The Philanthropist: 50 Jahre Frauenstimmrecht: Welche Rolle spielten Vereine und andere Organisationen?
Franziska Schutzbach: Organisationen, die jenseits der klassischen parlamentarischen staatlichen Politik agieren, waren für Frauen zentral. Sie hatten ja lange kein Stimmrecht. Sie mussten ihre Interessen anders vorantreiben. Auch heute braucht es verschiedene Akteure, um die Gleichberechtigung weiterzubringen. Es braucht die Wissenschaft, es braucht die Strasse, es braucht die parlamentarische Politik …
TP: … und Stiftungen?
FS: NPO und Stiftungen braucht es ebenso. Wobei ich mir von diesen mehr Mut wünsche. Es gibt Stiftungen mit sehr spezifischen Fördertätigkeiten wie beispielsweise Literatur. Das ist richtig. Aber das übergeordnete, auch klar politische Engagement sehe ich kaum. Diese Zurückhaltung hat sicher auch damit zu tun, dass wir in einer stark ausgeprägten Konsenskultur leben, man hat Angst, sich zu exponieren. Gerade die Gleichstellungsfrage polarisiert. Frauen sahen sich oft mit dem Vorwurf konfrontiert: Wenn ihr euch für eure Rechte einsetzt, spaltet ihr die Gesellschaft.
TP: Sie wünschen sich mehr Polarisierung?
FS: Polarisierung ist nicht per se schlecht. Es heisst, dass viele über ein Thema diskutieren. Das kann Fortschritt bringen. Es braucht mehr Mut, um die Gleichstellung voranzutreiben. Es braucht mehr Erkenntnis, dass Streit, Konflikt, Polarisierung auch gut und wichtig sein können.
TP: Hat der Frauenstreik geholfen?
FS: Der erste Frauenstreik bewirkte eine grosse Sensibilisierung für das Thema. Das war wichtig, um dann später Dinge wie Mutterschaftsversicherung, Fristenregelung und andere wichtige Schritte durchzubringen. Eine demokratische Gesellschaft muss erst ein Bewusstsein für ein Problem entwickeln. In diesem Prozess haben Frauenbewegungen viel gebracht. Und der Frauenstreik hat viel zur Vernetzung unter den Frauen beigetragen. Das darf man nicht unterschätzen. Kooperationen ermöglichen und sich gegenseitig fördern – das war auch beim letzten Frauenstreik einer der ganz zentralen Punkte: die vielen neuen Gruppierungen und Operationen, die entstanden sind, in denen sich Frauen auch Anerkennung zuspielen. In der Schweiz musste immer mehr gekämpft werden als anderswo, Frauen hier mussten immer eine extra Runde gehen, bis sie ihre Rechte bekamen. Wir sind auch heute mit enormen Verzögerungen in der Gleichstellung konfrontiert. Das hat mit konservativen Einstellungen zu tun, aber auch mit dem späten Frauenstimmrecht. Die Schweiz schuldet den Frauen, hier endlich aufzuholen. Es kann nicht sein, dass für Selbstverständlichkeiten so lange und energieraubend gekämpft werden muss. Wie etwa beim Thema Elternzeit: es ist bekannt, wissenschaftlich vielfach belegt, dass es ohne angemessene Elternzeit für beide Geschlechter keine Gleichberechtigung geben kann, keine gerechte Aufteilung von Berufs- und Familienarbeit. Hier nichts zu machen, verstösst gegen den Gleichstellungsauftrag der Verfassung.
TP: Kann sich die Wirtschaft oder auch der Stiftungssektor nicht selbst regulieren? Braucht es staatliche Regeln?
FS: Historisch zeigt sich, dass Selbstregulierung nicht wirklich gut funktioniert hat. Die wichtigen Schritte sind erst passiert, als es Regulierungen gab. Und ich möchte bei dieser Frage betonten: Der Auftrag der Gleichstellung ist nicht ein «nice to have», das als eigenverantwortliches Projekt verstanden werden kann. Er ist in unserer Verfassung verankert. Wir haben demokratisch beschlossen, dass wir in die Gleichstellung investieren und dort, wenn es notwendig ist, auch Regeln geben.
Zur Person:
Franziska Schutzbach ist freie Autorin, Publizistin und Forscherin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Reproduktive Gesundheit, Bevölkerungspolitik und Geschlecht, Antifeminismus und Anti-Gender-Mobilisierungen, Rechtspopulistische Kommunikationsstrategien.
Die Reportage im aktuellen The Philanthropist: «Ist viel erreicht genug?» – Einige Stiftungen haben sich der Genderthematik angenommen, bei ihrer Förderarbeit oder in ihrem Reglement. Doch es gibt Potenzial für weitere Verbesserung. Ein Blick auf die Stiftungsräte genügt. Hier sind Frauen weiterhin wie in wirtschaftlichen Führungsgremien untervertreten.