Die Genossenschaft Oikocredit, eine global tätige Impact Investorin, verwaltet ein Portfolio von über einer Milliarde Euro, investiert in mehr als 500 Sozialunternehmen in 33 Ländern des Globalen Südens. Mit Fokus auf ein inklusives Finanzwesen, nachhaltige Landwirtschaft und erneuerbare Energien will Oikocredit die Lebensbedingungen benachteiligter Menschen verbessern. Insbesondere ländliche Regionen und Frauen stehen bei der Unterstützung im Fokus. Finanziert durch das Eigenkapital von über 47’000 Anleger:innen, setzt die Organisation auf strenge eigene ESG-Prüfungen und «Capacity Building». So will die Organisation ihre Partnerunternehmen nachhaltig stärken und soziale und wirtschaftliche Wirkung erzielen.
Wer gründete Oikocredit und aus welchem Anlass?
Der Gründungsimpuls für Oikocredit kam 1968 aus der Vollversammlung des Weltkirchenrates (Ökumenischer Rat der Kirchen ÖRK) mit Sitz in Genf. Damals forderten junge, politisch engagierte Kirchenmitglieder verschiedener Konfessionen eine ethische Form der Geldanlage, die Frieden und weltweite Solidarität unterstützt. Es ging um die Frage, wie das Vermögen der Kirchen investiert werden sollte: Vor dem Hintergrund weltweiter Unruhen, u. a. wegen der Apartheid in Südafrika und des Vietnamkriegs, wollten sie erreichen, dass sich kirchliche Investitionen an den drei Grundwerten der Ökumene orientieren – Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Mangels eines entsprechenden Angebotes der Finanzindustrie wurde 1975 als Antwort die Ökumenische Entwicklungsgenossenschaft EDCS gegründet – 1999 in «Oikocredit» umbenannt –, die eine alternative Anlagemöglichkeit bot. So wurde Oikocredit zu einer Pionierin von «Sustainable Finance».
Weshalb fliessen so wenige Investitionen in den Globalen Süden, obwohl Nachholbedarf besteht und auch ansehbare Renditen erzielt werden könnten?
Tatsächlich schätzt man, dass der Investitionsbedarf in Entwicklungs- und Schwellenländer – ohne China – bei drei bis vier Billionen US-Dollar jährlich liegt, um die globalen Nachhaltigkeitsziele, insbesondere die Sustainable Development Goals (SDGs), zu erreichen. Immer noch haben 1,4 Milliarden Erwachsene keinen Zugang zu Basis-Finanzdienstleistungen, die Mehrheit von ihnen sind Frauen. Gleichzeitig zirkuliert das verfügbare Angebot an Investitionskapital weiter hauptsächlich in den hochentwickelten Finanzmärkten des Globalen Nordens. Ein Faktor ist, dass bei uns – auch in der Schweiz – schlicht passende Angebote und Finanzprodukte fehlen, die parkiertes Vermögen oder Ersparnisse in den Globalen Süden lenken könnten. Haben Sie einmal Ihre Bank gefragt, ob das Geld auf ihrem Sparkonto auch einer Unternehmerin in Afrika zugutekommen könnte? Die Antwort können Sie sich vorstellen. Was ich sagen will: Geldanlage-Produkte, die transparent eine gezielte soziale Wirkung erzielen, kommen erst heute schrittweise an den Markt – dazu gehören die Impact-Anlagen.
Wie geht die hohe soziale Wirkung mit Investitionen in schwache Märkte einher? Ein grosses Risiko?
Natürlich muss man das Risiko-Rendite Profil im Auge behalten. Die Risiken von Impact-Investments können aber professionell gemanagt werden. Dabei sind Diversifikation und Risikostreuung sehr wichtig. Oikocredit macht dies, indem wir über die Kontinente hinweg in über 33 Ländern und verschiedenen Sektoren investiert sind. So können Rückschläge bei Währungsschwankungen oder ungünstigen politischen Entwicklungen weggesteckt werden. Letztlich aber geht es auch um die Klärung der Erwartungen: Soziale Wirkung ist ein immaterieller Return-on-Investment. Renditemaximierung ist etwas anderes.
