Der Schweizerische Samariterbund SSB rüstet sich mit der neuen Strategie 2024 für die Zukunft. Welche Vorteile bringt sie Ihren Kundinnen und Kunden?
Mit ihren Einsätzen und Kursen leisten Samariterinnen und Samariter kompetent Erste Hilfe, geben ihr Wissen weiter und leisten Unterstützung in ausserordentlichen Lagen. Wir wollen mit der neuen Strategie noch stärker als Ausbildner für Erste Hilfe wahrgenommen werden. Wir werden Angebote der Bevölkerungskurse wie die Nothelferausbildung mengenmässig ausbauen, flexibler gestalten und stärker auf die konkreten Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden eingehen.
Das heisst?
Konkret bedeutet dies zum Beispiel, dass wir mehr niederschwellige Angebote anbieten wollen. Wir kennen dies von Partnerorganisationen aus dem Ausland. Es gibt in Grossbritannien oder Schweden Angebote unter dem Titel «Everyday First Aid». Dabei handelt es sich um kurze Schulungseinheiten in Erster Hilfe ab einer halben Stunde, die dann den Kundenbedürfnissen entsprechend ausgebaut werden können. Für Sportclubs bspw. findet die Schulung auf dem Platz statt, vor dem Training oder unter Studierenden in einer Pause. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten.
Für Sportclubs bspw. findet die Schulung auf dem Platz statt, vor dem Training.
Peter Lack, Geschäftsführer SSB
Bedienen Sie noch andere Kundensegmente?
Ja. Auch für Firmenkunden entwickeln wir unser Angebot weiter. Wir wissen, dass gerade Unternehmen mit verschiedenen Standorten in der Schweiz einen einzigen kompetenten Ansprechpartner wünschen. Bisher mussten sie mit unseren regionalen Vereinen einzeln sprechen. Neu haben wir am Sitz des Dachverbandes in Olten ein zentrales Business Center aufgebaut. Die Kurse selbst führen wir weiterhin in Kooperation mit den regionalen Vereinen durch.
Wie haben sich die Bedürfnisse und Anforderungen der Kunden und Kundinnen verändert?
Generell hat sich der Markt für Erste-Hilfe-Ausbildung stark verändert. Früher hatten wir fast ein Monopol. Heute gibt es eine grosse Anzahl an Ausbildungsangeboten mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Zudem gab es auch einen Standardisierungs- und Professionalisierungsschub. Die Anforderungen an Qualität sind gewachsen. Doch wir starten nicht bei Null. Die Samariterinnen und Samariter haben einen grossen Vorteil: Sie haben sehr viel Praxis-Erfahrung als Ersthelfer, weil sie z.B. am Grümpelturnier oder am Schwingfest regelmässig Sanitätsdienste leisten. Das ist eine besondere Stärke. Diese Erfahrung hilft bei der Vermittlung von Wissen an andere Ersthelferinnen und ‑helfer. Ausserdem sind wir der einzige Anbieter, der in der ganzen Schweiz tätig ist und in allen Landessprachen Erste-Hilfe-Wissen vermitteln kann.
Diese Stärke haben Sie bisher nicht genutzt?
Das Samaritersystem ist sehr kommunal organisiert und die Musik spielt bei den einzelnen Samaritervereinen. Das entspricht nicht immer den Bedürfnissen aller Kundinnen und Kunden. Grössere Unternehmen, auch Behörden beispielsweise, wünschen eine Ansprechperson auf kantonaler oder gar nationaler Ebene. Aber für lokale Kunden wie der Schreinereibetrieb im Dorf bleibt der kommunale Samariterverein der ideale Ansprechpartner. Das System bleibt. Wir passen es dort an, wo es notwendig ist.
Das Samaritersystem ist sehr kommunal organisiert.
Peter Lack, Geschäftsführer SSB
Welche Chancen sehen Sie in der Digitalisierung für ihre zukünftige Arbeit?
