Muriel Langenberger, Geschäftsleiterin Pro Mente Sana

Pro Mente Sana: Nach­frage wächst, finan­zi­elle Mittel fehlen

Psychische Beeinträchtigungen bleiben ein Tabuthema in unserer Gesellschaft, obschon die Fälle zunehmen. Das spürt auch Pro Mente Sana. Die Stiftung hat ihre schwierige finanzielle Situation jetzt kommuniziert. Geschäftsleiterin Muriel Langenberger nennt die steigende Nachfrage nach Beratungsangeboten bei gleichzeitig fehlenden finanziellen Mitteln als einen Grund für die schwierige finanzielle Lage der Stiftung.

Die Zahlen von Menschen mit psychi­schen Erkran­kun­gen stei­gen. Gleich­zei­tig kommu­ni­ziert Pro Mente Sana ihre schwie­rige finan­zi­elle Situa­tion. Was läuft schief?

Das ist in der Tat ein Wider­spruch. Wir alle erle­ben, dass das Thema der psychi­schen Erkran­kung in unse­rer Gesell­schaft immer wich­ti­ger wird. Wie die ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen, die sich um Menschen mit psychi­schen Beein­träch­ti­gun­gen kümmern, spürt Pro Mente Sana als Dienst­leis­te­rin in diesem Bereich eine stei­gende Nach­frage nach unse­ren Ange­bo­ten. Seit 2018 ist die Tendenz stark steigend.

Wie ist die Entwick­lung seit der Pandemie?

Auch seit der Pande­mie stei­gen die Zahlen weiter. Unsere Gesell­schaft hat ein Problem: Die WHO spricht vom gröss­ten gesund­heit­li­chen Thema für die Gesell­schaft in West­eu­ropa in den kommen­den Jahren.

Die gestie­gene Nach­frage während der Pande­mie hat unsere Situa­tion nun zusätz­lich verschärft.

Muriel Langen­ber­ger, Geschäfts­lei­te­rin Pro Mente Sana

Die gestie­gene Nach­frage nach ihren Ange­bo­ten hat zur schwie­ri­gen finan­zi­el­len Lage geführt?

Pro Mente Sana wird zum Teil von der öffent­li­chen Hand finan­ziert gemäss dem Gesetz über die Inva­li­den­ver­si­che­rung. Wir erbrin­gen unter ande­rem eine staat­li­che Leis­tung vor allem für IV-Rentner:innen. Aber nicht alle Kosten sind gedeckt. Die fehlen­den Mittel müssen wir selbst über Spen­den, Stif­tun­gen oder andere Marke­ting­mass­nah­men gene­rie­ren. Aber es bleibt ein struk­tu­rel­les Defi­zit. Bis jetzt konn­ten wir dieses über zwei Legate decken, die wir vor vielen Jahren erhal­ten haben. Diese sind nun aufge­braucht. Sicher haben wir auch Fehl­ein­schät­zun­gen gemacht. Aber die gestie­gene Nach­frage während der Pande­mie hat unsere Situa­tion nun zusätz­lich verschärft.

Hatte die Pande­mie auch Auswir­kun­gen auf der Einnahmenseite?

Wir hatten im Pande­mie­jahr 2020 mehr Einnah­men, sowohl an Spen­den, von Stif­tun­gen und auch vom Bund dank des Epide­mie­ge­set­zes. Wir dach­ten, gut, das Thema ist in der Gesell­schaft ange­kom­men. Wir waren posi­tiv, dass es nun gelin­gen würde, die notwen­di­gen Gelder zu finden. Leider ist der Effekt der Pande­mie in den Jahren 2021 und 2022 wieder verschwun­den. Die Tendenz, stei­gende Anfra­gen und Kosten und gleich­zei­tig weni­ger Mittel hat unsere Situa­tion verstärkt.

Das Thema der psychi­schen Beein­träch­ti­gung gewinnt an Bedeu­tung. Weshalb ist es so schwie­rig, Spen­den zu generieren?

Es ist ein Tabu­thema in unse­rer Gesell­schaft. Das macht es schwie­ri­ger, Spen­den zu sammeln.

Auch über Geld spricht man in unse­rer Gesell­schaft eher nicht. Weshalb haben Sie bewusst trans­pa­rent die Situa­tion von Pro Mente Sana kommuniziert?

