Am 1. Mai 2024 wurden Sie Geschäftsführer des Schweizer Tierschutzes STS. Was hat Sie an der Aufgabe gereizt?
Der STS ist eine traditionsreiche Organisation. Sie wurde vor mehr als 150 Jahren gegründet. Zudem ist er in einem gesellschaftlich sehr relevanten Thema engagiert.
Sie waren zuvor bei Pro Juventute tätig.
Als ich mich entschieden habe, Pro Juventute und den Bereich Kinder und Jugendliche zu verlassen, habe ich mich auch gefragt, was mich als Person neben dem Thema selbst reizt? Die Antwort war, Organisationen in die Zukunft zu führen, die an einem herausfordernden Ort stehen.
Es war wichtig, Stabilität zu bringen und Transparenz zu schaffen.
Marco Mettler, Geschäftsführer Schweizer Tierschutz STS
Das war beim STS der Fall. Wie tritt man eine Stelle in einer Organisation an, die sich in einer Krise befindet?
Es war eigentlich ganz einfach: viel zuhören. Ich habe mit allen Mitarbeitenden Einzelgespräche geführt. Ich habe ein grosses Herzblut für den Tierschutz festgestellt und gleichzeitig eine Verunsicherung. Wer die Krise in den Medien verfolgt hat, las vor allem von Unstimmigkeiten zwischen Persönlichkeiten im Vorstand. Es war wichtig, Stabilität zu bringen und Transparenz zu schaffen. Die Mitarbeitenden brauchten wieder eine Perspektive.
Sie wurden von einem Vorstand mit Unstimmigkeiten zwischen den Personen eingestellt?
Aber ich hatte den Vorteil, dass ich bei der Bewerbung wusste, wie die Perspektive auf der Ebene des Präsidiums aussah. Die Präsidentin, die Teil der Krise war, wurde abgewählt und der neue Präsident sagte klar, dass er ad Interim übernehme. Er wollte ein Brückenkopf zwischen dem Alten und dem Neuen sein. Für mich war klar, hier ist ein Vorstand, der in die Zukunft schaut. Die Hälfte der Mitglieder war neu.
Dennoch war es ein Risiko für Sie?
Ich nahm das Risiko. Ich habe meine Strategie vorgestellt, um den STS wieder vorwärts zu bringen und ich habe immer wieder ihr Feedback eingefordert, ob sie es auch so sehen.
Dazu mussten Sie sich auch fragen: Was sind die Gründe für die Krise?
Der STS war strukturell und kulturell nicht zeitgemäss aufgestellt. Das war der Auslöser für die Probleme auf personeller Ebene im Vorstand: Ein Teil wollte das Bestehende bewahren, ein anderer Teil wollte in eine neue Richtung gehen.
Es fehlte an klaren Governance-Regeln.
Woran hat es gefehlt?
Es fehlte an klaren Governance-Regeln. Es fehlte Transparenz im Finanzbereich. Es war mir wichtig, mit einem neuen Geschäftsreglement sofort Pflöcke einzuschlagen. Dieses hat der Vorstand bereits in den ersten drei Monaten genehmigt. Zudem habe ich dafür gesorgt, dass eine Jahresrechnung veröffentlicht wird. Das gab es zuvor nicht.
Sie sind nicht die einzige neue Person. Seit März hat der STS mit Peter V. Kunz einen neuen Präsidenten. Zudem sollte eine Reformgruppe den STS für künftige Herausforderungen fit machen. Wo steht der STS heute?
Wir stehen mitten in einem tiefgreifenden Reformprozess. Im März haben wir auch neue Statuten verabschiedet. Das war ein Meilenstein. Sie sind modern und geben etwa vor, wie der Vorstand wiedergewählt wird. Diesen Samstag ist unsere Delegiertenversammlung in Bern. An dieser wird der Vorstand wiedergewählt. Wenn die vorgeschlagenen Personen gewählt werden, wird die Hälfte des Vorstands neu besetzt. Die vorgeschlagenen Personen wurden nach einem klaren Profil ausgewählt. Mit diesen wird der STS einen sehr professionell aufgestellten Vorstand haben.
D.h. personell wäre der Vorstand seit der Krise ausgewechselt worden?
Der Grossteil der Vorstandsmitglieder ist seit einem Jahr dabei. Jene, die schon länger dabei sind, treten nun zurück oder die Amtszeitbeschränkung, die neu in den Statuten steht, kommt zum Tragen. Anschliessend wird der Vorstand zur Hälfte aus neuen Mitgliedern und zur anderen Hälfte aus Mitgliedern mit einem Jahr Erfahrung zusammengesetzt sein.
Eine Organisation, die zehn Millionen Franken umsetzt, muss eine transparente Rechnung auf die Internetseite stellen und Good Governance einhalten.
