Isolde Böttger mit Schneiderinnen, die ein Atelier eröffnet haben. Bild: zVg, AECOM (Association pour l’économie de communion),

Mit Kleinst-Kredi­ten zur unter­neh­me­ri­schen Selbständigkeit

Isolde Böttger setzt sich als Fachkraft für Entwicklungshilfe für AECOM (Association pour l’économie de communion), die NGO der christlichen Fokolar-Bewegung, für den Aufbau eines Sozialprojektes in der Demokratischen Republik Kongo ein. Spargruppen vergeben dabei Kleinst-Kredite an Unternehmer:innen. Sie ermöglichen so ein Kleinunternehmertum und damit Einkünfte für Familien. Isolde Böttger hat sich bei der Redaktion des The Philanthropist auf einen Aufruf gemeldet.

Sie sind seit 2020 in Goma, in der Demo­kra­ti­schen Repu­blik (DR) Kongo. Was ist Ihre Aufgabe?

Als Fach­kraft für Entwick­lungs­hilfe agiere ich als inte­grierte Bera­te­rin beim Aufbau eines Sozi­al­pro­jek­tes hier in Goma. Das Projekt beinhal­tet den Bau eines Ausbil­dungs- und Produk­ti­ons­zen­trums für geflüch­tete Perso­nen. Wir versu­chen die nach Goma geflüch­te­ten Menschen, die sich hier ansie­deln möch­ten, zu befä­hi­gen mittels erwerbs­brin­gen­der Tätig­kei­ten. Es werden Schu­lun­gen ange­bo­ten in der Schnei­de­rei, Kochen, Garten­bau, Klein­tier­zucht, Compu­ter. Danach erhal­ten die Auszu­bil­den­den ein soge­nann­tes Star­ter­kit mit dem sie dann ihr klei­nes Gewerbe star­ten können. Ich arbeite im Hinter­grund in der Stär­kung unse­res Perso­nals, in der Super­vi­sion und in der Netz­werk­ar­beit und Fundraising. 

Wie prägt der Krieg den Alltag?

Die Gegend hier rund um Goma, im Osten der DR Kongo leidet seit über 25 Jahren unter Krie­gen und gewalt­tä­ti­gen Ausein­an­der­set­zun­gen. Es gibt über 100 Rebel­len­grup­pen, die sich gegen­sei­tig bekämp­fen. Folge ist, dass die Menschen ihre Dörfer verlas­sen müssen, und Haus und Äcker zurück­las­sen. Einige von ihnen haben das bereits mehr­mals hinter sich. Im ganzen Land gibt es aktu­ell sieben Millio­nen Binnen­flücht­linge. Viele von ihnen flüch­ten sich in die Stadt Goma, was eine Bevöl­ke­rungs­explo­sion zur Folge hat (inner­halb von 20 Jahren ist die Stadt von 200’000 auf zwei Millio­nen Einwoh­ner gestie­gen). In der Stadt ist eine erhöhte Gewalt­be­reit­schaft zu spüren. Einbrü­che, Morde, Kidnap­ping sind auf der Tages­ord­nung. Die Bevöl­ke­rung lebt von den Erträ­gen aus den umlie­gen­den Dörfern. 

Abends ab Sonnen­un­ter­gang um 18 Uhr sind alle aus Sicher­heits­grün­den zu Hause. 

