Publix bezeichnet sich als «neue Heimat für alle, die Journalismus machen, Öffentlichkeit gestalten und die Demokratie stärken wollen». In Berlin wurde im September ein Ort für journalistische Innovation eröffnet, der eine unabhängige und vielfältige Medienlandschaft sichern soll.
Was hat Sie dazu bewegt, Publix zu gründen?
Hans Schöpflin: Vor rund 20 Jahren – ich lebte damals in den USA – engagierte ich mich als Gründungsmitglied von Voice of San Diego. Schon damals zeigte sich der mit der Digitalisierung einhergehende Rückgang der Werbeeinnahmen und damit der Zerfall des Geschäftsmodells. Etablierte Medien standen zusehends unter grossem Druck.
Wie zeigte sich das?
HS: Aufgrund der Kostensenkungen kam es zu einem grossen Verlust beim lokalen Journalismus, sprich bei zuverlässiger, glaubwürdiger Information. Diese Erkenntnisse haben mich veranlasst, mich 2005 in San Diego für gemeinnützige Journalismusprojekte zu engagieren. Diese Erfahrung und ein E‑Mail von David Schraven, Gründer der gemeinnützigen Rechercheorganisation Correctiv, mit der Anregung, gemeinnützigen Journalismus nach Deutschland zu bringen, waren die Geburtsstunde der Publix-Idee.
Wie entstand daraus das konkrete Projekt?
HS: Gestartet sind wir wirklich mit einem leeren Blatt Papier. Es folgte ein mehrjähriger, intensiver partizipativer Entwicklungsprozess, an dem Medienschaffende und journalistische, gemeinwohlorientierte Organisationen beteiligt waren, bis wir Publix diesen September eröffnen konnten.
Welches langfristige Ziel verfolgen Sie mit Publix?
Stiftungen können hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie unabhängige Berichterstattung fördern.
Hans Schöpflin
HS: Das langfristige Ziel, das wir mit Publix und übrigens auch mit der Stiftung verfolgen, ist der Erhalt einer lebendigen Demokratie. Das ist das Thema, dem wir alles unterordnen. Die Demokratie ist heute einem noch nie dagewesenen Druck ausgesetzt. Wir sehen Kräfte, die demokratische Strukturen systematisch hinterfragen und schwächen, ob das nun aus Russland, China oder durch populistische Regierungen innerhalb Europas geschieht. Wir sind an einem Punkt, an dem es nicht mehr ausreicht, lediglich verbal zu verteidigen – wir müssen proaktiv handeln. Stiftungen können hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie unabhängige Berichterstattung fördern, Bildungsangebote im Bereich Medienkompetenz ausbauen und für ein kritisches Bewusstsein in der Gesellschaft sorgen.
Das heisst?
HS: Wir müssen erkennen, dass wir uns nicht mehr in der optimistischen Nachkriegszeit befinden, sondern in einer Ära, die von vielschichtigen Bedrohungen geprägt ist. Es geht darum, Werte wie Demokratie aktiv zu schützen und weiterzuentwickeln.
Ein Ziel, das auch der Anfang Juni in Berlin, Wien und Zürich von mehreren Stiftungen gegründete Media Forward Fund MFF verfolgt. Gestartet wurde der Fund mit dem Aufruf zur Eingabe von Projekten aus dem Raum Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Projekte sollen den Qualitätsjournalismus fördern. Sind Sie auf Resonanz gestossen?
Martin Kotynek: Und wie. 136 spannende Anträge sind eingegangen, mit innovativen Ansätzen für neue Geschäftsmodelle. Und wir stellen fest: Oft fehlt das Kapital in der Wachstumsphase. Das wollen wir ein Stück weit ändern. Wir unterstützen dort, wo ein starkes Modell entwickelt wurde, das Produkt marktfähig ist und bereits erste Umsätze generiert werden.
Sie wollen mit dem MFF diese Lücke in der Medienförderlandschaft schliessen?
MK: Genau, nach der Ideenphase ist es entscheidend, dass vielversprechende gemeinwohlorientierte Projekte eine Brücke zum Kapitalmarkt finden – und genau hier setzen wir an. Unser Ziel ist es, innovative Medien nicht dauerhaft von Fördermitteln abhängig zu machen. Sie sollen ein nachhaltiges Geschäftsmodell aufbauen können. Damit können sie ihren Fokus auf den Kernauftrag legen, auf den Journalismus, und so wiederum etwas zur Stärkung der Demokratie beitragen.
Sie sind mit sechs Millionen Euro Kapital gestartet. Sind weitere Gelder hinzugekommen?
