Hier sein und doch nicht wahrgenommen werden: Die Künstlerin Desiree Palmen aus Rotterdam zeigt mit ihren Fotos ein spielerisches Scheitern. Streetwise, Rotterdam, 2002, Desiree Palmen

Unsicht­bar

Wenn niemand anders hilft

Trotz hohem Stan­dard ist die soziale Absi­che­rung in der Schweiz nicht ohne Lücken. Wenn eine schwere Krank­heit ein Kind trifft oder ein Mensch in die Armut abglei­tet, wenn ein Mensch mit Behin­de­rung Unter­stüt­zung braucht oder sich ein Flücht­ling inte­grie­ren will, leis­ten gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tio­nen Beachtliches.

Armut kennt keine Jahres­zei­ten. Dennoch belas­ten die kalten Monate zusätz­lich. «Auch heute noch stellt der Winter Menschen, die von – oft unsicht­ba­rer – Armut betrof­fen sind, vor grosse Heraus­for­de­run­gen», sagt Monika Stampfli, Geschäfts­füh­re­rin der Winter­hilfe Schweiz. Diese unter­stützt Armuts­be­trof­fene, über­nimmt drin­gende Rech­nun­gen oder hilft mit Natu­ral­leis­tun­gen. Warme Klei­dung, Heizung oder ein feier­li­cher Rahmen für die Fest­tage Ende Jahr erfor­dern Geld, das den Betrof­fe­nen fehlt. Zudem verla­gert sich das soziale Leben in die Innen­räume. Dies isoliert Menschen in prekä­ren sozia­len Verhält­nis­sen zusätz­lich. «Oft zieht die finan­zi­elle Armut die soziale Isola­tion nach sich», sagt Monika Stampfli. Sie fügt an: «Arm zu sein, kostet Energie.»

Im Schat­ten des Reichtums

Gemäss dem Global Wealth Data Report 2021 beträgt das Vermö­gen der Schweiz 4689 Milli­ar­den Dollar. Damit lag sie auf Rang 15 der wohl­ha­bends­ten Länder. Umso mehr ist Armut eine Heraus­for­de­rung. «Viele denken: In der Schweiz gibt es doch keine Armut», sagt Monika Stampfli, «denn Armut ist in der Schweiz oft unsicht­bar.» Viele würden aus Angst und Scham zu lange warten, bis sie Hilfe in Anspruch nehmen. Die Gefahr ist, dass sie in die Schul­den­falle gera­ten, bevor sie sich Hilfe holen. Der Winter­hilfe ist es denn auch ein Anlie­gen, die Menschen zu ermu­ti­gen, sich früh genug zu melden. Gerade wo die soziale Kontrolle hoch sei, falle dies schwer, also in eher länd­li­chen Gebie­ten. Sie sagt: «Unsere Geschäfts­stel­len­lei­te­rin­nen und ‑leiter sind zum Glück sehr gut vernetzt. In länd­li­chen Gebie­ten gehen sie auch in Eigen­in­itia­tive auf jene zu, die von gros­ser Not betrof­fen sind.» Aber auch in der Stadt oder der Agglo­me­ra­tion gibt es versteckte Armut. In der Banken- und Versi­che­rungs­stadt Zürich ist das Sozi­al­werk Pfar­rer Sieber etabliert. Auch dessen Mitar­bei­tende stel­len fest, dass Armuts­be­trof­fene Hemmun­gen haben, Unter­stüt­zung zu beanspruchen. 

«Es ist für die Bereit­stel­lung von Hilfs­an­ge­bo­ten durch­aus erschwe­rend, weil es heraus­for­dernd ist, an die Bedürf­ti­gen heran­zu­kom­men», sagt Walter von Arburg, Kommu­ni­ka­ti­ons­lei­ter des Sozi­al­werks. Er bewer­tet dies jedoch diffe­ren­ziert. «Die Scham, nicht mehr ganz Herr über das eigene Leben zu sein, bedeu­tet zugleich, dass die Leute so lange wie möglich auto­nom und damit auch unab­hän­gig von frem­der Hilfe leben wollen. Das ist durch­aus posi­tiv», sagt er. Mit seinem nieder­schwel­li­gen Ange­bot versucht das Sozi­al­werk nicht nur das Über­le­ben der Menschen zu sichern. Es unter­stützt eine schritt­weise Verbes­se­rung der Lebens­um­stände der Menschen. 

