HerausÂforÂdeÂrunÂgen wie die KlimaÂerÂwärÂmung oder die ungleiÂche VerteiÂlung des WohlÂstands verlanÂgen, dass sich unsere GesellÂschaft ändert. Was hindert uns daran, dass wir das schaffen?
Uns fehlt aktuÂell die kollekÂtive VorstelÂlung einer besseÂren Zukunft. Viele Menschen können sich eine ökoloÂgiÂsche KataÂstroÂphe vorstelÂlen oder die techÂnoÂloÂgiÂsche EntwickÂlung, nicht aber, wie eine bessere GesellÂschaft, die DemoÂkraÂtie oder die WohlÂfahrt in 40 Jahren ausseÂhen könnte. Wir haben eine Krise der VorstelÂlungsÂkraft. Der PhilÂanÂthroÂpie kommt eine entscheiÂdende Rolle zu, damit wir den Weg aus dieser finden.
Weshalb gerade die Philanthropie?
Fast die einziÂgen, die noch in posiÂtive ZukunftsÂbilÂder invesÂtieÂren, sind heute TechÂnoÂloÂgieÂunÂterÂnehÂmen. UniverÂsiÂtäÂten haben ihre Rolle aufgeÂgeÂben, die sie in diesem Bereich hatten, genauso wie poliÂtiÂsche Parteien und soziale BeweÂgunÂgen. Deshalb ist hier die PhilÂanÂthroÂpie geforÂdert. In England hat bspw. der grösste philÂanÂthroÂpiÂsche FördeÂrer das Programm EmerÂging Futures gestarÂtet. Lokale GemeinÂschafÂten entwiÂckeln in ProjekÂten eine gemeinÂsame VorstelÂlung ihrer Zukunft.
Wie wichÂtig sind diese posiÂtiÂven ZukunftsÂbilÂder für das Finden von Lösungen?
Neben einer effiÂziÂenÂten UmsetÂzung ist vor allem diese gemeinÂsame VorstelÂlung essenÂtiÂell, um Probleme zu lösen. Denn ohne die VorstelÂlungsÂkraft fehlt die RichÂtung für die LösungsÂfinÂdung. Oft stehen wir heute leider genau dort.
Dennoch glauÂben Sie an einen Wandel unseÂrer GesellÂschaft zum Positiven?
Ja. Denn ich habe ihn erlebt. Ich habe in RegieÂrunÂgen von StädÂten und NatioÂnen gearÂbeiÂtet, für NGOs Geschäfte entwiÂckelt und eine StifÂtung geleiÂtet. In all diesen FunkÂtioÂnen habe ich erlebt, dass wir WirtÂschaft und GesellÂschaft transÂforÂmieÂren können – und zwar ziemÂlich grundÂleÂgend. Wohl überÂschätÂzen wir oft, was kurzÂfrisÂtig möglich ist. GleichÂzeiÂtig unterÂschätÂzen wir, was langÂfrisÂtig erreicht werden kann. Damit der Wandel aber stattÂfinÂdet, muss jemand die kollekÂtive IntelÂliÂgenz organisieren.
Wer könnte das tun?
Die PhilÂanÂthroÂpie könnte bei dieser Aufgabe eine bedeuÂtende Rolle einnehÂmen, nur macht sie dies nicht.
Weshalb macht sie das nicht?
Die kurze Antwort: Niemand macht das.
Und die ausführliche?