MK: Ja, erfreulicherweise haben wir in den letzten drei Monaten zusätzliche drei Millionen Euro erhalten, sodass der Fund nun mit neun Millionen Euro von 13 Geldgeber:innen geäufnet ist. Ich bin zuversichtlich, dass bald weitere Fördermittel hinzukommen. Es ist erfreulich, dass viele private Geldgeber und Stiftungen die Notwendigkeit sehen, Kräfte zu bündeln und Fördermittel in einem gemeinsamen Pool bereitzustellen.
Was ist der Vorteil dieser Bündelung?
MK: In der aktuellen komplexen Transformationskrise des Journalismus in der DACH-Region bietet der Pool den grossen Vorteil, das Risiko gegenüber Einzelmedienförderungen zu minimieren. Mit der Förderung eines einzelnen Mediums besteht das Risiko für Philanthrop:innen und Stiftungen, bei Fehlern des Mediums mit drin zu hängen, während der MFF hingegen zentral die Verantwortung für die Förderung übernimmt.
Die Investition wird politisch weniger brisant …
MK: Ja, genau.
Herr Schöpflin, Sie exponieren sich stark mit Publix. Gibt es Reaktionen auf diese Aktion?
HS: Wir haben sehr viel positive Resonanz auf die Gründung von Publix bekommen. Finanziell sind wir ja unabhängig, das ist ein grosser Vorteil, und es verleiht Stärke. Wir haben unsere Werte definiert und zu denen stehen wir.
Und damit wollen Sie die Medienlandschaft gestalten?
HS: Wir wollen Menschen, die in der Verteidigung der Demokratie tätig sind, zusammenbringen. Das sind neben Journalist:innen auch Organisationen, die digitale Kompetenzen und Transparenz fördern. Bei Publix schaffen wir einen Raum, in dem diese Interessen aufeinander-treffen. Unser Ansatz ist, nicht nur finanzielle Unterstützung zu leisten, sondern die Medienlandschaft aktiv mit neuen Impulsen mitzugestalten und den Kontakt innerhalb der Community zu stärken.
Wie gelingt das bis jetzt?
HS: Wir hören oft, dass das, was wir hier bei Publix tun, einzigartig ist – und das zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die ersten Veranstaltungen aus der Reihe «Publix Thursdays» waren ausgebucht. Das freut uns und ist vielversprechend.
Ist philanthropische Medienförderung eine notwendige Geldquelle, um die Medienlandschaft langfristig zu erhalten?
Oft fehlt das Geld in der Wachstumsphase
Martin Kotynek
HS: Die Verantwortung soll nicht allein auf Stiftungen abgewälzt werden. Es gibt zunehmend Privatpersonen und Unternehmer:innen, die bereit sind, sich im NGO-Sektor zu engagieren. In Berlin beispielsweise bringen wir Start-up-Unternehmer:innen zusammen, die erfolgreich ihre Unternehmen verkauft haben und nun überlegen, wie sie im gemeinnützigen Bereich wirken können. Dieser Dialog ist vielversprechend und zeigt neue Möglichkeiten auf, wie solche Akteure in gesellschaftlich relevante Projekte investieren können. Mit dieser Initiative konnten wir bereits einige Millionen mobilisieren; etwa zur Unterstützung von Projekten wie Correctiv. Das zeigt, dass es immer neue Geldquellen und Förder:innen gibt, die vorher nicht aktiv waren – und das ist ein wertvoller Wandel!
Wie garantieren Sie, dass Stiftungen als Förderinnen keinen Einfluss auf die journalistische Arbeit nehmen?
MK: Der MFF ist so aufgebaut, dass eine klare Trennung besteht. Eine unabhängige Jury entscheidet allein, welche Projekte gefördert werden – die finanzierenden Stiftungen und auch Impact-Investor:innen haben keinerlei Einfluss darauf, welche Medien die Mittel erhalten. Hans Schöpflin weiss also nicht, wer sich beworben hat. Diese strikte Unabhängigkeit, oder «Staatsferne», ist zentral, damit der MFF langfristig auch öffentliche Unterstützung einbeziehen kann.
Also leistet der MFF aktuell eine Übergangsfinanzierung?
MK: Unser Ziel ist es, private Mittel als Vorleistung einzusetzen, um zu zeigen, dass eine unabhängige Medienförderung funktioniert und Top-Ergebnisse liefert. Langfristig könnte dies ein Modell für die öffentliche Hand sein – etwa Bund, Länder oder Kantone –, um eigene Fördermittel in den Fund einzubringen, ohne die Medienunabhängigkeit zu gefährden. Österreich zeigt uns, wie wichtig diese Struktur ist: Dort entscheiden staatliche Stellen oft direkt über die Vergabe öffentlicher Fördergelder und lukrativer Regierungswerbung, was zu Abhängigkeiten und Korruption führen kann. Unser Modell hingegen soll eine klare Alternative bieten und beweisen, dass es auch anders geht.
