschwachen Kleinbauern konzentriert, die im Grunde keine andere Möglichkeit haben, Zugang zu dieser Art von Technologie zu erhalten.
Sie helfen einkommensschwachen Gemeinden bei der Umstellung auf sauberer Energie …
CC: … und sie steigern dabei ihre Produktivität und ihr Einkommen. Eine echte Herausforderung ist das sehr patriarchalischen Umfeld, in denen es schwierig ist, Bäuerinnen in die Transition einzubeinden. Aber wir bemühen uns, Frauen in unseren Außendienstteams und natürlich auch in der breiteren Organisation einzustellen und gezielt Landwirtinnen anzusprechen, um ihnen den Zugang zu dieser Technologie zu erleichtern.
Für eine inklusive Gesellschaft?
CC: Wir fokussieren uns auf die am stärksten benachteiligten Gemeinschaften. Sie werden Teil der Lösung für eine nachhaltigere Zukunft.
AS: Das Trennende von Kasten und die Segregation von Gemeinschaften ist in vielen Dörfern präsent. Wir befähigen die Menschen um aus ihrer Situation der sozialen Ausgrenzung herauszukommen und integrieren sie in der Mainstream Gesellschaft. Das drei Dimensionen der Wirkung. messen wir, damit wir wissen, was wir tatsächlich umgestalten.
Wie messen Sie das?
AS: Wir führen eine Grundlagenstudie durch. Diese bildet die Basis für die Wirkungsmessung. Jedes Jahr erheben wir Daten. Eine eigene Stelle bei Oorja wertet diese aus und misst die Wirkung. Wir vergleichen die Daten mit einer Vergleichsgruppe von Bauern, die keinen Zugang zu unseren Services haben. Die Ergebnisse veröffentlichen wir und teilen sie mit unseren Investor:innen, Spender:innen und Partnern.
Sie ergänzen sich als Co-Gründer:in des Unternehmens: Wie haben Sie beide sich getroffen?
AS: 2014 waren wir beide an derselben Sommerschule zum Thema Klimaunternehmertum teil. Sie wurde von Climate-KIC organisieren. Damals war es die grösste öffentlich-privaten Partnerschaft der EU zur Bekämpfung des Klimawandels.
Dort hat die Zusammenarbeit begonnen?
AS: Es war der Anfang. Hier haben wir unsere Idee entwickelt. Ich selbst komme aus dem sozialen Entwicklungssektor. Ich war Corporate-Social-Responsibility-Berater. Früher hatte ich auch eine kleine Organisation gegründet, die sich für Slumbewohner:innen in Mumbai einsetzt. Ich brachte die Idee auf, landwirtschaftliche Abfälle zur Energiegewinnung zu nutzen. Und das war das Thema von Clementines Doktorarbeit.
CC: Ich arbeitete im Labor an einer neuen Technologie. Durch eine Art Ideenfusion dachten wir: Warum erkunden wir nicht die Nutzung von landwirtschaftlichen Abfällen zur Stromerzeugung in abgelegenen Dörfern in Indien. Aber wir haben die Idee schnell weiterentwickelt.
Das heisst?
CC: Diesen Ansatz haben wir gar nie umgesetzt. Denn damals sanken die Preise für Solartechnologie stark. Deshalb setzten wir auf diese Energiequelle statt landwirtschaftliche Abfälle zu nutzen.
AS: Am Ende von Climate-KIC gab es einen Pitch. Wir gewannen mit unserer Idee. Das bestätigte uns. Wir beschlossen, mit dieser auf den Markt zu gehen. Und da ich aus Indien war, war das eine natürliche Wahl, hier zu beginnen.
Sie haben das technologische Wissen mit dem Wissen des lokalen sozialen Kontextes in Indien verknüpft?
AS: Obwohl ich selbst aus einer privilegierten Familie stamme, war ich vertraut mit den verschiedenen Gruppen von Menschen, einschliesslich jener, die in grosser Armut leben. Ausserdem hatte ich über ein Jahrzehnt Berufserfahrung in Indien.
Welche Rolle spielten diese Kenntnisse?
CC: Sie waren entscheidend. Unser Ziel war es, ein Problem zu lösen. Wir haben zunächst viel in Marktforschung investiert. Wir wollten das Problem verstehen, um dann in einem partizipativen Prozess die richtige Art von Lösung zu finden. Wir wussten, sie kann technologiegestützt sein. Aber es geht nicht darum, eine bestimmte Technologie zu fördern. Technologie ist nur die Wegbereiterin.
