The Philanthropist: Am 19. Mai wird die GrünÂdung der RheuÂmaCura FounÂdaÂtion beglauÂbigt: Was gab den Anstoss zur GrünÂdung?
Judith Safford: Ich bin selbst von einer chroÂniÂschen RheuÂmaÂerÂkranÂkung betrofÂfen. Dabei habe ich festÂgeÂstellt, dass relaÂtiv wenig über rheuÂmaÂtiÂsche ErkranÂkunÂgen geforscht wird und eine FundÂraiÂsinÂgÂorÂgaÂniÂsaÂtion für RheuÂmaÂforÂschung und insbeÂsonÂdere der EinbeÂzug der PatiÂenÂtenÂerÂfahÂrung fehlt. RheuÂmaÂerÂkranÂkunÂgen verurÂsaÂchen grosÂses Leid. Sie sind meist unheilÂbar und in der Schweiz sind zwei MillioÂnen Menschen betrofÂfen. Warum wenig zur WeiterÂentÂwickÂlung von PrävenÂtion, ErkranÂkung und Heilung von RheuÂmaÂerÂkranÂkunÂgen geforscht wird, ist eine wichÂtige Frage. Ein Grund könnte sein, dass die MediÂzin auf tödliÂche KrankÂheiÂten fokusÂsiert ist oder sich mit den vorhanÂdeÂnen mediÂziÂniÂschen InterÂvenÂtioÂnen zufrieÂdenÂgibt. RheuÂmaÂerÂkranÂkunÂgen sind nur in selteÂnen Fällen tödlich. Ohne Forschung für bessere BehandÂlunÂgen und ohne FortÂschritte verbleiÂben für viele BetrofÂfeÂnen vor allem SchmerzÂmitÂtel oder ein KunstÂgeÂlenk als Therapie.
TP: Was ist der Zweck der StifÂtung?
JS: WichÂtig ist uns, dass die DirektÂbeÂtrofÂfeÂnen und ihre AngeÂhöÂriÂgen im Zentrum stehen. Die RheuÂmaCura FounÂdaÂtion fördert die wissenÂschaftÂliÂche Forschung zu rheuÂmaÂtiÂschen und muskuÂlosÂkeÂlettaÂlen ErkranÂkunÂgen, namentÂlich unter EinbeÂzug der ErfahÂrunÂgen, BedürfÂnisse, PräfeÂrenÂzen und PrioÂriÂtäÂten sowie dem Wissen der PatiÂenÂtinÂnen und PatiÂenÂten, ihrer AngeÂhöÂriÂgen sowie BetreuÂungs- und Bezugspersonen.
WichÂtig ist uns, dass die DirektÂbeÂtrofÂfeÂnen und ihre AngeÂhöÂriÂgen im Zentrum stehen.
Judith Safford, MitgrünÂdeÂrin der RheuÂmaCura Foundation
TP: Es gibt in der Schweiz bereits 13’000 StifÂtunÂgen — wäre es nicht effiÂziÂenÂter, sich in einer bestehenÂden OrgaÂniÂsaÂtion zu engaÂgieÂren?
JS: Ich habe drei Jahre eine NPO geleiÂtet, die Mittel für mediÂziÂniÂsche Forschung verteilte. Dabei habe ich festÂgeÂstellt, dass es sehr wenige StifÂtunÂgen gibt, die RheuÂmaÂforÂschung finanÂzieÂren. Zudem gibt es noch keine StifÂtung für RheuÂmaÂforÂschung, die expliÂzit das PatiÂenÂtenÂwisÂsen in den MittelÂpunkt stellt.
TP: Weshalb ist es aus Ihrer Sicht wichÂtig, PatiÂenÂtenÂverÂtreÂteÂrinÂnen in den StifÂtungsÂräÂten zu haben?
JS: Für gute mediÂziÂniÂsche Forschung braucht es neben der wissenÂschaftÂliÂchen und kliniÂschen Sicht auch die unmitÂtelÂbare ErfahÂrung. Nur von der KrankÂheit betrofÂfene Menschen können diese in die DiskusÂsion einbrinÂgen. Sie erleÂben die KrankÂheit jeden Tag und wissen sehr genau, wie sie auf das Leben wirkt: Vor allem chroÂnisch Erkrankte haben ein enorÂmes Wissen durch das Leben und ManageÂment der ErkranÂkung 24 StunÂden und 7 Tage die Woche, oft über JahrÂzehnte. ÄrztinnÂnen und Ärzte, die ihre PatiÂenÂtiÂenÂten und PatiÂenÂtinÂnen vielÂleicht zwei bis drei Mal jährÂlich für eine kurze Zeit sehen, können nie solches Wissen akquiÂrieÂren. ForscheÂrinÂnen und Forscher haben oft keinerÂlei Kontakte zu den PatiÂenÂtinÂnen und PatiÂenÂten, denen sie helfen wollen.
TP: Das heisst?
JS: Die Stimme der ErkrankÂten hilft, die Ziele der Forschung zu klären und die richÂtiÂgen Fragen zu stelÂlen. In der Schweiz ist dieser kollaÂboÂraÂtive Ansatz, der die PatiÂenÂtinÂnen und PatiÂenÂten einbeÂzieht, noch wenig etabliert. Andere Länder sind hier weiter.
TP: Haben Sie AnhaltsÂpunkte, weshalb dies noch wenig der Fall ist?
