Für alle Menschen stellt der Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter eine besonders vulnerable Phase dar. Die körperlichen, neurobiologischen, kognitiven und psychischen Veränderungen, denen Adoleszente unterworfen sind, können sehr herausfordernd sein. Viele meistern diese Phase. Bei anderen treten hingegen psychische Probleme auf, die sich längerfristig auswirken und das spätere Erwachsenenleben massgeblich beeinträchtigen können. Es wundert deshalb nicht, dass 50% der psychischen Erkrankungen vor dem 18. Lebensjahr beginnen und 75% vor dem 25. Lebensjahr. Viel zu häufig werden die Symptome einer psychischen Beeinträchtigung im Jugendalter mit Pubertätsproblemen verwechselt und nicht als Symptome einer Krankheit erkannt.
Viele psychische Beeinträchtigungen verschlimmern sich, wenn sie nicht behandelt werden und entwickeln sich zu chronischen Erkrankungen. Unbehandelte psychische Krankheiten behindern das Lernen in der Schule, sowie die persönliche, soziale und berufliche Entwicklung. Als Gesellschaft können wir nur gewinnen, wenn wir bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen für Gesundheitsförderung, Prävention und Früherkennung und eine adäquate Versorgung ihrer psychischen Gesundheit sorgen. Wenn den Menschen ihr Start ins Leben gelingt, beruflich wie privat, nutzt es uns allen.
Die Datenlage zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist in der Schweiz sehr schlecht. Trotzdem deuten aber alle verfügbaren Studien und Erhebungen auf eine grosse Problematik: Viele Kinder und Jugendliche leiden unter Stress, Ängsten und Symptomen psychischer Krankheiten. Die einzige repräsentative Studie stammt aus dem Jahr 1998 und bezieht sich nur auf den Kanton Zürich. Diese Studie und die darauf aufbauenden Längsschnittuntersuchungen zeigen, dass schon vor 20 Jahren 22.5 % der Kinder und Jugendlichen in den sechs Monaten vor der Befragung von einer psychischen Störung betroffen waren. Generell gehören psychische Krankheiten in der Schweiz zu den «Top 5»-Krankheiten nach Krebs, Krankheiten des Bewegungsapparates, kardiovaskulären und neurologischen Krankheiten. Bei den 5–14-Jährigen stehen psychische Störungen an erster, bei den 15–49-Jährigen an zweiter Stelle.
Die Sprachlosigkeit überwinden
Obwohl psychische Krankheiten häufig sind und viele Menschen in unserer Gesellschaft betreffen, sprechen wir kaum darüber. Das Thema ist immer noch tabuisiert und mit Stigma behaftet. Weil wir nicht darüber reden, fehlt uns eine angepasste Sprache und sehr oft auch das nötige Grundwissen. Betroffene merken früh, dass «etwas nicht stimmt», sie versuchen aber, «es» zu verstecken, aus Angst vor Diskriminierung und Ausgrenzung. Dabei wünschen sich Betroffene vor allem eines: Mit einer nahestehenden Person offen darüber reden zu können und auf Verständnis und Unterstützung zu stossen. Stattdessen schweigen sie noch allzu oft und verstecken ihr Leiden, wodurch sich die psychischen Probleme verschlimmern und zu einer chronischen Erkrankung entwickeln können.
Auch nahestehende Personen merken bald, dass «etwas nicht stimmt» – in der Sotomo-Studie[1] vom Herbst 2018 gaben 9 von 10 Befragten an, sie würden jemanden im Umfeld kennen, dem/der es psychisch nicht gut gehe. Sie würden auch gerne helfen, getrauen sich aber nicht, weil sie nicht wissen, wie sie helfen könnten.
Es geht einerseits um die Sensibilisierung der Jugendlichen selbst, vor allem aber auch jener Menschen, die Kinder und Jugendliche ein Stück ihres Weges begleiten (Eltern, Lehrer*innen, Ausbildner*innen, Sporttrainer*innen, Jugendgruppenleiter*innen, etc.).
Wir arbeiten an einem neuen Angebot für Erwachsene, denen Jugendliche anvertraut sind, damit sie die Sprachlosigkeit überwinden und helfen lernen. Aber das Fundraising dafür ist schwierig, weil leider erst sehr wenige Förderstiftungen psychische Gesundheit zu „ihren“ Themen zählen und offen sind, sich damit zu beschäftigen. Gerade jetzt in der sich abzeichnenden Post-Corona Zeit, die unsere Gesellschaft weiter verunsichern und polarisieren wird, gehört die Stärkung der psychischen Gesundheit zuoberst auf die Agenda verantwortlicher Gesellschaftspolitik. Denn vergessen wir nicht: es gibt keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit!
[1] https://www.promentesana.ch/de/ueber-uns/politisches-medien/medien/detail-medienmitteilungen/news/kampagne-wie-gehts-dir-betroffene-leiden-und-schweigen.html