Die Stiftung SKKG hat bewegte Zeiten hinter sich. 2018 hat Bettina Stefanini, die Tochter des Stifters, das Stiftungspräsidium übernommen. Sie spricht über partizipative Fördermodelle und darüber, was das beeindruckende Immobilienportfolio für die Stiftung bedeutet.
Mit dem Projekt Kultur Komitee Winterthur schlagen Sie neue Wege ein. Im partizipativen Förderprojekt vergeben ausgewählte Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur die Fördergelder. 500’000 Franken stellt die Stiftung zur Verfügung?
Genau. 400’000 Franken können vergeben werden. Mit 100’000 Franken finanzieren wir das ganze Projekt, die Kollaborateurinnen, die Webseite und alle weiteren Nebenkosten. Der Stiftungsrat hat sogar 2 Millionen bewilligt. Wir haben fest vor, das Projekt mindestens vier Mal durchzuführen. So können wir iterativ vorgehen und daraus lernen.
Weshalb haben Sie die partizipative Vorgehensweise gewählt?
Aus verschiedenen Gesprächen ging hervor, dass lokale Kulturförderung ein grosses Anliegen für Winterthur war, nachdem die Reinhardt Stiftung ihren Schwerpunkt verändert hatte und die Stadt Winterthur etwa zeitgleich in einen Sparmodus gefallen war. Sehr schnell kam dabei die Frage auf: Wer für wen? Wäre es nicht spannender, wenn wir lokal für lokal fördern würden? Das wollten wir probieren. Wir hätten die Einschätzung der Menschen, die aus dem Stand entscheiden müssten, ohne dass sie sich beruflich mit dem Thema beschäftigen. Wenn es funktioniert, liesse sich die Wirkung multiplizieren, ein Teil Erfahrungstransfer für die Jury losgelöst von der Finanzierung der Kulturprojekte, quasi eine indirekte Wirkung wie das Spiel über die Banden beim Billard.
Wie ist die SKKG vorgegangen?
Ein Zufallsgenerator hat die Teilnehmenden ausgesucht. Wir haben 200 Einladungen verschickt und 24 positive Antworten erhalten. Jeder oder jede achte hat zugesagt.
Was sind die ersten Erfahrungen mit dem Projekt?
Das weiss ich nicht genau. Wir haben uns eine Disziplin auferlegt, nicht ins Projekt dreinzureden. Das müssten Sie die Projektleiterinnen Mia Odermatt oder Noemi Scheurer fragen. Die Projekte konnten bis Mitte Februar eingegeben werden. Damit werden sie wahrscheinlich im Sommer Erfahrungen teilen können. Zusätzlich haben wir die Uni Bern mit der Evaluation beauftragt.
L’équipe de la SKKG avec des pièces du fondateur Bruno Stefanini.
Wie geht die Stiftungswelt mit dem neuen Ansatz um?
Andreas Geis [Leiter Förderung der SKKG] hat mir gesagt, dass er durchwegs positive, ermutigende Rückmeldungen erhalten habe. Allerdings wird es immer noch in einem relativ kleinen Kreis diskutiert. Wir würden uns wünschen, dass diese neue Herangehensweise noch etwas mehr Staub aufwirbelt.
Was bedeutet der partizipative Ansatz für die geförderten Kunstschaffenden?
Sie haben Menschen vor sich, die Kultur ganz anders anschauen. Vielleicht ist es vergleichbar mit einem Publikumspreis. Es ist in jeder Hinsicht eine Herausforderung – auf der Vergabeseite wie auf der Schaffensseite.
Kultur hat oft etwas sehr Elitäres. Kann mit dem Vorgehen die Spitze etwas gebrochen werden?
Genau. Die Wurzel der SKKG ist der Stifter, der Sammler. Er war ein Autodidakt, wie er im Bilderbuch steht. Ihm war es ein Anliegen, aus diesem Elitären auszubrechen.
Wie war Ihr Vater?
