Was motiviert Sie, sich in der Philanthropie zu engagieren?
Peter Wuffli: Die Globalisierung interessiert mich seit meiner Jugend und hat mich seinerzeit dazu bewogen, in St. Gallen Entwicklungsökonomie zu studieren. Vor allem aber beschäftigt mich, wie der mächtige Globalisierungsprozess wirkt und welchen Einfluss der Geburtsort auf den Wohlstand hat. Wer wie ich in der Schweiz geboren ist und Karriere machen darf, steht auf der Sonnenseite. Das verpflichtet. Heute gibt es viel Wissen darüber, wie sich Armut bekämpfen lässt. Wir können daher nicht mehr sagen, Armut sei Schicksal. Wir wissen, was wir dagegen tun können. Dass dennoch zwei Milliarden Menschen von weniger als drei Dollar am Tag leben, ist für mich nicht akzeptabel.
Thomas Schmidheiny: Es sind die Erlebnisse, die ich mit 25 Jahren in Peru und Mexiko zum Start meiner beruflichen Laufbahn gemacht habe. Ich arbeitete als Werksleiter für Holcim in sehr ländlich gelegenen Zementwerken. Dort habe ich die Armut im Alltag hautnah erlebt. Diese Erlebnisse bilden das Fundament für mein soziales Unternehmertum. Das zweite, was ich aus dieser Zeit mitgenommen habe, ist die Verbindung von finanziellem und persönlichem Einsatz. Abgesehen von finanziellen Soforthilfen, wie beispielsweise bei einer Flutkatastrophe, bin ich dagegen, nur mit Geld zu helfen. Sich zusätzlich persönlich einzubringen und Verantwortung zu tragen, ist wirkungsvoller. Das ist entscheidend in der Philanthropie.
«Man muss, stets zuerst eine Keimzelle schaffen»
Thomas Schmidheiny
Sie betonen ihre persönlichen Erlebnisse. Was bringen Sie aus Ihren Karrieren in der Privatwirtschaft in die Philanthropie ein?
TS: Alles was wir machen, sollte nachhaltig sein. Beim Unternehmertum ist das zentral. Das gilt auch für die Philanthropie. Nachhaltigkeit darf dabei nicht isoliert für einzelne Aspekte verstanden werden, wir müssen sie ganzheitlich betrachten. Bei Holcim haben wir weltweit rund 80 Werke. Betreiben wir ein Werk nicht insgesamt nachhaltig, erhalten wir keine Betriebserlaubnis. Damit wir die lokalen Erwartungen erfüllen, arbeiten wir eng mit Partnern vor Ort zusammen.
Sie beziehen die lokale Bevölkerung mit ein?
TS: Ja, in meiner Zeit bei Holcim haben wir stark auf eine Learning Culture gesetzt. Was beispielsweise auf den Philippinen funktionierte, haben wir dann auch nach Mexiko exportiert. Das gilt nicht nur für Technologien, sondern auch für das philanthropische Engagement rund um die Werke. Wir haben das Beste genommen, transferiert und an die jeweiligen Landesbedingungen angepasst.
PW: Aus meiner Zeit in der Privatwirtschaft bei der UBS und der Partners Group habe ich das Investieren in unternehmerische Lösungen mitgenommen. Die Orientierung an der Nachfrage unterscheidet Unternehmer:innen von Staatsbeamt:innen. Und ich sehe die Bedeutung der Verbindung von Philanthropie mit Impact und Professionalität. Schliesslich habe ich schon bei McKinsey Werte wie Partnerschaft in der Zusammenarbeit gelernt: Entscheidend ist die Qualität des Arguments und nicht die hierarchische Position der Person, die etwas sagt.
TP: Das prägt Ihre Arbeit bei elea?
PW: Zwischen Ländern mit niedrigen und Ländern mit hohen Einkommen gibt es oft noch diese Asymmetrie: Ein Geber und ein Empfänger. Bei elea haben wir uns von Anfang an gegen dieses Ungleichgewicht gewehrt. Die Unternehmen vor Ort bringen ihre Perspektive ein und wir pflegen eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Das gilt in beide Richtungen: Wir erwarten von den Unternehmer:innen, dass auch sie ein persönliches Risiko eingehen und an ihren Unternehmen als Anteilseigner:innen beteiligt sind.
TP: Ihre beiden Stiftungen setzen auf Partnerschaften. Funktionieren diese in der Philanthropie einfacher als in der Privatwirtschaft?
