Blogbeitrag von Lisa von Zobeltitz
Von Gaza, über Somalia bis Simbabwe, die Zahl der weltweit Hungernden und der potenziell Verhungernden steigt seit Wochen rasant an, ein Ende ist nicht in Sicht. Ein im Juli veröffentlichter Bericht der United Nations wird konkret und beschreibt, dass 2023 rund 733 Millionen Menschen Hunger litten, und damit der Hunger in der Welt weiter zugenommen hat. Die Konsequenz: NGOs – wie auch die, für die ich arbeite – fokussieren sich derzeit, und wieder einmal, auf die «Hungerbekämpfung». Eine Frage, die ich in dem Kontext nicht selten höre: Lohnt es sich überhaupt «gegen Hunger» zu spenden?
Hunger als Dauerthema
Entweder wird diese Frage begleitet von einem resigniertem Schulterzucken oder anklagend hoch gezogenen Augenbrauen. Ich verstehe den Hintergrund der Frage, und ihre Konnotation: Wirft man einen Blick auf die Medienberichterstattung, scheint der Mangel an so vielen Orten der Welt nie zu enden. Scheint der Hunger zum Dauerthema zu avancieren – dessen man manchmal auch überdrüssig werden kann. Hinzu kommt, dass es viele Organisationen gibt, die sich offenkundig eben dieses Missstandes annehmen wollen. Möchte man das Schulterzucken und die hoch gezogenen Augenbrauen in Fragen übersetzen, könnten diese lauten: Warum schaffen wir es nicht, trotz millionenfacher Anstrengung, eine Lösung für den globalen Dauerbrenner Hunger zu etablieren? Und wenn es keine Lösung gibt – warum überhaupt für diesen Zweck spenden?
Doch wann kommt es zu Hungerkrisen? Ein Blick in die (neuere) Geschichte zeigt: Hunger ist oftmals die Folge von Kriegen und Vertreibungen, des fortschreitenden Klimawandels oder die Folge von wirtschaftlichem Druck. Kurz: Dass im 21. Jahrhundert rund 733 Millionen Menschen auf dieser Welt Hunger leiden, dass jährlich rund 5 Millionen Kleinkinder an Mangelernährung sterben, ist am Ende vor allem uns selbst zuzuschreiben. Und dem Bedürfnis, sich über so vieles und so viele zu erheben, trotz der Kollateralschäden.
Ein trauriger Evergreen
Doch die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Mensch ändert, damit sich wiederum strukturell etwas verbessert, liegt optimistisch im Promille-Bereich. Vielmehr trifft es das Zitat «Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf» auf den Punkt. Dieses wird gerne dem Philosophem Thomas Hobbes zugeschrieben, kann aber auch schon viel früher und bei anderen Zeitgeistern gefunden werden: bei Plautus, Plinius dem Älteren, Rabelais, Montaigne … Sie alle beschreiben in Prosa, Lyrik oder philosophischen Abhandlungen, dass die Menschen untereinander zu Schlimmsten fähig sind. Das Thema ist ein trauriger Evergreen.
Es ist jedoch auch bemerkenswert, dass fast immer verkürzt zitiert wird. Denn das oft vergessene Gegenstück besagt, dass «der Mensch dem Menschen [auch] ein Gott» ist. Dies ist nicht an einen christlichen Kontext gebunden, sondern bedeutet übersetzt in unsere säkulare Zeit, dass der Mensch neben dem Schlimmsten auch befähigt ist, Gutes zu tun, Solidarität und Liebe walten zu lassen. Dieser Zweiklang beschreibt die uns ureigene Ambivalenz, die wir als Gesamtheit und, mit einem Blick auf unsere Geschichte, wohl immer in uns tragen werden.
Wenngleich wir also nichts am Wesen Mensch ändern werden, so können wir anerkennen, dass wir sind, wer wir sind. Und so können und müssen wir davon ausgehen, dass das Gegeneinander weiterhin zu unserer Realität gehören wird – ebenso wie das Miteinander. Welcher Part in unserem eigenen, überschaubaren Leben überwiegen soll und kann, bleibt individuell zu beantworten.
Sinnhaftigkeit von Spenden
Und hier schlage ich die Brücke zur Sinnhaftigkeit von Spenden. Ein persönliches Beispiel: Wann wir wo und demnach wie leben, ist meist dem Zufall unserer Geburt geschuldet. Und wenngleich beispielsweise Afrika in meinen Augen die schönsten Naturschauspiele dieser Welt beheimatet, bin ich mehr als froh, dass meine Kinder nicht in den kriegerischen Welten des Sudan oder in den hungernden Gemeinschaften der zentralafrikanischen Republik, sondern in der sicheren Beschaulichkeit des mitteleuropäischen 21. Jahrhunderts geboren wurden. Dieses Privileg wird mir jedes Mal bewusst, wenn ich meine Kinder frage, ob sie etwas essen möchten. Wenn ich meinen Sohn wegen seines Asthmas vom Facharzt behandeln lassen kann. Wenn ich meine Tochter morgens ohne Sorgen auf den Weg zur Schule schicke.
Nun habe ich kein schlechtes Gewissen, dass wir es guthaben. Es macht aber in meinen Augen durchaus Sinn, sich ab und an dieser Zufälligkeit bewusst zu werden. Und, wenn man finanziell dazu in der Lage ist, beispielsweise durch eine Spende, etwas von diesem wahren Lebens-Glück, weiterzugeben. Mir ist klar, dass diese nicht unsere komplexen Probleme lösen wird, weil keine Spende der Welt uns in Summe «besser» werden lässt. Und dass wir vor allem auf politischer Ebene gefordert sind, Nachhaltigkeit zu etablieren. Aber wenn ich als Mutter einer anderen, weniger privilegierten Mutter dabei helfen kann, ihr Kind vor dem Verhungern zu bewahren, dann fällt mir beim besten Willen kein Grund ein, warum ich das nicht tun sollte.
Autorin
Lisa von Zobeltitz
Corporate Communications and Public Relations, World Vision Schweiz & Liechtenstein