Bild: zVg SGG

SGG: Rentner*innen können einen wert­vol­len Beitrag für eine soli­da­ri­sche Gesell­schaft leisten

Am 13. Mai organisiert die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) im Berner Kursaal ihre jährliche Tagung zum Thema: Die engagierten 65plus. Lukas Niederberger, der Geschäftsleiter der SGG, erklärt im Interview, wo unsere Senior*innen bereits tatkräftig zupacken und wo es noch Potential gibt.

Was will die SGG mit dem Tag erreichen?

Die Tagung, die zum achten Mal statt­fin­den wird, bringt Menschen aus Theo­rie und Praxis zusam­men. Einer­seits befas­sen sich fast alle Hoch­schu­len der Schweiz mit den verschie­de­nen Arten der Arbeit im Privat­be­reich, in der Wirt­schaft, beim Staat, in der Nach­bar­schaft, in Verei­nen und in Orga­ni­sa­tio­nen. Ande­rer­seits gibt es heute in zahl­rei­chen Orga­ni­sa­tio­nen, Verei­nen, Alters­zen­tren und Gemein­den quali­fi­zierte Perso­nen, die Frei­wil­lige rekru­tie­ren, beglei­ten und deren Dienste koor­di­nie­ren. Der Austausch zwischen Praktiker*innen und Forschen­den ist wich­tig, damit Trends und Entwick­lun­gen in der Frei­wil­li­gen­ar­beit gegen­sei­tig wahr­ge­nom­men und entspre­chende Lösun­gen entwi­ckelt werden können.

In den vergan­ge­nen 10 Jahren sind viele Stif­tun­gen im Umwelt­be­reich entstan­den. Zeich­net sich diese Tendenz auch bei den frei­wil­li­gen Helfer*innen im Pensi­ons­al­ter ab?

Nein, leider nicht. Aktu­ell sind ledig­lich 5 Prozent der Frei­wil­li­gen über 60 Jahren in einer Umwelt­or­ga­ni­sa­tion oder in einem Tier­schutz­ver­ein tätig. Und von den Perso­nen, die heute keine Frei­wil­li­gen­ar­beit leis­ten, würden sich nur 9 Prozent in einer solchen Orga­ni­sa­tion engagieren.

50 Prozent aller Perso­nen im Renten­al­ter sind frei­wil­lig in Orga­ni­sa­tio­nen tätig. In welchen Themen­fel­dern wirken die Rentner*innen?

12,1 Prozent der Frei­wil­li­gen über 60 Jahren enga­gie­ren sich in Sport­ver­ei­nen. Das bedeu­tet nicht, dass sie einfach im Senio­ren­tur­nen mitma­chen, sondern dass sie Aufga­ben zu Guns­ten des Vereins über­neh­men.  11,9 Prozent wirken in einer sozia­len oder kari­ta­ti­ven Orga­ni­sa­tion, 11,2 Prozent in einem kultu­rel­len Verein und 10,9 Prozent in einer kirch­li­chen Gruppierung. 

Da gibt es noch Poten­tial.

Ja, denn genauso inter­es­sant finde ich die Frage, wo sich Frei­wil­lige über 60 Jahren enga­gie­ren würden, wenn sie heute keine unbe­zahlte gesell­schaft­li­che Aufgabe übernehmen. 

Wo?

23 Prozent wären bereit, in einer kirch­li­chen Orga­ni­sa­tion mitzu­wir­ken, 19 Prozent in einem Quar­tier­ver­ein, 18 Prozent in einer sozia­len oder kultu­rel­len Orga­ni­sa­tion und 16 Prozent in einem Frei­zeit- oder Spiel­ver­ein. Wäre ich bei einer Pfar­rei ange­stellt, würde ich folg­lich heute noch mit Flyern von Tür zu Tür gehen und alle 60+ zu einem Apéro einladen.

Sind es vor allem Themen wie Gesund­heit, Nach­bar­schafts­hilfe und Sozia­les, die von Frei­wil­li­gen über 65 Jahren profitieren?

Bisher haben wir von der formel­len Frei­wil­li­gen­ar­beit in Orga­ni­sa­tio­nen gespro­chen. Dane­ben leis­tet rund die Hälfte der Perso­nen über 60 Jahren infor­melle Frei­wil­li­gen­ar­beit ausser­halb von Orga­ni­sa­tio­nen. Diese findet vor allem in der Nach­bar­schaft statt und es geht dabei stark um betreue­ri­sche und pfle­ge­ri­sche Hilfe­stel­lun­gen. Neben der formel­len und infor­mel­len Frei­wil­li­gen­ar­beit über­neh­men junge Rentner*innen oftmals private Betreu­ungs­auf­ga­ben zu Guns­ten ihrer Enkel­kin­der und/oder ihrer betag­ten Eltern.

Wie haben die Pande­mie und der Krieg in der Ukraine die Rolle der Frei­wil­li­gen­ar­beit verändert?

Zu Beginn der Pande­mie wie auch zu Beginn des Krie­ges gegen die Ukraine entstan­den rasch starke Soli­da­ri­täts­wel­len. Das war schon beim Börsen­crash vor 15 Jahren und bei der Flücht­lings­krise vor sieben Jahren der Fall. Leider flachen diese spon­ta­nen Betrof­fen­heits­wel­len schnell wieder ab. Bei der Pande­mie folg­ten der Soli­da­ri­täts­welle, wie schon beim Börsen­crash, bereits nach kurzer Zeit Vertei­lungs­kämpfe zwischen verschie­de­nen Inter­es­sen­grup­pen. Im Gegen­satz zu den spon­ta­nen Hilfe­leis­tun­gen in Notsi­tua­tio­nen basiert Frei­wil­li­gen­ar­beit auf Regel­mäs­sig­keit und Langfristigkeit. 

