Ende Februar 2019 hat der Bundesrat vorgeschlagen, gemeinnützige Stiftungen und Vereine dem Automatischen Informationsaustausch in Steuersachen (AIA) zu unterstellen resp. die bestehende Ausnahmeregelung aufzuheben. Am 20. November 2019 gab er dann bekannt, die Ausnahmeregelung beizubehalten. Zahlreiche Vernehmlassungsteilnehmende, insbesondere die Verbände proFonds und SwissFoundations hatten die Aufhebung der Ausnahmeregelung klar abgelehnt.
The Philanthropist: Herr Degen, in Ihrer Medienmitteilung vom 20. November 2019 schreiben Sie: «Gefahr vorerst abgewendet». Weshalb vorerst?
Christoph Degen: Vorerst bedeutet, der Bundesrat hat nach Abschluss und Auswertung der Vernehmlassungen begriffen, dass die Unterstellung von gemeinnützigen Stiftungen und Vereinen unter den AIA ein innenpolitisches «No-Go» ist. Gewichtige politische Parteien, Verbände und diverse Gemeinwesen haben sich klar dagegen geäussert. Deshalb hat er entschieden, die Aufhebung vorerst nicht weiterzuverfolgen.
TP: Sehen Sie die Gefahr, dass diese Ausnahmeregelung doch noch fällt?
CD: Die OECD dürfte weiterhin Druck auf den Bundesrat ausüben. Dieser kann versuchen, gemeinsam mit anderen Ländern in gleicher Situation, die OECD zu überzeugen, die eigenen Rechtsgrundlagen zu ändern: die sogenannten Common Reporting Standards. Sollte es gelingen, eine ausdrückliche Ausnahme für Stiftungen und Vereine in diesen zu verankern, wäre das Thema definitiv vom Tisch.
TP: Andere Länder, welche sind das?
CD: Deutschland ist ein sehr gewichtiger Verbündeter der Schweiz. Deutschland nimmt gemeinnützige Stiftungen und Vereine ebenfalls vom AIA aus. Unser Nachbar wurde von der OECD offenbar noch nicht ins Visier genommen, unterstützt uns aber im Hinblick auf die eigenen Ausnahmebestimmungen mit der Aufnahme einer ausdrückliche Ausnahme vom AIA in den Common Reporting Standards. Denn Ziel des AIA ist die Bekämpfung von Steuerhinterziehung auf internationaler Ebene. Gemeinsam müssen die beiden Staaten also aufzeigen, dass sich weder Schweizer noch Deutsche Stiftungen strukturell für Steuerhinterziehung eignen. Wenn es aber gar keine Möglichkeit gibt, Steuern zu hinterziehen, wäre die AIA-Unterstellung für nichts und wieder nichts. Reine l’art pour l’art.
TP: Gibt es noch andere Wege?
CD: Ja, proFonds hat angestossen, die Ausnahme vom AIA auf Gesetzesstufe zu verankern. Der vormalige Nationalrat Hans-Ulrich Bigler hat diese Forderung in der vergangenen Legislatur als Motion eingereicht. Der Bundesrat soll beauftragt werden, dem Parlament die Regelung der Ausnahme auf Gesetzesstufe zu unterbreiten. Bis anhin war die AIA-Ausnahme für Stiftungen und Vereine auf Verordnungsstufe und damit von der Regierung erlassen worden.
TP: Ist die Motion bereits überwiesen?
CD: Die Motion Bigler ist in Behandlung und noch nicht überwiesen.
TP: Was hätte die AIA-Unterstellung zur Folge, sollten alle Stricke reissen?
CD: Primär grosse administrative Umtriebe mit empfindlichen Kostenfolgen. Der Bundesrat rechnet mit einmaligen Einführungskosten zwischen 5’000 und 10’000 Franken sowie jährlich wiederkehrenden Kosten in der gleichen Höhe. Bei meiner eigenen kleinen Stiftung «Laurenz für das Kind» mit jährlichen Vergabungen von 30’000 bis 40’000 Franken würden damit 5’000 bis 10’000 Franken zur Erfüllung des gemeinnützigen Zwecks wegfallen. Dies ist schlicht inakzeptabel.
