Seit 2010 untersucht Pro Senectute Schweiz alle fünf Jahre die digitale Teilhabe älterer Menschen. Die Onlinenutzung von Menschen über 65 ist seither von 38 Prozent auf 89 Prozent gestiegen. Erwarten Sie, dass dieser Anteil weiter steigt und in fünf Jahren praktisch alle digital unterwegs sein werden?
Ich gehe davon aus, dass in den nächsten fünf Jahren noch mehr Menschen ab 65 Jahren das Internet regelmässig nutzen werden. Der Trend zur Digitalisierung hat auch diese Altersgruppe erreicht und wir beobachten eine stetig wachsende Offenheit gegenüber digitalen Angeboten. Gleichzeitig dürfen wir nicht übersehen, dass die technische Entwicklung in rasantem Tempo weiter voranschreitet, beispielsweise im Bereich der Künstlichen Intelligenz oder der digitalen Assistenzsysteme. Das bedeutet: Auch wenn künftig die Mehrheit der älteren Menschen online ist, wird der Umgang mit neuen, komplexeren Technologien für viele eine Herausforderung bleiben. Deshalb sind und bleiben digitale Kompetenzen in allen Altersgruppen ein zentrales Thema. Nur so können wir eine inklusive digitale Gesellschaft gestalten, in der niemand aufgrund fehlender Kenntnisse abgehängt wird.
Auch wenn künftig die Mehrheit der älteren Menschen online ist, wird der Umgang mit neuen, komplexeren Technologien für viele eine Herausforderung bleiben.
Alexander Seifert, Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW
Während Senior:innen digitale Geräte häufiger nutzen als vor fünf und zehn Jahren sinkt die Nutzung von Computern auf den Wert von 2010. Hat Sie das überrascht und wie erklären Sie das?
Das hat mich ehrlich gesagt weniger überrascht. Seit Jahren beobachten wir einen klaren Trend: Der stationäre Computer wird zunehmend durch mobile Endgeräte wie Smartphones, Laptops oder Tablets ersetzt – und das gilt auch für ältere Menschen. Für viele ist es einfacher, sich in ein intuitiv bedienbares Gerät wie ein Tablet einzuarbeiten, als ein komplexes Betriebssystem auf einem klassischen Desktop-Computer zu erlernen. Ausserdem ist es heute nicht mehr zwingend erforderlich, einen stationären Computer zu besitzen. Viele alltägliche Aufgaben wie Online-Banking, Reisebuchungen oder Videotelefonie lassen sich bequem und sicher über mobile Geräte erledigen.
Email und Infosuche führen die Rangliste der häufigsten Internetanwendungen an, Verkauf liegt am Ende. Unterscheidet sich die Internetnutzung der Senior:innen von jener jüngerer Menschen?
Ja, die Internetnutzung unterscheidet sich deutlich zwischen den verschiedenen Generationen. Während E‑Mails und die gezielte Informationssuche bei Personen ab 65 Jahren – wie bei den jüngeren Schweizer:innen – zu den am häufigsten genutzten Anwendungen zählen, zeigen sich Unterschiede vor allem in den Bereichen Online-Handel, Unterhaltung und soziale Medien. Jüngere Menschen – insbesondere im Alter zwischen 18 und 30 Jahren – nutzen das Internet deutlich häufiger für den Kauf und Verkauf von Waren, für On-Demand-Angebote wie Streamingdienste, Mediatheken oder Musikplattformen sowie für soziale Netzwerke wie Instagram. Diese Angebote sind oft stärker in den Alltag jüngerer Menschen integriert, während ältere Nutzer:innen tendenziell selektiver online sind.
Der geringere Anteil an Internetnutzer:innen im sehr hohen Alter – etwa ab 85 Jahren – lässt sich vor allem damit erklären, dass viele dieser Menschen während ihres Berufslebens kaum oder gar nicht mit digitalen Technologien wie dem Internet in Kontakt gekommen sind.
Je älter die Menschen sind, um so tiefer ist der Anteil jener, die das Internet nutzen. Sinkt der Anteil, weil die Menschen mit dem Alter aufhören, diese Technologie zu nutzen oder ist er tiefer, weil bei den älteren Senior:innen der Anteil jener grösser ist, die bereits im Beruf gar nie digital unterwegs waren?
Der geringere Anteil an Internetnutzer:innen im sehr hohen Alter – etwa ab 85 Jahren – lässt sich vor allem damit erklären, dass viele dieser Menschen während ihres Berufslebens kaum oder gar nicht mit digitalen Technologien wie dem Internet in Kontakt gekommen sind. Die Digitalisierung setzte in vielen Berufsfeldern erst später ein, sodass diese Generation schlicht weniger Berührungspunkte mit digitalen Medien hatte. Einige haben sich im höheren Alter dennoch digitale Kompetenzen angeeignet, aber das trifft nicht auf alle zu. Hinzu kommt eine persönliche Abwägung: Wer ein erfülltes soziales Leben führt und beispielsweise regelmässig Freund:innen vor Ort im Verein trifft, stellt sich möglicherweise die Frage, wozu zusätzlich digitale Kommunikation notwendig ist. Die Entscheidung, das Internet nicht zu nutzen, ist also oft auch Ausdruck einer bewussten Lebensgestaltung und nicht nur ein Zeichen von technischer Überforderung.
Die Entscheidung, das Internet nicht zu nutzen, ist also oft auch Ausdruck einer bewussten Lebensgestaltung und nicht nur ein Zeichen von technischer Überforderung.
Wie offen sind ältere Menschen für neue Technologien?
Grundsätzlich sind auch ältere Menschen offen für neue Technologien, denn Offenheit ist keine Frage des Alters. Natürlich gibt es in jeder Altersgruppe Menschen, die neuen Entwicklungen skeptisch gegenüberstehen. Bei Jüngeren spielt häufig der berufliche Kontext eine Rolle, in dem ein gewisser Druck besteht, sich mit den neuesten Technologien auseinanderzusetzen. Im höheren Alter hingegen besteht mehr Freiheit in der Auswahl. Hier entscheidet oft der konkrete persönliche Nutzen. Eine neue Technologie muss also durch ihren Mehrwert überzeugen und nicht allein durch ihre Neuheit. Gleichzeitig wird deutlich: Digitale Kompetenzen entwickeln sich zunehmend zu einer lebenslangen Lernaufgabe. Deshalb ist es wichtig, alle Altersgruppen – auch im hohen Alter – in der digitalen Bildung zu berücksichtigen und gezielt zu unterstützen.
Es geht also nicht nur um Technik, sondern vor allem um Begleitung und Vertrauen.
Was hindert sie daran, neue Kanäle zu nutzen?
Für viele ältere Menschen ist es nicht selbstverständlich, neue digitale Kanäle einfach zu übernehmen. Oft fehlt ein klar erkennbarer Mehrwert. Wenn beispielsweise deutlich wird, dass man durch eine Videoverbindung nicht nur mit der Enkelin in England telefonieren, sondern sie auch sehen kann, steigt die Motivation zur Nutzung einer Videotelefonie erheblich. Gleichzeitig mangelt es häufig an Informationen und konkreten Einblicken in die Vorteile technischer Lösungen. Wenn niemand zeigt, wie etwas funktioniert und wozu es gut ist, bleibt der Zugang abstrakt. Zudem ist verlässlicher Support wichtig, also Personen, an die man sich bei Fragen wenden kann. Ohne diese Unterstützung bleiben viele digitale Kanäle schwer zugänglich und damit auch weniger interessant. Es geht also nicht nur um Technik, sondern vor allem um Begleitung und Vertrauen.