Im besten Fall gelingt die Reinte­gra­tion in Arbeits­markt und Gesell­schaft. Dies ermög­licht im Ideal­fall ein selbst­ver­ant­wort­li­ches Leben. Auch Walter von Arburg kennt die zusätz­li­chen Heraus­for­de­run­gen im Winter. Kälte und Nässe lassen die Nach­frage nach der Notschlaf­stelle oder warmen Klei­dern anstei­gen. Ihm ist es aber wich­tig, Not nicht auf das Mate­ri­elle zu redu­zie­ren. Verein­sa­mung sei das zentrale Problem­feld. «Dank der Bezie­hungs­ar­beit gelingt es uns, Menschen wieder an andere und sich selbst glau­ben zu lassen. Dies ist Voraus­set­zung, damit Notlei­dende wieder Zukunfts­pläne entwi­ckeln und diese umset­zen», sagt er. Auf eine beson­ders vulnerable Gruppe legt Monika Stampfli das Augen­merk. Beson­ders fatal sei es, wenn Kinder sozial isoliert aufwach­sen. Mit einem spezi­el­len Förder­pro­gramm will die Winter­hilfe
einer Isola­tion vorbeu­gen. «Dieses ermög­licht benach­tei­lig­ten Kindern den Besuch von Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten wie Sport oder Musik zusam­men mit ihren Kolle­gen und Kolle­gin­nen», sagt sie.

Desi­ree Palmen, Rotter­dam, Public Space Camou­flage, 2000/2001.

Unwis­sen, Geld, Organisation

Kinder sind beson­ders expo­niert. Werden sie krank, kann sich ein Fami­li­en­le­ben abrupt ändern. «Die Situa­tion in einer ‹norma­len› Fami­lie mit einem krebs­kran­ken Kind ist immer ange­spannt, auch finan­zi­ell», sagt Paul Castle. Er ist Vize­prä­si­dent der Stif­tung für krebs­kranke Kinder, Regio Basi­li­en­sis.

Und auch hier kann das Bild der reichen Schweiz trügen. «Die ‹reiche Schweiz› hat ein gross­ar­ti­ges Gesund­heits­sys­tem», sagt er. «Viele Leute meinen, dass die Kran­ken­kas­sen alle medi­zi­ni­schen und pfle­ge­ri­schen Kosten rund um eine Krebs­er­kran­kung über­neh­men. Das ist bei weitem nicht so.» Die Kassen würden sich auf die zum Teil sehr teure direkte Behand­lung des Kreb­ses konzen­trie­ren. Doch dies sind bei weitem nicht alle Heraus­for­de­run­gen, die eine Fami­lie mit einem krebs­kran­ken Kind zu meis­tern hat. «Dabei geht es nicht um exoti­sche Sonder­the­ra­pien, sondern bspw. um den Kauf einer Matratze, die ange­passt ist für ein Kind mit gros­sen Schmer­zen», sagt er.

