Sie sind seit 2020 in Goma, in der Demokratischen Republik (DR) Kongo. Was ist Ihre Aufgabe?
Als Fachkraft für Entwicklungshilfe agiere ich als integrierte Beraterin beim Aufbau eines Sozialprojektes hier in Goma. Das Projekt beinhaltet den Bau eines Ausbildungs- und Produktionszentrums für geflüchtete Personen. Wir versuchen die nach Goma geflüchteten Menschen, die sich hier ansiedeln möchten, zu befähigen mittels erwerbsbringender Tätigkeiten. Es werden Schulungen angeboten in der Schneiderei, Kochen, Gartenbau, Kleintierzucht, Computer. Danach erhalten die Auszubildenden ein sogenanntes Starterkit mit dem sie dann ihr kleines Gewerbe starten können. Ich arbeite im Hintergrund in der Stärkung unseres Personals, in der Supervision und in der Netzwerkarbeit und Fundraising.
Wie prägt der Krieg den Alltag?
Die Gegend hier rund um Goma, im Osten der DR Kongo leidet seit über 25 Jahren unter Kriegen und gewalttätigen Auseinandersetzungen. Es gibt über 100 Rebellengruppen, die sich gegenseitig bekämpfen. Folge ist, dass die Menschen ihre Dörfer verlassen müssen, und Haus und Äcker zurücklassen. Einige von ihnen haben das bereits mehrmals hinter sich. Im ganzen Land gibt es aktuell sieben Millionen Binnenflüchtlinge. Viele von ihnen flüchten sich in die Stadt Goma, was eine Bevölkerungsexplosion zur Folge hat (innerhalb von 20 Jahren ist die Stadt von 200’000 auf zwei Millionen Einwohner gestiegen). In der Stadt ist eine erhöhte Gewaltbereitschaft zu spüren. Einbrüche, Morde, Kidnapping sind auf der Tagesordnung. Die Bevölkerung lebt von den Erträgen aus den umliegenden Dörfern.
Abends ab Sonnenuntergang um 18 Uhr sind alle aus Sicherheitsgründen zu Hause.
Isolde Böttger, Fachkraft für Entwicklungshilfe in der Demokratischen Republik (DR) Kongo
Da diese häufig Austragungsort von Gewalttaten sind, können die Lebensmittel nicht angebaut werden, bzw. die Erträge nicht in die Stadt transportiert werden. Erhöhte Lebensmittelpreise und damit Hunger und Not sind die Folgen. Grosse Flüchtlingscamps sind am Stadtrand entstanden häufig unter sehr prekären Umständen. Cholera und andere Krankheiten sind auf der Tagesordnung. Kinder können häufig ihren Schulbesuch nicht fortsetzen, da ihre Schulen belagert, zerstört oder sonst nicht aktiv sind. Die ganze Region lebt seit über zwei Jahren im sogenannten Ausnahmezustand, das heisst mit einer militärischen Regierung. Abends ab Sonnenuntergang um 18 Uhr sind alle aus Sicherheitsgründen zu Hause. Insgesamt ist das Leben hier schwer vorhersehbar, kalkulierbar, bevor man morgens das Haus verlässt, muss stets zuerst sichergestellt werden, das die Lage in der Stadt normal ist, denn es gibt immer mal wieder Gewaltausbrüche, Demonstrationen, oder ähnliches, die alles lahmlegen.
Gestritten wird um Rohstoffe, die bspw. bei uns in Smartphones landen. Wie wird der Krieg vor Ort verstanden?
Der Krieg ist sehr komplex, es gibt zu viele Interessen, die Polemik ist hoch und die einfache Bevölkerung ist leicht manipulierbar. Man sucht immer einen Schuldigen für die Not und so ist das beispielsweise, die Friedensmission der UN: MONUSCO, die seit 23 Jahren im Land ist und wenig zum Frieden beigetragen hat. Dann ist es das benachbarte Land Ruanda, das eine zurzeit sehr aktive Rebellengruppe (M23) unterstützt. Dann ist es die Ost-Afrikanische Gemeinschaft, die Militär als Pufferzone schickt. Die Regierung ist schwach und das eigene Militär nicht fähig das Land zu verteidigen. Alle diese Ursachen sind sehr vielfältig. Der einstige Genozid in Ruanda 1994 zwischen Hutu und Tutsi Gruppen, wird heute noch im Kongo fortgeführt. Die Kupfer‑, Kobalt‑, Koltanminen sind häufig von Rebellengruppen überwacht und in ausländischen Händen. Die internationale Interessenslage ist sehr komplex, da hier grosse Vorkommen wertvoller Mineralien sind, die mit der Klimawende noch wertvoller werden.