Er war Jahrgang 1924. Er vertrat dezidiert die Meritokratie. Wer stark und fähig ist und sich anstrengt, soll belohnt werden. Das war seine Haltung. Mit dieser hat sich ja schon Gottfried Keller auseinandergesetzt. Er war getrieben von einem tiefen demokratischen Bedürfnis, das stark im Wohlfahrtsstaat verankert war. Alle müssen Zugang zu unserer Gesellschaft haben. Aus dieser Perspektive hätte man gar ableiten können, dass er ein Frauenrechtler ist, was er natürlich nicht war. Er war sehr patriarchalisch. Aber seine Motivation für die Sammlung und die Stiftung war: Sie sind für die Schweiz. Das ist sein Vermächtnis. Das hat eine starke Resonanz mit unserem aktuellen Zeitgeist, mit dem Mitbestimmen.
Ihr Vater hatte die Leidenschaft des Sammelns. Doch offenbar fehlte das Konzept, die Sammlung der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Er hatte Träume. In diesen Träumen teilte er sein Lebenswerk mit der Öffentlichkeit. Doch seine Pläne scheiterten an der Realität. Er hat Museen für die Schlösser Salenstein, Grandson und Brestenberg geplant, wie auch für ein Ausstellungshaus in Winterthur. Für die konkrete Umsetzung hätte er jedoch enger mit Menschen oder Institutionen zusammenarbeiten müssen. Er hätte die Entscheidungshoheit teilen müssen. So sehr er dies bei früheren Immobilienprojekten getan hat, bei den späteren Stiftungsprojekten funktionierte dies nicht. Er hatte die Sammlung aber nie als privates Projekt geplant.
Eine Stiftung hat einen öffentlichen Auftrag …
Ja, besonders eine gemeinnützige Stiftung. Das muss unser Ziel sein. Und das ist unser Ziel. Wir haben eine enge Kollaboration mit der lokalen Stiftung in Grandson, die das Museum betreibt, und wir finanzieren die Sanierung des Schlosses. Es ist aber nicht unsere Absicht, einen grossen Teil unserer Sammlung dort auszustellen. Wir werden mit unseren Exponaten einfach Teil der Ausstellung sein.
Weshalb planen Sie kein eigenes Museum?
Es gibt 1300 Museen in der Schweiz. Wir haben keine genügend gute Begründung, weshalb wir ein weiteres bauen sollten. Wir wollen indirekt handeln.
Damit die Museen nicht nur einer bestimmten Schicht vorbehalten bleiben?
Das ist genau der Wunsch. Unsere Sammlung wollen wir ganz offen und unbürokratisch in Wert setzen, durch Kooperationen mit Museen. Wir wollen Museen die Möglichkeit geben, Auseinandersetzungen mit Dingen einzugehen, mit denen sie sonst nicht in Kontakt kämen.
Wie muss ich mir das vorstellen?
Wir haben in der Sammlung 13 Spielzeugschiffe von Wilhelm von Preussen und von Louis Ferdinand von Preussen, den Enkeln von Wilhelm II., dem letzten deutschen Kaiser. Diese haben wir ans Stapferhaus für deren Ausstellung zum Thema Geschlecht ausgeliehen. Neben den Exponaten liefern wir auch die Expertise, wie mit den Objekten umzugehen ist, damit sie keinen Schaden nehmen. So können die Museen die Objekte in Wert setzen und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Ein anderes Beispiel betrifft eine Anfrage der Mörsburg in der Nähe von Winterthur. Die Betreiber suchten nach einer Ritterrüstung – und wir hatten effektiv eine aus der richtigen Zeit. Doch in alten Burgen ist das Klima nicht ideal für solche Exponate. Also liessen wir eine Vitrine anfertigen, welche die Rüstung schützt. Diese vermieten wir nun zum Nominalpreis an den Verein Mörsburg. Und dieser kann jetzt die echte Rüstung im Kontext der Burg ausstellen. Genau so stellen wir uns das vor.
