Diesen Sommer erleben wir jede Woche wechselndes Wetter. Wie wirkt sich dies auf die allgemeinen Sicherheitsmassnahmen aus, die Sie für Schwimmer:innen und Wassersportler:innen empfehlen?
An den Empfehlungen ändert sich eigentlich nicht viel. Denn nebst der Empfehlung, vor dem Gang an ein Gewässer immer nochmals kurz die jeweils sechs Bade- und Flussregeln anzuschauen und so sicherzustellen, nichts vergessen zu haben, raten wir immer auch eine Lageeinschätzung zu machen. Dazu gehört das Betrachten des Pegelstandes des Gewässers genauso wie das Ausschauhalten nach Gefahren und Hindernissen. Und es gilt die vorherrschende Witterung mit einzubeziehen. Dennoch können die Gefahren in einem Gewässer nicht vollends von zuhause aus eingeschätzt werden. Verschiedene Apps und Webseiten liefern gute Informationen. Diese ersetzen aber die Einschätzung der Situation am Ufer niemals.
Verschiedene Apps und Webseiten liefern gute Informationen. Diese ersetzen aber die Einschätzung der Situation am Ufer niemals.
Christoph Merki, Schweizerische Lebensrettungs-Gesellschaft SLRG
Bevor jemand ins Wasser steigt, muss er oder sie in allen Fällen die eigenen Schwimm- und Wasserkompetenzen den Gefahren im Gewässer gegenüberstellen. Dabei sollen die Menschen ehrlich zu sich selbst sein. Das heisst, sich selber nicht überschätzen und die Gefahren im Gewässer nicht unterschätzen. Grundsätzlich gilt: Nur sehr gute und geübte Schwimmende sollen sich überhaupt in offene Gewässer wagen, nie alleine los und immer mit einer Auftriebshilfe. Denn auch der besttrainierte Körper kann plötzlich eine Schwäche erleiden. Dann ist es lebensrettend, sich an etwas festhalten zu können, das Auftrieb gibt.
Welche spezifischen Risiken bestehen bei plötzlich auftretendem Unwetter?
Vor allem Gewitter sind gefährlich. Nähert sich ein solches, müssen die Gewässer unverzüglich verlassen werden. Denn ein Blitzeinschlag ins Wasser kann auch über grössere Distanzen für Menschen im Wasser gefährlich bis tödlich werden. Nicht zu unterschätzen sind auch die Wassermassen, die durch starken Niederschlag innert kürzester Zeit heranrollen können. Grosse Wassermassen nach Unwettern führen vielmals auch Treibholz mit und sorgen für eine Trübung des Wassers. Die Schwimmenden sehen dann nicht mehr, was sich alles im Fluss befindet, wie der Boden beschaffen oder wie tief der Fluss an den verschiedenen Stellen ist. Zudem können plötzlich eintretende hohe Fliessgeschwindigkeiten das Erreichen von angedachten Ausstiegsstellen erschweren bis verunmöglichen.
Welche Rolle spielt die richtige Kleidung bei wechselhaftem Wetter und Wasseraktivitäten?
Viel mehr als die Kleidung spielt die Ausrüstung und die Vorbereitung eine Rolle. Wechselhaftes Wetter kann auch geübte und gute Schwimmer vor Herausforderungen stellen. Wer sich nicht mit der Wetterentwicklung auseinandersetzt und mitten in einem See unterwegs ist, wenn das Wetter umschlägt, kann dadurch in eine Notlage geraten. Durch heftige Winde kann der Rückweg viel anstrengender und kräftezehrender sein, dies sollte beim vorgängigen überlegen der Strecke immer auch einberechnet werden. Sollten die Kräfte tatsächlich schwinden, kann eine Auftriebshilfe wie eine Baywatch-Boje oder ein guter Dry-Bag lebensrettend sein.
Durch zum Beispiel heftige Winde kann der Rückweg viel anstrengender und kräftezehrender sein.
Christoph Merki
Beim Ausschwimmen im See ist immer auf auffällige Farben bei Kleidung oder Badekappe zu achten, damit Freizeit- und Berufskapitäne Sie im Wasser sehen. Der Sichtbarkeit dienen auch die verschiedenen Auftriebsmittel. Die Kleidung soll bequem sein und die Bewegungsfreiheit nicht einschränken. Ist die Temperatur im Gewässer zu kalt, verhindern Neoprenanzüge ein schnelles Abkühlen des Körpers. Grundsätzlich gilt die Regel, wer kalt hat und sich nicht 100 prozentig wohl fühlt, sollte nicht ins Wasser.
Wie sollte man sich verhalten, wenn man Zeuge eines Unfalls in einem Fliessgewässer oder See wird, insbesondere bei schlechten Wetterbedingungen?
