Am 14. November 2019 stellte Professor Georg von Schnurbein, Leiter Center for Philanthropy Studies CEPS in Basel, im sozialen Netzwerk LinkedIn eine Aussage von StiftungSchweiz in Frage. In einem Erklärvideo hatte die Online-Plattform errechnet, dass bei vier Milliarden Franken jährlichen Spendengeldern in der Schweiz Verteilkosten von einer Milliarde Franken anfallen. The Philanthropist nahm diese Kritik zum Anlass Georg von Schnurbein einzuladen zu einem Gespräch mit Peter Buss, Gründer von StiftungSchweiz.
Die Zahlengrundlagen
Der Stiftungssektor ist vielfältig. Dies gilt ebenso für die Seite der geldsammelnden Organisationen, sprich Projektträger, wie für die Seite der Geldgeberinnen und ‑geber. Bis heute gibt es keine umfassende Statistik über die Ausgaben für den gesamten Sektor. Verschiedenste Studien und Auswertungen decken nur jeweils einzelne Teile ab. Sie beruhen auf unterschiedlichen Grundgesamtheiten und verschieden Stichproben. Wie sich zeigt, ist die Interpretation der Werte schwierig und kontrovers.
Die Rechnung von StiftungSchweiz
Die von StiftungSchweiz errechnete Milliarde Franken geht auf Seiten der spendensammelnden Organisationen davon aus, dass im Durchschnitt 20 Prozent Kosten für Sammelaktivitäten anfallen (ohne generelle Administrativkosten). Bei vier Milliarden Spendengeldern sind das 800 Millionen Franken. StiftungSchweiz stützt sich bei dieser Zahl u.a. auf die Angaben der ZEWO und auf zahlreiche Analysen von Jahresberichten der Organisationen. Hinzu kommen die Verteilkosten auf Seiten der Geldgebenden (Förderstiftungen, Körperschaften/Firmenstiftungen). Bei den Förderstiftungen geht Peter Buss, gemäss einer CEPS-Studie, von tiefen 5,4 Prozent aus. Bei einem Spendenvolumen von rund zwei Milliarden Franken jährlich ergibt das rund 100 Millionen. Zusätzlich rechnet er mit rund neun Prozent sprich 90 Millionen Franken Kosten, die bei den Firmen anfallen, wenn sie Spendengelder verteilen (Personal‑, Infrastruktur, Administrativ- und Kommunikationskosten)
800 Millionen Franken plus 100 Millionen Franken plus 90 Millionen Franken ergibt rund 1 Milliarde Franken.
Die CEPS Kritik
Diese Rechnung erachtet Georg von Schnurbein als sehr hypothetisch und kritisiert die Faktoren, die StiftungSchweiz zu den Verteilkosten zählt. So könne man die Angaben zur Fundraisingkosten bei Privatspenden nicht einfach auf alle Spendenarten übertragen. Auch erachtet es von Schnurbein als kritisch, alle administrativen Kosten der Förderstiftungen einzuberechnen, weil Stiftungen nicht nur Mittel vergeben, sondern auch in die Programmatik investieren und Analysearbeiten erledigen. Die Rechnung von StiftungSchweiz würde missachten, dass Stiftungen einen grossen Mehrwert neben der Geldverteilung erzielen. Und er verweist auf die ZEWO-Spendenstatistik, nach der Hilfswerke lediglich acht Prozent für die Mittelbeschaffung aufwenden.
Die Kontroverse
The Philanthropist: Peter Buss, was sagen Sie zu den acht Prozent?
Peter Buss: Die acht Prozent sind nicht realistisch. Das haben mir 30 Jahre Berufserfahrung gezeigt. Die ZEWO-Methode ist schon ein paar Jahre alt und berechnet die acht Prozent nicht nur auf dem Ertrag bei den Spenden, wie das richtig wäre, sondern auf dem gesamten Betriebsergebnis einer Organisation (also auf allen Erträgen, von den Subventionen über Dienstleistungen bis hin zu den Spenden). Da werden also Äpfel mit Birnen verglichen. Die ZEWO selber nennt auf Ihrer Webseite Kosten beim Fundraising von rund 20 Prozent. Und das umfasst sowohl die Kosten für das Stiftungsfundraising wie auch jene für das Fundraising bei Privatspendern und Firmen.