Isolde Bött­ger, Fach­kraft für Entwick­lungs­hilfe in der Demo­kra­ti­schen Repu­blik (DR) Kongo

Da diese häufig Austra­gungs­ort von Gewalt­ta­ten sind, können die Lebens­mit­tel nicht ange­baut werden, bzw. die Erträge nicht in die Stadt trans­por­tiert werden. Erhöhte Lebens­mit­tel­preise und damit Hunger und Not sind die Folgen. Grosse Flücht­lings­camps sind am Stadt­rand entstan­den häufig unter sehr prekä­ren Umstän­den. Cholera und andere Krank­hei­ten sind auf der Tages­ord­nung. Kinder können häufig ihren Schul­be­such nicht fort­set­zen, da ihre Schu­len bela­gert, zerstört oder sonst nicht aktiv sind. Die ganze Region lebt seit über zwei Jahren im soge­nann­ten Ausnah­me­zu­stand, das heisst mit einer mili­tä­ri­schen Regie­rung. Abends ab Sonnen­un­ter­gang um 18 Uhr sind alle aus Sicher­heits­grün­den zu Hause. Insge­samt ist das Leben hier schwer vorher­seh­bar, kalku­lier­bar, bevor man morgens das Haus verlässt, muss stets zuerst sicher­ge­stellt werden, das die Lage in der Stadt normal ist, denn es gibt immer mal wieder Gewalt­aus­brü­che, Demons­tra­tio­nen, oder ähnli­ches, die alles lahmlegen. 

Gestrit­ten wird um Rohstoffe, die bspw. bei uns in Smart­phones landen. Wie wird der Krieg vor Ort verstanden?

Der Krieg ist sehr komplex, es gibt zu viele Inter­es­sen, die Pole­mik ist hoch und die einfa­che Bevöl­ke­rung ist leicht mani­pu­lier­bar. Man sucht immer einen Schul­di­gen für die Not und so ist das beispiels­weise, die Frie­dens­mis­sion der UN: MONUSCO, die seit 23 Jahren im Land ist und wenig zum Frie­den beigetra­gen hat. Dann ist es das benach­barte Land Ruanda, das eine zurzeit sehr aktive Rebel­len­gruppe (M23) unter­stützt. Dann ist es die Ost-Afri­ka­ni­sche Gemein­schaft, die Mili­tär als Puffer­zone schickt. Die Regie­rung ist schwach und das eigene Mili­tär nicht fähig das Land zu vertei­di­gen. Alle diese Ursa­chen sind sehr viel­fäl­tig. Der eins­tige Geno­zid in Ruanda 1994 zwischen Hutu und Tutsi Grup­pen, wird heute noch im Kongo fort­ge­führt. Die Kupfer‑, Kobalt‑, Koltan­mi­nen sind häufig von Rebel­len­grup­pen über­wacht und in auslän­di­schen Händen. Die inter­na­tio­nale Inter­es­sens­lage ist sehr komplex, da hier grosse Vorkom­men wert­vol­ler Mine­ra­lien sind, die mit der Klima­wende noch wert­vol­ler werden. 

Die junge Gene­ra­tion kennt nur Krieg. Haben die Menschen noch Hoffnung?

Ja, viele Menschen wissen nicht wirk­lich, was Frie­den bedeu­tet. Erstaun­lich ist die Resi­li­enz der Bevöl­ke­rung hier, die trotz der widri­gen Umstände es immer wieder schafft nicht aufzu­ge­ben. Ich bin immer sehr beein­druckt von dieser Kraft, die alles voran­treibt, wenn es die äusse­ren Umstände gerade zulas­sen, bzw. trotz aller Schwie­rig­kei­ten. Die Menschen haben nichts zu verlie­ren, sie können nur dazu gewinnen. 

Meiner Meinung nach ist der Glaube die tragende Kraft dieser Resilienz.

Isolde Bött­ger

Welche Rolle spielt die Religion?

Meiner Meinung nach ist der Glaube die tragende Kraft dieser Resi­li­enz. Der Tod ist jeden Tag sehr nah spür­bar, man ist mit seiner eige­nen Endlich­keit konfron­tiert. Kraft kann man dadurch nur schöp­fen mit dem Wissen, dass danach nicht alles vorbei ist, sondern ein ewiges Leben bei Gott uns erwar­tet. Es gibt in afri­ka­ni­schen Ländern fast keinen Athe­is­mus, an irgend­eine höhere Kraft glau­ben alle. Im Kongo ist die katho­li­sche Kirche mit 50% der Bevöl­ke­rung stark vertre­ten. Sie ist ein Ort der Gemein­schaft der gegen­sei­ti­gen Stär­kung. Auch andere christ­li­chen Konfes­sio­nen sind weit verbrei­tet und ein klei­ner Teil Muslime und Naturreligionen. 

