Jakub Samochowiec, Co-Autor der Studie und Senior Researcher und Speaker am Gottlieb Duttweiler Institut in Rüschlikon, Bild: zVg

Neue Studie: Die Schweiz zwischen Viel­falt, Pola­ri­sie­rung und dem Leben in der Bubble

Die neue Studie «Gemeinsam verschieden? Die grosse Schweizer Vielfaltsstudie», die das Gottlieb Duttweiler Institut(GDI) im Auftrag des Migros-Kulturprozent verfasst hat, zeigt die Schweiz als vielfältiges Land, in dem aber Begegnungsmöglickeiten fehlen. Jakub Samochowiec, Co-Autor der Studie, sagt, dass freiwilliges Engagement als förderlich bezüglich der Vielfalt beurteilt wird.

Die Menschen in der Schweiz stehen dem Begriff Viel­falt grund­sätz­lich posi­tiv gegen­über. Ihre Daten zeigen bei allen Themen ein gros­ses, neutra­les Mittel­feld. Trotz­dem spre­chen die Medien von einer zuneh­mend pola­ri­sier­ten Gesell­schaft. Haben Sie eine Erklä­rung für diese Diskrepanz?

Die Pola­ri­sie­rung kann zuneh­men, ohne dass sie damit schon über­hand­ge­nom­men hat. Gleich­zei­tig ist die Pola­ri­sie­rung – oder gene­rell Konflikte – ein Thema, das sich medial gut verkau­fen lässt und sich auch auf Social Media nur schon aufgrund der Algo­rith­men schnell verbrei­tet. Menschen ärgern sich etwa über Tweets, kommen­tie­ren sie und verhel­fen damit einer geäus­ser­ten Meinung zu noch mehr Aufmerk­sam­keit. Diese Pola­ri­sie­rung findet dann aber oftmals bei rela­tiv kurz­le­bi­gen Aufre­ger­the­men statt, etwa, ob eine Band irgendwo spie­len darf oder eine Boxe­rin wirk­lich eine Frau ist. Da scheint es medial wirk­lich so, dass niemand mehr neutral bleibt. Einige Wochen später ist das Thema vergessen.

Bei der Frage zur Einstel­lung zu spezi­fi­schen Grup­pen fällt auf, dass die Befrag­ten nega­tive Gefühle haben «gegen­über fikti­ven Nachbar:innen, die musli­misch sind, über einen Asyl­sta­tus verfü­gen oder SVP-Sympathisant:innen sind». Was verbin­det diese Themen, die nega­tive Gefühle auslösen?

Jede zweite Person mit Sympa­thie für die SVP hegt nega­tive Gefühle gegen­über Asyl­su­chen­den oder Musli­men. Diese Abnei­gung führt wiederum zu einer Abnei­gung gegen­über SVP-Sympathisant:innen vonsei­ten all jener, die offe­ner gegen­über Minder­hei­ten sind. Es ist eine Into­le­ranz gegen­über der Into­le­ranz. Das führt dazu, dass sich einige Rechte ihrer­seits quasi als unter­drückte Minder­heit sehen, wenn man gewisse Dinge «nicht mal mehr sagen darf» und anschei­nend alles tole­riert wird, nur ihre Meinung nicht.

Es ist eine Into­le­ranz gegen­über der Intoleranz.

Jakub Samocho­wiec ist Senior Rese­ar­cher und Spea­ker am Gott­lieb Dutt­wei­ler Insti­tut in Rüschlikon.

Sie stel­len fest, dass jüngere Menschen sehr pola­ri­siert sind gegen­über Minder­hei­ten. Sehen Sie auch Ursa­chen dafür?

Über Ursa­chen kann ich nicht spre­chen, jedoch über Muster. Was auffällt, ist, dass es vor allem junge Männer mit gerin­ger Bildung sind, die nega­tive Gefühle gegen­über Homo­se­xu­el­len, Veganer:innen oder Trans­per­so­nen haben – also gegen­über jenen Grup­pen, bei denen man von einer progres­si­ven Jugend posi­tive Gefühle erwar­ten würde. Die progres­sive Jugend wird jedoch von eher gut gebil­de­ten Frauen reprä­sen­tiert, die sich für Klima­schutz oder soziale Gerech­tig­keit einset­zen. Viel­leicht liegt die Ursa­che dieser Abnei­gung auch eher in der Frus­tra­tion, nicht mehr gehört und gese­hen zu werden.

Um die Daten zu erhe­ben, haben Sie quali­ta­tive Inter­views und quan­ti­ta­tive Befra­gun­gen durch­ge­führt. Gab es bei den beiden Metho­den Unter­schiede bezüg­lich der Ergebnisse?

