Wozu braucht es Wissenschaftsjournalismus – können die Forschungsstätten ihre Ergebnisse nicht selbst kommunizieren?
Beat Glogger: Kommunizieren können sie ihre Forschungsergebnisse, aber nicht kommentieren. Der Unterschied zwischen Kommunikation und Journalismus besteht darin, dass Kommunikation aus einer Innenperspektive agiert, der Journalismus hingegen hat die Aussenperspektive. D.h. die Medien kommentieren, bewerten und ordnen ein. Gemäss den Kommunikationswissenschaftler Ottfried Jarren schafft Eigenereferenz keine Glaubwürdigkeit. Dies schafft nur die Fremdreferenz. Wissenschaft ist also auf den Journalismus angewiesen, um bei der Bevölkerung Glaubwürdigkeit und Vertrauen zu gewinnen.
Higgs wurde unter anderem von Stiftungen finanziert. Welche Rolle spielen Stiftungen als Finanziererinnen von Wissenschaftsjournalismus?
Gegenwärtig spielen sie noch eine sehr grosse Rolle. Ohne Stiftungen wäre der Start von Higgs nicht möglich gewesen. Aber da diese bekanntlich nur Anschubfinanzierung leisten, ist es unumgänglich, dass wir ein nachhaltiges Finanzierungsmodell entwickeln.
Fehlt eine Leserschaft, die bereit ist, für Wissenschaftsjournalismus zu bezahlen?
Gemäss Medienforschung ist circa 13 Prozent der online Leserschaft bereit, für Inhalte zu bezahlen. Gegenwärtig ist Higgs für das Publikum noch frei erhältlich. Ab Herbst werden wir jedoch zur Lektüre unserer wertvollsten, eigenen Inhalte eine Mitgliedschaft zur Voraussetzung machen. Da werden wir sehen, wie verbunden unser stetig wachsendendes Publikum unserem Kanal ist. Wenn die Hochrechnungen der Medienforschung stimmen, können wir finanzielle Eigenständigkeit erreichen.
Praktisch haben wir aber nullkommanull Einflussnahme erfahren, selbst wenn wir Forschung kritisch betrachten.
Beat Glogger
Ist es problematisch, wenn dieselbe Stiftung eine Forschung und gleichzeitig die mediale Berichterstattung über die Forschungsergebnisse finanziert?
Sie sprechen darauf an, dass wir gegenwärtig noch vom schweizerischen Nationalfonds unterstützt werden. Theoretisch könnte das ein Problem sein. Praktisch haben wir aber nullkommanull Einflussnahme erfahren, selbst wenn wir Forschung kritisch betrachten. Der Nationalfonds weiss selbst auch ganz genau, dass er jegliche Glaubwürdigkeit verlieren würde – genauso wie Higgs – wenn hier irgend eine Einflussnahme bekannt würde.
Fake News, Corona-Leugnerinnen und ‑Leugner – sind Fakten heute noch relevant?
Tatsächlich sind Fakten für die genannten Gruppierungen nicht mehr relevant. Doch diese Gruppierungen machen nur einen kleinen Anteil in der Bevölkerung aus. Die meisten Leute sind auf der Suche und offen für Fakten. Diese sprechen wir an.
Hat die Kommunikation zur Pandemie mit immer wieder neuen und anderen Erkenntnissen das Vertrauen in die Wissenschaft beschädigt?
Auch hier berufe ich mich auf Untersuchungen, die besagen, dass das Vertrauen in die Wissenschaft gewachsen ist. Wichtig ist, dass wir dem Publikum erklären, dass Zweifel und Korrektur der Einschätzung zum innersten Wesen der Wissenschaft gehören. Nichts ist in Stein gemeisselt, wir werden dauernd gescheiter. Gegensatz zu Verschwörungsmythen, welche sich in fast religiöser Orthodoxie fortwährend auf die Lehrsätze ihr Urheber berufen.
Diesen Diskurs versuchen wir mit Higgs täglich zu unterstützen.
Beat Glogger
Ist es nicht eine zentrale Eigenschaft der Wissenschaft, verschiedene Thesen zuzulassen? Sind überhaupt alle wissenschaftlichen Auseinandersetzungen für eine breite Öffentlichkeit kommunizierbar?
Wie gesagt, es ist das Wesen der Wissenschaft verschiedene Erklärungsansätze gefundener Fakten zu diskutieren. Aber irgendwann wird eine Erklärung obenausschwingen, weil sie überzeugender, beziehungsweise logischer und korrekter ist. Es ist bisweilen schwierig, solche Entwicklungsprozesse im wissenschaftlichen Diskurs einer breiten Bevölkerung zu vermitteln. So geistert noch heute die Behauptung herum, die Wissenschaft sei sich beispielsweise in der Frage des Klimawandels nicht einig. Das ist böswilliger Unsinn: Von 1000 Klimaforschenden schert vielleicht eine Stimme aus. Die kann sich aber nicht durchsetzen, weil sie schlechtere Argumente und keine Belege hat. Hier von einer Kontroverse in der Wissenschaft zu reden, ist schlicht falsch.
Braucht es einen Diskurs in unserer Gesellschaft, über die Rolle der Wissenschaft, was sie kann und soll?
Ja, das braucht es. Und diesen Diskurs versuchen wir auf Higgs täglich zu unterstützen. Zuletzt auch mit Formaten, wie Dialog, wo Forschende selbst schreiben und danach mit unserem Publikum in der Kommentarspalte direkt diskutieren.