Welche Rolle spielten die regionalen Sektionen im Reformprozess?
Sie bildeten die Reformgruppe. Der Vorstand war in der Gruppe nicht vertreten. Die Gruppe hatte den Auftrag, neue Statuten zu erarbeiten. Diese wurden an der DV auch sehr deutlich angenommen. Auch für die Suche nach neuen Mitgliedern für den Vorstand stellten die Sektionen die Hälfte der Mitglieder der Findungskommission. Zudem waren die Sektionen direkt aufgefordert, aktiv Mitglieder für den Vorstand zu suchen und vorzuschlagen. Früher lief dies umgekehrt: Der Präsident hat Mitglieder für den Vorstand gesucht. Heute ist der Prozess partizipativ und professionell.
Zewo, das Gütesiegel für Hilfswerke, hat den STS auf die schwarze Liste gesetzt. Unterdessen wurde er wieder von dieser gestrichen. Wie haben Sie das erreicht?
Es war bei meinem Amtsantritt eine der Prioritäten, denn es war reputationsschädigend. Im ersten Monat hatte ich ein Treffen mit Zewo organisiert, um zu erfahren, welche Massnahmen wir ergreifen müssen. Zewo forderte insbesondere Transparenz bei den Finanzen und ein Geschäftsreglement, das die strategische von der operativen Ebene trennt. Für mich waren das logische Massnahmen. Eine Organisation, die zehn Millionen Franken umsetzt, muss eine transparente Rechnung auf die Internetseite stellen und Good Governance einhalten. Binnen vier Monaten haben wir dann die Streichung des STS von der schwarzen Liste erreicht. Der Weg ist nun auch die Zertifizierung.
D.h., der STS ist zwar nicht mehr auf der schwarzen Liste, aber auch nicht Zewo-zertifiziert?
Ja. Ob sich der STS von der Zewo zertifizieren lässt, wird zu einem späteren Zeitpunkt entschieden. In den neuen Statuten steht, dass der STS die Zewo-Standards erfüllen muss. Operativ bereiten wir diesen Schritt auf jeden Fall vor.
Hatte die Krise Auswirkungen auf die Spendeneinnahmen?
Es hatte Auswirkungen, aber nicht im befürchteten Ausmass. Langjährige Partner, Unternehmen oder Grossspender und ‑spenderinnen hielten immer zu uns. Gerade die Zusammenarbeit auf fachlicher Ebene mit Bund, Kantonen und anderen NPOs lief immer gut. Wenn es um unsere Arbeit ging, hat man uns immer vertraut. Dafür sind wir sehr dankbar.
Das Tagesgeschäft auf fachlicher Ebene lief gewohnt weiter.
Ja. Mir persönlich ist aber wichtig, dass wir die Wirkung auch noch stärker belegen können. Wir setzen sehr viele Projekte um, die den Tieren nutzen. Aber wir wollen auch die Wirkung unseres grundlegenden Handelns belegen. Der Stiftlungssektor will Wirkungsziele sehen. Dazu reicht es nicht, die Anzahl Tiere zu zählen, die gerettet wurden. Beim Nachweis der Wirkung wollen wir im Tierschutz vorne dabei sein.
Welches sind die Herausforderungen der kommenden Jahre?
Unsere Organisation hatte bisher keine Strategie, was ein Auslöser für solche Krisen sein kann. Nun sind wir mitten in einem Strategieprozess. An der DV nächsten Sommer soll er abgeschlossen sein. Unsere Herausforderung ist es, eine Strategie zu erarbeiten, die von der Organisation, dem Vorstand und der DV getragen wird.
Wer Tierschutz macht, macht Umweltschutz.
Für den Strategieprozess werden Sie sich auch fragen, was sind die Herausforderungen für den Tierschutz insgesamt?
Im Nutztierbereich sehen wir grosse Herausforderungen. Aber hier haben wir es mit einer Lobby zu tun, die über mehr Geld und eine grössere Vertretung im Bundeshaus verfügt. Auch im Heimtierbereich sehen wir grosse Aufgaben. Was fast niemand wahrnimmt: Wir haben eine Katzenepidemie in der Schweiz. Das Streunerproblem in der Schweiz sind die herrenlose Katzen. Der STS kastriert rund 10’000 Katzen im Jahr, aber das ist viel zu wenig.
püren Sie beim Tierschutz, dass nachhaltige Themen weniger Aufmerksamkeit geniessen?
Wir merken das. Umso wichtiger ist es, den Tierschutz als Thema der Nachhaltigkeit zu positionieren. Es gibt keinen ganzheitlichen Umweltschutz, ohne den Tierschutz mitzudenken. Im Umkehrschluss heisst das: Wer Tierschutz macht, macht Umweltschutz.