Im Espace Jean Tinguely – Niki de Saint Phalle in Fribourg steht ein Werk von Niki de Saint Phalle aus Ihrer Sammlung. Aber auch das Dorfmuseum Hüntwangen kann Abnehmer eines Exponats sein?
Das ist uns sehr wichtig. Wir stehen auch im Diskurs mit der Kunsthalle Zürich, Berlin oder Paris. Auch dort wollen wir unsere Kunstobjekte ausstellen. Genauso wichtig ist uns die Unterstützung kleiner Häuser und Dorfmuseen. Und mit unserer Fördertätigkeit wollen wir dieselben Destinatäre unterstützen. Wir arbeiten mit Häusern zusammen, so dass diese bspw. jemanden anstellen können, um die Sammlung in einem partizipativen Ansatz in Wert zu setzen.
«Es sollte eine aktive Auseinandersetzung über die Bedeutung von Exponaten geschehen»
Bettina Stefanini, Stiftungspräsidentin der SKKG
Sie stellen Exponate und/oder die Mittel zur Verfügung, um diese mehr Menschen zugänglich zu machen. Sind andere Museen und Aussteller oder Austellerinnen offen für diesen Ansatz?
Das ist sehr unterschiedlich. Mit fünf Museen arbeiten wir in der Förderung sehr nahe zusammen. Sie sind schon sehr weit auf diesem Weg. Aber ich sage nicht, dass es der einzige Weg ist …
… aber es ist ein neuer Ansatz: entwickelbar?
Wir erachten es als fundamental, dass die Kultur ihre Verankerung in unserer Gesellschaft nicht verliert. Was ist Kultur? Was ist unsere Kultur? Die Gesellschaft muss solche Fragen diskutieren. Oder es sollte eine aktive Auseinandersetzung über die Bedeutung von Exponaten geschehen, wie es die Zürcher Hochschule der Künste ZHdK zusammen mit den Kunsträumen Oxyd getan hat. Dieses Projekt liess mein Herz höherschlagen.
Welches Projekt?
«Exploring the collection of the SKKG»: Die Studierenden konnten ein Objekt unserer Sammlung aussuchen und es in ein Verhältnis zum aktuellen Zeitgeist setzen. Dafür haben drei Studierende die Reitpeitsche von Theresa Garnett ausgesucht. Es heisst, damit habe die Suffragette 1909 Winston Churchill angegriffen. Die Studierenden haben die Peitsche in Relation zu Frauenrechten und Hierarchien gestellt und darüber nachgedacht, was eine Peitsche per se bedeutet. Und ihr Projekt behandelt, anlässlich der 50 Jahre Frauenstimmrecht, die ewige Schubladisierung der Frauenrechtlerinnen durch die männliche Politik in der Schweiz. Das Ergebnis zeigt eindrücklich, was mit den Exponaten möglich ist.
Das wäre?
Als Stiftung sind wir in der Interpretation limitiert. Wir können die historische Einordnung vornehmen. Aber die unterschiedlichen Facetten, wie das Objekt wahrgenommen wird, können nur in der aktiven Auseinandersetzung erarbeitet werden. Deswegen ist mir dieses Projekt so wichtig.
Werden im campo, im künftigen Hauptsitz der Stiftung in Winterthur Hegi, einst Exponate aus der Sammlung zu sehen sein?
Wir planen verschiedene Formate im campo, wie wir die Sammlung zugänglich machen. Wir stehen noch ganz am Anfang. Der Ort soll eine kulturelle Ausstrahlung haben. Heute wissen wir aber noch nicht wie. Wir möchten die Exponate in Wert setzen, für Kunsthistorikerinnen und ‑historiker und für alle anderen. Es soll kein Elfenbeinpalast werden. Vielmehr planen wir diverse Formate. Es soll auch einen grossen Raum geben, in dem man Exponate zeigen und darüber diskutieren kann.
Welche weiteren Ideen haben Sie, um die Sammlung Ihres Vaters der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen?