PW: Ich glaube nicht. Die meisten Menschen bemühen sich nach Kräften, etwas Gutes zu tun, einander zu vertrauen und etwas gemeinsam aufzubauen. Das gilt meiner Erfahrung nach sowohl in der Philanthropie als auch in der Privatwirtschaft.
TS: Peter und ich kennen uns seit 1970. Unsere Wege haben sich immer wieder gekreuzt. Die Werte und Arbeitsweise von elea waren mir daher schon vertraut. Mit unserer 2020 gegründeten Stiftung Fourfold eine Partnerschaft mit elea einzugehen, war deshalb naheliegend – wobei die nächste Generation dies nun umsetzt.
elea setzt auf Impact Investing: Eignet sich dieses speziell für bestimmte Themen?
PW: Ich halte Impact Investing für einen wegweisenden Ansatz in der Philanthropie. Mit elea konnten wir einen entscheidenden Beitrag leisten, diesen Weg zu ebnen. Grundsätzlich eignet sich die unternehmerische Philanthropie für alle Themen, bei denen Marktlösungen einen nachhaltigen Impact schaffen. Gibt es keinen Markt, ist Impact Investing nicht zielführend.
Thomas Schmidheiny ist Gründer der Stiftung Fourfold und sitzt zusammen mit seinen vier Kindern im Stiftungsrat der Stiftung. Bis 2018 war er Verwaltungsrat bei Holcim und nach seinem Austritt wurde er zum Ehrenpräsidenten des Zementkonzerns ernannt. Er ist ausserdem Verwaltungsratspräsident seines Family Office Spectrum Value Management und Verwaltungsrat verschiedener Firmen in Europa, Nordamerika und Asien sowie gemeinnütziger Institutionen. Er hat Maschinenbau an der ETH Zürich studiert und trägt die Ehrendoktorwürde der Tufts University.
fourfold.ch
Peter Wuffli ist Präsident des Stiftungsrates der elea Foundation for Ethics in Globalization, die er 2006 zusammen mit seiner Frau Susanne gegründet hat. Der ehemalige CEO der UBS Gruppe hat an der Universität St. Gallen in Wirtschaftswissenschaften promoviert. Er ist heute unter anderem Ehrenpräsident der Managementschule IMD in Lausanne und Mitglied des Verwaltungsrates der Bank Sygnum.
elea.org
Was sind Beispiele dafür?
PW: In der Kultur, der Wissenschaft oder bei humanitären Einsätzen und Nothilfe. Aber überall, wo mittels Marktlösungen innovative Konzepte wirtschaftlich tragbar umgesetzt und unternehmerische Energien mobilisiert werden können, ist Impact Investing der wirkungsvollere Weg. Und das sind die Themen, die wir bearbeiten.
Welche sind dies konkret?
PW: Der erste Bereich betrifft den Prototypen einer Unternehmer:in, die Bäuer:in. Der Lebensunterhalt von bis zu 70 Prozent der Bevölkerung in Ländern mit niedrigen Einkommen hängt vom Agrarsektor ab. Gleichzeitig haben die meisten Kleinbäuer:innen kaum Geld. Die Mehrheit aller Waren und Dienstleistungen wird in Ländern des Globalen Südens auf dem informellen Markt von Kleinhändler:innen umgesetzt. Sogenannte Mikro-Retail-Unternehmen, die die letzte Meile versorgen, sind daher unser zweites Tätigkeitsfeld. Das dritte ist die Aus- und Weiterbildung. Uns beschäftigt die Frage, wie junge Menschen die notwendigen Kompetenzen und eine Ausbildung erhalten, die es ihnen erlauben, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Und unser vierter Bereich deckt die Themen Klima und Lebensgrundlagen ab. Wir investieren in Impact-Unternehmen, die die Klimaresilienz der Bevölkerung verbessern und die Folgen des Klimawandels abschwächen. Bei all diesen Themen können Marktansätze einen substantiellen Beitrag zur Lösung liefern.
Gab es beim Start mit Impact Investing spezifische Herausforderungen?
PW: Der Start war holprig, denn damals gab es den Begriff Impact Investing noch nicht. Als ich 2006/7 in meinem Umfeld von meinen Plänen mit elea erzählt habe, war die Folgefrage meist: Und was machst du sonst noch?
TS: Sie verstanden damals die Raison d’être nicht.