Funktioniert das für alle drei Länder?
MK: Ja, absolut. Allerdings mit einer angepassten Strategie. In Deutschland könnten sowohl Bund als auch Länder als Förderpartner infrage kommen, während in der Schweiz aufgrund des 2022 abgelehnten Medienpakets durch das Stimmvolk die kantonale Ebene aktuell der vielversprechendere Ansatz ist. Wir führen bereits Gespräche mit zwei Kantonen. In Österreich hingegen ist eine Zusammenarbeit mit dem Bund komplizierter, weshalb wir uns hier eher auf die regionale Ebene fokussieren, konkret gerade auf die Stadt Wien.
Wo steht der MFF mit den Kantonen in der Schweiz?
MK: Der jüngste angekündigte Personalabbau bei Tamedia gefährdet die Nachrichtenvielfalt in der Westschweiz stark. Um zu verhindern, dass sich die Romandie in ein Nachrichtenwüste verwandelt, wollen wir proaktiv eine eigene regionale Förderlinie aufbauen. Dafür führen wir bereits erste Gespräche mit lokalen Geldgeber:innen. Geplant ist, die Kantonsregierungen in den Prozess einzubeziehen. Gleichzeitig sprechen wir direkt mit Medienmacher:innen. Es werden alle Bewerbungs- und Antragsprozesse vollständig auf Französisch zugänglich sein. Am 19. November haben wir den Fund bei einem Event in Lausanne vorgestellt. Gleichzeitig haben gezielte Treffen zur Vernetzung mit Geldgeber:innen und Medienmacher:innen der Romandie stattgefunden. Ähnlich gehen wir übrigens auch in Ostdeutschland vor, wo wir gezielt Medien in strukturschwachen Regionen ansprechen. In beiden Gebieten – der Romandie und Ostdeutschland – beobachten wir zunehmend eine Art journalistische «Steppenbildung». Deshalb legen wir einen besonderen Fokus darauf, die Medienvielfalt in diesen Regionen zu stärken und zu fördern.
Inwiefern könnte man die Leserschaft in die Verantwortung nehmen, wenn sie nicht bereit ist zu zahlen?
MK: Für viele ist es Selbstverständlichkeit, Nachrichten kostenlos zu konsumieren. Inhalte zu erstellen, ist heute so günstig wie nie. Das hat sich mit der Einführung von KI grundlegend verändert. Doch Qualität, Verlässlichkeit und Fairness, also journalistische Tugenden, kosten nach wie vor Geld. Das sind auch Fragen der Medienkompetenz. Welches sind die verlässlichen Quellen? Das müssen wir stärker vermitteln, damit Leser:innen besser zwischen vertrauenswürdigen und weniger verlässlichen Quellen unterscheiden können. Heute ist das eine echte Herausforderung.
Wäre dann das Geld nicht besser in Medienschulung investiert?
MK: Das traditionelle Print-Modell ist unter Druck. Es kann nicht einfach 1:1 durch digitale E‑Paper-Abos mit gleichem Inhalt ersetzt werden. Wir brauchen einen innovativen Online-Journalismus mit diversen Formaten. Dazu braucht es neue Geschäftsmodelle und ein breites Spektrum an Finanzierungsmöglichkeiten, um eine nachhaltige Basis für qualitativ hochwertigen Journalismus zu schaffen. Genau hier setzen wir an: Wir wollen die Vielfalt im gemeinwohlorientierten Journalismus fördern und die Erkenntnisse aus unseren Förderprojekten öffentlich zugänglich machen. So können sich andere Medienmacher:innen inspirieren lassen und neue, tragfähige Finanzierungsquellen erschliessen.
Was ist die Kraft eines gemeinnützigen Journalismus?
MK: In den USA beispielsweise ist der gemeinnützige Journalismus heute etabliert. Auf der Online News Association Konferenz in Atlanta, die ich kürzlich besuchte, war Non-Profit-Journalismus als Modell selbstverständlich – im Gegensatz zu vor zehn Jahren. Damals galt er noch als Nischenlösung. Heute hat er ein breites Spektrum an Erlösquellen, von Abos und Spenden über Stiftungsförderung bis hin zu innovativen Ideen wie Café-Betrieben oder Theaterformaten.
Wo steht der gemeinnützige Journalismus bei uns?