Ich beschäfÂtige mich seit 30 Jahren mit Net-Zero. Vor 20 Jahren habe ich an der EntkarÂboÂniÂsieÂrungsÂstraÂteÂgie für England gearÂbeiÂtet, die dazu beigetraÂgen hat, die EmisÂsioÂnen zu halbieÂren. Das FasziÂnieÂrende an der KlimaÂwanÂdel-ThemaÂtik ist, dass die Welt gute kollekÂtive Diagnose-WerkÂzeuge entwiÂckelt hat, wie den 1988 gegrünÂdeÂten InterÂgoÂvernÂmenÂtal Panel on Climate Change IPCC. Tausende Wissenschaftler:innen waren involÂviert. Für die ErarÂbeiÂtung von LösunÂgen fehlt dageÂgen eine gleichÂwerÂtige OrgaÂniÂsaÂtion. Zwar engaÂgieÂren sich RegieÂrunÂgen und UniverÂsiÂtäÂten ein wenig. Doch insgeÂsamt klafft hier eine Lücke. Bei andeÂren grosÂsen gesellÂschaftÂliÂchen HerausÂforÂdeÂrunÂgen wie der ungleiÂchen VerteiÂlung des WohlÂstands oder bei psychiÂschen GesundÂheitsÂproÂbleÂmen zeigt sich dasselbe Bild. Wissen und Daten sind weltÂweit vorhanÂden. Aber wir nutzen sie nicht, um eine Lösung zu finden. Es fehlt die OrgaÂniÂsaÂtion dieser Daten und des Wissens.
«Die PhilÂanÂthroÂpie hat lange darauf gewarÂtet, dass die InstruÂmente für diese MethoÂden zur VerfüÂgung gestellt werden. Nun, jetzt sind sie vorhanÂden und können verwenÂdet werden.»
Geoff Mulgan,
UniverÂsity College London
Und hier sehen Sie eine Rolle für die Philanthropie?
Ja. Ich möchte StifÂtunÂgen ermuÂtiÂgen, sich mit diesen Lücken zu befasÂsen. Denn die grundÂleÂgende OrgaÂniÂsaÂtion von IntelÂliÂgenz fehlt insbeÂsonÂdere in den Feldern, in denen sich PhilÂanÂthroÂpie engaÂgiert. DesweÂgen arbeiÂtet PhilÂanÂthroÂpie viel weniÂger effiÂziÂent als möglich. Das führt zu einer grosÂsen VerschwenÂdung von RessourÂcen und bringt Doppelspurigkeiten.
Weshalb nimmt sich PhilÂanÂthroÂpie dieser Aufgabe nicht an?
Es handelt sich um wenig spekÂtaÂkuÂläre GrundÂlaÂgenÂarÂbeit. Dabei muss nicht alles von einer InstiÂtuÂtion alleine oder von Grund auf neu gemacht werden. Vieles ist schon da: Neben der KreaÂtion ist desweÂgen auch das KuraÂtieÂren von Wissen entscheidend.
Das klingt abstrakt. Wie orgaÂniÂsiert man kollekÂtive Intelligenz?
Meist geschieht dies auf drei Wegen. Erstens: Die Menschen werden in die BeobÂachÂtung eines PhänoÂmens involÂviert, bspw. das Zählen von Vögeln oder die BeobÂachÂtung von SymptoÂmen bei einer PandeÂmie. ZweiÂtens können sie an der LösungsÂfinÂdung partiÂziÂpieÂren und Vorschläge machen. Die WeltÂraumÂbeÂhörde Nasa nutzt diese MöglichÂkeit bereits stark. DritÂtens kann man die ÖffentÂlichÂkeit bei der ImpleÂmenÂtieÂrung der MassÂnahÂmen einbinÂden. Bei allen drei Wegen zeigt sich, dass es hilft, wenn viele Menschen ihre BeobÂachÂtunÂgen und EntdeÂckunÂgen teilen und in die LösungsÂfinÂdung einbeÂzoÂgen sind.
Und was macht diesen Ansatz so viel besser?
Wir können damit MillioÂnen von GehirÂnen mobiÂliÂsieÂren und nicht nur ein paar ausgeÂwählte Professor:innen an UniverÂsiÂtäÂten. Gerade bei kompleÂxen FrageÂstelÂlunÂgen ist das matchÂentÂscheiÂdend. Global funkÂtioÂnieÂren bereits zahlÂreiÂche Projekte auf diese Weise. Die VereinÂten NatioÂnen haben bereits AcceÂleÂraÂtor Labs in 100 Ländern lanciert. Auch viele Städte und Länder nutzen MethoÂden kollekÂtiÂver IntelÂliÂgenz, um NachÂhalÂtigÂkeitsÂziele zu erreiÂchen. Mir scheint es, dass die PhilÂanÂthroÂpie lange darauf gewarÂtet hat, dass die WerkÂzeuge für diese MethoÂden zur VerfüÂgung stehen. Sie sind jetzt bereit.