TP: Unabhängig vom politischen Entscheid: Stiftungen stehen in der Kritik, Gelder am Fiskus vorbeizuschleusen. Wäre Transparenz nicht etwas, das im ureigensten Interesse von Stiftungen sein müsste
CD: Dass Gelder am Fiskus vorbeigeschleust werden, trifft nicht zu. Der Stifter, die Stifterin widmet das gestiftete Vermögen unwiderruflich dem gemeinnützigen Zweck. Er oder sie können es nicht mehr zurücknehmen. Es wäre aber aus anderen Gründen sicher wünschenswert, Stiftungen würden mehr darüber berichten, was sie tun für Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft, Soziales und Umwelt. Viele Stiftungen treten nicht oder nur sehr wenig in Erscheinung, damit sie nicht noch mehr Gesuche erhalten, die sie ohne professionelle Geschäftsstelle nicht bewältigen können. Mit klarer transparenter Kommunikation würden viele unpassende Gesuche wegfallen. Allerdings sind wir hier im privaten Bereich. Es steht damit ausschliesslich der Stiftung zu, zu entscheiden, ob und wie sie in Erscheinung treten will. Selbstverständlich besteht eine Transparenzpflicht gegenüber den Aufsichts- und den Steuerbehörden.
TP: Neben der Vernehmlassung zum AIA gab es auch erfreuliche Nachrichten für Sie. Die parlamentarische Initiative Luginbühl wurde in die Vernehmlassung geschickt. Sie haben aktiv bei der Identifizierung und Ausarbeitung der Anliegen dieser Initiative zur Stärkung des Stiftungsstandorts Schweiz mitgewirkt.
CD: Die parlamentarische Gruppe Philanthropie und Stiftungen unter der damaligen Leitung von alt-Ständerat Werner Luginbühl und alt-Nationalrat Fulvio Pelli (Präsidium) und bestehend aus allen Bundesratsparteien hat eine Expertengruppe mit der Aufgabe beauftragt, zu überlegen, wie der Stiftungs-Standort Schweiz weiter gestärkt werden könnte.
TP: Welches sind die Kernanliegen und wird eine Totalrevision des Stiftungsrechts angestrebt?
CD: In keiner Art und Weise. Das Stiftungsrecht ist bewährt und gut. Es geht um gezielte, einzelne Verbesserungen. Für reale Bedürfnisse und Herausforderungen sind praktikable Lösungen vorgesehen. Acht Punkte sollen angepasst werden. Diese Massnahmen wurden durch die parlamentarische Gruppe Philanthropie realpolitisch geprüft und bilden heute Gegenstand der parlamentarischen Initiative Luginbühl.
TP: Könnten diese Punkte nicht durch die Behörden- bzw. Gerichtspraxis angepackt werden?
CD: Die Expertengruppe ist zutiefst überzeugt, dass es dazu den Gesetzgeber braucht. Einige vorgeschlagene Lösungen benötigen zwingend eine gesetzliche Grundlage. In anderen Fällen ist das Problem seit Jahren bekannt, die Behörden bzw. Gerichte haben es aber nicht gelöst und ihre Praxis eben nicht geändert.
TP: Haben Sie ein Beispiel?
CD: Ein Punkt betrifft die angemessene Honorierung von Stiftungsrats- oder Vereinsvorstandsmitgliedern. Bei vielen kantonalen Steuerverwaltungen ist die Ehrenamtlichkeit der Organe nach wie vor Voraussetzung für die Steuerbefreiung. Spesenersatz ist erlaubt, Honorare dürfen keine ausbezahlt werden. So wird zum Teil sogar verlangt, die Ehrenamtlichkeit ausdrücklich in die Stiftungsstatuten aufzunehmen. Die Ehrenamtlichkeit der Organe ist steuerrechtlich jedoch nicht vorgesehen. Lediglich die Stiftung darf keine Erwerbs- und Selbsthilfezwecke verfolgen.
TP: Findet man genügend freiwillige Stiftungsrätinnen und ‑räte für die zeitintensiven Ämter?
CD: Schweizweit braucht es rund 70’000 Personen für Stiftungsrats-Mandate und rund 600’000 für Vereinsvorstände. Es wird immer schwieriger, Organmitglieder auf ehrenamtlicher Basis zu finden. Ich bin der Meinung, die strategischen Leitungsorgane sollten, sowohl bei Stiftungen als auch bei Vereinen, auf der Höhe ihrer Aufgabe sein. Längst nicht alle können es sich leisten, gratis zu arbeiten. Entsprechend sollten diese Personen adäquat honoriert werden können – nicht müssen, aber können. Die strategischen Leitungsorgane tragen grosse Verantwortung. Sie haften voll mit ihrem Privatvermögen und können heute auch für leichte Fahrlässigkeit vor Gericht gezogen werden.
