Asa Sjöberg Langner, Direktorin Partnerships & Philanthropy UNICEF Schweiz und Liechtenstein

UNICEF: Um die Zukunft unse­rer Kinder zu sichern, muss die Pande­mie über­all enden

Vor einem Jahr startete die COVAX-Initiative mit den ersten Covid-Impfungen. Asa Sjöberg Langner, Direktorin Partnerships & Philanthropy bei UNICEF Schweiz und Liechtenstein, sagt, wie UNICEF mit seinen Kompetenzen die Kampagne als Implementierungspartner unterstützt. Sie spricht über lebensrettende Beiträge und weshalb nur ein koordiniertes Vorgehen zum Ziel führt.

Vor einem Jahr ist das Programm COVAX gestar­tet. Wie hat sich das Programm entwickelt?

2021 war das Jahr, in dem die Covid-19-Impf­stoffe welt­weit verfüg­bar wurden. Die Geschwin­dig­keit, mit der die Impf­stoffe entwi­ckelt wurden, sowie ihre Fähig­keit, Todes­fälle zu verhin­dern, sind ein ausser­or­dent­li­cher Erfolg im Kampf gegen das Coro­na­vi­rus. Die welt­weite Einfüh­rung von Impf­stof­fen war jedoch auch durch grosse Ungleich­hei­ten gekenn­zeich­net – der Zugang zu den lebens­ret­ten­den Impf­stof­fen war von Land zu Land unter­schied­lich. Und die Impf­un­gleich­heit hält weiter­hin an: Während die Impf­quote in Ländern mit hohem Einkom­men über 70 Prozent beträgt, sind bloss sechs Prozent der Menschen in Ländern mit nied­ri­gem Einkom­men voll­stän­dig geimpft.

Eine gewal­tige Differenz?

Genau deshalb war es für UNICEF klar, Imple­men­tie­rungs­part­ner der globa­len Alli­anz ACT-Acce­le­ra­tor Part­ner­ship (ACT‑A) und deren «Impf­säule», der COVAX-Einrich­tung zu werden. Zusam­men mit weite­ren Orga­ni­sa­tio­nen wie Gavi, der Vaccine Alli­ance, WHO und CEPI stel­len wir sicher, dass Impf­stoffe auf globa­ler Ebene gerech­ter verteilt werden. Wir sind stolz darauf, dass via COVAX bereits 1,19 Milli­ar­den Dosen von Impf­stof­fen in 144 Länder gelie­fert wurden.

Ein UNICEF-Mitar­bei­ter nimmt eine COVAX-Liefe­rung am Flug­ha­fen in Cara­cas, Vene­zuela entge­gen.
Bild: UNICEF/UN0552177/Poveda

Wie sieht die Rolle von UNICEF bei ACT‑A aus?

Wie bereits erwähnt, ist UNICEF eine der Part­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen von ACT‑A. Das Fach­wis­sen, die logis­ti­sche Infra­struk­tur sowie die Erfah­rung von UNICEF als welt­gröss­ter Akteur bei Impf­pro­gram­men von Kindern wird in allen vier ACT-A-Säulen einge­setzt. Dazu gehö­ren die Liefe­rung und Bereit­stel­lung von Impf­stof­fen (COVAX-Einrich­tung), die Bereit­stel­lung von Test-Kits und Thera­peu­tika sowie die Stär­kung der Gesund­heits­sys­teme. Dazu kommt die Aufrecht­erhal­tung grund­le­gen­der Gesund­heits­dienste sowie die Stär­kung der Infek­ti­ons­prä­ven­tion und ‑bekämp­fung.

Sie haben grosse Erfah­rung mit Routineimpfungen.

Als gröss­ter Einzel­impf­stoff­ein­käu­fer der Welt verfügt UNICEF über einzig­ar­ti­ges und lang­jäh­ri­ges Know-how rund um die Beschaf­fung und Logis­tik von Impf­stoff­do­sen. UNICEF beschafft jähr­lich mehr als zwei Milli­ar­den Dosen für Routi­ne­imp­fun­gen von Kindern sowie als Reak­tion auf Krank­heits­aus­brü­che im Auftrag von fast 100 Ländern.

Was macht die Covid-Impfung speziell?

Im Bezug auf die Covid-19-Impfung musste UNICEF neue Wege gehen. Denn während einige der Impf­stoffe bei Tempe­ra­tu­ren zwischen zwei und acht Grad Celsius in Stan­dard-Impf­stoff­kühl­schrän­ken aufbe­wahrt werden können, müssen andere mRNA-Impf­stoffe bei Tempe­ra­tu­ren zwischen –60 und –80 Grad Celsius in Ultra-Kühl­ket­ten-Gefrier­schrän­ken gela­gert werden. In vielen Ländern sind die Kapa­zi­tä­ten dafür nicht vorhan­den. UNICEF hat diese lebens­wich­ti­gen Geräte deshalb bereits an beinahe 70 Länder gelie­fert. So wird die Kühl­kette für den jewei­li­gen Impf­stoff sichergestellt.