Hier sprin­gen Orga­ni­sa­tio­nen wie die Basler Stif­tung ein. Wie diese helfen können und was eine Fami­lie in dieser Situa­tion braucht, weiss Paul Castle aus eige­ner Erfah­rung. Als sein Sohn vor 16 Jahren an Krebs erkrankte, fand er noch wenig «Laien-Infor­ma­tio­nen» rund um kind­li­che Leuk­ämie im Inter­net. So sagt er heute: «Schlüs­sel­the­men für mich – und ich denke, dies ist nicht unty­pisch – waren mein Unwis­sen, Geld, zeit­li­che Orga­ni­sa­tion und die schu­li­sche Zukunft.» In der Schule konnte die Fami­lie auf die Unter­stüt­zung des Klas­sen­leh­rers und eini­ger Freunde zählen, die insbe­son­dere nach der Rück­kehr halfen. Sechs Monate fehlte der Sohn im Unter­richt. Paul Castle betont die Wich­tig­keit der «Nach­ver­sor­gung» bei Teen­agern. Und natür­lich belas­tete die finan­zi­elle und orga­ni­sa­to­ri­sche Situa­tion die Fami­lie. Das Spital seines Sohnes hatte noch keine Stif­tung. Ein Haus für die Eltern ermög­lichte ihm jedoch güns­tige Über­nach­tun­gen in der Nähe. Dennoch musste er über einen langen Zeit­raum die Schul­den abbauen. Bei der zeit­li­chen Orga­ni­sa­tion zeig­ten sich sein Chef und die ganze Firma sehr entge­gen­kom­mend. Das sei bei vielen Eltern nicht selbst­ver­ständ­lich. Und gerade in der Pande­mie­zeit kommen zusätz­li­che Heraus­for­de­run­gen für betrof­fene Fami­lien dazu. «Als 2020 Kurz­ar­beit oder gar Entlas­sun­gen in eini­gen Bran­chen dazu­ka­men, wurde die Lage einzel­ner Eltern noch prekä­rer», sagt Paul Castle.

Nicht hier und doch hier. Die Werke zeigen auch immer den vergeb­li­chen Versuch, die Illu­sion aufrecht­zu­er­hal­ten. Rotter­dam, Public Space Camou­flage, 2000/2001 von Desi­ree Palmen.

Pande­mie erhöht sozia­len Druck

Monika Stampfli beob­ach­tet, dass die Pande­mie die Armut sicht­bar gemacht hat. Gleich­zei­tig hat sie Menschen in die Armut getrie­ben respek­tive ihre fragile Situa­tion zusätz­lich verschärft. Sie erzählt von einer allein­er­zie­hen­den Mutter. Neben den Alimen­ten bestritt sie mit Reini­gungs­ar­bei­ten den Lebens­un­ter­halt. Als diese wegbra­chen, wandte sich die Mutter an die Winter­hilfe, weil sie nichts mehr zu essen hatte. Mit Lebens­mit­tel­gut­schei­nen und der Über­nahme der Miete konnte das Hilfs­werk unter­stüt­zen. «Der Fall ist exem­pla­risch für Perso­nen, die vor der Pande­mie ohne Unter­stüt­zung leben konn­ten. In vielen Fällen, wie auch in diesem, hat die Winter­hilfe Nothilfe geleis­tet, welche die Zeit bis zur staat­li­chen Unter­stüt­zung über­brü­cken konnte.» Auch Walter von Arburg musste beob­ach­ten, wie Angst um die finan­zi­elle Basis zu indi­vi­du­el­ler Verun­si­che­rung führte. Beson­ders gross war sie bei Menschen mit unge­re­gel­tem Anstel­lungs­ver­hält­nis. «Und für bereits zuvor rand­stän­dige Leute, Obdach­lose, Sucht­kranke oder Verein­samte ist die Pande­mie vor allem deshalb eine Heraus­for­de­rung, weil auch Anlauf­stel­len Schutz­kon­zepte entwi­ckeln und umset­zen muss­ten», sagt er. «Das bedeu­tet in der Reali­tät weni­ger Platz für mindes­tens gleich viele Besu­che­rin­nen und Besu­cher.» Der soziale Druck auf diese hat sich somit zusätz­lich erhöht: Anlauf­stel­len und Gassen­kü­chen sind für sie gerade wegen der sozia­len Kontakte essen­zi­ell. Um der Nach­frage gerecht werden zu können, hatte das Sozi­al­werk Pfar­rer Sieber deswe­gen innert Tagen das Raum­an­ge­bot der Notschlaf­stelle Pfuus­bus pande­mie­ge­recht umstrukturiert.