«Ohne die Kraft der VorstelÂlung fehlt uns die RichÂtung, die wir brauÂchen, um LösunÂgen zu finden.»
Geoff Mulgan,
UniverÂsity College London
Warum führen diese MethoÂden zu besseÂren Lösungen?
Weil wir den Prozess der ProblemÂlöÂsung öffnen. Er wird dadurch objekÂtiÂver, weil wir tatsächÂlich erleÂben, welche AntworÂten wirkÂlich eine Wirkung haben. Das alte Modell, einfach einen UniverÂsiÂtätsÂproÂfesÂsor beizuÂzieÂhen oder eine RegieÂrungsÂumÂfrage zu starÂten, ist anachroÂnisÂtisch. Die RepuÂtaÂtion einer InstiÂtuÂtion garanÂtiert nicht, dass eine Lösung funkÂtioÂniert. TrotzÂdem tendiert die PhilÂanÂthroÂpie weiter dazu, Gelder an angeÂseÂhene UniverÂsiÂtäÂten zu spreÂchen, an Harvard, Cambridge oder die ETH. Auch wenn an diesen InstiÂtuÂtioÂnen sehr intelÂliÂgente Menschen arbeiÂten, ist diese Methode inefÂfiÂziÂent. Die kollekÂtive Methode ist offeÂner, objekÂtiÂver und inklusiver.
Bergen kollekÂtive MethoÂden nicht die Gefahr, dass gehört wird, wer seinen Input am lautesÂten einbringt?
Die LautesÂten, ExtroÂverÂtierÂtesÂten oder MächÂtigsÂten domiÂnieÂren tradiÂtioÂnelÂlerÂweise die LösungsÂfinÂdung. Dieses PhänoÂmen zeigt sich sehr konkret auch in SitzunÂgen. Dabei gibt es interÂesÂsante StrukÂtuÂrieÂrungsÂmeÂthoÂden von SitzunÂgen, um die kollekÂtive IntelÂliÂgenz der Gruppe zu maxiÂmieÂren. Open Space oder ein World Cafe gehöÂren zum ReperÂtoire und im Bereich der kollekÂtiÂven IntelÂliÂgenz werden viele MethoÂden entwiÂckelt, die noch viel weiter gehen.
Doch es wird nicht ausgeschöpft?
Ich habe eine Umfrage bei TopuniÂverÂsiÂtäÂten und ParlaÂmenÂten gemacht. Sie nutzen diese nicht und auch im MainÂstream sind diese MethoÂden nicht angeÂkomÂmen. Die PhilÂanÂthroÂpie könnte hier also viel beweÂgen, indem sie diese MethoÂdik verbreiÂtet und die Nutzung von kollekÂtiÂver IntelÂliÂgenz damit verbesÂsert. So gibt es heute kaum systeÂmaÂtiÂsche AuswahlÂverÂfahÂren, die uns unterÂstütÂzen, jene Methode zu finden, die für eine bestimmte Aufgabe die geeigÂnete ist. Dabei stünde schon heute TechÂnoÂloÂgie zur VerfüÂgung, welche die kollekÂtive IntelÂliÂgenz in SitzunÂgen verbesÂsert. Das taiwaÂneÂsiÂsche ParlaÂment etwa nutzt das Tool Pol.is. Dieses zeigt die Muster von MeinunÂgen in einer grosÂsen Gruppe und unterÂstützt den Prozess um zu einem Konsens zu gelanÂgen. Auch wenn am Ende die MinisÂter und das ParlaÂment entscheiÂden, involÂviert die RegieÂrung eine grosse Anzahl von Menschen in die DebatÂten. So beruht der EntscheiÂdungsÂproÂzess auf der kollekÂtiÂven intelÂliÂgenz der GesellÂschaft und nicht einer kleiÂnen Gruppe. DemoÂkraÂtien mit kollekÂtiÂver IntelÂliÂgenz sind eine gesunde AlterÂnaÂtive zu autoÂriÂtäÂrem PopuÂlisÂmus, der Macht auf eine Person beschränkt.