Welche Unternehmen stehen im Fokus?
Oikocredit hat sich darauf spezialisiert, Partnerunternehmen mit Wachstumspotenzial zu identifizieren, die die nachhaltige Entwicklung vor Ort fördern. Dazu gehören kleinbäuerliche Kooperativen, Mikrofinanzinstitute, KMU-Banken, oder Unternehmen/Projekte im Bereich erneuerbare Energien. Inhaltlich geht es um den Zugang zu Finanzdienstleistungen, nachhaltige Landwirtschaft, «Clean Cooking», Prepaid-Photovoltaik und netzunabhängige Energieversorgung. Neu kooperieren wir auch im Bereich Blended Finance mit NGOs, die Bildungsfinanzierung anbieten oder die Wasser-/Wohninfrastruktur und Hygiene verbessern. Es geht darum, solche Unternehmen und Initiativen in einem Wachstumsprozess mit Kapital und Know-how zu unterstützen, damit diese ihre Produkte und Dienstleistungen immer mehr benachteiligten Menschen anbieten können.
Haben Sie ein Beispiel?
Oikocredit ist einer der ersten Kreditgeber von SureChill. SureChill bietet in Afrika eine Abo-Lösung für nachhaltige Kühlgeräte an. Kleine Unternehmen, Haushalte und Kliniken in abgelegenen Gebieten erhalten kostengünstigen Zugang zu solarbetriebenen Kühlschränken, die Kälte in Form von Wasser speichern – bis zu zwölf Tage, ohne Stromzufuhr. Oder wir helfen landwirtschaftlichen Kooperativen, die finanziellen Lücken zwischen Aussaat, Ernte und Export ihrer Erzeugnisse zu überbrücken. Eine Kaffee-Kooperative beispielsweise in Peru kauft ihren Mitgliedern, allesamt Kleinbauern, die Ernte ab, bevor die Kaffeebohnen getrocknet und exportiert werden. Um diese Vorfinanzierung zu stemmen, beansprucht sie eine Kreditlinie von Oikocredit.
Welche spezifischen Anforderungen müssen Unternehmen erfüllen, um Unterstützung von Oikocredit zu erhalten, und wie läuft der Due-Diligence-Prozess ab?
Essentiell ist, dass alle Partnerfirmen im Portfolio von Oikocredit ein Geschäftsmodell aufweisen, welches auf benachteiligte Bevölkerungsschichten und die Verbesserung von deren Lebensumständen ausgerichtet ist. Die Teams von Oikocredit vor Ort bauen Netzwerke und Beziehungen zu innovativen Partnerorganisationen auf und entscheiden nach Positivkriterien, ob eine Kreditvergabe oder eine Eigenkapitalbeteiligung in Frage kommt. Die Sorgfaltsprüfung bei der Partnerauswahl besteht dann aus zwei Stufen. Zum einen die Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit: Kann eine Organisation einen Kredit in der nötigen Frist zurückzahlen und die Zinsen bedienen? Wie hoch ist das Ausfallrisiko? Zum anderen wenden wir eine eigene «ESG-Scorecard» an (Environmental Social Governance Scorecard). Sie analysiert die ökologischen und sozialen Auswirkungen aber auch die Qualität der Unternehmensführung eines potenziellen Partners.
Ein Beispiel?
Ein schönes Beispiel ist die indonesische Genossenschaft KOMIDA, die 2005 damit begann, Mikrokredite an Tsunami-Überlebende in der Provinz Aceh zu vergeben. Seit 2016 ist KOMIDA Oikocredit-Partner. Ich habe mal in unserer Datenbank nachgeschaut. Dort lässt sich die Entwicklung von KOMIDA anhand der ESG-Bewertung gut nachvollziehen. Als wir die Zusammenarbeit begannen, hatte KOMIDA eine sehr solide, aber keine herausragende ESG-Bewertung. Im Laufe der Zusammenarbeit mit Oikocredit konnte KOMIDA den Wert deutlich steigern. Auch wirtschaftlich hat sich KOMIDA positiv entwickelt und zählt heute zu den grössten Genossenschaften des Landes. Das zeigt: Soziale Wirkung und geschäftlicher Erfolg schliessen sich keineswegs aus.