Flexi­bler als erwartet

Die Stif­tung Züri­werk musste infolge der Pande­mie ihre Wohn- und Arbeits­an­ge­bote situa­tiv anpas­sen. Die Stif­tung setzt sich für Menschen mit Beein­träch­ti­gung in den Lebens­be­rei­chen Wohnen, Arbei­ten und Ausbil­dung ein. Sie bietet an unter­schied­li­chen Stand­or­ten in der Stadt Zürich, der Agglo­me­ra­tion sowie im Zürcher Ober­land eine Viel­zahl von Ange­bo­ten. Zur Wahrung ihrer Gesund­heit waren die Klien­tin­nen und Klien­ten hinsicht­lich ihrer Auto­no­mie bezüg­lich dem selbst­stän­di­gen Einkau­fen oder der Nutzung des öffent­li­chen Verkehrs einge­schränkt. Als Ausgleich hat das Züri­werk mehr Bewe­gungs­räume in beglei­te­ten Grup­pen orga­ni­siert. Wirkungs­voll haben die Teams Clus­ter gebil­det, um die Durch­mi­schung von verschie­de­nen inter­nen und exter­nen Perso­nen weit­ge­hend zu verhindern. 

«Aber wir haben auch Klien­ten mit schwe­ren Mehr­fach­be­ein­träch­ti­gun­gen», sagt Alex­an­dra Elser, Leite­rin Fund­rai­sing beim Züri­werk. «Sie sind beim Tragen der Masken auf die profes­sio­nelle Hilfe ange­wie­sen.» Nähe und Distanz waren ein gros­ses Thema, etwa beim Essen. Dennoch konnte Alex­an­dra Elser fest­stel­len: «Unsere Klien­ten waren flexi­bler als erwar­tet.» So gelang es auch, die Aufträge auszu­füh­ren und den Kunden und Kundin­nen in ihren Ansprü­chen gerecht zu werden. Die Heraus­for­de­rung war aller­dings, dass die Umstel­lun­gen auch finan­zier­bar sein mussten. 

Dabei konnte das Züri­werk auf ein grosse Soli­da­ri­tät zählen. Spen­de­rin­nen und Spen­der zeig­ten sich sehr oft gross­zü­gi­ger in der Pande­mie. Umge­kehrt fielen Einnah­men weg, weil gewisse Aufträge ausblie­ben. Stabil blieb die Unter­stüt­zung durch den Kanton.

Nahe an der Wirtschaft

Ähnlich einschnei­dend erleb­ten die Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner der Stif­tung Plan­kis die Verän­de­run­gen im Alltag. Plan­kis bietet Menschen mit Behin­de­rung Arbeits­platz und Wohn­ort in Chur. 

Im ersten Lock­down durf­ten sie während Mona­ten nicht mehr wie üblich über das Wochen­ende zu ihren Fami­lien. «Und diese durf­ten sie auch nicht besu­chen», sagt Geschäfts­lei­ter Beda Gujan. «Das war eine schlimme Situa­tion. Mit dem Lock­down sahen sich unsere Klien­ten in Bezug auf die Teil­habe, Selbst­be­stim­mung und Stel­lung in der Gesell­schaft auf einen Schlag um Jahr­zehnte zurück­ver­setzt.» Das Umset­zen der neuen Regeln funk­tio­nierte für die Klien­ten dage­gen fast auto­ma­tisch. Sie sind sich auch im norma­len Alltag gewohnt, Anwei­sun­gen zu befolgen.