AS: Um das Problem der anhaltenden Nutzung fossiler Energieträger im ländlichen Raums effektiv zu lösen, ist die Technologiefrage nicht die entscheidende. Wesentlicher ist: Es braucht geeignete Geschäftsmodelle, die tatsächlich für die Bedürfnisse der ländlichen Kund:innen funktionieren.
CC: Unser erster Ansatz war ein netzunabhängiges Elektrifizierungsprojekt für Haushalte. In der Umsetzung zeigte sich, dass es eigentlich nicht das Hauptproblem der Menschen war. Für sie ist die Landwirtschaft zentral. Dort erwirtschaften sie ihr Einkommen. Also verlegten wir unsere Anstrengungen, um die Infrastruktur für die Bewässerung der Felder auf saubere Energie umzustellen. Klar war, dass die hohen Investitionskosten in die Technologie der Grund dafür war, dass sich kein Landwirt den Zugang zu Solarenergie leisten konnte.
Hier setzten Sie mit Ihrem Ansatz an?
CC: Wir sahen, dass wir das Problem der Investition für den Erwerb der Technologie lösen müssen. Ist eine Solarpumpe installiert, kann sie den Bedarf mehrerer Menschen decken, ihre Betriebskosten sind sehr niedrig und sie arbeitet viel zuverlässiger als Dieselpumpen. Deswegen setzten wir auf eine dienstleistungsbasierte Lösung. Dies beseitigt die Vorabkostenbarriere. Stattdessen fallen nur die Kosten für den Verbrauch einer Dienstleistung an.
Das war der Start?
CC: Ich glaube, erst als wir mit der Umsetzung der Projekte begannen, wurde uns klar, was die wirklichen Herausforderungen waren. Anfänglich natürlich die Finanzierung. Vor allem wenn es darum geht, die ersten Projekte auf den Weg zu bringen. Wir bewarben uns bei Social Entrepreneurship Finanzierungsquellen, Inkubatoren und Acceleratoren in den USA und in Europa.
AS: Unsere allererste Finanzierung war ein sehr kleiner Betrag von 5000 Dollar von Climate KIC. Diesen nutzen wir für Marktstudien, um unsere Idee zu entwickeln. Dann sprach die US-Organisation Echoing Green einen Förderbeitrag von 90’000 Dollar. Das hat uns ermöglicht, das erste Pilotprojekt zu starten.
Was ist dies für eine Organisation?
AS: Es ist eine gemeinnützige Stiftung, die sich aus der Philanthropie in den USA finanziert und sie unterstützt weltweit Social Entrepreneurs mit innovativen Ideen.
Wie hat sich Ihr Finanzierungsmix verändert?
AS: Zu Beginn haben wir ein paar Jahre vor allem philanthropische Zuschüsse erhalten.
CC: Nach rund drei Jahren hatten wir unser Modell validiert und genügend Nutzerzahlen erreicht um grössere Förderbeiträge zu erhalten. Von der DOEN Stiftung in den Niederlanden erhielten wir fast 300’000 Dollar. Das ermöglichte es uns, Vorführanlagen zu installieren, die von etwa 2000 Menschen genutzt wurden.
AS: Wir konnten zeigen, dass unser Modell funktioniert. Damit konnten wir institutionelles Kapital anziehen.
CC: Schneider Electric Energy Access Asia ist der erste institutionelle Investor. Das ist eine Art Spezialfonds, der sich auf den Energiezugang konzentriert. Das war sehr katalytisch. Der erste Kapitalgeber an Bord zu haben, öffnete weitere Türen. Diese Finanzierung nutzten wir für zwei Jahre, um weiter zu skalieren. Kürzlich haben wir eine zweite Finanzierungsrunde abgeschlossen.
Bewässerung der Felder mit Sonnenenergie: Solarpanels (oben links), Ablesen des Zählerstandes (oben rechts), Schulung an Geräten (unten links) und Reis-Aussaat (unten rechts).
Auch Geldgeber:innen aus der Schweiz sind dabei?