TP: Das heisst, auch bei einem Ehrenamt kann man zur Kasse gebeten werden?
CD: Ja, das ist so. Und das möchten wir ändern: Bei Ehrenamtlichkeit soll die Haftung für leichte Fahrlässigkeit ausgeschlossen werden. Wenn jedoch den Stiftungsräten und Vorständen Honorare bezahlt werden, soll weiterhin auch für leichte Fahrlässigkeit gehaftet werden.
Wenn es keine Möglichkeit gibt, Steuern zu hinterziehen, wäre diese Umstellung für nichts.
Christoph Degen
TP: Das hört sich nach vernünftigen Forderungen an …
CD: … unsere Erfahrung zeigt, dass viele Steuerverwaltungen nicht von ihrer Praxis abweichen. In den Praxis-Hinweisen der Schweizerischen Steuerkonferenz wird das Dogma der Ehrenamtlichkeit sogar zementiert. Aber es kann doch nicht sein, dass bei der Honorierung der nötigen kompetenten Organmitglieder die Steuerverwaltungen die Steuerbefreiung entziehen. Dieses Handeln beruht auf einem Irrtum. Gemeinnützig muss die Organisation als solches sein, nicht das einzelne Organmitglied.
TP: Sie verlangen eine gesetzliche Verankerung?
CD: Genau, die Bezahlung angemessener Honorare darf kein Grund mehr sein, die Steuerbefreiung zu verweigern oder gar zu entziehen. Deshalb ist die Überzeugung des Expertengremiums und der ständerätlichen Rechtskommission klar: Hier wird der Gesetzgeber benötigt.
TP: Wie geht es zeitlich weiter?
CD: Der Gesetzesentwurf ist nun in der Vernehmlassung bis am 13 . März 2020. Anschliessend werden die Vernehmlassungsantworten ausgewertet und die Vorlage kommt wieder ins Parlament.
TP: Gibt es in den kommenden Jahren bestimmte Entwicklungen in Bezug auf den Stiftungssektor zu beachten?
CD: In den kommenden Jahrzehnten werden gigantische Vermögen vererbt werden. Die Erbenden sind oft schon in einem Alter, in dem sie die ererbten Summen nicht mehr – gänzlich – für sich brauchen. proFonds ist es ein grosses Anliegen, dass ein substantieller Teil dieser enormen Vermögen für gemeinnützige Spenden oder Stiftungsgründungen eingesetzt werden.
TP: Können Sie einen Betrag nennen?
CD: Heute geht man von Vermögen von gegen 100 Milliarden Franken aus, Tendenz steigend.
TP: Welche Massnahmen sehen Sie?
CD: Es sollten Anreize wie steuerliche Sonderabzüge für Spenden und Stiftungen aus ererbtem Geld geschaffen werden. D.h. die bestehende Begrenzung des Spendenabzugs auf 20% des Einkommens des Spenders soll aufgehoben werden. Auch solche Sonderabzüge gibt es nur auf dem Weg einer Gesetzesänderung. Meine Botschaft lautet: Es besteht für eine effektive Umsetzung der parlamentarischen Initiative Luginbühl ein klarer gesetzlicher Handlungsbedarf. Alles andere ist eine Verkennung der Tatsachen und der Rechtslage.
Zusammensetzung der Expertengruppe, parlamentarische Initiative Luginbühl:Prof. Dr. Georg von Schnurbein, CEPS; Dominik Jakob, Uni Zürich; Hans Lichtsteiner, VMI Uni Fribourg; Dr. Christoph Degen, proFonds
Christoph Degen ist seit 1990 Geschäftsführer von proFonds, dem Dachverband gemeinnütziger Stiftungen der Schweiz. Er ist als Anwalt bei der Dufour Advokatur tätig. Zudem unterrichtet er als Dozent am Center for Philanthropy Studies CEPS an der Uni Basel und am Verbandsmanagement Institut der Uni Fribourg. Er ist in diversen Stiftungsräten engagiert und hat mit seiner Frau die Stiftung Laurenz für das Kind gegründet. www.profonds.org