«Dieses vorbild­li­che und gedul­dige Verhal­ten der Menschen mit einer Behin­de­rung hat mich beein­druckt», sagt er. Dabei beob­ach­tete er eine Diskre­panz zur Gesell­schaft. Während sich diese in Kontro­ver­sen verlor, hatten die Menschen mit Behin­de­rung kein Problem, sich flexi­bel auf die neue Situa­tion einzu­stel­len. Und einen posi­ti­ven Effekt erlebte die Stif­tung in der Pande­mie in wirt­schaft­li­cher Hinsicht. Sie verzeich­nete einen bedeu­ten­den Kunden­zu­wachs für ihre selbst­pro­du­zier­ten Lokal­pro­dukte. Dass dies möglich war, verdankt Plan­kis ihrer gewoll­ten Nähe zur Wirt­schaft. So gelingt es Plan­kis, rund 60 Prozent des Budgets mit Produkt- und Leis­tungs­ver­kauf zu erwirt­schaf­ten, Wohner­träge mitein­ge­rech­net. Diese Nähe erleich­tert auch die Inte­gra­tion von Klien­ten in den ersten Arbeits­markt. «Das gelingt uns pro Jahr in der Regel in sechs bis neun Fällen.» Den Unter­schied zwischen geschütz­tem und nicht­ge­schütz­tem Arbeits­platz will die Stif­tung sowieso möglichst abbauen. Mitar­bei­tende mit Behin­de­rung werden so weit wie irgend möglich gleich behan­delt wie andere Mitar­bei­tende. Erlaubt es die Situa­tion, setzt Plan­kis Menschen mit Behin­de­rung spezi­ell auch in den Restau­rants und Läden ein. «Für viele unse­rer Kunden oder Besu­che­rin­nen ist es oft erst auf den zwei­ten Blick zu erken­nen, wer Klient und wer Betreuer ist», sagt Beda Gujan. Entspre­chend hoch ist die Akzep­tanz in der Gesell­schaft. Er erach­tet es als die beste Kommu­ni­ka­tion für ihre Arbeit, wenn die Klien­ten von Plan­kis in der Öffent­lich­keit sicht­bar sind. So präsen­tie­ren sie sich als fester Bestand­teil der Gesell­schaft. «Wer erlebt, was Menschen mit Behin­de­rung leis­ten können, wird den Wert der geschütz­ten Arbeits­plätze erken­nen können», sagt Beda Gujan. Auch für Alex­an­dra Elser ist unbe­strit­ten: «Wenn unsere Stif­tung weiter wirt­schaft­lich Erfolg haben will, müssen auch wir uns nach dem Markt orien­tie­ren.» Sie darf fest­stel­len, dass immer mehr Unter­neh­men ihre Corpo­rate Social Respon­si­bi­lity (CSR) auf verschie­de­nen Ebenen wahr­neh­men. Das zeigt sich an ihrer Auftrags­lage. «Stetig dürfen wir unser Ange­bot ausbauen», sagt sie und fügt an: «Beson­ders junge Unter­neh­me­rin­nen und Unter­neh­mer mit ihren Start-ups wollen ganz gezielt mit uns zusam­men­ar­bei­ten.» Typi­sche Aufga­ben, die das Züri­werk dabei über­nimmt, sind die Erstel­lung und Betreu­ung des Webshops oder die Über­nahme der logis­ti­schen Leis­tun­gen. Gene­rell besteht viel Good­will seitens der Auftrag­ge­ber, sei dies im Bereich der inte­grier­ten Arbeits­plätze oder für indus­tri­elle Aufträge. Und es gibt eine Offen­heit mit einem menta­len «Gutha­ben­bo­nus» quasi – ohne dass die Erwar­tung an die Profes­sio­na­li­tät tiefer wäre. Eine Erfah­rung, die Beda Gujan teilt: «Wir wissen, dass die soziale Kompo­nente ein Argu­ment bei den Kunden ist. Doch kein Kunde kauft ein zwei­tes Mal, wenn die Quali­tät nicht stimmt.»