PW: Genau, es fehlte das Verständnis. Im klassischen Kapitalismus gibt es oft eine klare Trennung zwischen Geld verdienen und philanthropischer Spendentätigkeit. Bei elea machen wir einen Spagat. Wir sind philanthropische Impact Investoren, eine non-profit Stiftung, die in for-profit Unternehmen investiert. Das zu erklären, war nicht einfach – nicht nur gegenüber den Behörden. Dass der Kanton Zürich bei diesem Thema jetzt in diese Richtung umschwenkt und damit philanthropisches Impact Investing begünstigt, begrüssen wir natürlich. Wir spüren allerdings schon seit einigen Jahren massiven Rückenwind, der sich in einem gesteigerten Interesse von Investor:innen, Stiftungen und Unternehmen an unserem Ansatz zeigt.
Es gibt aber auch Kritiker:innen. Sie fragen, weshalb es nicht gleich privatwirtschaftlich organisiert ist, wenn es unternehmerisch funktioniert.
TS: Man muss stets zuerst eine Keimzelle schaffen. Was mich bei elea beeindruckt, sind die vielen Keimzellen, die in den verschiedenen Ländern aufgebaut werden. Das sind meist kleine Unternehmen mit 15–20 Mitarbeiter:innen. Ihnen einfach Geld zu geben, wäre aus meiner Sicht falsch. Vielmehr brauchen sie ein Umfeld zum Lernen und für Wertschöpfung. Um wirklich philanthropisch zu handeln, ist der unternehmerische Ansatz der beste; denn die Wertschöpfung, die vor Ort entsteht, ist die Gegenleistung, welche die Stiftung nicht zurücknimmt. Diese verbessert das Leben der Familien und der Gemeinschaft.
«Wir spüren, seit einigen Jahren massiven Rückenwind»
Peter Wuffli
Die Wertschöpfung findet zugunsten der Menschen vor Ort statt?
TS: Genau, meine tollsten Erlebnisse sind spätere Begegnungen mit Menschen, die ich begleiten durfte. In Myanmar hatte ich während zehn Jahren eine Berufsschule unterstützt, Menschen für den Tourismus ausgebildet. Kam ich dann während einer Asienreise in ein Hotel und der Concierge begrüsste mich mit «I was in your school» – freute mich das ungemein. Gibt es etwas Schöneres?
PW: Was man kritisch sagen kann zum unternehmerischen Ansatz: Er ist extrem aufwändig. Bei elea schauen wir im Jahr rund 1000 Impact-Unternehmen an, bei zwei Dutzend machen wir eine intensive Due Diligence-Prüfung. Am Ende tätigen wir fünf bis zehn Investitionen. Bei unseren Portfolio-Unternehmen engagieren wir uns aktiv. Wir wirken im Verwaltungsrat mit. Wir unterstützen bei strategischen Fragen, beim Organisationsaufbau und bei der Governance. Unser Team hilft auch bei Krisen. Durchschnittlich investieren wir für jeden Franken an Kapital einen Franken in die Wertschöpfung. Da wir philanthropisch tätig sind, können wir akzeptieren, dass sich dieser mehrjährige Betreuungsaufwand nicht rentabilisieren lässt. Wir bringen unsere Erfahrung umfassend ein und begleiten diesen aufwändigen Prozess der Unternehmensgründung, der auch mit einem hohen Risiko einhergeht.
Wie wichtig ist es, dass die Idee multiplizierbar ist?
PW: Wir investieren nicht in Ideen, sondern in funktionierende Unternehmen mit Umsätzen durch verkaufte Produkte oder Dienstleistungen, und mit bestehenden Organisationen und Teams. Wir helfen ihnen, zu wachsen. Die Frage der Skalierbarkeit ist auf zwei Ebenen wichtig: Erstens auf der Ebene unserer eigenen Organisation, die durch die strategische Partnerschaft mit der Stiftung Fourfold weiter gestärkt wird. Ende Jahr werden wir gegen 40 Mitarbeiter:innen haben. Damit erreichen wir als Organisation die kritische Grösse. Zweitens ist die Skalierbarkeit auf der Ebene der unterstützten Unternehmen wichtig. Wir wollen, dass sie wachsen und ihre Geschäftsmodelle und ihren Impact in der Armutsbekämpfung skalieren.
TS: Es gibt sicher unzählige Prozesse, die man multiplizieren kann. Es ist aber viel schwieriger, wenn man dies von aussen tun will. In einem Land den geeigneten Entrepreneur zu suchen, ist sehr aufwändig.
