Sigrid Lüber, Gründerin OceanCare, Bild: Esther Michel

Ocean­Care: Meeres­schutz kennt keine Grenzen

Seit über 30 Jahren widmet sich Sigrid Lüber dem Schutz der Meerestiere. Die Gründerin von OceanCare sieht noch immer viel Handlungsbedarf. Sie sagt, dass ein Binnenland als Sitz von OceanCare nie ein Hindernis war und welche Projekte sie optimistisch stimmen.

Auslö­ser für Ihr Enga­ge­ment zum Schutz der Meeres­tiere war eine Begeg­nung mit Delphi­nen. Können Sie beschrei­ben, was bei diesem Tauch­gang beson­ders war?
Sigrid Lüber: Das war über das Jahres­ende 1988/1989, als ich mit meinem Mann auf den Male­di­ven in den Ferien war. Schon während eines Tauch­gangs hörten wir die ganze Zeit Delphine. Plötz­lich gab mir mein Mann, der während Jahren als Tauch­leh­rer auf den Male­di­ven gear­bei­tet hatte, das Zeichen, vom Riff weg ins Blaue zu tauchen. Und da waren sie plötz­lich vor uns – etwa fünf­zig bis sech­zig Delphine, die auf uns zu schwam­men, sich vor uns teil­ten und seit­lich an uns vorbei­zo­gen. Ich kann nicht sagen, wie lange dieser magi­sche Moment gedau­ert hat. Ich war so verzau­bert, dass ich mich in jenem Moment entschied, mich fortan für den Schutz dieser Tiere und deren Lebens­raum einzusetzen. 

Sie haben 1989 Ocean­Care gegrün­det: Spür­ten Sie Vorbe­halte, dass jemand aus einem Binnen­land sich für Meeres­säu­ger enga­giert?
Zuerst wurde ich von eini­gen belä­chelt, ab und zu auch bekämpft – vor allem als es um die Schlies­sung der Delphi­na­rien ging, für die sich Ocean­Care stark machte. Aber mit den Erfol­gen und dem Sonder­be­ra­ter­sta­tus in Meeres­be­lan­gen, den wir 2011 vom UNO Wirt­schafts- und Sozi­al­rat (ECOSOC) erhal­ten haben, sah es anders aus. Mir war es von Anfang an wich­tig, dafür zu sorgen, dass die Anlie­gen von Ocean­Care auch in wich­ti­gen (Schutz-) Gremien gehört werden. Nur so haben wir die Möglich­keit, die Meerespo­li­tik und wich­tige Abkom­men mitzu­ge­stal­ten. Aber um auf Ihre Frage zurück­zu­kom­men: Nein, die Tatsa­che, dass Ocean­Care ihren Sitz in einem Binnen­land hat, war nie ein Hinder­nis. Meeres­schutz kennt ja keine Gren­zen. Dies hat uns die Plas­tik­krise aufge­zeigt. Wir enga­gie­ren uns auch in der Schweiz, indem wir sensi­bi­li­sie­ren, und uns im Gespräch mit Gross­ver­tei­lern und Entschei­dungs­trä­gern unter ande­rem für eine Reduk­tion von Einweg­plas­tik einsetzen. 

Die Lage für die Meeres­säu­ger ist nach wie vor ernst, gerade auch in Europa.

Sigrid Lüber, Grün­de­rin OceanCare

Vor 30 Jahren waren Delphi­na­rien als Ausflugs­ziel für Kinder durch­aus beliebt. Gab es in dieser Zeit auch Anfein­dun­gen? 
Oh ja, und zwar zuhauf. Denn das Leid der Delphine in Gefan­gen­schaft ist auf den ersten Blick nicht offen­sicht­lich. Viele denken, dass es den Tieren gut gehe und man gut für sie sorge, da sie ja täglich ihren Fisch erhal­ten, ohne Gefah­ren ausge­setzt zu sein. Irre­füh­rend ist auch, dass Delphine lächeln, was aber nur mit der fehlen­den Gesichts­mus­ku­la­tur zu tun hat. Viele Vorstösse waren im Parla­ment nötig, Revi­sio­nen im Tier­schutz­ge­setz und in der Tier­schutz­ver­ord­nung. Und natür­lich inten­sive Öffent­lich­keits­ar­beit, um den Menschen in der Schweiz klar­zu­ma­chen, dass sich Delphine nicht für ein Leben in einem Beton­be­cken eignen.