MK: Es gibt Pioniere wie etwa Bajour in der Schweiz, Dossier in Österreich oder Correctiv in Deutschland. Mit der Gemeinnützigkeit kann der Journalismus auch in der DACH-Region von zusätzlichen Erlösquellen profitieren, um die nötige finanzielle Stabilität zu erreichen und die Transformation zu überstehen.
Eine funktionierende Demokratie braucht Pressefreiheit. Auch in der Schweiz gibt es immer wieder Vorstösse, um diese einzuschränken. Steht sie einem unternehmerischen Modell entgegen?
MK: Pressefreiheit ist heute leider von vielen Seiten unter Druck – und nicht nur von staatlicher Seite. Das macht es umso wichtiger, dass Journalismus finanziell nachhaltig aufgestellt ist, denn die kommerzielle Unabhängigkeit ist die Basis für inhaltliche Unabhängigkeit. Wenn Medien nicht auf eine einzige Einnahmequelle angewiesen sind, sondern aus vielfältigen Erlösströmen schöpfen können, haben sie den Freiraum, unabhängig und kritisch zu berichten. Unsere Förderung für mehr Medienvielfalt ist genau darauf ausgelegt: Pressefreiheit zu sichern und damit die Demokratie zu stärken. Ohne Pressefreiheit gerät die Demokratie in Gefahr, denn wo es keine frei zugängliche Information gibt und eine Diskussion nicht mehr möglich ist, kann es auch keine informierten Entscheidungen geben.
Ist die liberale Demokratie eine Voraussetzung für die Entwicklung und Weiterentwicklung von unabhängigem Journalismus, oder braucht es umgekehrt unabhängigen Journalismus, damit sich die liberale Demokratie entfalten kann?
MK: Eine liberale Demokratie ohne freie Presse ist genauso undenkbar wie das Umgekehrte. Journalismus schafft die Grundlage, auf der wir in einer Demokratie überhaupt eine fundierte Meinung bilden und die richtigen Entscheidungen für den Alltag treffen können. Er bietet eine Plattform für die gesellschaftliche Debatte und stellt sicher, dass die Fakten, die dieser Debatte zugrunde liegen, verlässlich und zugänglich sind. Eine Demokratie lebt ja vom ständigen Austausch mit sich selbst, und dafür braucht es einen freien Journalismus, der diesen Dialog ermöglicht.
Also im Sinne des Gemeinwohls?
HS: Genau das war einer der Kernpunkte bei der Überlegung zum MFF. Wir haben erkannt, dass im Medienbereich lange Zeit wenig Innovationsfreude herrschte. Das lag vielleicht auch daran, dass die Gewinne in den traditionellen Geschäftsmodellen über viele Jahre stabil blieben und so ein gewisser struktureller Stillstand entstand. Jetzt aber haben wir die Chance, das digitale Zeitalter im Sinne einer lebendigen und demokratisch funktionierenden Medienlandschaft zu gestalten und zu fördern. Wenn wir es schaffen, diese neuen Technologien sinnvoll zu integrieren, kann das eine unglaublich positive Dynamik für den Journalismus und die Demokratie entfalten.
Engagement für Journalismus
Im 20. Jahrhundert stand die Familie Schöpflin für ein Versandhaus, das von Lörrach bei Basel aus Deutschland mit Textilien belieferte. Nach der schrittweisen Übernahme durch Quelle wurde der Standort Lörrach 1999 geschlossen. Hans Schöpflin trat nie in die Firma ein, sondern startete in den 70ern eine eigene erfolgreiche Unternehmerkarriere in den USA. Der Tod seines Sohnes bewegte ihn, einen Teil seines Vermögens in philanthropisches Engagement zu investieren. So gründete er 1998 die Panta Rhea Foundation in den USA und 2001 mit Bruder Albert und Schwester Heidi Junghanss die Schöpflin Stiftung in Lörrach-Brombach. Journalismus und Gesellschaft sind Förderschwerpunkte der Stiftung. Sie eröffnete im September 2024 in Berlin das Haus Publix als Heimat für den Journalismus und gehört zu den Initiantinnen des 2024 lancierten Media Forward Fund. Gründungsgeschäftsführer des Funds ist Martin Kotynek. Seine Karriere führte den Journalisten über die Süddeutsche Zeitung, Zeit Online und Die Zeit als Chefredakteur zur Tageszeitung Der Standard in Wien. Martin Kotynek ist studierter Biologe und stammt aus Wien. Der Media Forward Fund will den Journalismus in der gegenwärtigen Transformationskrise fördern. Ziel ist es, eine nachhaltige Finanzierung zu entwickeln, damit die Medien ihre demokratietragende Rolle wahrnehmen können.