Das Verhalten ist bei schönem Wetter wie bei schlechten Wetterbedingungen dasselbe. Wichtig ist immer die sofortige Alarmierung der professionellen Hilfe, die am besten über die Notrufnummer der Polizei 117 erfolgen soll. Und dann: «Retten nach dem geringsten Risiko». Das heisst, nicht einfach Hals über Kopf ins Wasser reinspringen – manchmal hilft schon ein Zurufen und Beruhigen, um eine Person aus der Gefahrensituation heraus zu lotsen. Zusätzlich können Auftriebsmittel wie Rettungsringe oder ‑würfel, die am Ufer von Flüssen und Seen zu finden sind, der Not leidenden Person zugeworfen werden. Wenn vorhanden; mit einer Stange oder einem Ast versuchen, die Person ans Ufer zu ziehen. Sehr wichtig, die in Not geratene Person nie aus den Augen verlieren, damit die professionellen Retter schnell an den richtigen Ort geleitet werden können. Erst als letzte Option und nur, wenn Rettende sich dies zutrauen, sollte zur Person in Not geschwommen werden. Wichtig ist ein Auftriebsmittel mitzunehmen. Es bringt nichts, wenn aus einem Rettungsversuch plötzlich eine Situation entsteht, in der auch die rettende Person in Not gerät.
Wie wirkt sich das unbeständige Wetter auf die Arbeit der Schweizerische Lebensrettungs-Gesellschaft (SLRG) aus, etwa auf die Planung der Freiwilligen?
Grundsätzlich beobachten wir eine klare Korrelation der Anzahl der tödlichen Ertrinkungsunfälle und schön warmen Sommertagen. Aus dieser Sichtweise verzeichneten wir bis ungefähr Mitte Jahr deutlich weniger tödliche Ertrinkungsunfälle wie noch im 2022, das ein Jahr mit einem ausgeprägten Sommer war. Die Einsätze der Freiwilligen, zum Beispiel als zusätzliche Badewachen, werden auf Sektionsebene gehandhabt. Was Anlässe betrifft, an welchen SLRG Rettungsschwimmer im Sicherungseinsatz stehen, gehört das Wetter in die Risikoanalyse mit hinein. Leider mussten dieses Jahr aufgrund des Wetters auch einige Seeüberquerungen abgesagt oder verschoben werden, was wir natürlich auch bedauern.
Welche präventiven Massnahmen ergreift die SLRG, um die Öffentlichkeit über die Gefahren von Fliessgewässern und Seen bei unbeständigem Wetter aufzuklären?
Die SLRG mit ihren Sektionen versucht über verschiedene Kanäle ihre Botschaften in der Gesellschaft zu verankern. Da letztes Jahr sieben tödliche Unfälle mit Ertrinkungsopfern unter 16 Jahren verzeichnet wurden, haben wir über ein Jugendmagazin versucht, direkt diese junge Gesellschaftsschicht sowie deren Eltern im Pendant für Erwachsene anzusprechen und zu sensibilisieren. Zudem geben wir dank unserem Partner Visana jährlich insgesamt über 100 Tafeln mit unseren Bade- und Flussregeln gratis ab, damit den Menschen nur schon beim Betrachten unserer Piktogramme das Bewusstsein für Gefahren im Wasser wieder aufkommt. Prävention findet aber auch durch unsere Kurse statt.
Indem wir so viele Menschen wie möglich zu Rettungsschwimmern machen, soll auch das Verständnis in der Gesellschaft für die Gefahren an, in und auf den Gewässern erhöht werden.
Christoph Merki
Indem wir so viele Menschen wie möglich zu Rettungsschwimmern machen, soll auch das Verständnis in der Gesellschaft für die Gefahren an, in und auf den Gewässern erhöht werden. Wir hoffen, dass dies dazu führt, dass die Menschen vor dem Gang ins Wasser immer auch den gesunden Menschenverstand mitnehmen und gebrauchen. Wie angetönt, ist das Wetter sicherlich ein Faktor, welcher beachtet werden muss. Das Wetter ist allerdings selten die alleinige Ursache für tödliche Ertrinkungsunfälle. Vielmehr versuchen wir den Menschen aufzuzeigen, dass eine richtige Einschätzung der akuten Situation immer wieder von Neuem wichtig ist und dabei natürlich auch das Wetter und die vorherrschenden Witterungsbedingungen mit in die Überlegungen einbezogen werden müssen. Wenn sich alle Menschen im, am und auf dem Wasser wirklich an unsere sechs Bade- und Flussregeln halten würden, könnten viele tödliche Ertrinkungsunfälle verhindert werden, davon sind wir überzeugt.