Die junge Generation kennt nur Krieg. Haben die Menschen noch Hoffnung?
Ja, viele Menschen wissen nicht wirklich, was Frieden bedeutet. Erstaunlich ist die Resilienz der Bevölkerung hier, die trotz der widrigen Umstände es immer wieder schafft nicht aufzugeben. Ich bin immer sehr beeindruckt von dieser Kraft, die alles vorantreibt, wenn es die äusseren Umstände gerade zulassen, bzw. trotz aller Schwierigkeiten. Die Menschen haben nichts zu verlieren, sie können nur dazu gewinnen.
Meiner Meinung nach ist der Glaube die tragende Kraft dieser Resilienz.
Isolde Böttger
Welche Rolle spielt die Religion?
Meiner Meinung nach ist der Glaube die tragende Kraft dieser Resilienz. Der Tod ist jeden Tag sehr nah spürbar, man ist mit seiner eigenen Endlichkeit konfrontiert. Kraft kann man dadurch nur schöpfen mit dem Wissen, dass danach nicht alles vorbei ist, sondern ein ewiges Leben bei Gott uns erwartet. Es gibt in afrikanischen Ländern fast keinen Atheismus, an irgendeine höhere Kraft glauben alle. Im Kongo ist die katholische Kirche mit 50% der Bevölkerung stark vertreten. Sie ist ein Ort der Gemeinschaft der gegenseitigen Stärkung. Auch andere christlichen Konfessionen sind weit verbreitet und ein kleiner Teil Muslime und Naturreligionen.
2015 haben einige Frauen der Fokolar-Bewegung in Goma angefangen sich als Spar-Gruppe zu organisieren. Wie funktioniert diese Hilfe?
Eine Gruppe, die sich gut kennt und gegenseitiges Vertrauen hat, trifft sich einmal im Monat um einen kleinen Mindestbetrag als Erspartes einzubringen. Damit werden dann gegenseitige Kleinst-Kredite vergeben. Diese werden im Laufe eines Kalenderjahres mit Zinsen wieder zurückbezahlt. Am Ende des Jahres erhält jeder sein Erspartes mit Zinsen ausgezahlt. Dieses System ist in Afrika sehr verbreitet, denn das Bankensystem ist nicht sehr ausgebaut und für Mikro Kredite nicht gedacht. Unser Sozialprojekt hat vor 3 Jahren angefangen diese Spargruppen zu begleiten und die Mitglieder zu schulen im einfachen Finanzwesen und Kleinunternehmertum. Somit haben sich die Gruppen verfünffacht und das angesparte Kapital hat sich erhöht. Viele der Mitglieder konnten mit diesen Kleinkrediten ein Kleinunternehmertum gründen, Einkünfte für ihre Familien generieren und somit zur Armutsbekämpfung mit eigenen Kräften beitragen.
Heute, Ende 2023 hat eine Gruppe von 58 Menschen der Fokolar-Bewegung sich zusammengeschlossen und ihr Startkapital eingegeben für die Gründung einer Kooperativen Bank, die Anfang 2024 ihre Tore öffnen wird. Damit wird der Wirkungskreis erweitert und die Hilfe zur Selbsthilfe enorm vergrößert.
Sie haben sich bei der Redaktion gemeldet, um auf die Situation vor Ort aufmerksam zu machen. Wie wichtig ist die Unterstützung von aussen?
Der stets anhaltende Krieg hier im Osten der DR Kongo ist in Europa leider häufig kein Thema, da zu weit weg und zu kompliziert. Andere Konflikte, berühren mehr und die Menschen möchten nicht nur Leid erfahren. Leider kommen gute Nachrichten wie diese Menschen hier wieder aller Schwierigkeiten ihr Leben meistern und neues entstehen lassen auch nicht nach aussen. Ich sehe mich manchmal als Überbringer dieser Realitäten, die uns westlich geprägten Menschen auch guttun könnten und ich möchte dazu beitragen, dass eines Tages Begegnung auf Augenhöhe geschehen kann und postkoloniale Verhaltensweisen auf beiden Seiten ihr Ende finden. Afrika hat viel zu Geben und auch die westlichen Länder haben viel zu geben, wie schön wäre ein gegenseitiger Austausch der Gaben.