Bei der quali­ta­ti­ven Methode, also in den Diskus­sio­nen, wird eher über Einzel­per­so­nen gespro­chen – über den türki­schen Nach­barn, die lesbi­sche Verwandte. Während rechts­kon­ser­va­tive Menschen in der Umfrage als eher into­le­rant gegen­über diesen Grup­pen wirk­ten, zeigte sich in den Gesprä­chen, dass sie gegen­über einzel­nen Indi­vi­duen durch­aus posi­tive Einstel­lun­gen hatten. Einer­seits sind ihre Einstel­lun­gen sicher viel komple­xer, als einfach alles Fremde zu verteu­feln. Teil­weise haben Menschen auch schlicht nur mit der Anzahl Mühe und nicht mit einzel­nen Indi­vi­duen. Ande­rer­seits kommt da aber sicher auch das Phäno­men zum Tragen, dass dieje­ni­gen, die man kennt, die «guten Auslän­der» sind.

Die Studie kommt zum Schluss, dass viele Menschen in der Schweiz in einer Bubble leben. Zwei Drit­tel der Armen und der Reichen kennen nieman­den aus der ande­ren Gruppe. Das Glei­che bei den Bildungs­schich­ten: Erken­nen diese Menschen, dass sie in einer Bubble leben?

Die meis­ten Menschen sind sich dessen wohl bewusst. Wobei dieses Bewusst­sein oftmals stär­ker in Bezug auf typi­sche Viel­falts­merk­male wie Haut­farbe oder sexu­elle Iden­ti­tä­ten vorhan­den ist. Dimen­sio­nen wie die finan­zi­elle Situa­tion sind meist weni­ger präsent, so wie sich auch die mediale Diskus­sion insge­samt von Klas­sen­the­men hin zu Iden­ti­täts­the­men bewegt hat.

Wollen die Menschen keinen Kontakt zu denje­ni­gen aus ande­ren Gruppen?

Solche Menschen gibt es durch­aus. Die Mehr­heit wäre jedoch offen für Kontakte zu ande­ren Grup­pen. Sie erge­ben sich einfach nicht, weil wir oft schon struk­tu­rell segre­giert sind. Wir wohnen in Nach­bar­schaf­ten mit tenden­zi­ell ähnli­cher Vermö­gens­si­tua­tion. In der Schule werden wir schon früh in Leis­tungs­stu­fen einge­teilt zusam­men mit denje­ni­gen, die uns ähnlich sind.

Als Indi­vi­duum kann man sich frei­wil­lig enga­gie­ren oder einem Verein beitreten.

Jakub Samocho­wiec

Ist das Stre­ben nach einem homo­ge­nen Umfeld denn nicht normal?

Einer­seits stimmt das sicher. Gleich­zei­tig sind aber auch Neugier, das Stre­ben nach «dem ande­ren» normal. Dieser Zwie­spalt äussert sich darin, dass etwa Deutsch­schwei­zer offe­ner sind gegen­über Menschen aus dem Tessin als gegen­über Asyl­su­chen­den. Man macht kleine Schritte in Rich­tung des Neuen. Und hat man schon Kontakt mit Tessiner:innen, dann kann der nächste Schritt folgen.

Wie lassen sich die Kontakte zwischen den Grup­pen stär­ken und welche Rolle spie­len der Arbeits­platz, die Rekru­ten­schule oder Vereine?

Der Arbeits­platz ist neben dem Freun­des­kreis der Ort, an dem sich viele unter­schied­li­che Menschen tref­fen. Am Arbeits­platz finden sich zum Teil auch Grup­pen, die einan­der gegen­über viel­leicht noch Vorbe­halte haben. Man kann sich die Arbeitskolleg:innen nur bedingt aussu­chen. Ein Arbeit­ge­ber kann jedoch dafür sorgen, dass die unter­schied­li­chen Arbeit­neh­men­den mitein­an­der in Kontakt kommen und die jewei­li­gen Abtei­lun­gen sich nicht abkap­seln. Wir haben auch gese­hen, dass ärmere und weni­ger gebil­dete Menschen auch ein weni­ger viel­fäl­ti­ges Umfeld haben. Hier kann man mit Sozi­al­po­li­tik auch den sozia­len Reich­tum fördern. So hat beispiels­weise das 9‑Euro-Ticket in Deutsch­land dazu geführt, dass sich Armuts­be­trof­fene wieder Reisen zu ihren Freun­den leis­ten konn­ten. Als Indi­vi­duum kann man sich frei­wil­lig enga­gie­ren oder einem Verein beitre­ten. Zumin­dest sind das die Tätig­kei­ten, die in der Umfrage bezüg­lich der Viel­falt als die förder­lichs­ten beur­teilt wurden. Grund­sätz­lich schei­nen jedoch die meis­ten Tätig­kei­ten Viel­falt zu fördern.


Die neue Studie «Gemein­sam verschie­den? Die grosse Schwei­zer Viel­falts­stu­die» hat das Gott­lieb Dutt­wei­ler Insti­tut (GDI) im Auftrag des Migros-Kultur­pro­zent erarbeitet. 

Zur Studie

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