THE PHILANTHROPIST: Was unterscheidet die Digitalisierung von anderen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und vor allem industriellen Entwicklungen?
Georges Grivas: Die Digitalisierung berührt alle Entwicklungen, sowohl wirtschaftliche, gesellschaftliche aber auch industrielle. Sie ist umfassend und daher mit wenigen Entwicklungen in der Geschichte der Menschheit vergleichbar.
Was bedeutet dies für ein Unternehmen, dessen Management und Firmenkultur?
Die digitale Transformation betrifft sämtliche Bereiche einer Unternehmung. Das Management muss die zugrundeliegende Technologie verstehen und die Transformation von ganz oben steuern und selbstverständlich auch wollen. Die Firmenkultur bleibt bei der digitalen Transformation nicht unberührt, sondern erfährt auch starke Veränderungen – nicht häufig ändern sich zentrale Elemente wie das Geschäftsmodel, d.h. wie eine Unternehmung Geld verdient. Dies erfordert oft eine neue Firmenkultur.
Besonders anspruchsvoll sind disruptive Entwicklungen. Was verstehen wir darunter?
Disruptiv bedeutet, wenn eine neue technologische Innovation bestehende Geschäftsmodelle ersetzt oder völlig aus dem Markt verdrängt.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Herkömmliche Mobiltelefone wurden von Apple und Android Smartphones, CDs und DVDs wurden von Streaming Anbietern wie Spotify und Netflix praktisch komplett verdrängt.
Disruptive Entwicklungen bedrohen Geschäftsmodelle und damit die Existenz: Wie kann ein Unternehmen darauf reagieren?
GG: Es ist wichtig, dass Unternehmen aufkommende Technologien und deren Implikationen stetig verfolgen. Niemand darf sich in Sicherheit wiegen, dass der Markt, in dem sich ein Unternehmen bewegt, nicht disruptierbar wäre. Netflix ist hier ein einfaches Beispiel. Das Unternehmen startete 1997 als Online-Videothek mit dem Versand von DVDs und Bluerays. Es erkannte frühzeitig die Chancen des Streamings und etablierte bereits 2007 das Video-on-Demand Geschäft.
Wie kann ein kleines Unternehmen sicherstellen, keine Entwicklung zu verpassen und die sich bietenden Chancen zu nutzen?
Es ist meiner Meinung nach die Aufgabe des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung vorausschauend und strategisch im Sinne einer Unternehmung zu wirken. Dabei müssen sie Entwicklungen, wie zum Beispiel technologische Innovationen frühzeitig erkennen. Es ist daher essentiell, den Verwaltungsrat und auch die Geschäftsleitung so zu besetzen, dass solche Chancen und Risiken frühzeitig auf dem Radar sind.
Kann ein KMU, das nicht im Technologie-Sektor unterwegs ist, überhaupt digitale Innovation hervorbringen?
Es ist nicht zwingend nötig, dass KMUs – und insbesondere solche, die nicht im Technologie-Sektor sind –, digitale Innovation hervorbringen. Sie sollten jedoch gewappnet sein, um den digitalen Strukturwandel erfolgreich zu überstehen.
Geschieht eine disruptive Entwicklung innerhalb einer Branche oder kann sie auch eine ganze Branche überflüssig macht?
Es ist auf jeden Fall beides möglich. In der Finanzbranche zum Beispiel erweitern die Tech-Giganten, wie Facebook, Google, Amazon und Apple, Schritt für Schritt ihr Angebot und strecken Ihre Fühler aus. Es ist eine logische Folge, denn auch die Finanzbranche wird immer stärker von Technologie getrieben. IT-Unternehmen besitzen in diesem Metier als «digital Natives» einen natürlichen Vorsprung. Ihre digitale globale Reichweite ist unangetastet und ihre Marketing-Maschinerie ist ausgezeichnet.
Verändert dies gesellschaftliche Strukturen?
Auf jeden Fall. Ein sehr aktuelles Beispiel ist die Blockchain-Technologie, die beispielsweise «Banking the unbanked» ermöglicht. D.h. Menschen auf unserem Planeten, die bis dato kein Bankkonto bzw. Zugang zu Finanzdienstleistung haben, erhalten genau diesen Anschluss an das Finanzsystem. Dies wird die gesellschaftliche Struktur in jenen Schichten stark verändern.
Sehen Sie eventuell bereits Anzeichen für eine disruptive Entwicklung in der Philanthropiebranche oder beim Spenden?
Auch vor diesen Zweigen macht die Digitalisierung keinen Halt. Wir sehen beispielsweise Entwicklungen in Themen wie der Transparenz, in welcher Technologien wie die Blockchain positiv einwirken. Da alle Transaktionen in der Blockchain unwiderruflich gespeichert sind, können diese jederzeit zurückverfolgt werden. Es ist möglich, Spendengelder und Finanzströme transparent nachzuverfolgen. Ebenfalls können Mittelsmänner ausgeschalten werden, sodass generell Kosten reduziert werden können.