Georg von Schnurbein: Diese 20 Prozent sind in manchen Bereichen gerechtfertigt, gerade bei den Kleinspenden. Ihr habt diesen Anteil aber auf die gesamten vier Milliarden Franken gerechnet. Das kann ich nicht unterstützen. Die Mittelbeschaffung bei Stiftungen ist beispielsweise wesentlich günstiger als im Massenmarkt mit Standaktionen und Direct-Mails.
TP: Sie kritisieren die Verallgemeinerung?
GvS: Die ZEWO-Zahlen auf die vier Milliarden Franken zu übertragen würde heissen, dass man die Grundstruktur der Hilfswerke auf alle anderen Organisationen überträgt. Laut ZEWO entfallen auf die Hilfswerke aber nur 1,1 Milliarden der Spendengelder. Beispielsweise bei Kulturinstitutionen ist das Fundraising nicht so aufwendig wie bei Hilfswerken. Es werden im Durchschnitt grössere Beiträge gesprochen. Ausserdem gibt es Skaleneffekte und Interdependenzen zwischen den verschiedenen Ertragsklassen. Es spielt der sogenannte Matthäus-Effekt: Wer schon Zuwendungen bekommt, erhält leichter noch mehr. Auch wer vom Staat begünstigt ist, dem fällt es leichter, zusätzlich privates Geld einzuwerben.
PB: Das Fundraising bei Stiftungen ist gewiss etwas günstiger als jenes im Public Fundraising, vor allem dann, wenn man schon länger am Ball ist. Aber selbst hier zeigt die Erfahrung: Um regelmässig jedes Jahr eine Million Stiftungsgelder akquirieren zu können, braucht es etwa eine 100 Prozent Stelle. Allein das sind Arbeitsplatzkosten zwischen 120‘000 und 150‘000 Franken im Jahr. Es braucht erfahrene Personen mit einem Netzwerk. Das kostet.
GvS: Das ist ein wichtiger Punkt. Die wesentlichen Kosten im Fundraising sind Lohnkosten, aber meist sind das niedrige Löhne im Vergleich zur Privatwirtschaft. Ich erachte es als eine grosse Gefahr für den Sektor, wenn einfach Zahlen in den Raum gestellt werden. Oft bleibt dann nur die Zahl hängen und wird immer weiter kolportiert. Das Video hatte den Eindruck erweckt, von den vier Milliarden gehe eine Milliarde Franken weg und das stimmt so nicht.
Der Konsens
TP: Ist diese Kritik berechtigt?
PB: Stimmt. Die Darstellung war unglücklich und ist deshalb wieder entfernt worden. Wichtig ist, von den vier Milliarden geht nicht eine Milliarde Franken weg, es braucht eine zusätzliche Milliarde um die vier Milliarden Franken zu verteilen. Das Video zeigt das jetzt so.
GvS: Wenn ihr das Video so korrigiert habt, bin ich froh.
PB: Letztendlich geht es mir nicht um die Prozentfrage. Es geht mir vielmehr darum, wie der einzelne Spendenfranken effizienter eingesetzt werden kann. Dafür wollen wir die Digitalisierung nutzen. Deshalb haben wir die neue Philanthropie-Plattform lanciert, für alle Marktteilnehmerinnen und ‑teilnehmer.
GvS: Transparenz ist hier angesagt. Wenn 100 Franken gespendet werden, dann gehen nicht 100 Franken in das Projekt. Das wäre eine Illusion. Mit der Kostendebatte wird der Schwerpunkt aber falsch gelegt. Das macht mir Sorgen. Der Blick in die Zukunft zeigt, dass die Anzahl Spenderinnen und Spender abnimmt. Zurzeit wird diese Tendenz glücklicherweise noch durch die Zunahme der durchschnittlichen Spendenhöhe kompensiert. Dennoch nimmt die Spendenbereitschaft ab. Da müssen wir dagegenhalten. Spenden ist ein Verhalten, das gelernt werden kann. Kinder sollten schon früh erfahren, dass gespendet und geteilt werden kann.
PB: Genau hier setzen wir an und wollen einen Beitrag leisten. Wir sind uns einig, dass der gesamte Sektor, selbstverständlich auch auf Seiten der Förderinnen und Förderer einen grossen Mehrwert für die Schweizer Gesellschaft leistet. Meine Botschaft ist: Macht aus der Milliarde mehr!
GvS: Solange du nicht von einer Milliarde redest, können wir gerne darüber sprechen.