Heute hat an vielen Orten die Fasnacht begonnen. Stehen aus Sicht der Alkoholprävention Anlässe wie die Fasnacht speziell im Fokus?
Die anstehende Fasnachtszeit bedeutet für viele einen Ausbruch aus dem Alltag. Bunte Masken und dröhnende Laute gehören seit jeher zur Fasnacht wie opulente Essen und Trinkgelage. Wer das Fasnachtsfieber ohne Brummschädel erleben will, sollte jedoch auf ein Übermass an Alkohol verzichten. Auch Unfälle, Schlägereien oder Alkoholvergiftungen sind die Kehrseite grosser Feste. Die Fasnacht bietet daher Anlass, ein paar wichtige risikomindernde Massnahmen in Erinnerung zu rufen.
Welche wären dies?
Dazu zählen: Erstens, das Trinktempo selbst bestimmen. Erst nachschenken, wenn das Glas leer ist, sonst verliert man rasch den Überblick. Zweitens den Durst mit Alkoholfreiem löschen. Drittens gilt, wer fährt, trinkt nicht. Dieser Leitspruch gilt auch zur Narrenzeit. Und viertens: Allzu viel Alkohol kann lebensbedrohlich sein. Wer reglos daliegt, leidet womöglich an einer Alkoholvergiftung. Im Zweifelsfall sollten Personen im Umfeld die Sanität, Nr. 144, rufen oder den Transport in den Notfall ins Auge fassen.
Das Verhältnis zum Alkohol ist in unserer Gesellschaft ein zwiespältiges.
Monique Portner-Helfer, Mediensprecherin Sucht Schweiz
Hat Prävention am Anlass selbst überhaupt eine Chance, wahrgenommen zu werden?
Prävention ist vor allem auch dann wirksam, wenn bestehende Regeln eingehalten werden. So tragen Veranstalter viel Verantwortung. Die Fasnacht mag Grenzen sprengen, doch die Gesetze gelten weiterhin. Sucht Schweiz fordert, den Jugendschutz strikt einzuhalten und Präventionsmassnahmen umzusetzen. Dazu gehören erstens kein Alkohol an Minderjährige! Bier und Wein dürfen nicht an unter 16-Jährige abgegeben werden, Spirituosen, Aperitifs und Alcopops nicht an unter 18-Jährige. Das Schild mit den Altersgrenzen unterstützt das Servicepersonal, das zur Kontrolle einen Ausweis verlangen darf. Sucht Schweiz stellt solche Jugendschutz-Plakate kostenlos zur Verfügung. Zweitens fordert Sucht Schweiz, das Ausschankpersonal über die gesetzlichen Bestimmungen zu instruieren und es auf diese Aufgabe vorzubereiten. Drittens gilt, keinen Alkohol an Betrunkene ausschenken. Viertens: attraktive alkoholfreie Getränke anbieten und auf Alkoholwerbung verzichten und fünftens einen Taxiservice für eine sichere Heimkehr der Gäste ermöglichen.
Für viele Menschen gehört Alkohol zu einem Anlass wie der Fasnacht, er ist Teil des Feierns. Erhalten Sie auch negative Reaktionen auf Präventionsmassnahmen?
Bislang haben wir kaum je negative Rückmeldungen erhalten, wenn wir uns öffentlich für präventive oder risikomindernde Massnahmen ausgesprochen haben.
Es gibt immer mehr alkoholfreie Drinks. Mit Dry January gibt es eine Bewegung, um das Jahr alkoholfrei zu starten. Wirkt die Vermarktung von Trends zu einem alkoholfreien Leben stärker als Prävention oder sind sie die Folge einer erfolgreicher Präventionsarbeit?
Welchen Anteil die verschiedensten Präventionsansätze an einem solchen Abstinenz-Trends haben könnten, lässt sich nicht klar sagen. Der Dry January beispielsweise ist ein Projekt, das zu einem selbstkritischen Blick auf den eigenen Umgang mit Alkohol anregt. Er ist ein Präventionsprojekt mit einem Verhaltensvorschlag, der viele Menschen anspricht. Das Verhältnis zum Alkohol ist in unserer Gesellschaft ein zwiespältiges. Alkohol ist angepriesenes Kulturgut, ab dem jungen Erwachsenenalter ist der Konsum die Norm, Abstinenz hingegen, auch wenn scheinbar zunehmend im Trend, ist eher noch die Ausnahme. Wer an einem Apéro keinen Alkohol trinken möchte, muss sich oftmals erklären. Wer aber die Kontrolle über den Alkohol verliert, wird oft stigmatisiert und damit auch die Angehörigen.
In unserer Spendenkommunikation verweisen wir auf die unvermindert hohe Problemlast für die Gesellschaft, für betroffene Menschen und ihre Angehörigen.
Monique Portner-Helfer
Dennoch: Werden alkoholfreie Strömungen stärker?