Sie haben zahl­rei­che Erfolge erreicht, im Schutz der Meeres­säu­ger. Sind Sie heute opti­mis­ti­scher für die Zukunft dieser Tiere?
Die Lage für die Meeres­säu­ger ist nach wie vor ernst, gerade auch in Europa. Das zeigt der Bericht «Under Pres­sure», den wir im Früh­ling 2021 veröf­fent­licht haben. Und was gerade auf den Färö­ern geschieht, …
Aber es gibt auch Schritte, die mich opti­mis­tisch stim­men. Mit dem Projekt «Save Moby» setzen wir uns beispiels­weise für den Schutz der letz­ten 200 Pott­wale im südöst­li­chen Mittel­meer ein. Sie sind akut bedroht durch Plas­tik­müll, Unter­was­ser­lärm sowie die rund 80 Fracht­schiffe, die ihren Lebens­raum täglich durch­que­ren. Die gros­sen Tiere können die heran­na­hen­den Schiffe schlecht orten, nicht schnell genug abtau­chen und gera­ten so in die riesi­gen Schiffs­tur­bi­nen. Mit Exper­ten aus ganz Europa haben wir ein Warn­sys­tem entwi­ckelt, welches die Posi­tion der Pott­wale in Echt­zeit den umlie­gen­den Schif­fen mitteilt, damit diese ihren Kurs anpas­sen können. So können Kolli­sio­nen dieser Meeres­gi­gan­ten mit Schif­fen vermie­den werden. Das Pilot­pro­jekt wird Ende 2021 abge­schlos­sen. Danach geht es darum, die Imple­men­tie­rung und flächen­de­ckende Abde­ckung, in Zusam­men­ar­beit mit der grie­chi­schen Regie­rung zu sichern. Wir hoffen so, dass diese einzig­ar­tige Popu­la­tion im südöst­li­chen Mittel­meer eine Zukunft hat.

Unter­was­ser­lärm stört nicht nur Kommu­ni­ka­tion und Paarung der Tiere, er belas­tet auch die lebens­wich­ti­gen Funk­tio­nen dieser Tiere.

Sigrid Lüber, Grün­de­rin OceanCare

Ein ande­res Beispiel, das Hoff­nung gibt, ist der Walm­i­gra­ti­ons­kor­ri­dor zwischen den Balea­ren und dem spani­schen Fest­land, der 2018 zum Schutz­ge­biet erklärt wurde. Dafür haben wir uns mit unse­ren Part­nern jahre­lang einge­setzt. Die Ölin­dus­trie wurde als erstes aus dem Gebiet verbannt. Jetzt geht es darum, die Schiff­fahrt zu verlang­sa­men. Eine Studie zeigt, dass mit einer Tempo­re­duk­tion von zehn Prozent der Lärm unter Wasser, der für die Meeres­tiere so belas­tend ist, um 40 Prozent sinken würde. Davon würde auch das Klima profi­tie­ren. Denn der Ausstoss von Treib­haus­ga­sen, welche die Schiff­fahrt heute verur­sacht, würde sich eben­falls um 13 Prozent verrin­gern. Wir arbei­ten mit Hoch­druck daran, dieses Ziel zu errei­chen. Delphine, Wale, Haie und andere Meeres­tiere würden enorm profi­tie­ren, da sie sich weit­ge­hend über ihr Gehör orien­tie­ren. Was für uns Menschen die Augen sind, sind für die Tiere in der Tiefe des Meeres die Ohren. Unter­was­ser­lärm stört nicht nur Kommu­ni­ka­tion und Paarung der Tiere, er belas­tet auch die lebens­wich­ti­gen Funk­tio­nen dieser Tiere.

Wo sehen Sie die gröss­ten Heraus­for­de­run­gen?
Ganz klar die kumu­la­ti­ven Gefah­ren, weil Meeres­tiere so vielen verschie­de­nen Gefah­ren ausge­setzt sind. Sei es durch die Beja­gung, die Verschmut­zung durch Lärm und Plas­tik, aber auch durch die Gefahr, als Beifang in gros­sen Treib­net­zen zu veren­den. Es gibt aber auch Probleme, die noch wenig bekannt sind: Dazu gehört zum Beispiel der Tief­see­berg­bau, der heute am Über­gang von Erkun­dung zu kommer­zi­el­ler Ausbeu­tung steht. Eine Entwick­lung, die uns Sorgen berei­tet. Der Hunger nach immer mehr Rohstof­fen, die Erschlies­sung neuer Geschäfts­be­rei­che und geopo­li­ti­sche Erwä­gun­gen sind die trei­ben­den Kräfte. Die Tief­see ist nach wie vor kaum erforscht und die nega­ti­ven Auswir­kun­gen auf die Meeres­um­welt durch den Abbau sind vermut­lich immens. Ocean­Care hat darum ein neues Programm gestar­tet und weist auf die Umwelt­ri­si­ken hin, die mit der Gewin­nung von Rohstof­fen in der Tief­see verbun­den sind. Tief­see­berg­bau sollte nur betrie­ben werden, wenn es abso­lut notwen­dig ist und sicher­ge­stellt werden kann, dass das marine Ökosys­tem dabei nicht Scha­den nimmt. Solange diese wich­ti­gen Punkte nicht geklärt sind, sollte auf den Abbau von mine­ra­li­schen Rohstof­fen in der Tief­see verzich­tet werden. 