Wie unterscheidet sich die ESG-Bewertung von Oikocredit von anderen Standards, und welche Rolle spielen soziale Aspekte darin?
Oikocredit wendet für jeden Wirtschaftssektor eine passende Bewertungsmethodik an. Eine Mikrofinanzinstitution muss andere Kriterien erfüllen als eine landwirtschaftliche Genossenschaft.
Im Detail berücksichtigt Oikocredit in der ESG-Scorecard für Finanzinstitute über 20 Indikatoren aus fünf zentralen Bereichen, darunter beispielsweise die Massnahmen gegen die Überschuldung von Endkund:innen und die Gewährleistung einer fairen und transparenten Preisgestaltung. Diese Kriterien und Schutzprinzipien beruhen auf internationalen «Best Practices» und Marktstandards für wirkungsorientierte Investitionen.
Die Erfahrung zeigt, dass unsere Kreditnehmer nur dann nachhaltig und finanziell erfolgreich sein können, wenn ihr internes Geschäftsgebaren und ihr Umgang mit den Endkund:innen fair, gleichberechtigt und transparent sind. D.h. unsere Partnerfirmen müssen eine besonders ausgeprägte Fähigkeit haben, mit ihren Mitarbeitenden und Stakeholdern in einem offenen Dialog zu stehen. Stellen Sie sich vor, wenn man Solar-Panels in einem afrikanischen Dorf installieren möchte, ist es entscheidend, ob man weiss, wie man die Bewohner:innen einbezieht. Das sind ganz andere Kriterien, als wenn Sie den Kreditantrag eines Softwareherstellers in der Schweiz bearbeiten.
Warum hat Oikocredit eine stärkere Präsenz in Ländern mit niedrigem Einkommen im Vergleich zu anderen Impact-Investor:innen?
Der Vergleich zeigt, dass die geographische Verteilung tatsächlich anders ist. Die Genossenschaft Oikocredit engagiert sich deutlich stärker in wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern als z.B. der Durchschnitt der Private Asset Impact Funds. Während letztere lediglich 2 Porzent der Mittel in Ländern mit geringem Einkommen investieren «Low-Income Countries», bringt Oikocredit 17 Prozent des Portfolios in dieser wirtschaftlich am stärksten benachteiligten Ländergruppe ein. Auf die untersten Einkommensgruppen entfallen zusammen fast drei Viertel des Oikocredit-Portfolios.
Oikocredit wird in diesen Regionen der Welt besonders gebraucht, weil das Kapitalangebot für innovative Partnerfirmen dort meist noch vergleichsweise schwach ist. Wir sind dort besonders gut vernetzt mit den lokalen Akteuren und Entwicklungsorganisationen. Ausserdem ist das Risiko-Management von Oikocredit speziell erfahren im Umgang mit diesen Geographien. Wir haben beispielsweise die Erfahrung im Umgang mit besonderen Lokalwährungen und die Diversifikationsstrategie.
Gibt es Mechanismen, um mit den eigenen Investitionen andere Kapitalgeber:innen anzuziehen?
Innerhalb des aktuellen Oikocredit-Portfolios haben knapp zehn Prozent der Partnerorganisationen einen schwachen Zugang zu (anderen) Refinanzierungsmöglichkeiten. Die Optionen dieser Unternehmen sind innerhalb der ohnehin schwierigen Finanzmarktsituation stark beschränkt. Dies hängt oft damit zusammen, dass ein erster (internationaler) Kapitalgeber fehlt – dieser kann Oikocredit sein.