Foto: Desi­ree Palmen

Sicht­bar machen

Koope­ra­tio­nen mit der Wirt­schaft sind unter­des­sen viel­fäl­tig. So profi­tiert das Züri­werk von einer Jelmoli-Aktion. Statt einer Preis­ak­tion am Black Friday enga­giert sich das Waren­haus am Giving Tues­day und spen­det vom 26. Novem­ber bis zum 30. Novem­ber 2021 ab einem Einkaufs­wert von 50 Fran­ken fünf Fran­ken an die Stif­tung Züri­werk. Ein beson­de­res Erleb­nis bietet Züri­werk zudem mit der Möglich­keit eines Seiten­wech­sels. Unter­neh­men können ihre Komfort­zone verlas­sen. Ihre Mitar­bei­ten­den können einen Tag zusam­men mit Menschen mit kogni­ti­ver Beein­träch­ti­gung erle­ben. Ziel ist, Ängste abzu­bauen. Aufzu­klä­ren. Inklu­sion zu leben. «Viele Firmen haben Angst vor diesem Tag, weil sie nicht wissen, wie sie auf diese Menschen zuge­hen sollen. Wenn sie es erlebt haben, kommen sie immer wieder zurück», sagt Alex­an­dra Elser. Sie erle­ben, wie die Menschen mit kogni­ti­ver Beein­träch­ti­gung die Arbeit mit gros­ser Freude und Stolz erle­di­gen. «Diese grosse Zufrie­den­heit faszi­niert auch mich», sagt sie. Der Wert der Arbeit für das Selbst­be­wusst­sein und für die Inte­gra­tion in die Gesell­schaft ist das Thema von Power­co­ders. Der gemein­nüt­zige Verein will Flücht­linge und Migran­tin­nen und Migran­ten im Arbeits­markt plat­zie­ren. Die Bedeu­tung der Arbeit für diese Perso­nen ist riesig. 

«Sie wollen unbe­dingt arbei­ten», sagt Chris­tina Gräni, Kommu­ni­ka­ti­ons­ver­ant­wort­li­che bei Power­co­ders. Die Suche nach Wert­schät­zung, dazu­zu­ge­hö­ren, das eigene Poten­zial zeigen zu können, moti­viert sie. Und sie wollen unab­hän­gig von der Sozi­al­hilfe sein. Daran habe die Pande­mie nichts geän­dert, erzählt sie. Aber die Arbeit wurde anspruchs­vol­ler. Home­of­fice erschwerte die soziale Inte­gra­tion in den Teams. Aber zusätz­li­che Heraus­for­de­run­gen können das Konzept von Power­co­ders nicht gefährden.

Denn es löst zwei Probleme gleich­zei­tig. «Es gibt einer­seits viele Flücht­linge in der Schweiz mit hohem Poten­zial», sagt Chris­tina Gräni und ergänzt: «Ande­rer­seits leidet der IT-Sektor an einem Fach­kräf­te­man­gel.» Von Vorteil ist, dass Infor­ma­tik als univer­selle Spra­che dazu beiträgt, kultu­relle Unter­schiede zu überwinden.

Ein Selbst­läu­fer

Das Power­co­ders-Programm besteht aus vier Phasen. In der Rekru­tie­rung sucht der Verein die rich­ti­gen Kandi­da­tin­nen und Kandi­da­ten. Viele der Programm­teil­neh­men­den – der Frau­en­an­teil liegt auch dank spezi­el­ler Anstren­gun­gen bei über 25 Prozent – haben einen Bache­lor oder Master in der IT oder in einem natur­wis­sen­schaft­li­chen Fach. Den Abschluss haben sie in ihrem Herkunfts­land gemacht. «Diese Menschen haben oft adäquate Ausbil­dun­gen und hatten ein gutes Leben, bevor sie zur Flucht gezwun­gen wurden», sagt sie. Eine IT- oder natur­wis­sen­schaft­li­che Ausbil­dung ist jedoch nicht Voraus­set­zung für die Aufnahme. «Fast lear­ners» haben ebenso eine Chance. In Tests wird ihre Lern­kurve und Auffas­sungs­gabe ermit­telt. Im Programm aufge­nom­men, folgt ein Boot­camp. Dieses vermit­telt IT-Kennt­nisse. Unter­rich­tet werden zudem soziale und kommu­ni­ka­tive Kompe­ten­zen, die im Schwei­zer Arbeits­markt ebenso wich­tig sind. In einem zwölf­mo­na­ti­gen Prak­ti­kum müssen sich die Power­co­ders-Teil­neh­men­den anschlies­send im Arbeits­markt bewei­sen. Zum Schluss sucht Power­co­ders mit dem Prak­ti­kums­be­trieb nach einer lang­fris­ti­gen Lösung, sei es in Form einer Fest­an­stel­lung oder einer IT-Lehr­stelle, je nach Alter. «Die grosse Heraus­for­de­rung ist, die geeig­ne­ten Kandi­da­ten und Kandi­da­tin­nen zu finden», sagt Chris­tina Gräni. Hierzu arbei­tet Power­co­ders mit NGOs und Flücht­lings­or­ga­ni­sa­tio­nen in der ganzen Schweiz zusam­men. Auf Unter­neh­mer­seite funk­tio­niert das Programm. Die Nach­frage ist vorhan­den. «Es ist nach fünf Jahren zu einem Selbst­läu­fer gewor­den. Mund-zu-Mund-Propa­ganda hilft hier­für sehr», sagt sie. Damit das Programm funk­tio­niert, braucht es aller­dings auch viele Frei­wil­lige. Unter ande­rem kommen sie als Jobcoa­ches zum Einsatz. «Diese müssen den Schwei­zer Arbeits­markt gut kennen», sagt sie. Unter­des­sen hat sich auch bereits ein gros­ses Alumni-Netz­werk etabliert. Um dieses Projekt zu reali­sie­ren, war inten­sive Aufbau­ar­beit gefragt. Power­co­ders hat beispiels­weise mit jedem Kanton eine Verein­ba­rung ausge­han­delt. Die Kantone über­neh­men einen Teil der Kosten.