Nach­hal­tig­keit ist ein allge­gen­wär­ti­ges Thema. Erschwert dies Ihre Arbeit, weil mehr Orga­ni­sa­tio­nen und Unter­neh­men das Thema bear­bei­ten? Werden Sie weni­ger wahr­ge­nom­men
All unsere Projekte orien­tie­ren sich an den Nach­hal­tig­keits­zie­len (SDGs) der Verein­ten Natio­nen, die im Rahmen der Agenda 2030 defi­niert wurden. Ocean­Care verpflich­tet sich der UNO gegen­über, zu den SDGs beizu­tra­gen. Die Nach­hal­tig­keits­ziele sind sehr ambi­tio­niert. Wir haben nur eine Chance, sie zu errei­chen, wenn wir alle darauf hinar­bei­ten. Es ist darum wich­tig, dass sich möglichst viele Orga­ni­sa­tio­nen und Unter­neh­men zu Nach­hal­tig­keit verpflich­ten. Was aus unse­rer Sicht noch besser verstan­den werden sollte, ist der Unter­schied zwischen Marke­ting und echten Engagement. 

In den vergan­ge­nen Jahren haben die Gross­ver­tei­ler ihre Fisch­the­ken ausge­baut. Mit den – bis zur Pande­mie – zuneh­men­den Reise­tä­tig­kei­ten erle­ben auch viele Schwei­ze­rin­nen und Schwei­zer das Meer regel­mäs­sig. Hat dies das Verständ­nis für die Proble­ma­tik geför­dert und Ihre Arbeit verein­facht?
Ja, die üppi­gen Fisch­the­ken bei den Gross­ver­tei­lern vermit­teln ein falsches Bild. Allen, die sich nicht mit dem Problem der Über­fi­schung befas­sen, wird so vermit­telt, dass es noch immer Fisch in Hülle und Fülle gibt. Oft höre ich auch, dass man ja nur in den Ferien Fisch esse, da es im Feri­en­land genug davon gäbe. Dem ist leider nicht so, denn gewisse Fische, gerade auch auf Märk­ten in Italien, stam­men in Tat und Wahr­heit aus Norwe­gen. Und auch der Lachs, der den Touris­ten auf den Male­di­ven serviert wird, ist alles andere als einhei­misch. Verant­wor­tungs­be­wusste Konsu­men­ten müssen sich proak­tiv infor­mie­ren, denn es fehlt leider an Transparenz. 

Verant­wor­tungs­be­wusste Konsu­men­ten müssen sich proak­tiv infor­mie­ren, denn es fehlt leider an Transparenz.

Sigrid Lüber, Grün­de­rin OceanCare

Sie sind seit 2015 auch Stif­tungs­rä­tin der Foun­da­tion for happy dogs and people – welche Erfah­run­gen aus Ihrer Arbeit bei Ocean­Care konn­ten Sie in diese Stif­tung einbrin­gen?
Die Stif­tung Foun­da­tion for happy dogs and people ist eine rela­tiv junge Stif­tung. Aus den über dreis­sig Jahren bei Ocean­Care kann ich beispiels­weise meine Erfah­run­gen aus dem Fund­rai­sing einbrin­gen, sei es beim Erar­bei­ten von Stif­tungs­an­trä­gen oder durch Vermit­teln von Kontak­ten. Da in unse­rer Fami­lie zwei Hunde leben, die uns so viel geben, ist es mir wich­tig, etwas zurück­zu­ge­ben, damit Hunde, die zum Beispiel verstos­sen wurden, eine zweite Chance erhalten. 

Sie enga­gie­ren sich seit über 30 Jahren für Tiere. Hat sich Ihr Menschen­bild in dieser Zeit verän­dert?
Im Gegen­satz zu uns Menschen können Tiere und Natur nicht für sich einste­hen. Sie brau­chen eine Stimme, die sich für sie einsetzt. Was ihnen ange­tan wird, ist für mich manch­mal nur schwer zu ertra­gen. Aber es gibt auch so viele Menschen, die sich mit aller Kraft für notlei­dende Tiere und für den Schutz der Umwelt einset­zen. Ich liebe die Natur, Tiere und Menschen glei­cher­mas­sen. Denn für mich sind Liebe und Ethik nicht teil­bar, sie umfas­sen die ganze Schöpfung. 

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