CC: Ja. Schneider hat den Kontakt zur Elea Stiftung hergestellt. Was Elea in Bezug auf ihren Investitionsansatz auszeichnet, ist ihre praktische Veranlagung. Sie als Vorstandsmitglieder mit. Se beteiligen sich aber auch aktiv und helfen dem Unternehmen, zu wachsen, fast wie Berater damals. – Sie haben versucht, sich in unser Unternehmen hineinzudenken und herauszufinden, was wir besser machen können. Und sie haben uns zu Treffen eingeladen, an denen wir andere von ihnen unterstütze Unternehmer:innen trafen. Das bot die Gelegenheit, Ideen auszutauschen. Diese Art von Gemeinschaftsgefühl ist sehr bereichernd.
AS: Sie dienen als Sounding Board für verschiedene Ideen und sie unterstützen uns bei strategischen Entscheidungen, wenn wir etwas Neues in unser Portfolio aufnehmen oder geografisch expandieren wollen und sogar beim Teambildung. Wir haben auch Artha Impact, Partners Group Impact und 1to4 Foundation als Kapitalgeber aus der Schweiz an Bord. Die Swiss Re Foundation hat uns einen beträchtlichen Förderbeitrag gewährt, um unsere vertikale Beratung für Landwirte auszubauen, damit diese sich an den Klimawandel anpassen und widerstandsfähiger werden können.
Ist es herausfordern, verschiedenartige Geldquellen zu haben?
CC: Ja. Einige Mittel sind eindeutig für ein bestimmtes Projekt zugewiesen, wie bspw. die Förderung, die wir kürzlich von der SwissRe Stiftung erhalten haben. Das gilt für die buchhalterischen Seite. Aber auch auf der rechtlichen Seite müssen wir gelegentlich den Status verschiedener Zuschüsse prüfen, je nach Quelle und dem Transfer des Geld nach Indien.
AS: Es gibt auch ergebnisabhängige Gelder. Diese werden erst freigegeben, wenn wir bestimmte Meilensteine erreicht haben. Wir haben auch umwandelbare Zuschüsse, bei denen der Geldgeber sich das Recht vorbehält, den Zuschuss in ein Darlehen oder sogar in Eigenkapital umzuwandeln. Jeder der Geldgeber hat seine eigenen Anforderungen an die Finanz- und Wirkungsberichterstattung.
Was sind die nächsten Expansionsschritte?
CC: Im Moment setzen wir insgesamt etwa 150 Projekte um. Das bedeutet eine Basis von etwa 30’000 Nutzer:innen. Die aktuelle Finanzierungsrunde soll rund 500 Projekte ermöglichen.
AS: In den nächsten anderthalb Jahren.
CC: Damit hätten wir die kritische Anzahl von Projekten erreicht.
AS: Dann hätten wir die Gewinnschwelle erreicht,
Ihr Wirkungsmodell hat sich seit Beginn verändert. Was heisst das für Ihre Motivation?
CC: Am Anfang war der Wunsch, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen. Mit der Arbeit habe ich erlebt, wie soziale Gerechtigkeit und Energiegerechtigkeit eng mit dem Klimawandel zusammenhängen. Für mich ist die Motivation heute, Menschen den Zugang zu Technologie zu ermöglichen, die zuvor ausgeschlossen waren. Deswegen engagieren wir uns weiterhin für gemeinschaftsorientierte Klimalösungen.
AS: Für mich war es ein bisschen umgekehrt. Ich bin in Indien aufgewachsen und habe so viel von der multidimensionalen Armut gesehen. Ich hatte Menschen, die zu mir nach Hause kamen und für unsere Familie arbeiteten, aber sie wurden ganz anders behandelt als ich. Sie hatten keinen Zugang zu guten Schulen, zu grundlegender Gesundheitsfürsorge, zu sauberem Trinkwasser und erfahren weitere Diskriminierung. Damals war das Klima für mich noch kein grosses Thema. Aber im Laufe der Jahre hat sich gezeigt, wie die Themen miteinander verbunden sind. Man kann nicht eines isolieren und ein anderes lösen. Die schlimmsten Leidtragenden des Klimawandels sind eigentlich die Menschen mit den niedrigsten Einkommen, obwohl sie am wenigsten dazu beitragen, aber sie sind am meisten gefährdet. Was mich heute wirklich antreibt, ist ein besseres Verständnis dafür, wie die verschiedenen hartnäckigen Herausforderungen miteinander verwoben sind, und wir brauchen einen Ansatz für Systemveränderung, um sie anzugehen.