Die Geschäftsführerin, Katharina Teuscher, berichtet im Interview über die reichhaltige Geschichte. Sie will die Fördertätigkeit von Pro Patria der Bevölkerung wieder ins Bewusstsein rücken und eine Wertediskussion anstossen.
Wie hat sich das Bild der Schweiz in den vergangenen Jahren verändert?
Eine gute Frage. Das Bild der Schweiz hat sich auf mehreren Ebenen verändert: Auf den Ebenen der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Umwelt. Was mich am meisten beschäftigt, ist die Frage nach den gemeinsamen Werten, wie wir innerhalb der Grenzen der Schweiz leben. Eine minimale gemeinsame Wertebasis ist für eine direkte Demokratie und einen Rechtsstaat wie wir es sind, unabdingbar. Vieles wird polarisiert, echte Dialoge finden kaum mehr statt und individuelle materielle Bedürfnisse stehen oft im Vordergrund zulasten der solidarischen Errungenschaften, welche massgebend zum Wohlstand unseres Landes beigetragen haben. In einem so kleinräumigen und vielfältigen Land wie die Schweiz kann und muss jede und jeder im Rahmen ihrer und seiner Möglichkeiten einen Beitrag leisten, damit uns diese Wertebasis nicht verloren geht. Dann haben wir nämlich keine Patria mehr.
Pro Patria plant eine neue Strategie. Kann man schon etwas dazu sagen?
Das wäre noch zu früh, da wir noch mitten in den Diskussionen stecken. Es ist uns wichtig, den Moment des Jubiläums des 100ten 1.-August-Abzeichen zu nutzen, Pro Patria und ihre Fördertätigkeit wieder mehr ins Bewusstsein der Bevölkerung zu rücken. Wir haben die einmalige Chance, als Pro Patria – nomen est omen – eine Wertediskussion anzustossen, was meines Erachtens für die Heimat Schweiz dringend ist. Gerade die Erfahrungen der Pandemie haben gezeigt, dass das Verständnis, wie wir in diesem Land zusammenleben und was uns dabei wichtig und wertvoll ist, teilweise weit auseinander gerückt ist. Es braucht unabhängige Gefässe, die diese Frage in den Raum stellen und eine Auseinandersetzung anstossen. Die Pro Patria, die Stiftung der Schweizer Bevölkerung für die Schweizer Gesellschaft, kann als unabhängige Organisation einen Beitrag leisten. Sie hat schon manche gesellschaftliche und wirtschaftliche Krise überstanden.
Von wem wurde Sie gegründet? Was ist die Geschichte dahinter?
Die Stiftung Pro Patria Schweizerische Bundesfeierspende ist besser bekannt unter Pro Patria. Sie ist 1992 aus dem Verein Schweizerische Bundesfeierspende entstanden, der seinerseits 1909 gegründet wurde. Wir sind somit eine der ältesten Förderorganisationen der Schweiz. 1909 hiess der Verein Bundesfeierkomitee und hatte seinen Sitz in Bern.
Wir haben die einmalige Chance, als Pro Patria – nomen est omen – eine Wertediskussion anzustossen, was meines Erachtens für die Heimat Schweiz dringend ist.
Katharina Teuscher
Das war der Ursprung von Pro Patria?
Der Grundstein zur Pro Patria wurde bereits am 14. Dezember 1889 durch den Beschluss des Bundesrates gelegt, den 1. August zum nationalen Säkularfeiertag zu bestimmen, zum Gedenken an die Gründung der Eidgenossenschaft 1291 (600 Jahre Eidgenossenschaft). Bis dahin galt der 8. November 1307 als Geburtsstunde der Eidgenossenschaft. Sie wurde im 16. Jh. vom Chronisten Ägidius Tschudi festgelegt. Erst im 18. Jh wurde der Bundesbrief aus 1291, welcher auf «Anfang August» datiert ist, in einem Archiv wiederentdeckt. Somit ist der 1. August 1891 der erste Bundesfeiertag der Eidgenossenschaft, der damals wohlverstanden ein normaler Werktag war und in den ersten Jahren nicht in allen Kantonen gefeiert wurde.
Ab wann wurde bei der Bevölkerung gesammelt?
Anlässlich der 600-Jahr Feier der Eidgenossenschaft gaben private Philatelisten aus Luzern eine Bundesfeierpostkarte heraus. Erste kantonale Bundesfeierkarten mit Bundesfeiermotiv wurden 1912 in Basel verkauft. Das 1909 gegründete Bundesfeierkomitee nahm die Idee der Bundesfeierpostkarte auf, um damit eine Sammlung durchzuführen, deren Erlös dem nationalen Volkswohl dienenden Institutionen zukam. Das war die eigentliche Geburtsstunde der Pro Patria, die fortan auf den 1. August hin frankierte Bundesfeierpostkarten verkauft in Kooperation mit der Oberpostdirektion.