Sie ist Herausforderung und Chance zugleich. Der SSB und seine Mitglieder haben schon seit längerem sogenannte Blended-Learning-Angebote, also Kurse, wo man sowohl in Präsenz als auch online arbeitet. Das wird an Bedeutung gewinnen. Vor allem in der Erste-Hilfe-Ausbildung können wir unsere Angebote online ergänzen, insbesondere für theoretisch vermittelbare Inhalte. So ist ein zeitlich angepasstes Lernen möglich.
Sind Nothelferkurse denkbar, die rein online stattfinden?
Nein. Wir sind in der Gestaltung der Kurse nicht frei. Bevölkerungskurse sind standardisiert und es gibt Vorgaben der Schweizerischen Zertifizierungsgesellschaften. Diese Zertifizierungsstellen geben genau vor, wie viele Übungen live vor Ort und überwacht von Instruktorinnen oder Instruktoren durchgeführt werden müssen.
Eines Ihrer Ziele ist, eine der grössten Freiwilligenorganisationen zu sein: Wie erreichen Sie neue Freiwillige?
Das Samariterengagement war bisher fast nur über Mitgliedschaft auf kommunaler Ebene möglich. Eine solche Mitgliedschaft verlangte einen relativ umfangreichen und doch sehr regelmässigen zeitlichen Einsatz am gleichen Ort. Dies entspricht nicht mehr der Lebensrealität vieler Menschen. Um neue Freiwillige zu erreichen, wollen wir neue Modelle der Mitarbeit schaffen, die mit weniger Aufwand zugänglich, flexibler und auch zeitlich begrenzt sind.
Wie sehen diese aus?
Bisher waren unsere Samariter breit ausgebildet, quasi als Allrounder, die praktisch alles anbieten konnten. Das erforderte für sie selbst aufwändige Ausbildungen. Künftig wollen wir zeitlich befristete und spezifische Ausbildungen zur Verfügung stellen. Sie können sich das so vorstellen: Bisher mussten Samariterinnen und Samariter das ganze Lehrbuch unterrichten können. Neu soll es möglich sein, dass ein Samariter auch nur ein Kapitel unterrichtet. Das verringert den Aufwand und senkt die Schwelle zu einem Engagement. Wir wollen die Menschen dazu bewegen, sich freiwillig und ehrenamtlich für diese gute Sache einzusetzen.
Sie arbeiten mit Freiwilligen und anderen Partnerorganisationen zusammen. Was bedeutet dies für Ihre Organisationsentwicklung?
Wir haben fundierte Kenntnisse im Umgang mit verletzten und hilfsbedürftigen Menschen. Wir sind krisenerprobt. Gerade in der Pandemie war unser Wissen bei unseren Partnern gefragt. Wir halfen in Altersheimen, führten Testzentren und verabreichten Impfungen oder unterstützten Spitäler und Arztpraxen mit grossem Patientenaufkommen. Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen wird die Schweiz noch vor grosse Herausforderungen stellen. In diesem Bereich gibt es für uns weitere Einsatzmöglichkeiten. Zusammen mit dem Koordinierten Sanitätsdienst (KSD) haben wir ein Rahmenkonzept erarbeitet, wie Samariterinnen die öffentliche, reguläre Gesundheitsversorgung beispielsweise in Spitälern oder auch Alters- und Pflegeheime in ausserordentlichen Situationen mit ihrem Know-how unterstützen können. Oder im Bevölkerungsschutz, wo wir Aufgaben übernehmen können, welche die Fachkräfte alleine nicht bewältigen können. Eine Stärke ist, dass Samariterinnen und Samariter dezentral verteilt sind, oft auch in abgelegenen Gebieten oder Bergregionen. Damit kann Zeit gewonnen werden in der Intervention.
Was wären diese konkret?