Wir können nicht ein Land nach dem ande­ren gegen die Pande­mie impfen. Wir müssen global koor­di­niert zusammenarbeiten.

Asa Sjöberg Lang­ner, Direk­to­rin Part­ner­ships & Phil­an­thropy bei UNICEF Schweiz und Liechtenstein

Zu Beginn war der Impf­stoff welt­weit extrem knapp. War eine gerechte Vertei­lung über­haupt realistisch?

Export­be­schrän­kun­gen, Impf­stoff-Natio­na­lis­mus sowie Verzö­ge­run­gen bei der Herstel­lung von Impf­stof­fen erschwer­ten anfäng­lich die Arbeit der COVAX-Einrich­tung. Als Reak­tion darauf halfen immer mehr Geber­län­der, die Ungleich­heit zu über­win­den, indem sie ihre Impf­stoff­vor­räte teil­ten. 40 Prozent der Impf­stoffe, die via COVAX im Jahr 2021 gelie­fert wurden, stamm­ten von Geberländern.

Ist die gerechte Vertei­lung umstritten?

Heute besteht weit­ge­hend Über­ein­stim­mung, dass eine gerechte globale Vertei­lung der Impf­stoffe der beste Weg ist, um die Covid-19-Pande­mie unter Kontrolle zu brin­gen. Das Auftau­chen der Omikron-Vari­ante führte uns erneut vor Augen, was auf dem Spiel steht, wenn wir zulas­sen, dass die Ungleich­heit beim Zugang zu Impf­stof­fen weiter­hin bestehen bleibt. Wir können nicht ein Land nach dem ande­ren gegen die Pande­mie impfen. Wir müssen global koor­di­niert zusammenarbeiten.

Hat dieses Argu­ment auch gehol­fen, um die Vertei­lung des Impf­stof­fes inner­halb von Ländern gerech­ter zu gestalten?

UNICEF verfügt über lang­jäh­rige Erfah­rung in 190 Einsatz­län­dern und Terri­to­rien, sowie unsere Part­ner­schaf­ten und Netz­werke. Dies hat es uns ermög­licht, wirk­sam für den gleich­be­rech­tig­ten Einbe­zug von vulner­ablen Menschen in natio­nale Impf­pläne einzu­ste­hen. In Soma­li­land zum Beispiel setzte sich UNICEF erfolg­reich dafür ein, dass über 50-jährige Flücht­linge, Asyl­su­chende und Binnen­ver­trie­bene Zugang zu Impfun­gen erhal­ten. Dafür förder­ten wir Stand­orte von Impf­zen­tren in der Nähe von Flüchtlingslagern.

Impf­skep­sis hat in der Schweiz eine höhere Impf­quote verhin­dert. Ist Impf­skep­sis auch in den ärme­ren Ländern ein Thema?

Ja, Fehl­in­for­ma­tio­nen und Gerüchte beein­träch­ti­gen auch die Arbeit der COVAX-Einrich­tung. Gemein­sam mit Part­nern arbei­ten wir deshalb konti­nu­ier­lich daran, sicher­zu­stel­len, dass Bevöl­ke­run­gen vor Ort vertrau­ens­wür­dige und genaue Infor­ma­tio­nen rund um die Impfung erhal­ten und zwar in den Spra­chen und Forma­ten, die sie bedürfen.

Spen­den von Unter­neh­men, Stif­tun­gen und Gross­gön­nern sind wich­tige, lebens­ret­tende Beiträge.

Asa Sjöberg Lang­ner, Direk­to­rin Part­ner­ships & Phil­an­thropy bei UNICEF Schweiz und Liechtenstein

Ist UNICEF auch in der Aufklä­rungs­ar­beit aktiv?

Das Zögern bei Impfun­gen ist ein sehr kontext­spe­zi­fi­sches Problem, da jedes Land und jede Gemein­schaft ihre eige­nen Probleme hat – es gibt keine Einheits­lö­sung. Deshalb unter­stützt UNICEF Länder bei der Erar­bei­tung von Umfra­gen und ande­ren Feed­back-Mecha­nis­men, um Beden­ken und Einstel­lun­gen von loka­len Bevöl­ke­run­gen genauer zu verste­hen. So können mass­ge­schnei­derte Kampa­gnen ausge­ar­bei­tet werden, um Beden­ken auszu­räu­men und die Impf­be­reit­schaft zu stei­gern. Da die Über­brin­ger der Botschaft genauso wich­tig sind wie der Inhalt, werden in dieser Arbeit auch reli­giöse Führungs­per­so­nen, lokale Persön­lich­kei­ten und Jugend­li­che eingebunden.

In den reichen Ländern sind Impf­stoffe schon seit Mona­ten in genü­gen­den Mengen vorhan­den. Hat COVAX an Bedeu­tung verloren?