Die Zahlen sind klar. Wir haben per Ende August zudem einen Zwischen­ab­schluss gemacht und es hat sich gezeigt, dass wir jetzt handeln müssen. Wir müssen struk­tu­relle Mass­nah­men ergrei­fen, und das müssen wir kommu­ni­zie­ren. Wir konn­ten den Zeit­punkt wählen. Dabei woll­ten wir mutig sein und mit den Menschen über unsere Situa­tion spre­chen. Denn wir müssen über die Probleme spre­chen. Das gilt genauso für unser Thema: Solange wir nicht über psychi­sche Probleme spre­chen, werden wir als Gesell­schaft und als Orga­ni­sa­tion keine besse­ren Rahmen­be­din­gun­gen erhalten.

Wie liesse sich die Situa­tion verbes­sern und das Thema enttabuisieren?

Das beginnt bei uns Menschen. Wir müssen lernen, darüber zu spre­chen, zu disku­tie­ren, mit Freun­den, in der Fami­lie und insbe­son­dere am Arbeits­platz. Es kann nicht sein, dass ich wegen Rücken­pro­ble­men meinen Arbeit­ge­ber um einen Hoch­tisch bitte, aber ich es nicht wage, ihn anzu­spre­chen, wenn ich Angst­stö­run­gen oder depres­sive Phasen habe. Wir müssen als Indi­vi­duen das Problem ange­hen und auch das System anpassen.

Was braucht es?

Die Präven­tion wird noch wenig von der öffent­li­chen Hand getra­gen. Es gibt kein Präven­ti­ons­ge­setz und wenig Mittel. Für die Sensi­bi­li­sie­rung wird bereits eini­ges getan, aber Präven­ti­ons­ar­beit wird kaum von der öffent­li­chen Hand finanziert.

Es ist für uns nicht der Moment, neue Projekte zu star­ten. Wir müssen die Basis und die Struk­tur finanzieren. 

Muriel Langen­ber­ger, Geschäfts­lei­te­rin Pro Mente Sana

Ist das ein Problem für Pro Mente Sana?

Bei der Bera­tung einer Person, die eine IV-Rente bezieht, können wir rund 80 Prozent der Kosten über die öffent­li­che Hand decken. Heute kommen aber immer mehr Menschen früher. Das ist posi­tiv. So können wir helfen, bevor sich die Situa­tion verschlim­mert, und präven­tiv wirken.  Es braucht also nicht nur Gelder für die Gesund­heit, Pflege und Sensi­bi­li­sie­rung, sondern auch für die Früh­erken­nung und die «sekun­däre Präven­tion». Hier sind wir auch als Orga­ni­sa­tion gefor­dert und müssen noch verstärkt mit den Kanto­nen verhandeln.

Wie arbei­ten Sie mit ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen zusammen?

Pro Säule in unse­rem Geschäfts­mo­dell haben wir ein spezi­fi­sches Netz­werk. Wir arbei­ten mit Förder- und Part­ner­stif­tun­gen. Im Bereich Sensi­bi­li­sie­rung enga­gie­ren wir uns stark mit Gesund­heits­för­de­rung Schweiz. In der Präven­tion arbei­ten wir mit der Beis­heim Stif­tung und vernet­zen uns stark mit der Wirt­schaft. Viele Unter­neh­men reali­sie­ren, dass die Themen Erschöp­fungs­de­pres­sion und Burn­out sie inten­siv betrifft und direkte und indi­rekte Folge­kos­ten haben kann. Dann arbei­ten wir mit Dach- und Fach­ver­bän­den. Im Reco­very-Programm, das Betrof­fe­nen auf dem Weg zur Gene­sung und Reinte­gra­tion beglei­tet, sind psych­ia­tri­sche Klini­ken und weitere Insti­tu­tio­nen unsere Partner.

Können Stif­tun­gen Pro Mente Sana in der aktu­el­len Situa­tion zusätz­lich unterstützen?

Es haben uns schon Stif­tun­gen kontak­tiert, weil unsere Arbeit in ihren Förder­be­reich falle. Sie haben uns gefragt, ob wir ein Projekt hätten, das sie unter­stüt­zen können. Aber gerade das ist das Problem. Es ist für uns nicht der Moment, neue Projekte zu star­ten. Wir müssen die Basis und die Struk­tur finan­zie­ren. In der Vergan­gen­heit haben wir viel­leicht zu oft Projekte durch­ge­führt und uns verzet­telt. Aber schliess­lich ist das eine gene­relle Frage­stel­lung, mit dem sich der Sektor ausein­an­der­setzt, der Wech­sel von einer Projekt- zu einer Strukturfinanzierung.

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