Sie inszenieren Kabarett und Satire im The Millers. Können die Menschen heute überhaupt noch lachen?
Die Leute können extrem lachen. Wenn sie ins Theater kommen.
Drückt die aktuelle Weltlage nicht auf die Stimmung?
Gerade in schwierigen Zeiten haben die Menschen ein grosses Bedürfnis, abzuschalten. Sie können dazu RTLII oder Netflix einschalten oder ins Theater kommen. Wir haben auch eine kuschelige Bar. Wir merken, dass die Menschen es brauchen und schätzen, zusammen zu sitzen und sich auszutauschen.
Interessant wird es erst, wenn ein Witz über dich ins Schwarze trifft und schmerzt.
Andrea Fischer Schulthess, künstlerische Leiterin des Theaters Millers
Was ist heute gefragt: fröhlicher leichter Humor oder politische Satire?
Ich dachte anfänglich, es wäre doch wichtig, jetzt über die Pandemie zu sprechen. Das Erlebte aufzuarbeiten. Aber ich merkte rasch, dass niemand Witze über die Pandemie hören will. Wenn ein Thema genügend tief sitzt und schmerzt, wollen die Menschen nicht noch einen Witz darüber hören. Sie brauchen erst mal Abstand. Die Menschen sind umsichtiger geworden und fragen sich, ob man dies und das noch sagen darf und machen sich deswegen Sorgen. Das ist etwas absurd.
Weshalb?
Es gibt viele gute Denker:innen, die gesagt haben: Du musst dir eben gut überlegen, willst du etwas sagen und weshalb willst du es unbedingt sagen. Ist es nicht gerade eine gute Herausforderung, sich zu fragen, wie man Humor macht, ohne anderen damit auf die Füsse zu treten? Die Auseinandersetzung mit diesen Themen ist ein guter Nährboden, auf dem neue Dinge wachsen können.
Die Pandemie hat eine Spaltung der Gesellschaft offenbart. Ist eine gespaltene Gesellschaft einfacher mit Humor zu bedienen, solange man für eine Seite Pointen auf Kosten der anderen wählt?
Ich finde es herausfordernd, Pointen zu finden, die für alle funktionieren. Wir brauchen im Moment nicht noch mehr Spaltung. Vielmehr müssen wir die Menschen zusammenführen. Viele Menschen sind traumatisiert, weil sie Freunde verloren haben. Freunde, die nicht mehr miteinander sprechen. Diese Erlebnisse sitzen tief.

Können die Menschen noch über sich selbst lachen?
Jeder Mensch auf dieser Welt würde wohl sagen, dass er einen guten Sinn für Humor hat und gut über sich lachen kann. Das sage ich ja auch. Aber interessant wird es erst, wenn ein Witz über dich ins Schwarze trifft und schmerzt. Kannst du dann immer noch lachen, dann hast du wirklich Humor. Das ist viel verlangt. Und Voraussetzung ist natürlich, dass die Absicht des Witzes nicht die Verletzung per se ist, sondern das Spiegeln. Wir haben das gemerkt, als wir einen Queerslam lanciert haben, einen Slam Poetry Anlass für die LGBTQ-Community.
Was haben Sie beobachtet?
Es ist ein geschützter Raum, in dem gelacht werden darf, weil alle im selben Boot sitzen. Es ist gewissermassen eine «Bubbleisierung» des Humors. Man lacht in dieser über sich selbst, was man an einem Buurezmorge nicht unbedingt täte. Und solche geschützten Räume sind immens wichtig.
Am Wochenende spielen Sie «KABARETT UND WORTSPIELEREIEN: Breitfuss & Löffler – Last Night Show». Eine typische The Millers Produktion?
Irgendwie schon, und auch nicht. Das Kabarettistische, Gottfried Breitfuss ist ein grossartiger Schauspieler und guter Beobachter: Und er persifliert den Charakter einer Late Night Show. Es ist eine gute Schnittmenge. Wir haben ja auch Inszenierungen, die mehr Kabarett oder eher Varieté, Burlesque und schräg sind.
