Monique Portner-Helfer, Mediensprecherin Sucht Schweiz, Bild: Olivier Wavre

Fasnacht: Sucht Schweiz setzt sich für risi­ko­min­dernde Mass­nah­men ein

Heute ist die Fasnacht vielerorts gestartet. Wie Prävention an Volksfesten wie der Fasnacht Wirkung zeigt, und weshalb Sucht Schweiz in ihrem Suchtpanorama darauf hinweist, dass die Politik mit der Haltung der Bevölkerung nicht Schritt hält, erklärt die Mediensprecherin Monique Portner- Helfer im Interview.

Heute hat an vielen Orten die Fasnacht begon­nen. Stehen aus Sicht der Alko­hol­prä­ven­tion Anlässe wie die Fasnacht spezi­ell im Fokus?

Die anste­hende Fasnachts­zeit bedeu­tet für viele einen Ausbruch aus dem Alltag. Bunte Masken und dröh­nende Laute gehö­ren seit jeher zur Fasnacht wie opulente Essen und Trink­ge­lage. Wer das Fasnachts­fie­ber ohne Brumm­schä­del erle­ben will, sollte jedoch auf ein Über­mass an Alko­hol ver­zichten. Auch Unfälle, Schlä­ge­reien oder Alko­hol­ver­gif­tun­gen sind die Kehr­seite gros­ser Feste. Die Fasnacht bietet daher Anlass, ein paar wich­tige risi­ko­min­dernde Mass­nah­men in Erin­ne­rung zu rufen.

Welche wären dies?

Dazu zählen: Erstens, das Trink­tempo selbst bestim­men. Erst nach­schen­ken, wenn das Glas leer ist, sonst verliert man rasch den Über­blick. Zwei­tens den Durst mit Alko­hol­freiem löschen. Drit­tens gilt, wer fährt, trinkt nicht. Dieser Leit­spruch gilt auch zur Narren­zeit. Und vier­tens: Allzu viel Alko­hol kann lebens­be­droh­lich sein. Wer reglos daliegt, leidet womög­lich an einer Alko­hol­ver­gif­tung. Im Zwei­fels­fall soll­ten Perso­nen im Umfeld die Sani­tät, Nr. 144, rufen oder den Trans­port in den Notfall ins Auge fassen.

Das Verhält­nis zum Alko­hol ist in unse­rer Gesell­schaft ein zwiespältiges.

Moni­que Port­ner-Helfer, Medi­en­spre­che­rin Sucht Schweiz

Hat Präven­tion am Anlass selbst über­haupt eine Chance, wahr­ge­nom­men zu werden?

Präven­tion ist vor allem auch dann wirk­sam, wenn bestehende Regeln einge­hal­ten werden. So tragen Veran­stal­ter viel Verant­wor­tung. Die Fasnacht mag Gren­zen spren­gen, doch die Gesetze gelten weiter­hin. Sucht Schweiz fordert, den Jugend­schutz strikt einzu­hal­ten und Präven­ti­ons­mass­nah­men umzu­set­zen. Dazu gehö­ren erstens kein Alko­hol an Minder­jäh­rige! Bier und Wein dürfen nicht an unter 16-Jährige abge­ge­ben werden, Spiri­tuo­sen, Aperi­tifs und Alco­pops nicht an unter 18-Jährige. Das Schild mit den Alters­gren­zen unter­stützt das Service­per­so­nal, das zur Kontrolle einen Ausweis verlan­gen darf. Sucht Schweiz stellt solche Jugend­schutz-Plakate kosten­los zur Verfü­gung. Zwei­tens fordert Sucht Schweiz, das Ausschank­per­so­nal über die gesetz­li­chen Bestim­mun­gen zu instru­ie­ren und es auf diese Aufgabe vorzu­be­rei­ten. Drit­tens gilt, keinen Alko­hol an Betrun­kene ausschen­ken. Vier­tens: attrak­tive alko­hol­freie Getränke anbie­ten und auf Alko­hol­wer­bung verzich­ten und fünf­tens einen Taxi­ser­vice für eine sichere Heim­kehr der Gäste ermöglichen.

Für viele Menschen gehört Alko­hol zu einem Anlass wie der Fasnacht, er ist Teil des Feierns. Erhal­ten Sie auch nega­tive Reak­tio­nen auf Präventionsmassnahmen?

Bislang haben wir kaum je nega­tive Rück­mel­dun­gen erhal­ten, wenn wir uns öffent­lich für präven­tive oder risi­ko­min­dernde Mass­nah­men ausge­spro­chen haben.

