The Philanthropist: Die vergangenen Wochen waren von schlechtem Wetter geprägt. Wie hat sich dies auf die Einsatzzahlen der Rega ausgewirkt?
Adrian Schindler: Allgemein widerspiegeln die Einsatzzahlen der Rega-Helikopter die Wetterbedingungen, das Freizeitverhalten und die Reisetätigkeit der Bevölkerung sowie ausländischer Touristen in der Schweiz und unterliegen deshalb immer gewissen natürlichen Schwankungen. Erfahrungsgemäss ist bei Schönwetterperioden mit einer erhöhten Anzahl von Einsätzen nach Freizeitunfällen, wie zum Beispiel Berg- und Wanderunfällen zu rechnen. Die Anzahl der Helikopter-Einsätze im Zeitraum vom 1. bis zum 15. Juli liegt im Bereich der Vorjahre – trotz schlechten Wetters. Das zeigt, dass die Hilfe der Rega eben nicht nur in den Bergen, sondern – viel öfter – im Alltag gefragt ist. Mit Abstand am meisten Einsätze fliegen unsere Helikopter-Crews über das ganze Jahr gesehen nämlich aufgrund von akuten Erkrankungen, wie beispielsweise Herz-Kreislauf-Probleme. Rund jeder fünfte Helikopter-Einsatz ist ein Verlegungsflug, bei dem ein Patient von einem Spital in ein Zentrumsspital transportiert wird.
Wieso jemand in eine Notsituation geraten ist, ist für uns unerheblich: Die Rega rettet, sie richtet nicht.
Adrian Schindler, Leiter Information und Medien der Rega
Bei Rega denkt man oft an spektakuläre Rettung in den Bergen: Welchen Anteil machen dabei Bergsteiger aus und wie bedeutend sind Wanderunfälle?
Im letzten Jahr organisierte die Rega-Einsatzzentrale mehr als 13’000 Helikopter-Einsätze. Davon entfielen nur rund 900 auf Unfälle beim Bergsport. Dazu gehören Unfälle beim Bergsteigen, Klettern oder eben Wanderunfälle. Anders gesagt: Nur etwa jeder 15. Helikopter-Einsatz der Rega ist auf einen Bergunfall zurückzuführen. Aber der rote Rega-Helikopter, den man bei einer Wanderung vielleicht einmal aus der Nähe im Einsatz beobachten kann, bleibt den Menschen vielleicht eher in Erinnerung als ein Rega-Helikopter, der in grösserer Höhe als kleiner roter Punkt die Agglomeration auf dem Weg ins Zentrumsspital überfliegt.
Gibt es gängige Fehleinschätzungen, die zu einem solchen Rega-Einsatz in den Bergen führen?
Wir fokussieren auf unsere Aufgabe, Menschen in Not rasch medizinische Hilfe aus der Luft zu bringen. Wieso jemand in eine Notsituation geraten ist, ist für uns unerheblich: Die Rega rettet, sie richtet nicht. Man kann auch unverletzt in eine Notsituation geraten, zum Beispiel wenn man sich in gefährlichem Gelände verstiegen hat. Wichtig ist: Wenn man Hilfe braucht, sollte man nicht zögern, die Rega via Rega-App oder Alarmnummer 1414 zu alarmieren. In der Rega-Einsatzzentrale sitzen kompetente und ausgebildete Einsatzleiterinnen und –leiter, die kritische Situationen gut beurteilen und abschätzen können, ob ein Rettungshelikopter das richtige Mittel ist. Manchmal können unsere Einsatzleiter den Alarmierenden auch telefonisch weiterhelfen, indem sie ihnen mit Hilfe des digitalen Kartenmaterials den Weg erklären oder beispielsweise einen begleiteten Abstieg durch einen ortskundigen Bergretter des Schweizer Alpen-Club SAC organisieren.
Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf Ihre Einsätze – waren Sie in die Verlegung von Corona-Patienten involviert?
Auch während der Corona-Pandemie stellte die Rega jederzeit die Luftrettung in der Schweiz und Repatriierungen aus dem Ausland zugunsten der Schweizer Bevölkerung sicher. Obwohl der Transport von hochinfektiösen Patienten auch vor der Pandemie zum normalen Einsatzspektrum der Rega gehörte, waren die Crews mit Blick auf eine Zunahme solcher Transporte in den Rettungshelikoptern und Ambulanzjets bereits im Februar 2020 nochmals gezielt mit Schulungen vorbereitet worden. Am 11. März 2020 wurde im Tessin dann der erste an Covid-19 erkrankte Patient an Bord eines Rega-Helikopters transportiert. Seit Beginn der Pandemie transportierte die Rega rund 480 Covid-19-Patienten im Rettungshelikopter und rund 250 Patienten an Bord der drei Rega-Ambulanzjets. Darüber hinaus unterstützte die Rega die Schweizer Behörden bei der Bewältigung der Corona-Pandemie mit Know-how und Infrastruktur. So übernahm beispielsweise die Helikopter-Einsatzzentrale der Rega auf Anfrage des Bundes die Aufgabe als «nationale Koordinationsstelle» und unterstützte die Spitäler bei der Suche nach freien Intensivbetten.
Seit Beginn der Pandemie transportierte die Rega rund 480 Covid-19-Patienten im Rettungshelikopter und rund 250 Patienten an Bord der drei Rega-Ambulanzjets.
Adrian Schindler, Leiter Information und Medien der Rega
Wirkt sich die Pandemie auch bei Ihren Gönner-Beiträgen aus?
Per Ende 2020 wurde die Rega von 3,625 Millionen Gönnerinnen und Gönner unterstützt, was einem Nettozuwachs von 73’000 Personen gegenüber dem Vorjahr entspricht. Diese Zunahme entspricht ungefähr dem Wert der Vorjahre und wir sind dankbar für diesen grossen Rückhalt aus der Bevölkerung. Es sind nämlich die Gönnerinnen und Gönner, welche die Rega mit ihren solidarischen Beiträgen in der Luft halten und rund 60 Prozent des Gesamtbudgets der Rega finanzieren.
Fast die Hälfte der Bevölkerung in der Schweiz sind Gönnerin oder Gönner – gehört die Rega zur Grundversorgung in der Schweiz?
Ja, die Rega stellt als private, gemeinnützige Stiftung die medizinische Grundversorgung aus der Luft in der Schweiz sicher, ohne dafür Geld vom Staat zu erhalten. Das ist nur möglich dank der Unterstützung der Gönnerinnen und Gönner. Denn professionelle, medizinische Hilfe aus der Luft an 365 Tagen im Jahr, rund um die Uhr, in den Agglomerationen und in abgelegenen Gebieten, mit hoch qualifiziertem Personal, modernsten Rettungsmitteln und einem dichten Netz von schweizweit 13 Einsatzbasen – das alles kann nicht kostendeckend betrieben werden.