Aus dem Südtirol wissen wir, dass eine Miliz- oder Freiwilligenorganisation auch in einem gut funktionierenden Bevölkerungsschutz ein Gewinn darstellen kann. Unser Vorteil ist die dezentrale Organisation. Bei einer Katastrophe in einem abgelegenen Gebiet, beispielsweise bei einem Murgang oder eine Lawine, sind bereits Samariterinnen und Samariter vor Ort. Bei diesen Kooperationen ist das Potenzial noch nicht ausgeschöpft.
Aber bei einer Organisation, die auf Freiwilligen aufbaut, ist es schwierig, eine neue Strategie zu implementieren?
Wir haben ausserhalb der Geschäftsstelle 95 bis 99 Prozent Freiwillige. Das macht es in der Tat anspruchsvoll, weil die zeitlichen Ressourcen nicht sichergestellt sind. Es braucht aber diese personelle Ressourcen, um eine neue Strategie zu implementieren. Hier sind wir am Prüfen, wie viel Professionalisierung es braucht.
Viele Freiwillige erleben die Probleme vor der eigenen Haustür.
Peter Lack, Geschäftsführer SSB
Ein solcher Wandel mit Freiwilligen ist eine besondere Herausforderung. Wenn die neue Ausrichtung jemandem nicht passt, dann kann die Person einfach gehen.
Wir haben die Strategie mit der Basis entwickelt. Sie ist breit verankert. Es ist keine von oben diktierte Geschäftsstellenstrategie. Wir haben den Rückhalt der Basis. Auch sie hat die Probleme erkannt, und Lösungsansätze sind gemeinsam erarbeitet worden. Natürlich kann ein Wandel eine Frustration auslösen. Aber viele Freiwillige erleben die Probleme vor der eigenen Haustür. Der Nachwuchs fehlt, und oft istes schwierig, Mitglieder für den Vorstand zu finden.
Mit der neuen Strategie schaffen Sie schnelle Entscheidungsprozesse, sind transparent und stehen für Partizipation: Wie weit sind sie in dieser Entwicklung oder wo sehen Sie Hindernisse?
Vergangenen Samstag hatten wir ein Dialogforum mit Vertreterinnen und Vertreter der Kantonalverbände und lokalen Organisationen. Damit haben wir die Diskussion über die Organisationsstruktur im ganzen Verbund eröffnet. Wir wollen eine neue Struktur, die den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen Rechnung trägt. Es ist bewundernswert, wie viel die Samariter seit Jahren leisten. Heute merken wir, dass viele Anforderungen an Professionalität und Erreichbarkeit mit einem reinen Milizsystem nicht vollumfänglich geleistet werden können. Das überfordert auch viele, gerade in der Dynamik des Marktes. Die Menschen erkennen das. Bis 2024 wollen wir eine oder mehrere alternative Modelle für unsere Verbundsgovernance erarbeiten. Die werden wir anschliessend umsetzen.
Welche Herausforderungen stellen sich zukünftig bezüglich Finanzierung ihrer Organisation?
Bisher war die Dachorganisation in Olten bottom-up finanziert. Das heisst: Der Dachverband hat mitverdient, wenn ein lokaler Verein einen Nothelferkurs durchgeführt hat. Dafür hat er die Grundlagen erarbeitet, Schulungsunterlagen zur Verfügung gestellt, die Ausbildung der Instruktoren und Instruktorinnen übernommen oder das Marketing und die PR-Arbeit erledigt.
Das wollen Sie anpassen?
Aufgrund der Konkurrenz und des Preisdrucks ist es heute für gewisse Samaritervereine schwierig, die Abgaben zu erwirtschaften. Deswegen will der Samariterbund die Mittelbeschaffung breiter aufstellen. Als Dachverband investieren wir in das Fundraising, um so die Vereine zu entlasten. Meine persönliche Vision ist, dass die Dachorganisation langfristig finanzielle Mittel an die Mitglieder ausschütten kann. So werden wir die Marke Samariter stärken.