Heute liest man immer häufiger Berichte von Menschen, die entschieden haben, auf Alkohol zu verzichten. Es scheint da einen Trend zu geben, aber es gibt noch keine neueren Zahlen, die dazu etwas aussagen könnten. Trendanalysen basierend auf den Daten der Schweizerischen Gesundheitsbefragung zeigen für die letzten 20 Jahre nur geringfügige Veränderungen in den Anteilen abstinent Lebender. Zwar stiegen die Anteile 2002 vorübergehend an, seit 2007 liegen sie jedoch ziemlich stabil bei etwas mehr als 20 Prozent und damit in etwa auf dem Niveau von 1992. Unterschiede in den Altersgruppen machen deutlich, dass unabhängig vom Befragungsjahr Befragte der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen sowie Befragte ab einem Alter von 75 Jahren häufiger abstinent lebten als die übrigen Altersgruppen. In der jüngsten Altersgruppe – bei den 15- bis 24-Jährigen – findet sich von 2012 bis 2017 ein deutlicher Anstieg im Anteil abstinent Lebender. Die Daten der letzten Befragung im Jahr 2022 werden den weiteren Verlauf zeigen.
Das gesellschaftliche Ansehen von Rauchen und Alkohol hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Welche Auswirkungen hatte dies auf Ihre Spendeneinnahmen?
Der Spendenmarkt ist heute generell hart umkämpft – eine Entwicklung, die wir seit längerer Zeit beobachten. Wie für viele andere Organisationen ist es für uns schwierig, neue Spenderinnen und Spender zu finden. In unserer Spendenkommunikation verweisen wir auf die unvermindert hohe Problemlast für die Gesellschaft, für betroffene Menschen und ihre Angehörigen. Die Politik ist gefordert, nun endlich zu handeln. Alkohol ist neben Tabak diejenige psychoaktive Substanz, die heute am meisten Schäden verursacht. Um dies zu ändern, muss das grenzenlose Marketing eingeschränkt, Billigalkohol verhindert und der Jugendschutz überall durchgesetzt werden. Hier fördern wir die gesellschaftliche Debatte in diesem Bereich. Wir entwickeln wissenschaftliche Erkenntnisse, die es erlauben, die zugrundeliegenden Probleme zu verstehen, ihnen vorzubeugen und angemessen zu begegnen. Und wir entwickeln Projekte der Prävention und Gesundheitsförderung.
Arbeiten Sie mit anderen gemeinnützigen Organisationen zusammen?
Es gibt laufend eine Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und viele projektbezogene Partnerschaften, gerade auch im Rahmen unseres politischen Engagements. So haben sich zahlreiche Nonprofit-Organisationen für das Anliegen der Volksinitiative «Kinder ohne Tabak» eingesetzt. Sucht Schweiz war Mitinitiantin und hat die Abstimmungskampagne geprägt.
Letzte Woche haben Sie das Schweizer Suchtpanorama 2023 publiziert. Gab es überraschende Erkenntnisse?
Das Schweizer Suchtpanorama nimmt alljährlich eine Standortbestimmung vor, liefert Fakten und stellt Massnahmen zur Problemverminderung zur Diskussion. In der diesjährigen Ausgabe weisen wir vor allem darauf hin, dass die Politik mit der Haltung der Bevölkerung nicht Schritt hält.
Können Sie konkrete Fälle nennen?
Mit dem klaren Ja zur Initiative «Kinder ohne Tabak» hat das Stimmvolk im letzten Jahr gezeigt, dass die Menschen genug von der Tabakwerbung haben. Und das Nein der Genossenschafterinnen und Genossenschafter zum Alkoholverkauf durch die Migros fiel ebenfalls sehr deutlich aus. Die Einstellung der Bevölkerung gegenüber Suchtmitteln wie Tabak und Alkohol wandelt sich und wird dem Marketing gegenüber kritischer. Doch im nationalen Parlament dominieren nach wie vor die Lobbies der Industrien. Sie verhindern den Volkswillen und verursachen damit Suchtprobleme. Sucht Schweiz fordert die Politik im Wahljahr dazu auf, den Willen der Bevölkerung endlich ernst zu nehmen.
Die Lobby für Präventionsanliegen müsste tatsächlich stärker sein.
Monique Portner-Helfer
Obwohl durch Alkoholmissbrauch ein volkswirtschaftlicher Schaden von 2,8 Milliarden Franken entsteht, stellen Sie einen Reformstau bei der Alkoholpolitik fest. Haben die Präventionsorganisationen eine zu schwache Lobby?
Die Lobby für Präventionsanliegen müsste tatsächlich stärker sein. Es scheint aber so, als dass die Bevölkerung mehr und mehr eine Regulierung der Substanzen nach den gesundheitlichen und gesellschaftlichen Schäden wünscht und die heutigen Regulierungen diesbezüglich als nicht adäquat ansieht. Offenbar ist es für breite Schichten nicht nachvollziehbar, warum beispielsweise Alkohol fast schon grenzenlos vermarktet werden darf und Cannabis gleichzeitig verboten ist. Konsequenterweise ist eine Kohärenz der Regulierungen anzustreben.
Was bedeutet dies für Alkohol oder Cannabis?
Was das für die einzelnen Substanzen heissen mag, muss noch genauer definiert werden. Dabei sollte es das Ziel sein, Probleme im Zusammenhang mit dem Konsum von psychoaktiven Substanzen und dem Verhalten mit Suchtpotenzial zu vermindern sowie die öffentliche Gesundheit ins Zentrum zu stellen. Strukturelle Prävention hat einen grossen Einfluss auf das Ausmass von Suchtproblemen. Im Wahljahr 2023 wird somit auch die Suchtpolitik zum Thema. Wählende, die sich für Suchtprobleme interessieren, sollten sicherstellen, dass sie ihre Stimme denjenigen Kandidierenden geben, die die Prävention ernst nehmen.