PW: Ich teile deine Bedenken. Unsere elea Entrepreneurs Community ist da ein Hebel. Heute umfasst sie 45 Unternehmer:innen, die sich regelmässig treffen. Der Austausch von Venture zu Venture, z.B. zu Erfahrungen, Geschäftsideen oder Zusammenarbeitsmöglichkeiten, wird immer wichtiger.
TS: Ein solcher Austausch ist wichtig, weil es die Probleme, die man im Land A findet, wohl auch im Land B gibt. Aber im Land B einen Entrepreneur zu finden, der einen definierten Ansatz übernimmt, das ist aus meiner Erfahrung heraus oft sehr schwierig bis unmöglich.
Die grossen Herausforderungen wie Armut oder Klimawandel sind global: Hat die Philanthropie bessere Lösungen als die Privatwirtschaft oder die Staaten?
PW: Ich glaube nicht, dass es um besser oder schlechter geht. Unterschiedliche Bereiche haben unterschiedliche Profile und unterschiedliche Stärken. Wir müssen die richtigen Partnerschaften finden und Synergien nutzen. In Indien beispielsweise führt eines unserer Portfolio-Unternehmen Kampagnen für Hygiene oder für die Anwendung erneuerbarer Energien durch, für die sie mit internationalen Konzernen und Entwicklungsorganisationen zusammenarbeiten. Die traditionelle Trennung zwischen For und Non Profit ist hier nicht zielführend.
Ist das Ihre Botschaft für zukünftige Philanthrop:innen?
PW: Zuerst möchte ich mitgeben, dass es Passion braucht für das Thema. Schlechtes Gewissen als Motivation funktioniert nicht. Weiter braucht es Unvoreingenommenheit, Wirkungsorientierung und Pragmatismus …
TS: … und viel Zeit. Den Zeitfaktor darf man nicht unterschätzen. In grossen privatwirtschaftlichen Projekten sind wir es gewöhnt, Pläne mit engen Zeitvorgaben umzusetzen. Prozesse zum Aufbau neuer Unternehmen sind demgegenüber nicht geradlinig und hängen stark von den involvierten Personen ab. Das ist das Schöne daran. Das macht sie aber auch zeitintensiv. Dafür ist es befriedigend, wenn es funktioniert.
PW: Eine meiner Hauptlehren, als ich die UBS verliess, war: Verständnis für «kleiner» und «langsamer» zu entwickeln.
Welches Vermächtnis möchten Sie mit Ihrer Stiftung hinterlassen?
TS: Die Stiftung soll als Teil meiner Hinterlassenschaft einen Beitrag für eine bessere Welt leisten. Das Wie initiiere ich mit meinen Kindern, überlasse die Ausführung aber ihnen. Ein Ansatz ist, mit elea das Wirkungsfeld in der Bekämpfung absoluter Armut auszuweiten. Ich selber hatte Glück, dass ich mit Holcim etwas aufbauen konnte und nun kann ich etwas zurückgeben. Ich habe Respekt vor den Entwicklungen in dieser Welt. Aber hier vertraue ich meinen Kindern. Sie sind gut ausgebildet und mit den Mitteln der Stiftung können sie sehr viel erreichen. Ich bin überzeugt, dass sie das gut machen werden.
PW: Für mich ging es bei der Gründung von elea um die Bekämpfung der absoluten Armut. Wir wollten ein Rollenmodell entwickeln und aufzeigen, wie man Armut anders adressieren kann. Meine Kinder waren ursprünglich nicht beteiligt, aber ich freue mich, dass meine Tochter nach dem Rücktritt meiner Frau nun im Stiftungsrat sitzt. Wir haben unsere drei Kinder liberal erzogen. Daher kann Philanthropie zu ihren Leben gehören, muss aber nicht.
TS: Wichtig ist, dass die Kinder die Werte mittragen. Deshalb haben wir diese debattiert und für Fourfold gemeinsam definiert. Genauso wichtig ist, dass die Partnerschaft von elea und Fourfold auf gemeinsamen Werte basiert und diese gelebt werden. Und das wiederum ist ebenso anspruchsvoll wie bei einem Unternehmen.
PW: Ich bin mir bewusst, in vielerlei Hinsicht privilegiert zu sein. Doch Privilegien bringen auch Verantwortung mit sich und diese möchte ich wahrnehmen. Mit unserer Arbeit bei elea wollen wir einen Akzent für unternehmerische Philanthropie setzen und dadurch auch eine Inspiration für andere Investor:innen, gemeinnützige Stiftungen und vermögende Privatpersonen sein, ihre Verantwortung wahrzunehmen und selber in diesem Gebiet aktiv zu werden.