Laut Artikel 136 der Schweizer Bundesverfassung dürfen Menschen nicht abstimmen, die «wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche entmündigt sind», wie es im Wortlaut heisst. Rund 16’000 Menschen, die unter umfassender Beistandschaft stehen oder durch eine vorsorgebeauftragte Person vertreten werden, fallen in der Schweiz in diese Kategorie und dürfen sich nicht an politischen Prozessen beteiligen. An der Behindertensession vom 24. März 2023 kam es zur Forderung, dass kein Mensch aufgrund seiner Behinderung vom Wahl- und Stimmrecht ausgeschlossen sein darf. Dieser Forderung soll nun stattgegeben und der diskriminierende Artikel in der Verfassung gestrichen werden. «Wir begrüssen es, dass der Bundesrat den Handlungsbedarf erkennt und eine Ausgangslage schafft, um wichtige Forderungen der Behindertensession umzusetzen», sagt Felicitas Huggenberger, Direktorin von Pro Infirmis.
Ein unpraktischer Mechanismus
Denn die Regelung beruht auf einem fragwürdigen Mechanismus: Eine Beistandschaft kann aus verschiedensten Gründen ausgesprochen werden, so beispielsweise auch für Personen, die ihre Finanzen nicht selbst verwalten können. Die Massnahme hat also nichts mit der Fähigkeit zur politischen Willensbildung zu tun. Dass die von der Regelung betroffenen Menschen von der politischen Teilhabe ausgeschlossen werden ist nicht nur diskriminierend, sondern verstösst auch gegen die UN‑Behindertenrechtskonvention, welche die Schweiz ratifiziert hat. «Die heutige Regelung ist diskriminierend und widerspricht fundamental dem Grundsatz der Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger», wird Nationalrat Marc Jost in einer Mitteilung von Pro Infirmis zitiert.
Überholtes Verständnis von Behinderungen
Durch die Verfassungsänderung sollen die Betroffenen Menschen die politischen Rechte erhalten, die ihnen zustehen. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates schreibt in seiner Stellungnahme: «Die Kommissionsmehrheit ist erstens der Ansicht, dass es problematisch ist, Personen mit Behinderungen die politischen Rechte systematisch zu entziehen, da eine umfassende Beistandschaft nicht zwangsläufig bedeutet, dass diese Personen nicht in der Lage sind, sich eine eigene Meinung zu bilden und ihre politischen Rechte auszuüben.» Die Kommission hält fest, dass keine andere Bevölkerungsgruppe solchen Einschränkungen unterliegt oder die Fähigkeiten zur politischen Willensbildung unter Beweis stellen muss und führt weiter aus: «Zweitens ist die Kommissionsmehrheit der Meinung, dass die Formulierung dieses Verfassungsartikels überholt und nicht mehr mit dem zeitgenössischen und gesellschaftlich weitverbreiteten Verständnis von Behinderungen und psychischen Krankheiten vereinbar ist.»