Nein, die COVAX-Einrich­tung ist weiter­hin enorm wich­tig. Denn niemand auf dieser Welt ist sicher vor Covid-19, solange wir nicht alle sicher sind. Covid-19 hat im zwei­ten Jahr der Pande­mie mehr Menschen­le­ben gefor­dert als im ersten. Der Weg zur Über­win­dung der Pande­mie ist also weiter­hin klar: gerech­ter Zugang zu Impf­stof­fen, Tests und Behand­lun­gen für alle.

Was hat COVAX bisher erreicht?

In den vergan­ge­nen zwölf Mona­ten konnte die COVAX-Initia­tive sehr viel errei­chen. Es ist jedoch kaum ein Moment zum Feiern. Wenn wir die akute Phase der Pande­mie been­den und eine nach­hal­tige Wirkung auf die Gesund­heits­sys­teme und die von ihnen abhän­gi­gen Gemein­schaf­ten sicher­stel­len wollen, müssen wir die Arbeit drin­gend fort­set­zen. Deshalb ist es so wich­tig, dass wir unse­ren Schwung beibe­hal­ten, um jedes Land mit nied­ri­gem und nied­rig-mitt­le­rem Einkom­men mit unse­rer Unter­stüt­zung zu errei­chen. Nur so können wir die Ausbrei­tung des Virus eindäm­men, das Risiko neuer Vari­an­ten verrin­gern und sicher­stel­len, dass niemand zurück­ge­las­sen wird.

In einem Spital in Port-au-Prince, Haiti star­tet die natio­nale Covid-19-Impf­kam­pa­gne.
Bild: UNICEF/UN0493323/Fils Guillaume

Welche Bedeu­tung haben Spen­de­rin­nen und Spen­der oder Stif­tun­gen für COVAX?

Im drit­ten Jahr der Pande­mie fokus­siert UNICEF sich nun verstärkt darauf, Regie­run­gen bei ihren natio­na­len Imple­men­tie­rungs­kam­pa­gnen zu unter­stüt­zen: Impf­stoffe sollen in Impfun­gen umge­wan­delt werden, zudem braucht es Diagnose-Kits, Schutz­aus­rüs­tung und Sauer­stoff. Sauer­stoff­sys­teme sind übri­gens kosten­ef­fi­zi­ente Inves­ti­tio­nen, die post-Covid das Leben von Neuge­bo­re­nen und Müttern retten werden.

Die Unter­stüt­zung unse­rer phil­an­thro­pi­schen Part­ner ist hier entschei­dend. Es ist ein Wett­lauf gegen die Zeit: Spen­den von Unter­neh­men, Stif­tun­gen und Gross­gön­nern sind wich­tige, lebens­ret­tende Beiträge. Denn nur gemein­sam können wir unser Ziel errei­chen, Menschen auf der ganzen Welt – unab­hän­gig ihres Wohl­stands – gleich­be­rech­tig­ten Zugang zu Covid-19-Tests, Behand­lun­gen und Immu­ni­sie­rungs­pro­gram­men zu gewäh­ren. Es ist ein soli­da­ri­scher Akt. Dazu ist es eine ausser­or­dent­li­che Gele­gen­heit, stär­kere und wider­stands­fä­hi­gere Gesund­heits­sys­teme aufzu­bauen, um auf künf­tige Krisen besser vorbe­rei­tet zu sein.

Gewisse Länder haben die Schutz­be­stim­mun­gen für Covid-19 bereits gelo­ckert – brau­chen UNICEF und COVAX weiter­hin Unterstützung?

Die Folgen der Covid-19 Pande­mie zwingt Fami­lien in die Armut und gefähr­det die Zukunft der Kinder. Denken Sie zum Beispiel nur an die mona­te­lan­gen Schul­schlies­sun­gen, an die Jobver­luste vieler Eltern und die Auswir­kun­gen auf die mentale Gesund­heit einer ganzen Gene­ra­tion von Jugend­li­chen. Ein paar Zahlen: Aufgrund der Pande­mie leben zusätz­li­che 163 Millio­nen Menschen mit weni­ger als 1,90 US-Dollar pro Tag. Neun Millio­nen zusätz­li­che Kinder wurden in die Kinder­ar­beit getrie­ben. Über eine Milli­arde Schü­le­rin­nen und Schü­ler in Ländern mit tiefem Einkom­men waren von voll­stän­di­gen oder parti­el­len Schul­schlies­sun­gen betrof­fen. Die Schul­schlies­sun­gen haben beson­ders gravie­rende Folgen für Mädchen. Um die Zukunft unse­rer Kinder zu sichern, muss die Pande­mie über­all enden, nicht nur in den Ländern mit hohem Einkom­men, und zwar so schnell wie möglich. Auch aus wirt­schaft­li­chen Über­le­gun­gen ist dies drin­gend notwen­dig, um Stabi­li­tät und Sicher­heit zu wahren. UNICEF bleibt auch nach der Pande­mie vor Ort und setzt sich für Kinder ein, damit sie geschützt und gesund gross werden, sich entwi­ckeln und von frühes­ter Kind­heit an ihr Poten­zial entfal­ten können.

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