Im Moment redet die Welt eher von künstÂliÂcher – KI – als von kollekÂtiÂver IntelÂliÂgenz. Macht KI die kollekÂtive IntelÂliÂgenz obsolet?
Das GegenÂteil ist der Fall. Die meisÂten AppliÂkaÂtioÂnen, die mit KünstÂliÂcher IntelÂliÂgenz LösunÂgen für soziale Probleme bieten wollen, sind enttäuÂschend. Aber die KombiÂnaÂtion ist effekÂtiÂver. Es gibt zwar keine KI, die eine Net-Zero-StraÂteÂgie für die Schweiz entwiÂckeln kann. Aber es gibt zahlÂreiÂche MöglichÂkeiÂten, kollekÂtive IntelÂliÂgenz mit KI zu verbinÂden, um die LösungsÂfinÂdung zu erleichÂtern. Vor einem Jahr habe ich mit Kolleg:innen einen Report für die UN zu kollekÂtiÂver IntelÂliÂgenz und KI erstellt. Er enthält verschieÂdene PraxisÂbeiÂspiele aus der FlüchtÂlingsÂunÂterÂstütÂzung, den Kampf gegen die ArbeitsÂloÂsigÂkeit oder den Abfall, die zeigen, wie kollekÂtive IntelÂliÂgenz und KI zusamÂmen genutzt werden können.
Wird KI immer nur Teil der Lösung sein oder ist es denkÂbar, dass sie in Zukunft alleine die Lösung ist?
Noch ist KI nicht sehr gut im Lösen kompleÂxer Probleme. Gut funkÂtioÂniert sie, wenn sie bei einer Frage auf eine breite DatenÂbaÂsis zurückÂgreiÂfen kann. Aber auch die Daten sind Teil der ProblemÂlöÂsung. Der Umgang mit ihnen weist VerbesÂseÂrungsÂpoÂtenÂzial auf.
Was läuft falsch?
Eine FrageÂstelÂlung, mit der sich unsere GesellÂschaft beschäfÂtiÂgen sollte ist, wem die Daten gehöÂren, neu orgaÂniÂsieÂren. Wir brauÂchen DatenÂinÂterÂmeÂdiäre, die diese schütÂzen und zur VerfüÂgung stelÂlen um den soziaÂlen und öffentÂliÂchen Wert der Daten zu maximieren.
Eine Aufgabe für Google und Facebook?
Nein. Google oder FaceÂbook wollen die Daten besitÂzen und den privaÂten Wert maxiÂmieÂren, aber nicht für die GesellÂschaft zur VerfüÂgung stelÂlen um so den öffentÂliÂchen Wert zu maxiÂmieÂren. Es ist wichÂtig, dass wir Daten nicht als vollÂkomÂmen privat anseÂhen. Wegen der DiskusÂsion um diese beiden Pole haben wir Jahre verloÂren. Wir müssen InstiÂtuÂtioÂnen schafÂfen, die wir brauÂchen. Die InstiÂtuÂtioÂnen müssen die Daten, bspw. der MobiÂliÂtät oder im GesundÂheitsÂweÂsen, bewahÂren und schütÂzen und gleichÂzeiÂtig zugängÂlich machen. Ich hoffe, dass uns da in diesem JahrÂzehnt gelingt. Auch diese Aufgabe könnte die PhilÂanÂthroÂpie überÂnehÂmen – doch sie spielt hier bisher keine Rolle.