In der über 40-jährigen Geschichte der Pro Mente Sana war eines immer klar: kein Geld von Pharmaunternehmen. Das war und ist eine rote Linie, die in allen Gremien unumstritten ist. Zum Einen ist gut erforscht, wie Pharmaunternehmen Einfluss nehmen auf die Medizin, zum Andern bemühen sich Pharmaunternehmen auch darum, über Sponsoring von Patientenorganisationen Einfluss zu nehmen auf die öffentliche Debatte und damit auf die Politik. Da machen wir nicht mit, das ist klar, auch wenn wir Geld dringend brauchen könnten. Wir sind lieber arm und sexy – wie Klaus Wowereit (Ex-Bürgermeister von Berlin) vor Jahren über Berlin sagte.
Aber, was machen wir, wenn ein grosses Basler Pharmaunternehmen ensa – Erste Hilfe Kurse für psychische Gesundheit für ihre Mitarbeitenden einkaufen will? Liefern wir? Überschreiten wir so unsere eigene rote Linie? Der Stiftungsrat hat die Frage diskutiert und klar beantwortet: Ja, wir liefern. Unsere ensa Kurse kommen Mitarbeitenden zu gute. Und weil wir bereits einige Firmenkunden haben, entsteht keine einseitige Abhängigkeit.
Vor wenigen Wochen habe ich an dieser Stelle über Freuden und Leiden des Fundraisings für Covid-19-Angebote berichtet. Zuerst habe ich mich wirklich gefreut, als u.a. von Glencore in Zug die Frage kam, ob wir Geld bräuchten für unsere Covid-19-Angebote. Aber ganz schnell kam die Frage von Mitarbeitenden, «nehmen wir Geld von Glencore?» Ja, wir nehmen, denn die Vergabung ist nicht an Bedingungen gebunden. Alle können davon profitieren.
Ist Geld der öffentlichen Hand unproblematisch?
Die meisten denken wohl, ja. Ich auch, ich wurde aber eines «Schlechteren» belehrt: Wir hatten im Sommer 2018 das Referendum gegen die Sozialdetektive mitunterstützt. Unter anderem auch, weil viele unserer Klientinnen und Klienten bereits Angst haben und sich überwacht fühlen und es ja offensichtlich ist, dass solche Menschen zusätzliche Ängste und Phobien entwickeln. Bei einer Sitzung im Bundesamt für Sozialversicherungen über die IV-Beiträge 2019 wurde uns – ganz nebenbei aber doch deutlich – mitgeteilt, dass ein Engagement der Stiftung Pro Mente Sana im Abstimmungskampf Auswirkungen auf unsere Verträge haben würde. Wir haben keinen Abstimmungskampf geführt, und sonst leider auch niemand und so wurde das Referendum verloren.
Schere im Kopf
Sie haben in den letzten Wochen vielleicht auch gelesen oder gehört, dass es Einschränkungen gibt bei therapeutischen Leistungen, wenn der Patient/die Patientin «nicht anwesend» ist. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat nach langem Schweigen dann mitgeteilt, dass Psychiaterinnen und Psychiater jetzt telefonisch oder über Video therapieren und die Leistungen abrechnen dürfen. Die psychologischen Psychotherapeutinnen und ‑therapeuten dürfen neu statt 4h «sogar» 6h pro Halbjahr – also neu eine ganze Stunde (!) pro Monat abrechnen. Und die Psychiatrie-Spitex immer noch gar nichts, ausser sie führt die Gespräche im Angesicht mit dem Patient oder Patientin. Für die Pro Mente Sana ist klar, so geht das nicht. Hier wird auf dem Buckel von Menschen, die ein medizinisches Problem schon vor der Krise hatten, oder während der Krise neu entwickeln, gespart. So gefährdet man den Therapieerfolg und riskiert, dass unbehandelte Angststörungen – jede siebte Person in der Schweiz ist davon betroffen – zu unnötigem Leiden führen und schlimmer werden. Ausserdem wir die Behandlung in der Folge teurer.
Gleichzeitig haben wir mit einem anderen Direktionsbereich im BAG mündlich vereinbart, dass das Amt die zusätzlichen Beratungszeiten in der Coronakrise bis im Sommer finanziert. Schriftlich haben wir es noch nicht.
Mutig sein oder kuschen?
Ich habe mich ein paar Nächte gefragt, ob wir das Problem der Therapien auf Distanz thematisieren wollen und ob wir so den BAG-Beitrag gefährden – wir reden immerhin über eine tiefe sechsstellige Summe?
In den letzten Tagen haben die Tagesschau und mehrere andere Medien das Thema aufgegriffen. Dabei war zu vernehmen, das BAG habe darüber mit den Krankenversicherern verhandelt, mehr sei nicht «herauszuholen» gewesen. In der Tagesschau vom 18. April 2020 hat der BAG-Mediensprecher im SRF mitgeteilt, «wenn es nötig würde, dann wären die Krankenversicherer schon bereit, mehr Stunden pro Halbjahr zu bewilligen.»
Ich finde das an sich schon einen Skandal: Stellen Sie sich mal vor, das seco hätte vor Einführung des Lockdown mit Herrn Bigler vom Gewerbeverband verhandelt, um zu klären, welches Gewerbe wann heruntergefahren würde. Oder jetzt, in welcher Reihenfolge Lockerungen zur Anwendung kämen.
Der Bundesrat hätte das Problem schon vor Wochen mit einer einfachen Verordnungsänderung lösen können. Aber der Bundesrat beschliesst nur «auf Antrag eines Departements». Bisher wurde nicht bekannt, ob das BAG dem Departement des Innern einen solchen Antrag gestellt hat, oder ob der Direktionsbereich Kranken- und Unfallversicherung (KUV) des BAG noch gar nicht gemerkt hat, dass das Land in einer ausserordentlichen Lage ist und damit Verhandlungen zwar sicher wünschbar und nützlich aber in der Sache im Moment nicht nötig sind.
Mir drängen sich zwei Vermutungen auf, warum der Direktionsbereich KUV so handelt: Entweder sind dort Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen vernachlässigbar und es fehlt schlicht an Sensibilität fürs Thema oder man hofft auf Einsparungen durch nicht-erbrachte Leistungen und damit auf einen Herbst ohne steigende Krankenkassenprämien. Oder beides. Wie dem auch sei, beides wäre zynisch und das Vorgehen in dieser Sache bleibt völlig unverständlich. Das muss gesagt sein, auch wenn es uns vielleicht Hunderttausend kostet.
Weitere Informationen: promentesana