Wie gelingt es Ihnen, das Programm zu finanzieren?
Es wird schwieriger. Wir vermieten dazu das Lokal und die Bar nimmt eine zunehmend wichtige Rolle ein. Einige Produktionen können sich selbst finanzieren. Aber wir weigern uns, uns auf diese zu beschränken. Das ist auch nicht unser Auftrag. Wir versuchen einfach, nicht den Mut zu verlieren und nicht links und rechts in den Abgrund zu blicken. Wir wollen ein Programm mit einer guten Mischung machen.
Was Sie schaffen. Wie sieht Ihre Finanzierung aus?
Subventionen machen derzeit weniger als 15 Prozent aus. Wir haben Ticketeinnahmen, einen Gönnerverein und mit SwissRe einen Hauptsponsor, was heute keineswegs mehr selbstverständlich ist. Gerade versuchen wir eine absurde Intervention. Wir werden Patenschaften für Dinge verkaufen, die bei uns im Theater herumstehen, etwa eine WC-Schüssel, die im Damen WC steht, aber gerne im Herren WC angestellt wäre.
Welche Rolle spielen Stiftungen?
Stiftungen spielen eine grosse Rolle – leider nicht mit grossen Beträgen, sondern als viele Stiftungen mit kleinen Beträgen. Wenn wir die Arbeitsstunden pro Antrag rechnen, müssen wir uns jedes Mal fragen, ob sich der Aufwand für allenfalls nur 2000 Franken effektiv lohnt.
Sehen Sie Verbesserungspotenzial?
Weniger Bürokratie würde helfen. Es gibt viel Geld bei Stiftungen und die Kultur braucht dieses megadringend. Natürlich verstehe ich, dass eine Kontrolle und Prüfung ein Qualitätsmerkmal sind. Aber manchmal würde ich mir wünschen, dass es nicht so wahnsinnig aufwändig wäre. Viele Stiftungen sind auch versteckt. Erst wer sie überhaupt findet, hat vielleicht die Chance auf eine Unterstützung. Ein paar Wegweiser wären manchmal hilfreich.
Ein paar Wegweiser wären manchmal hilfreich.
Andrea Fischer Schulthess
Das Theater hat eine eigene Stiftung?
Die Stiftung «Miller‘s Studio» ist die Trägerin des Theaters. Sie ist nicht gewinnorientiert und verpflichtet uns auch, Theater als Kerngeschäft zu machen.
Sie führen auch eigene Charity Aktionen durch – aber nicht für sich selbst.
Das ist ein Erbstück aus der Zeit vor dem Millers. Als die grosse Flüchtlingswelle in Griechenland ankam, war ich für zwei Wochen dort. Allerdings musste ich einsehen, dass es mich vor Ort nicht braucht. Dort sind junge Kräfte gefragt, die ein halbes Jahr durcharbeiten mögen. Aber was es braucht, ist Geld. Mit meinem Mann habe ich daher den Verein «Herz und Kohle» gegründet und im Theater Neumarkt Benefiz Abende durchgeführt. Wir sind überzeugt, dass auch diese Art des Engagements Aufgabe des Theaters ist. Wenn man ein Sprachrohr ist, soll man das auch nutzen. Wir haben diesen Sommer 6500 Franken für die Ukraine gesammelt und im vergangenen Jahr 38’000 Franken für Syrische Flüchtlinge im Libanon zusammengetragen.
Haben Sie schon eine nächste Aktion geplant?
Nichts Konkretes. Aber ich würde gerne wieder einen «Herz und Kohle»-Abend veranstalten. Ich würde allerdings eher für eine Region sammeln, die nicht so im Fokus steht. Viele Hilfswerke sagen, dass die Unterstützung teils wie eine Modeerscheinung für gewisse Themen erfolgt und anschliessend einbricht, was die Kontinuität der Projekte gefährdet.