Wir diskutieren oft, wie wir die Sammlung für kollaborative Ideen in den öffentlichen Raum bringen können. Wir besitzen ja sehr viele Immobilien mit zahlreichen Möglichkeiten. Die Einnahmen aus den Liegenschaften finanzieren die Kulturstiftung. Vielleicht lässt sich ein Projekt mit den Mieterinnen und Mietern realisieren.
Wie ergebnisoffen ist der Prozess, mit dem Sie campo entwickeln?
Wir stecken mitten in der Testplanung. Ergebnisoffen ist sie auf die eine Seite: Wir wollen die Wünsche und Ideen der Anwohnerinnen und Anwohner aufnehmen. Aber wir wollen auch herausfinden, was unsere Ansprüche sind. Aus dieser Perspektive ist der Prozess nicht ganz ergebnisoffen.
In einem ersten Schulterblick haben Sie den aktuellen Stand vorgestellt. Was sind die Erfahrungen?
Es war noch nicht die gesamte Öffentlichkeit eingeladen. Direkte Nachbarn und Vertreterinnen der Politik, von Vereinen und der lokalen Genossenschaften waren vor Ort. Sehr gut gefallen hat mir, wie lange die Teilnehmenden blieben. Offenbar hat es einem Bedürfnis entsprochen, über Schweizer respektive Winterthurer Themen zu diskutieren.
Was können Sie für die Entwicklung des Immobilienportfolios ableiten?
Betrachten wir alle Aufgaben der Stiftung – das sind sehr, sehr viele –, so nimmt die Immobilienbewirtschaftung einen wichtigen Anteil ein.
Wo sehen Sie die Herausforderungen?
Beim Immobilienportfolio haben wir teils gegensätzliche Anforderungen. Wir haben einen sozialen Anspruch. In unserem Portfolio hat es günstigen Wohnraum. Das soll so bleiben. Wir wollen aber auch klimaverträglichen Wohnraum. Und nicht zuletzt müssen wir stabile Erträge für die Kulturstiftung erwirtschaften. Zwischen diesen Ansprüchen müssen wir austarieren und ausbalancieren.
Und die Partizipation?
Wir arbeiten an Möglichkeiten, wie sich die Mieterinnen und Mieter einbringen können. Und was die Entwicklung der Liegenschaften anbelangt, haben mein Vater und seine Architekten eine sehr gute Grundlage geliefert.
Wie sieht diese aus?
Ende der 50er Jahre hatten sie funktionalen und klaren Wohnungsgrundriss gefunden, den sie bis Ende der 60er Jahre umsetzten. Das wird das Replizieren erleichtern, wenn wir eine ideale Lösung gefunden haben. Aktuell arbeiten wir an einem Prototyp für Sanierungen in Stäfa.
Wie ist das juristische Konstrukt entstanden?
Mein Vater hat im ersten Teil seines Lebens Immobilien gebaut und im zweiten die Stiftung aus dem Unternehmen heraus entwickelt, wie das viele tun. Dann hat er die Stiftung als Alleinerbin der Immobiliengesellschaft eingesetzt. Deswegen ist das Verhältnis nun umgekehrt. Die Stiftung besitzt das Unternehmen und trägt die Verantwortung.
Was heisst das?
Wie sollen wir zwischen den beiden Bereichen zusammenarbeiten und wie viel Stiftung müsste es in der Immobiliengesellschaft Terresta haben? Diese Themen bestimmen die Diskussionen. Im vergangenen Jahr bspw. haben wir definiert, dass wir die Immobilien als Wirkungseinheit mit der Kulturstiftung betrachten wollen, auch wenn sie nicht im Stiftungszweck enthalten sind.
Wer entscheidet wann und wie beim Kultur Komitee Winterthur? Förderstrategie partizipativ und neu gedacht. www.kulturkomitee.win
We love Kulturerbe. Die SKKG will ihre Sammlung an einem Ort zusammenführen und durchleuchtet sämtliche Bestände. www.skkg.ch