Eine Präsenz, die gleich­zei­tig in ihrer Umge­bung aufgeht. Desi­ree Palmen, Inte­rior Camou­flage, Maas­tricht, 1999.
Foto: Desi­ree Palmen

Vernet­zung

Dass Behör­den und Sozi­al­we­sen gut funk­tio­nie­ren, bezeich­net Monika Stampfli als eine grosse Stärke unse­res Landes. «Es gibt dennoch immer wieder Lücken. Hier sprin­gen wir ein.» Und sie betont: «Wir über­neh­men keine Leis­tun­gen, zu denen eine andere Stelle, eine Behörde oder Versi­che­run­gen verpflich­tet sind.» Auch Walter von Arburg sagt: «Als Hilfs­werk, das Nothilfe leis­tet, wird das Sozi­al­werk Pfar­rer Sieber dort aktiv, wo niemand mehr hilft – weder der Staat noch andere NPO.»
Das Ziel ist immer, den Betrof­fe­nen möglichst nach­hal­tig zu helfen. Monika Stampfli fügt an: «Da kommt es immer wieder vor, dass sich mehrere Hilfs­werke an einer Hilfe­leis­tung betei­li­gen.» Auf eine ziel­ge­rich­tete Koope­ra­tion ist die Arbeit der Stif­tung für krebs­kranke Kinder, Regio Basi­li­en­sis, ausge­rich­tet. «Alles, was wir tun, dreht sich in irgend­ei­ner Form ums Univer­si­täts-Kinder­spi­tal beider Basel (UKBB) und dort um die Onko­lo­gie­sta­tion. Gute Zusam­men­ar­beit ist da sehr wich­tig – verbun­den aller­dings mit der gebo­te­nen Distanz und der Entschei­dungs­frei­heit in unse­rem Stif­tungs­rat». Erst die Zusam­men­ar­beit ermög­licht die Hilfe für betrof­fene Eltern. «Wir legen es dem Spital immer wieder nahe, dafür zu sorgen, dass weder Unwis­sen noch Scham eine Fami­lie davon abhält, um unsere Hilfe zu bitten», sagt Paul Castle. Dass die Stif­tung einen sehr spezi­fi­schen Zweck hat, hilft auch beim Spen­den­sam­meln. «Gesprä­che mit poten­zi­el­len Spen­dern und Spen­de­rin­nen schwei­fen dadurch nicht ab, sondern blei­ben bei einem Thema, das viele Menschen berührt», sagt Paul Castle. «Wer uns Geld gibt, weiss genau, wo es hinfliesst.»

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