The Philanthropist: Wie hat die Pandemie Ihre Arbeit verändert?
Susy Utzinger: Wir konnten mit Soforthilfe schnell reagieren. Futterspenden wurden schnell zum Thema Nummer eins. Wir konnten Tierheime aber auch Privatpersonen mit Futter unbürokratisch unterstützen. Mit dem Projekt «Näpflein füll’dich» bieten wir die Möglichkeit, gratis Futter zu holen. Das Angebot richtet sich an Empfängerinnen und Empfänger von Sozialhilfe. Aber wenn jemand den Ausweis der Sozialhilfe noch nicht hat, sind wir kulant. Die Tiere brauchen das Futter. Weiter haben wir unsere Sozialarbeit ausgebaut.
Was muss ich darunter verstehen?
Wir bieten Unterstützung für Tiere von randständigen Menschen. Wer sich keine tierärztliche Versorgung leisten kann, dem bieten wir eine Sprechstunde. Wir untersuchen die Tiere praktisch kostenlos. Und auch im Ausland haben wir reagiert. Auch hier war Soforthilfe notwendig. Viele Tierheime hatten kein Futter mehr. Und an Touristenorten waren Tiere ohne Futter, weil die Touristen ausblieben, die sie normalerweise fütterten.
Sie engagieren sich schon seit Jahrzehnten für Tiere. Was war der Auslöser für Ihr Engagement für die Tiere?
Es gab kein Schlüsselerlebnis. Tiere haben mich von klein auf begleitet. Ich bin in einer Tierschutzorganisation aufgewachsen. Daher konnte ich mir schon seit ich ein kleines Mädchen war Knowhow aneignen. Knowhow ist wichtig. Viele denken, Tierliebe reiche für Tierschutz. Aber es braucht Knowhow, wie in anderen Bereich.
Tierpflegerinnen und ‑pfleger müssen Tiere beobachten, Probleme erkennen und lösen können.
Susy Utzinger
Deswegen ist Aus- und Weiterbildung von Fachkräften ein Grundpfeiler ihrer Arbeit?
Genau. Dabei gibt es zwei Bereiche, die Schweiz und das Ausland. In anderen Ländern gibt es teils einzelne Ausbildungen gar nicht. In Rumänien oder Ägypten gibt es keine Ausbildung zum Tierpfleger. Sich um Tier zu kümmern beschränkt sich dort auf das Füttern und Putzen. Das ist nicht, was wir unter Tierpflege verstehen. Wir setzen uns dafür ein, dass die Aufgabe aufgewertet wird. Tierpflegerinnen und ‑pfleger müssen Tiere beobachten, Probleme erkennen und lösen können. Das ist eine schöne Aufgabe.
Wie ist die Situation bei uns?
Auch in der Schweiz gibt es Handlungsbedarf. Für viele ist es erstaunlich, dass es auch bei uns viel zu tun gibt. Auch hier setzen wir uns dafür ein, damit Tierpflegerinnen und ‑pfleger richtige Fachkräfte werden und nicht billige Reinigungskräfte.
Sie bieten auch Trainee-Programme für Universitätsabgängerinnen und ‑abgänger an. Arbeiten sie mit den Universitäten zusammen?
In der Schweiz dürfen wir unser Angebot bewerben. An vielen ausländischen Universitäten sind unsere Tierärztetrainings sehr willkommen: Wir dürfen dafür Räumlichkeiten der Universitäten benutzen und es werden Ausbildungspunkte an die absolvierenden Tierärzte gegeben.
Was brauchen Tierärztinnen und ‑ärzte denn nach dem Studium überhaupt noch?
An der Universität lernen sie viel Theorie. Nach dem Abschluss müssen sie sich die Praxis aneignen. An den Universitäten sind die Möglichkeiten für praktische Übungen beschränkt. Das liegt auch daran, dass in der Schweiz beispielsweise relativ wenige Kastrationen an Hunden und Katzen durchgeführt werden. Hier können wir mit unseren Kliniken in anderen Ländern die Möglichkeiten anbieten, Praxiserfahrung zu sammeln. Teilnehmende am Programm können so jeden Schritt begleitet trainieren.
Wie wirken sich die kulturellen Unterschiede auf Ihre Arbeit in den verschiedenen Ländern aus?
Stark – und es ist wichtig, diese zu berücksichtigen. Wenn wir ein Projekt in einem neuen Land aufbauen versuche ich auch gleich meine Ferien dort zu verbringen um die Kultur vor Ort möglichst gut kennen zu lernen. Ohne das geht es nicht. Man muss mit den Menschen vor Ort zusammenarbeiten. Wir müssen nach den Massstäben in diesem Land arbeiten. Dazu braucht es das Wissen um die Kultur und wie die Menschen funktionieren.
Sie sind in sehr unterschiedlichen Ländern aktiv. Ist Tierschutz nicht einfach ein Luxus?