... diese wurde während der Pande­mie unterbrochen

Für die Frei­wil­li­gen im Renten­al­ter war die Corona-Pande­mie eine Kata­stro­phe. Der Bundes­rat erklärte im März 2020 gene­rell alle Perso­nen über 65 Jahren zur Risi­ko­gruppe. Im Lock­down soll­ten sie alle daheim­blei­ben und von einem Tag auf den ande­ren weder Frei­wil­li­gen­ar­beit leis­ten noch ihre Enkel hüten oder sich um ihre Nach­barn kümmern. Zum Glück hat Eveline Widmer-Schlumpf, als Präsi­den­tin von Pro Senec­tute post­wen­dend gegen das anti­quierte Alters­bild des BAG und die entspre­chend frag­wür­dige Covid-Mass­nahme protestiert.

Die SGG hat kürz­lich den Think + Do Tank «Pro Futu­ris» lanciert. Mit diesem will die SGG die Demo­kra­tie stär­ken und gesell­schaft­li­che Gräben zuschüt­ten. Was ist die Rolle der pensio­nier­ten Frei­wil­li­gen in diesem Setting?

Es gibt bekannt­lich mehrere Gräben in unse­rer Gesell­schaft. Am bekann­tes­ten sind der Rösti­gra­ben und der Polen­ta­gra­ben zwischen den Sprach­re­gio­nen. Bei Abstim­mun­gen sind aber heute die Gräben zwischen den Städ­ten und den Land­re­gio­nen und zwischen Perso­nen mit mehr oder weni­ger Bildung signi­fi­kan­ter als die Sprach­gren­zen. Bei manchen Themen exis­tie­ren auch Gräben und Span­nun­gen zwischen den Geschlech­tern oder zwischen den Gene­ra­tio­nen. Die heute 20-Jähri­gen über­neh­men von den Älte­ren eine Welt mit hohen Umwelt­be­las­tun­gen. Von den Pensi­ons­kas­sen und Sozi­al­ver­si­che­run­gen werden sie dereinst weni­ger profi­tie­ren als die heuti­gen Rentner*innen. Wenn Rentner*innen heute Frei­wil­li­gen­ar­beit leis­ten oder Geld spen­den, leis­ten sie einen wert­vol­len Beitrag für eine soli­da­ri­sche Gesellschaft.

Die ange­spro­chene Tagung findet am 13. Mai statt. Sind die Work­shops parti­zi­pa­tiv ausge­legt und wer kann teilnehmen?

Die Tagung der SGG steht allen Inter­es­sier­ten an Frei­wil­li­gen­ar­beit offen. Am Vormit­tag werden fünf aktu­elle Studien über das Enga­ge­ment der Perso­nen im Renten­al­ter präsen­tiert. Die Work­shops am Nach­mit­tag bieten Gele­gen­heit, einzelne Facet­ten der Frei­wil­li­gen­ar­beit mit Fach­per­so­nen aus Theo­rie und Praxis in klei­ne­ren Grup­pen zu disku­tie­ren. In den Work­shops geben zu Beginn jeweils 2–3 Fach­per­so­nen kurze Inputs, ehe die Teil­neh­men­den ihre eige­nen Erfah­run­gen und Fragen einbrin­gen und so ein Austausch entsteht. Zwei Work­shops betrach­ten die Heraus­for­de­run­gen für die Frei­wil­li­gen­ar­beit durch die Corona-Pande­mie. Ein Work­shop thema­ti­siert die Moti­va­tion und Bedürf­nisse von Frei­wil­li­gen im Renten­al­ter. Und zwei Work­shops gehen der Frage nach, was Gemein­den und Arbeit­ge­ber zur Gewin­nung von neuen Frei­wil­li­gen über 60 Jahren beitra­gen können.

Zwei der Work­shops and der Tagung vom 13. Mai gehen der Frage nach, wie die Gemein­den und die Arbeits­ge­ber zur Gewin­nung von neuen Frei­wil­li­gen über 60 Jahren beitra­gen können. An welche konkre­ten Möglich­kei­ten denken Sie?

Manche Gemein­den orga­ni­sie­ren beispiels­weise einen jähr­li­chen Anlass für Neu-Pensio­nierte. An diesen Tref­fen präsen­tie­ren sich lokale Vereine und Insti­tu­tio­nen, die Frei­wil­lige suchen. Und zahl­rei­che Gemein­den infor­mie­ren auf ihrer Webseite über den Bedarf an Frei­wil­li­gen­ein­sät­zen vor Ort. Unter­neh­men fördern die Frei­wil­li­gen­ar­beit am besten durch flexi­ble Arbeits­zei­ten. So können Ange­stellte Erwerbs­ar­beit nicht nur besser mit ihrer priva­ten Care-Arbeit verein­ba­ren, sondern auch mit Frei­wil­li­gen­ar­beit und Miliz­auf­ga­ben. Manche Unter­neh­men sensi­bi­li­sie­ren Ange­stellte über 58 oder 60 Jahren bewusst für frei­wil­lige Enga­ge­ments und stel­len ihnen dafür Arbeits­zeit zur Verfü­gung. Manche Unter­neh­men fördern die Frei­wil­li­gen­ar­beit ihrer Ange­stell­ten auch durch firmen­ei­gene Kinder­krip­pen oder indem sie Frei­wil­li­gen­ar­beit als Weiter­bil­dung anerkennen.

Kann man sich noch zur Frei­wil­li­gen-Tagung vom 13. Mai anmelden?

Einige freie Plätze gibt es noch. Auf der Webseite der SGG gelangt man direkt zur Online-Anmel­dung.

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