Trotz Zerfall herkömmlicher und bekannter Strukturen kann ein neues faszinierenden Bild entstehen. Foto: Klaus Pichler / Anzenberger

«Niemand darf sich in Sicher­heit wiegen»

Jedes Unternehmen sollte zwingend die technologische Entwicklung ständig beobachten und verfolgen, sagt Prof. Georges Grivas, Studienleiter und Dozent an der Hochschule Luzern. Er erklärt, wen eine disruptive Entwicklung gefährden kann – und was darunter überhaupt zu verstehen ist.

THE PHILANTHROPIST: Was unter­schei­det die Digi­ta­li­sie­rung von ande­ren wirt­schaft­li­chen, gesell­schaft­li­chen und vor allem indus­tri­el­len Entwicklungen?

Geor­ges Grivas: Die Digi­ta­li­sie­rung berührt alle Entwick­lun­gen, sowohl wirt­schaft­li­che, gesell­schaft­li­che aber auch indus­tri­elle. Sie ist umfas­send und daher mit weni­gen Entwick­lun­gen in der Geschichte der Mensch­heit vergleichbar. 

Was bedeu­tet dies für ein Unter­neh­men, dessen Manage­ment und Firmenkultur?

Die digi­tale Trans­for­ma­tion betrifft sämt­li­che Berei­che einer Unter­neh­mung. Das Manage­ment muss die zugrun­de­lie­gende Tech­no­lo­gie verste­hen und die Trans­for­ma­tion von ganz oben steu­ern und selbst­ver­ständ­lich auch wollen. Die Firmen­kul­tur bleibt bei der digi­ta­len Trans­for­ma­tion nicht unbe­rührt, sondern erfährt auch starke Verän­de­run­gen – nicht häufig ändern sich zentrale Elemente wie das Geschäfts­mo­del, d.h. wie eine Unter­neh­mung Geld verdient. Dies erfor­dert oft eine neue Firmenkultur.

Beson­ders anspruchs­voll sind disrup­tive Entwick­lun­gen. Was verste­hen wir darunter?

Disrup­tiv bedeu­tet, wenn eine neue tech­no­lo­gi­sche Inno­va­tion bestehende Geschäfts­mo­delle ersetzt oder völlig aus dem Markt verdrängt.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Herkömm­li­che Mobil­te­le­fone wurden von Apple und Android Smart­phones, CDs und DVDs wurden von Strea­ming Anbie­tern wie Spotify und Netflix prak­tisch komplett verdrängt.

Disrup­tive Entwick­lun­gen bedro­hen Geschäfts­mo­delle und damit die Exis­tenz: Wie kann ein Unter­neh­men darauf reagieren?

GG: Es ist wich­tig, dass Unter­neh­men aufkom­mende Tech­no­lo­gien und deren Impli­ka­tio­nen stetig verfol­gen. Niemand darf sich in Sicher­heit wiegen, dass der Markt, in dem sich ein Unter­neh­men bewegt, nicht disrup­tier­bar wäre. Netflix ist hier ein einfa­ches Beispiel. Das Unter­neh­men star­tete 1997 als Online-Video­thek mit dem Versand von DVDs und Bluer­ays. Es erkannte früh­zei­tig die Chan­cen des Strea­mings und etablierte bereits 2007 das Video-on-Demand Geschäft.

Wie kann ein klei­nes Unter­neh­men sicher­stel­len, keine Entwick­lung zu verpas­sen und die sich bieten­den Chan­cen zu nutzen?

Es ist meiner Meinung nach die Aufgabe des Verwal­tungs­ra­tes und der Geschäfts­lei­tung voraus­schau­end und stra­te­gisch im Sinne einer Unter­neh­mung zu wirken. Dabei müssen sie Entwick­lun­gen, wie zum Beispiel tech­no­lo­gi­sche Inno­va­tio­nen früh­zei­tig erken­nen. Es ist daher essen­ti­ell, den Verwal­tungs­rat und auch die Geschäfts­lei­tung so zu beset­zen, dass solche Chan­cen und Risi­ken früh­zei­tig auf dem Radar sind.

Kann ein KMU, das nicht im Tech­no­lo­gie-Sektor unter­wegs ist, über­haupt digi­tale Inno­va­tion hervorbringen?

Es ist nicht zwin­gend nötig, dass KMUs – und insbe­son­dere solche, die nicht im Tech­no­lo­gie-Sektor sind –, digi­tale Inno­va­tion hervor­brin­gen. Sie soll­ten jedoch gewapp­net sein, um den digi­ta­len Struk­tur­wan­del erfolg­reich zu überstehen.

Geschieht eine disrup­tive Entwick­lung inner­halb einer Bran­che oder kann sie auch eine ganze Bran­che über­flüs­sig macht?

Es ist auf jeden Fall beides möglich. In der Finanz­bran­che zum Beispiel erwei­tern die Tech-Gigan­ten, wie Face­book, Google, Amazon und Apple, Schritt für Schritt ihr Ange­bot und stre­cken Ihre Fühler aus. Es ist eine logi­sche Folge, denn auch die Finanz­bran­che wird immer stär­ker von Tech­no­lo­gie getrie­ben. IT-Unter­neh­men besit­zen in diesem Metier als «digi­tal Nati­ves» einen natür­li­chen Vorsprung. Ihre digi­tale globale Reich­weite ist unan­ge­tas­tet und ihre Marke­ting-Maschi­ne­rie ist ausgezeichnet.

Verän­dert dies gesell­schaft­li­che Strukturen?

Auf jeden Fall. Ein sehr aktu­el­les Beispiel ist die Block­chain-Tech­no­lo­gie, die beispiels­weise «Banking the unban­ked» ermög­licht. D.h. Menschen auf unse­rem Plane­ten, die bis dato kein Bank­konto bzw. Zugang zu Finanz­dienst­leis­tung haben, erhal­ten genau diesen Anschluss an das Finanz­sys­tem. Dies wird die gesell­schaft­li­che Struk­tur in jenen Schich­ten stark verändern.

Sehen Sie even­tu­ell bereits Anzei­chen für eine disrup­tive Entwick­lung in der Phil­an­thro­pie­bran­che oder beim Spenden?

Auch vor diesen Zwei­gen macht die Digi­ta­li­sie­rung keinen Halt. Wir sehen beispiels­weise Entwick­lun­gen in Themen wie der Trans­pa­renz, in welcher Tech­no­lo­gien wie die Block­chain posi­tiv einwir­ken. Da alle Trans­ak­tio­nen in der Block­chain unwi­der­ruf­lich gespei­chert sind, können diese jeder­zeit zurück­ver­folgt werden. Es ist möglich, Spen­den­gel­der und Finanz­ströme trans­pa­rent nach­zu­ver­fol­gen. Eben­falls können Mittels­män­ner ausge­schal­ten werden, sodass gene­rell Kosten redu­ziert werden können. 

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

StiftungSchweiz engagiert sich für eine Philanthropie, die mit möglichst wenig Aufwand viel bewirkt, für alle sichtbar und erlebbar ist und Freude bereitet.

Folgen Sie StiftungSchweiz auf

-
-