Es gibt immer mehr alko­hol­freie Drinks. Mit Dry Janu­ary gibt es eine Bewe­gung, um das Jahr alko­hol­frei zu star­ten. Wirkt die Vermark­tung von Trends zu einem alko­hol­freien Leben stär­ker als Präven­tion oder sind sie die Folge einer erfolg­rei­cher Präven­ti­ons­ar­beit?

Welchen Anteil die verschie­dens­ten Präven­ti­ons­an­sätze an einem solchen Absti­nenz-Trends haben könn­ten, lässt sich nicht klar sagen. Der Dry Janu­ary beispiels­weise ist ein Projekt, das zu einem selbst­kri­ti­schen Blick auf den eige­nen Umgang mit Alko­hol anregt. Er ist ein Präven­ti­ons­pro­jekt mit einem Verhal­tens­vor­schlag, der viele Menschen anspricht. Das Verhält­nis zum Alko­hol ist in unse­rer Gesell­schaft ein zwie­späl­ti­ges. Alko­hol ist ange­prie­se­nes Kultur­gut, ab dem jungen Erwach­se­nen­al­ter ist der Konsum die Norm, Absti­nenz hinge­gen, auch wenn schein­bar zuneh­mend im Trend, ist eher noch die Ausnahme. Wer an einem Apéro keinen Alko­hol trin­ken möchte, muss sich oftmals erklä­ren. Wer aber die Kontrolle über den Alko­hol verliert, wird oft stig­ma­ti­siert und damit auch die Angehörigen.

In unse­rer Spen­den­kom­mu­ni­ka­tion verwei­sen wir auf die unver­min­dert hohe Problem­last für die Gesell­schaft, für betrof­fene Menschen und ihre Angehörigen.

Moni­que Portner-Helfer

Dennoch: Werden alko­hol­freie Strö­mun­gen stärker?

Heute liest man immer häufi­ger Berichte von Menschen, die entschie­den haben, auf Alko­hol zu verzich­ten. Es scheint da einen Trend zu geben, aber es gibt noch keine neue­ren Zahlen, die dazu etwas aussa­gen könn­ten. Trend­ana­ly­sen basie­rend auf den Daten der Schwei­ze­ri­schen Gesund­heits­be­fra­gung zeigen für die letz­ten 20 Jahre nur gering­fü­gige Verän­de­run­gen in den Antei­len absti­nent Leben­der. Zwar stie­gen die Anteile 2002 vorüber­ge­hend an, seit 2007 liegen sie jedoch ziem­lich stabil bei etwas mehr als 20 Prozent und damit in etwa auf dem Niveau von 1992. Unter­schiede in den Alters­grup­pen machen deut­lich, dass unab­hän­gig vom Befra­gungs­jahr Befragte der Alters­gruppe der 15- bis 24-Jähri­gen sowie Befragte ab einem Alter von 75 Jahren häufi­ger absti­nent lebten als die übri­gen Alters­grup­pen. In der jüngs­ten Alters­gruppe – bei den 15- bis 24-Jähri­gen – findet sich von 2012 bis 2017 ein deut­li­cher Anstieg im Anteil absti­nent Leben­der. Die Daten der letz­ten Befra­gung im Jahr 2022 werden den weite­ren Verlauf zeigen. 

Das gesell­schaft­li­che Anse­hen von Rauchen und Alko­hol hat sich in den vergan­ge­nen Jahren verän­dert. Welche Auswir­kun­gen hatte dies auf Ihre Spendeneinnahmen?

Der Spen­den­markt ist heute gene­rell hart umkämpft – eine Entwick­lung, die wir seit länge­rer Zeit beob­ach­ten. Wie für viele andere Orga­ni­sa­tio­nen ist es für uns schwie­rig, neue Spen­de­rin­nen und Spen­der zu finden. In unse­rer Spen­den­kom­mu­ni­ka­tion verwei­sen wir auf die unver­min­dert hohe Problem­last für die Gesell­schaft, für betrof­fene Menschen und ihre Ange­hö­ri­gen. Die Poli­tik ist gefor­dert, nun endlich zu handeln. Alko­hol ist neben Tabak dieje­nige psycho­ak­tive Substanz, die heute am meis­ten Schä­den verur­sacht. Um dies zu ändern, muss das gren­zen­lose Marke­ting einge­schränkt, Billi­g­al­ko­hol verhin­dert und der Jugend­schutz über­all durch­ge­setzt werden. Hier fördern wir die gesell­schaft­li­che Debatte in diesem Bereich. Wir entwi­ckeln wissen­schaft­li­che Erkennt­nisse, die es erlau­ben, die zugrun­de­lie­gen­den Probleme zu verste­hen, ihnen vorzu­beu­gen und ange­mes­sen zu begeg­nen. Und wir entwi­ckeln Projekte der Präven­tion und Gesundheitsförderung.