Erster Spaten­stich: zVg, AECOM (Asso­cia­tion pour l’économie de communion),

2015 haben einige Frauen der Foko­lar-Bewe­gung in Goma ange­fan­gen sich als Spar-Gruppe zu orga­ni­sie­ren. Wie funk­tio­niert diese Hilfe?

Eine Gruppe, die sich gut kennt und gegen­sei­ti­ges Vertrauen hat, trifft sich einmal im Monat um einen klei­nen Mindest­be­trag als Erspar­tes einzu­brin­gen. Damit werden dann gegen­sei­tige Kleinst-Kredite verge­ben. Diese werden im Laufe eines Kalen­der­jah­res mit Zinsen wieder zurück­be­zahlt. Am Ende des Jahres erhält jeder sein Erspar­tes mit Zinsen ausge­zahlt. Dieses System ist in Afrika sehr verbrei­tet, denn das Banken­sys­tem ist nicht sehr ausge­baut und für Mikro Kredite nicht gedacht. Unser Sozi­al­pro­jekt hat vor 3 Jahren ange­fan­gen diese Spar­grup­pen zu beglei­ten und die Mitglie­der zu schu­len im einfa­chen Finanz­we­sen und Klein­un­ter­neh­mer­tum. Somit haben sich die Grup­pen verfünf­facht und das ange­sparte Kapi­tal hat sich erhöht. Viele der Mitglie­der konn­ten mit diesen Klein­kre­di­ten ein Klein­un­ter­neh­mer­tum grün­den, Einkünfte für ihre Fami­lien gene­rie­ren und somit zur Armuts­be­kämp­fung mit eige­nen Kräf­ten beitragen. 

Heute, Ende 2023 hat eine Gruppe von 58 Menschen der Foko­lar-Bewe­gung sich zusam­men­ge­schlos­sen und ihr Start­ka­pi­tal einge­ge­ben für die Grün­dung einer Koope­ra­ti­ven Bank, die Anfang 2024 ihre Tore öffnen wird. Damit wird der Wirkungs­kreis erwei­tert und die Hilfe zur Selbst­hilfe enorm vergrößert. 

Sie haben sich bei der Redak­tion gemel­det, um auf die Situa­tion vor Ort aufmerk­sam zu machen. Wie wich­tig ist die Unter­stüt­zung von aussen?

Der stets anhal­tende Krieg hier im Osten der DR Kongo ist in Europa leider häufig kein Thema, da zu weit weg und zu kompli­ziert. Andere Konflikte, berüh­ren mehr und die Menschen möch­ten nicht nur Leid erfah­ren. Leider kommen gute Nach­rich­ten wie diese Menschen hier wieder aller Schwie­rig­kei­ten ihr Leben meis­tern und neues entste­hen lassen auch nicht nach aussen. Ich sehe mich manch­mal als Über­brin­ger dieser Reali­tä­ten, die uns west­lich gepräg­ten Menschen auch guttun könn­ten und ich möchte dazu beitra­gen, dass eines Tages Begeg­nung auf Augen­höhe gesche­hen kann und post­ko­lo­niale Verhal­tens­wei­sen auf beiden Seiten ihr Ende finden. Afrika hat viel zu Geben und auch die west­li­chen Länder haben viel zu geben, wie schön wäre ein gegen­sei­ti­ger Austausch der Gaben.

StiftungSchweiz engagiert sich für eine Philanthropie, die mit möglichst wenig Aufwand viel bewirkt, für alle sichtbar und erlebbar ist und Freude bereitet.

Folgen Sie StiftungSchweiz auf

-
-