Ich erlebe Tierschutz bei Personen, die sich gar nichts leisten können. Sie engagieren sich, auch wenn vielleicht wegen fehlendem Knowhow oder nicht vorhandenen finanziellen Möglichkeiten nicht alles klappt.
Wie können Sie helfen?
Bei unserem Soforthilfeprojekt für Arbeitspferde in Rumänien hatten wir mit Menschen zu tun, die praktisch kein Geld haben. Die Familie durchzubringen hat oberste Priorität. Dennoch können wir ihnen Knowhow in der Tierpflege beibringen, ihnen erklären, wie sie die Haltungsbedingungen verbessern. So wussten sie beispielsweise nicht, dass man die Zähne der Tiere regelmässig schleifen muss. Natürlich versuchen wir, bei diesen Projekten auch den Menschen, insbesondere den Kindern, direkt zu helfen.
Das Verständnis von Tierschutz ist breit. Es betrifft Nutz- oder Haustiere. Welche Rolle spielen Tiere in unserer Gesellschaft.
Selbst ein einzelner Mensch kann unterschiedliche Ansichten von Tierschutz haben. Wir haben eine ambivalente Beziehung zum Thema. Das Haustier erfreut einen. Es ist Familienmitglied. Im Idealfall wird es artgerecht gehalten. Im schlechteren Fall wird es nur zum Nutzen und zur Freude des Menschen gehalten – statt artgerecht. Und dann kann beim Nutztier trotzdem eine andere Auffassung von Tierschutz zeigen. Wir konsumieren viele tierische Produkte, ohne zu wissen, woher die Tiere stammen oder wie sie gehalten werden. Und ähnliches gilt beim Thema Tierversuche. Selbst wenn diese nicht in der Schweiz durchgeführt werden gelangen die Produkte, deren Entwicklung Tierleid ausgelöst hat, in der Schweiz in den Verkauf. Das können wir nicht totschweigen.
Wir haben im Tierschutzvollzug so viele Defizite, die kaum bekannt sind.
Susy Utzinger
Es gibt Diskussion um Menschen- resp. Grundrechte für Tiere. Macht das Sinn?
Ich würde es begrüssen, wenn schon nur der Tierschutz eingehalten wird. Wir haben im Tierschutzvollzug so viele Defizite, die kaum bekannt sind. Tiere haben heute noch nicht einmal die Tierrechte.
Das klingt wenig erfreulich?
Wir versuchen trotzdem immer positiv zu sein. Wir sind dankbar für alle Organisationen, die uns anfragen und dankbar für alle Spenden. So können wir überhaupt erst ganze Tierspitäler errichten und unterhalten. Es gibt so viel Positives und positive Erlebnisse in unserer Arbeit.
Hat sich Ihr Menschenbild mit all Ihrer Erfahrung und Ihren Erlebnissen verändert?
Ich habe die Hoffnung in die Menschheit nicht aufgegeben. Ich habe so viele wunderbare Menschen kennengelernt, die sich im Tierschutz engagieren. Die Menschen sind Verursacher, aber auch die Lösung. Ich bin dankbar, dass ich in so viele Kulturen Einblick erhalten konnte. Dabei habe ich gesehen, es sind nicht ganze Länder oder Kulturen schlecht in bezug auf den Tierschutz. Es gibt immer verschiedene Auffassungen, Lebenswege und Situationen, in denen Menschen unterschiedlich handeln.
Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen?
Damit unser Tierschutzgebäude nachhaltig wachsen kann ist es wichtig, dass die vier Pfeiler unserer Arbeit gleichmässig wachsen. Unsere vier Pfeiler sind Tierheim, Kastrationsaktionen, Aus- und Weiterbildung von Fachkräften und Aufklärung der Bevölkerung. Unsere Auffassung von Tierschutz ist es nicht Vorwürfe zu machen, sondern aufzuklären. Die Menschen müssen verstehen, dass Tierliebe alleine nicht reicht. Wir versuchen den Menschen den Zugang zu Informationen und Wissen zu vereinfachen.
Das Thema Nachhaltigkeit ist heute allgegenwärtig. Erleichtert das Ihre Arbeit?
Es ist unser Ziel, nachhaltig zu arbeiten. Allerdings ist es noch immer so, dass viele Spenderinnen und Spender nicht an einem nachhaltigen Tierschutz interessiert sind. Sie wollen lieber direkte Hilfe leisten. Sammeln wir Spenden für Kastrationen oder Weiterbildungen sind die Menschen zurückhaltender. Wenn andere Organisationen sich professionell im Tierschutz engagieren stört das keineswegs. Leider sind in letzter Zeit Organisationen aus dem Boden geschossen, die nicht professionell und nachhaltig arbeiten. Das Problem ist, jeder kann sich Tierschützer nennen, der schon einen Hund gestreichelt hat.