Arbei­ten Sie mit ande­ren gemein­nüt­zi­gen Orga­ni­sa­tio­nen zusammen?

Es gibt laufend eine Zusam­men­ar­beit mit ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen und viele projekt­be­zo­gene Part­ner­schaf­ten, gerade auch im Rahmen unse­res poli­ti­schen Enga­ge­ments. So haben sich zahl­rei­che Nonpro­fit-Orga­ni­sa­tio­nen für das Anlie­gen der Volks­in­itia­tive «Kinder ohne Tabak» einge­setzt. Sucht Schweiz war Mitin­iti­an­tin und hat die Abstim­mungs­kam­pa­gne geprägt.

Letzte Woche haben Sie das Schwei­zer Sucht­pan­orama 2023 publi­ziert. Gab es über­ra­schende Erkenntnisse?

Das Schwei­zer Sucht­pan­orama nimmt alljähr­lich eine Stand­ort­be­stim­mung vor, liefert Fakten und stellt Mass­nah­men zur Problem­ver­min­de­rung zur Diskus­sion. In der dies­jäh­ri­gen Ausgabe weisen wir vor allem darauf hin, dass die Poli­tik mit der Haltung der Bevöl­ke­rung nicht Schritt hält.

Können Sie konkrete Fälle nennen?

Mit dem klaren Ja zur Initia­tive «Kinder ohne Tabak» hat das Stimm­volk im letz­ten Jahr gezeigt, dass die Menschen genug von der Tabak­wer­bung haben. Und das Nein der Genos­sen­schaf­te­rin­nen und Genos­sen­schaf­ter zum Alko­hol­ver­kauf durch die Migros fiel eben­falls sehr deut­lich aus. Die Einstel­lung der Bevöl­ke­rung gegen­über Sucht­mit­teln wie Tabak und Alko­hol wandelt sich und wird dem Marke­ting gegen­über kriti­scher. Doch im natio­na­len Parla­ment domi­nie­ren nach wie vor die Lobbies der Indus­trien. Sie verhin­dern den Volks­wil­len und verur­sa­chen damit Sucht­pro­bleme. Sucht Schweiz fordert die Poli­tik im Wahl­jahr dazu auf, den Willen der Bevöl­ke­rung endlich ernst zu nehmen.

Die Lobby für Präven­ti­ons­an­lie­gen müsste tatsäch­lich stär­ker sein.

Moni­que Portner-Helfer

Obwohl durch Alko­hol­miss­brauch ein volks­wirt­schaft­li­cher Scha­den von 2,8 Milli­ar­den Fran­ken entsteht, stel­len Sie einen Reform­stau bei der Alko­hol­po­li­tik fest. Haben die Präven­ti­ons­or­ga­ni­sa­tio­nen eine zu schwa­che Lobby?

Die Lobby für Präven­ti­ons­an­lie­gen müsste tatsäch­lich stär­ker sein. Es scheint aber so, als dass die Bevöl­ke­rung mehr und mehr eine Regu­lie­rung der Substan­zen nach den gesund­heit­li­chen und gesell­schaft­li­chen Schä­den wünscht und die heuti­gen Regu­lie­run­gen dies­be­züg­lich als nicht adäquat ansieht. Offen­bar ist es für breite Schich­ten nicht nach­voll­zieh­bar, warum beispiels­weise Alko­hol fast schon gren­zen­los vermark­tet werden darf und Canna­bis gleich­zei­tig verbo­ten ist. Konse­quen­ter­weise ist eine Kohä­renz der Regu­lie­run­gen anzustreben.

Was bedeu­tet dies für Alko­hol oder Cannabis?

Was das für die einzel­nen Substan­zen heis­sen mag, muss noch genauer defi­niert werden. Dabei sollte es das Ziel sein, Probleme im Zusam­men­hang mit dem Konsum von psycho­ak­ti­ven Substan­zen und dem Verhal­ten mit Sucht­po­ten­zial zu vermin­dern sowie die öffent­li­che Gesund­heit ins Zentrum zu stel­len. Struk­tu­relle Präven­tion hat einen gros­sen Einfluss auf das Ausmass von Sucht­pro­ble­men. Im Wahl­jahr 2023 wird somit auch die Sucht­po­li­tik zum Thema. Wählende, die sich für Sucht­pro­bleme inter­es­sie­ren, soll­ten sicher­stel­len, dass sie ihre Stimme denje­ni­gen Kandi­die­ren­den geben, die die Präven­tion ernst nehmen.

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