JS: Das gesamte GesundÂheitsÂweÂsen ist noch sehr hierÂarÂchisch und patriÂarÂchal geprägt. Oft ist das Muster: Die FachÂperÂson weiss am besten, was die Lösung ist. Der PatiÂent oder die PatiÂenÂtin nimmt diese dankÂbar an. AllerÂdings findet in dieser KommuÂniÂkaÂtion bereits ein Wandel statt. In der ForschungsÂzuÂsamÂmenÂarÂbeit muss man sich auch um die gute KommuÂniÂkaÂtion bemüÂhen. PatiÂenÂtinÂnen und PatiÂenÂten versteÂhen ev. die FachÂspraÂche der Forschung nicht. Und die ForschenÂden wissen nicht, wie sie mit den PatiÂenÂtinÂnen und PatiÂenÂten in Kontakt treten können, auch wenn sie dies möchten.
StifÂtunÂgen nehmen hier eine FunkÂtion ein, die die GesundÂheitsÂsysÂteme anderÂweiÂtig nicht genüÂgend integrieren.
Judith Safford, MitgrünÂdeÂrin der RheuÂmaCura Foundation
TP: Welchen speziÂelÂlen BlickÂwinÂkel können die PatiÂenÂtenÂverÂtreÂteÂrinÂnen und ‑vertreÂter einbrinÂgen?
JS: Ein Beispiel: Bei einer entzündÂliÂchen rheuÂmaÂtiÂschen KrankÂheit betrachÂtete die Forschung den chroÂniÂschen Schmerz als grössÂtes Problem. AbkläÂrunÂgen bei PatiÂenÂten zeigÂten, dass aus ihrer Sicht das grösÂsere Problem die MüdigÂkeit darstellt. Die FatiÂgue verunÂmögÂlicht ihnen die TeilÂnahme am gesellÂschaftÂliÂchen Leben. So hat die Forschung mehr AufmerkÂsamÂkeit darauf gerichÂtet, die chroÂniÂsche FatiÂgue zu verstehen.
TP: Wo sehen Sie überÂhaupt den grössÂten Nutzen, den StifÂtunÂgen im GesundÂheitsÂweÂsen erbrinÂgen können?
JS: Ein Teil des Problems im GesundÂheitsÂweÂsen ist ein MarktÂverÂsaÂgen. Dieselbe Person, die das AngeÂbot bestimmt, entscheiÂdet auch weitÂgeÂhend über die NachÂfrage: die Ärztin oder der Arzt bestimmt die BehandÂlung. Die PatiÂenÂtinÂnen und PatiÂenÂten können schwer ohne Hilfe entscheiÂden, was sie genau benöÂtiÂgen. Dies kann zu falschen oder zu zu vielen BehandÂlunÂgen führen. Darum sind MassÂnahÂmen, welche die PatiÂenÂtenÂstimme stärÂken, ein Ansatz, welcher die GesundÂheitsÂfürÂsorge in allen BereiÂchen verbesÂsern könnte. StifÂtunÂgen können bspw. einen Beitrag leisÂten zur besseÂren InforÂmaÂtion, SelbstÂhilfe, PrävenÂtion, «Shared DecisÂion making», zur FinanÂzieÂrung von PilotÂproÂjekÂten und die Forschung in diese RichÂtung unterÂstütÂzen. InterÂnaÂtioÂnale VergleichsÂstuÂdien haben gezeigt, dass die allerÂmeisÂten SchweiÂzer und SchweiÂzeÂrinÂnen eine aktive Rolle bei ihrer GesundÂheit spieÂlen möchÂten, aber das System bietet hierzu zu wenig Unterstützung.
TP: Bessern StifÂtunÂgen hier einen Mangel des Systems aus?
JS: Auf der ganzen Welt sind GesundÂheitsÂsysÂteme aus verschieÂdeÂnen GrünÂden in der Krise. In der Forschung steiÂgen die AusgaÂben expoÂnenÂtiÂell. Aber der Wert für die PatiÂenÂtinÂnen und PatiÂenÂten ist nicht im selben Masse gestieÂgen. Der Fokus der Forschung liegt stark auf neuen patenÂtierÂbaÂren ProdukÂten und weniÂger auf Fragen, wie bspw. die DienstÂleisÂtunÂgen, die Pflege, die SelbstÂhilfe und die PrävenÂtion verbesÂsert werden können. Diese haben auch einen grosÂsen Einfluss auf die GesundÂheit und die Heilung. Ja, StifÂtunÂgen nehmen hier eine FunkÂtion ein, die die GesundÂheitsÂsysÂteme anderÂweiÂtig nicht genüÂgend integrieren.
Zur Person:
Dr. Judith Safford arbeiÂtet als PatiÂenÂtenÂexÂperÂtin. Sie ist StifÂtungsÂräÂtin der SchweiÂzeÂriÂschen BechÂteÂrew-StifÂtung und MitgrünÂdeÂrin der RheuÂmaCura FounÂdaÂtion. Sie stammt aus London und hat an der UniverÂsiÂtät FreiÂburg im BreisÂgau VolksÂwirtÂschaft und SozioÂloÂgie studiert. Ab 1995 war sie in der Schweiz für verschieÂdene gemeinÂnütÂzige OrgaÂniÂsaÂtioÂnen tätig, bis ihre chroÂniÂschen GesundÂheitsÂbeÂschwerÂden dies nicht mehr erlaubt haben. Sie ist Mitglied der Sciana Health Leaders Network.