Wie war die Logistik organisiert?
Der Verkauf der Bundesfeierkarten wurde mit Hilfe von Samariter- und Turnvereinen, dem Heimatschutzes sowie mit Gemeinden und Schulen organisiert. 1923 kam das 1.-August-Abzeichen dazu. Bürgerinnen und Bürger, welche die Sammlung unterstützten, konnten ihre Solidarität mit den Menschen und Institutionen in Not, in unserem Land, mit Tragen des gekauften Abzeichens sichtbar machen. 1937 wurde die letzte frankierte Bundesfeierpostkarte herausgegeben und 1938 kam die erste Pro Patria Briefmarke heraus. Die Geschichte der Pro Patria ist damit auch die Geschichte einer 112-jährigen Partnerschaft mit der Post.
Zum Abzeichen: Hier
Wie kommen die Abzeichen und die Briefmarken heute zu den Leuten?
Mit ihrer Sammlung knüpft Pro Patria auch heute noch an den Moment des Bundesfeiertages an. Sie appelliert an die Solidarität mit anderen Menschen, Institutionen und kulturellen Errungenschaften. Mit einer Spende bzw. dem Kauf der Abzeichen oder Briefmarken leisten wir einen Beitrag an den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Gerade in Krisenzeiten sind Symbole wie das 1.-August-Abzeichens wertvolle Brückenbauerinnen. Seit nun mehr 99 Jahren wird das Abzeichen primär über unser Freiwilligennetz verkauft. Das sind engagierte Private, Schulen, Geschäfte, Museumsshops und neuerdings auch Bäckereien.
Und die Post?
Das Abzeichen kann man auch in den offiziellen Filialen der Post kaufen und in unserem Webshop. Die Briefmarken wurden bis 2019 ebenfalls ergänzend zur Post über das Freiwilligennetz verkauft. Da der Vertriebsaufwand im Verhältnis zum Ertrag immer grösser wurde, mussten wir den Direktverkauf einstellen.
Sind die Schulen immer noch stark engagiert?
Ja. Wenn wir nächstes Jahr das 100ste 1.-August-Abzeichen verkaufen, feiern wir auch 100 Jahre Vertriebspartnerschaft mit den Schulen. Die Erfahrung, welche die Kinder beim Verkauf der Abzeichen machen, ist sehr wertvoll für die Entwicklung ihrer Auftrittskompetenzen. Es gibt Schüler und Schülerinnen, die regelrechte Topverkäuferinnen und ‑verkäufer geworden sind.
Wie entsteht der jeweilige Schwerpunkt?
Wir orientieren uns immer an aktuellen Bedürfnissen im Bereich des Kulturerbes.
Das diesjährige Schwerpunktthema ist «Handwerk und kulturelles Erbe», wie ist man darauf gekommen?
Wenn es um die Erhaltung und Restaurierung schützenswerter Objekte geht, sind nach wie vor traditionelle Handwerkkompetenzen unabdingbar. Viele Objekte gingen uns unwiderruflich verloren, wenn dieses Wissen nicht lebendig gehalten würde. Sehen Sie sich die diesjährigen Pro Patria Briefmarken an. Sie sind eine Hommage an die Restauratorinnen und Restauratoren, die mit höchster manueller Präzision arbeiten. Ihre Arbeit bleibt oft unsichtbar im Hintergrund, wenn wir uns an den restaurierten Objekten erfreuen.
Wie viele Projekte können jährlich unterstützt werden?
Das ist sehr unterschiedlich, je nach durchschnittlichem Förderbetrag. In den letzten Jahren mussten wir etwas kürzertreten, da die Sammlungserträge rückläufig sind. 22 Projekte erhielten von uns einen Förderbeitrag. Wir bemühen uns, Projekte in der ganzen Schweiz gleichermassen zu berücksichtigen. Unterstützungsgesuche kommen mehrheitlich aus den Kantonen Bern, Graubünden, Tessin und Wallis.
Wie lange sind Sie schon bei Pro Patria?
Mein erster Arbeitstag war der 1. August 2020, also genau seit einem Jahr. Das Datum des Arbeitsbeginns hat für mich grossen Symbolgehalt. Er heisst bewusst Bundesfeiertag und nicht Nationalfeiertag, weil wir uns an die Gründung der Eidgenossenschaft besinnen, eben des Bundes. Die Schweiz ist ein Land der Bünde. Wir haben über Bünde manche Krise überwunden. Es ist ein 730-jähriges Erfolgsmodell.