In der Nutztierhaltung wurden in den vergangenen Jahren viele Labels und Vorschriften erarbeitet. Die Haltung der Tiere hat sich verändert. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation der Nutztiere in der Schweiz?
Patrick Schneider: Für das Tierwohl werden zahlreiche Massnahmen ergriffen. Aber aus Sicht vieler Tierschutzorganisationen reicht das noch nicht. Bspw. beim Zugang ins Freie, bei der schonenden Schlachtung, bei der Haltung im Stall, aber auch beim Import von Fleisch gibt es noch grossen Handlungsbedarf. Deswegen wurde auch die Initiative gegen Massentierhaltung lanciert, die wir unterstützen. Sie setzt sich für das Tierwohl ein. Es gibt noch viel Potenzial für Verbesserung. Was aber positiv ist: Wir finden heute Gesprächspartner. Das hat sich verändert. Beim Bundesamt für Landwirtschaft, bei der Lebensmittelindustrie und ebenso beim Bauernverband ist man heute offen für Gespräche.
Das dürfte auch damit zu tun haben, dass Nachhaltigkeit ein allgegenwärtigen Thema ist. Hilft dies Ihrer Arbeit?
Wir haben heute eine Vermischung. Klimaschutz, Massentierhaltung und gesunde Ernährung, all diese Themen sind nicht zu trennen. So gehört die Landwirtschaft zu den grössten Verursachern von CO2. In diesen Diskussionen sind die Anliegen des Tierschutzes aktueller denn je. Deswegen ist es positiv, dass wir die Themen gemeinsam anschauen können.
Wir haben heute eine Vermischung. Klimaschutz, Massentierhaltung und gesunde Ernährung, all diese Themen sind nicht zu trennen.
Patrick Schneider, Geschäftsführer ProTier
Vor allem das Thema Klima ist in den Medien präsent. Macht es diese Dominanz für Sie schwierig, für Ihre Anliegen Aufmerksamkeit zu erhalten?
Das Klima ist ein weltweites Thema. Je mehr man über den Klimawandel spricht und ihn herunter bricht, desto mehr erkennt man, wie dies mit unserer Ernährung und mit der Tierhaltung zusammenhängt. Wer sich mit dem Klimaschutz befasst gelangt automatisch auch zum Tierschutz.
ProTier ist seit fast 75 Jahren aktiv. Wie haben sich die Schwerpunkte Ihrer Arbeit verändert?
Heute sind die Themen vielseitiger, kombiniert und wir bearbeiten sie zusammen mit anderen Organisationen. Früher waren wir stärker in Einzelkampagnen wie «Stopp Pelz» engagiert. Das hatte auch Vorteile. Aber heute braucht es diesen gemeinsamen Ansatz. Neu ist insbesondere, dass viele Bauern und Bäuerinnen, gerade jüngere, eine andere Landwirtschaft wollen. Sie wollen beispielsweise ihren Hof in einen Lebenshof umwandeln.
Was ist ein Lebenshof?
Auf einem Lebenshof leben die Tiere in Sicherheit und Geborgenheit bis zu ihrem Lebensende. Wir helfen den Bauern bei der Umstellung. Es gibt auch Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger, die einen Lebenshof übernehmen wollen. Diese begleiten wir.
Wie hat die Pandemie Ihre Arbeit verändert?
Auch für uns als kleines Viererteam war das Homeoffice eine Umstellung. Wir sahen uns nicht mehr. In der Arbeit haben wir eine verstärkte Sinnsuche festgestellt. Die Nachfrage nach der Gründung eines Lebenshofes hat zugenommen. Und das Homeoffice hat auch zu einer verstärkten Nachfrage nach Haustieren geführt, was wiederum den Import von Welpen gesteigert hat. Jetzt kehren immer mehr Arbeitnehmende zurück ins Büro und wissen nicht, was sie mit ihrem Haustier machen sollen. Wir haben wöchentlich mehrere Anfragen. Die Pandemie hat aber auch angeregt.
Das heisst?
Am Anfang der Pandemie war die Frage des Ursprungs ein heiss diskutiertes Thema. Die Tiermärkte und die Haltung der Tiere auf diesen standen im Fokus. Diese Thematik ist aus der Diskussion verschwunden.
Wie hat die Pandemie das Spendenverhalten beeinflusst?
Bei uns gingen die Spendeneinnahmen markant zurück. Was ich höre ist, dass die grossen Organisationen zulegen konnten, kleine und mittlere wie unsere haben Schwierigkeiten.
Beispielsweise wissen wenige, dass ein Huhn in der Massentierhaltung auf einer Fläche von einem A4-Blatt leben muss.
Patrick Schneider, Geschäftsführer ProTier
Hilft es Ihnen beim Spendensammeln, dass Tierschutz ein emotionales Thema ist?
Der Jö-Effekt kann sich für eine PR-Kampagne auszahlen. Wenn man aber inhaltlich arbeiten will sollte man nicht zu stark darauf setzen. Es braucht auch keine Schockbilder. Es geht um die Vermittlung von Informationen und Wissen. Das geschieht noch zu wenig vermittelt. Beispielsweise wissen wenige, dass ein Huhn in der Massentierhaltung auf einer Fläche von einem A4-Blatt leben muss.
Aktuell wird über Grundrechte für Tiere diskutiert. Sehen Sie dies als Chance?
Von gesetzeswegen ist das Tier dem Menschen nicht gleichgestellt. Viele sind aber der Ansicht, dass sie das sein sollten. Mit den Lebenshöfen arbeiten wir in diese Richtung. Aber Tiere können sich nicht selbst äussern. Deswegen gibt es Juristinnen und Juristen, die sich für die Rechte der Tiere einsetzen. Die Entwicklung geht heute in die Richtung, dass Menschen und Tiere auf gleicher Ebene leben können.
Wo sehen Sie aktuell die grössten Herausforderungen für ProTier?
Wir müssen mit einer grossen Vielfalt an Themen umgehen. Damit wir mitgestalten können brauchen wir Kooperationen und wir müssen unsere Kompetenzen beim Tierschutz und ‑wohl weiter verbessern. Zudem sind wir beim Fundraising täglich gefordert.
Setzen Sie dabei auf neue Kanäle?
Wir nutzen die neuen Kanäle wie Social Media weniger um Spenden zu generiern als viel mehr für die Sensibilisierung. Wir erreichen so die jungen Menschen. Sie erfahren die Bedeutung des Tierschutzes und dass sie mitgestalten können.