Das Engagement von Oikocredit ist dann entscheidend bezüglich der Signalwirkung gegenüber anderen Investoren – teilweise wichtiger als der eigentliche zur Verfügung gestellte Kredit. Das Produkt, das Geschäftsmodell und das Management des Partnerunternehmens werden als tragfähig bzw. skalierbar bewertet. In solchen Fällen stellt Oikocredit oft fest, dass in den folgenden Jahren rasch ein «Crowding-in» weiterer Investoren zu beobachten ist, beispielsweise andere bekannte Microfinance-Fonds.
Sie sprechen von einem Modell der rein eigenkapitalbasierten Refinanzierung. Wie sichern Sie das Vertrauen der Anleger:innen langfristig?
In der Tat beruht die Strategie von Oikocredit darauf, eine sehr breit gefächerte Unterstützerbasis zu haben und das eigene Kapital bei über 47‘000 privaten und institutionellen Investor:innen aufzunehmen. Mit diesen pflegen wir eine gute Transparenz und Nähe: Wir teilen Visionen und Werte. Wichtig ist, dass die ökumenischen Kirchen bis heute als Genossenschafter unsere Identität und Werte stützen und kritisch begleiten. In der Schweiz haben wir über 3000 private Anleger:innen und über 300 Organisationen (Kirchen, Stiftungen, Pensionskassen), die mit einem mittel- bis langfristigen Anlagehorizont bei uns sind.
Die Anleger:innen kennen Oikocredit seit bald 50 Jahren als verlässlichen Partner, der seinen primären Auftrag erfüllt: soziale Wirkung zu erzielen. Über diese Wirkung legt Oikocredit transparent Rechenschaft ab – beispielsweise in Form eines jährlichen Wirkungsberichtes. Oikocredit ermöglicht auch den direkten Kontakt zwischen Anleger:innen, Partnerunternehmen und Endkund:innen. Es finden auch Investor:innen-Reisen statt mit Dialog aus erster Hand.
Zudem legt Oikocredit Jahr für Jahr solide betriebswirtschaftliche Ergebnisse vor. Gehandelt werden die Oikocredit-Beteiligungen zum Nominalwert, d.h. ohne spekulative Ups- and Downs der Finanzmärkte. Auch schüttet die Genossenschaft in der Regel eine Dividende aus – welche jedoch bei zwei Prozent gedeckelt ist, gemäss einer selbstauferlegten Restriktion. Aber genau das macht uns auch wieder glaubwürdig.
Wie reagieren sie auf die wachsende Bedeutung institutioneller Anleger:innen im Impact Investing Markt?
Wir begrüssen diese Entwicklung, denn sie belebt die Diskussion und es hilft, die Qualitätsstandards weiterzuentwickeln. Nehmen wir beispielsweise auch Stiftungen als Beispiel: Wirkungsmessung ist für sie in der Fördertätigkeit enorm wichtig. Ähnliche Methodologien wenden wir als Impact Investoren auch wieder bei der Auswahl, Messung und beim Reporting an. Somit können wir uns immer besser verständigen.
Oikocredit hat traditionell eine starke Basis im kirchlichen Segment. Nun stellen wir uns vermehrt auch auf die Bedürfnisse von Stiftungen, Pensionskassen und Family Offices ein, was die Regulatorik betrifft.
Sie feiern im Jahr 2025 das 50-jährige Jubiläum. Welches sind Ihre nächsten Ziele?
Wir haben uns ambitionierte Ziele für die inhaltliche Entwicklung unseres Investment-Portfolios gesetzt, dazu gehört ein Wachstum im Bereich erneuerbare Energien und beim «Community-Focused Approach», dazu gehören die Projekte im Bereich Bildung, Wohnraum, Wasser und Hygiene.
In der Schweiz möchten wir uns stärker mit dem Stiftungssektor vernetzen. Wir denken, dass wir einen Beitrag leisten können, dass Stiftungen nicht nur in der Fördertätigkeit, sondern auch bei der Vermögensbewirtschaftung ihren Stiftungszweck verwirklichen können – durch Impact Investment.