Susann Steiner, Geschäftsleiterin Stiftung Landwirtschaft und Behinderte

LuB: Ein Bauern­hof ist ein abwechs­lungs­rei­cher Arbeitsplatz

Die Stiftung Landwirtschaft und Behinderte (LuB) bietet für Menschen mit Beeinträchtigung begleitetes Wohnen und Arbeits- bzw. Ausbildungsplätze auf dem Bauernhof. Geschäftsleiterin Susann Steiner sagt, wie die LuB die Bauernfamilien unterstützt und ob es schwierig ist, genügend Plätze zu finden.

Die Stif­tung wurde vor 29 Jahren gegrün­det. Wie hat sich die Nach­frage entwickelt?

Vor fast 30 Jahren entstan­den die ersten soge­nann­ten Dauer­plat­zie­run­gen. Das sind unbe­fris­tete Plätze für Perso­nen mit Beein­träch­ti­gung bei einer Bauern­fa­mi­lie. Die Bauern­fa­mi­lie bietet die nötige Betreu­ung und die beein­träch­tige Person findet auf dem Hof Fami­li­en­an­schluss und ein abwechs­lungs­rei­ches Arbeits­um­feld. Die Nach­frage entwi­ckelte sich stetig und stei­gend. Im Jahr 1995 waren es 26 Klien­ten. Die Zahl stieg bis 2010 auf 90. Im Jahr 2020 waren es 87. Wich­ti­ger als die reinen Zahlen ist uns, dass die Betreu­ungs­qua­li­tät jeder einzel­nen Plat­zie­rung stimmt und sowohl die Mitar­bei­ten­den mit Beein­träch­ti­gung als auch die Bauern­fa­mi­lien mit unse­rer Arbeit zufrie­den sind.

Wie berei­ten Sie die Bauern­fa­mi­lien auf die Aufgabe vor?

Schon bald nach der Grün­dung der LuB wurde das Weiter­bil­dungs­an­ge­bot aufge­baut. Den Bauern­fa­mi­lien stehen sieben Weiter­bil­dungs­tage pro Jahr zur Verfü­gung. Diese bieten die wich­tige Möglich­keit zur Vernet­zung, zum Austausch und zum Wissens­er­werb in agogi­schen Themen­fel­dern. Auch den Mitar­bei­ten­den (mit Beein­träch­ti­gung) stehen fünf Weiter­bil­dungs­tage pro Jahr zur Verfü­gung. Themen können der Wissens­zu­wachs in land­wirt­schaft­li­chen Themen, Selbst­kom­pe­ten­zen oder die Ideen­fin­dung zur Frei­zeit­ge­stal­tung sein. Im zwei­ten Geschäfts­jahr wurde offen­sicht­lich, dass die Betreu­er­fa­mi­lien Entlas­tung benö­ti­gen. Die beiden Stütz­punkte mit ihren Wochen­end- und Feri­en­an­ge­bo­ten entstan­den. An 35 Wochen­en­den im Jahr und während sieben Feri­en­wo­chen steht ein abwechs­lungs­rei­ches und durch LuB-eige­nes Fach­per­so­nal betreu­tes Frei­zeit­an­ge­bot für die Mitar­bei­ten­den mit Beein­träch­ti­gung zur Verfügung.

Es besteht immer die Möglich­keit und die Pflicht, zwei Wochen zu schnup­pern, um sich gegen­sei­tig kennenzulernen.

Susann Stei­ner, Geschäfts­lei­te­rin Stif­tung Land­wirt­schaft und Behinderte

Bieten Sie auch Ausbildungsplätze?

Im Jahr 2001 führte LuB die ersten beruf­li­chen Mass­nah­men durch. Diese sind mitt­ler­weile zu einem zwei­ten gros­sen Stand­bein der LuB gewor­den. Im Auftrag der Inva­li­den­ver­si­che­rung führen wir Mass­nah­men zur Einglie­de­rung oder zur Wieder­ein­glie­de­rung, haupt­säch­lich beruf­li­che Ausbil­dun­gen von jungen Menschen mit Beein­träch­ti­gung in land­wirt­schaft­li­chen Arbeits­fel­dern durch. Seit 2017 sind wir Träger der Hofmit­ar­bei­ter­aus­bil­dung, welche durch das Kompe­tenz­zen­trum in Agrar‑, Lebens­mit­tel- und Haus­wirt­schaft Strick­hof in Winter­thur-Wülf­lin­gen durch­ge­führt wird. Die zwei­jäh­rige Ausbil­dung in klei­nen Grup­pen und einem Schul­tag pro Woche ergänzt das prak­ti­sche Lernen auf dem Ausbildungsbetrieb.

Sie bieten Menschen mit Beein­träch­ti­gun­gen einen Platz in einer Bauern­fa­mi­lie. Müssen diese das Land­wirt­schafts­um­feld im Vorfeld kennen oder passt das Ange­bot auch für Menschen aus einem urba­nen Umfeld?

Grund­sätz­lich sind keine Erfah­run­gen oder Vorkennt­nisse nötig, aber sicher von Vorteil. Eine gewisse Robust­heit gehört schon dazu. Man erlebt mit, wie die Tiere abge­holt werden, die man versorgt hat. Es ist auch nicht immer schö­nes Wetter. Man lebt mit einer Fami­lie zusam­men, in guten und in schlech­ten Zeiten. Deswe­gen besteht immer die Möglich­keit und die Pflicht, zwei Wochen zu schnup­pern, um sich gegen­sei­tig kennenzulernen.

Ist es schwie­rig, Bauern­fa­mi­lien zu finden, die einen Platz zur Verfü­gung stellen?

Nein, die Anmel­dun­gen von Bauern­fa­mi­lien und Perso­nen mit Beein­träch­ti­gung sind ausge­wo­gen. Unser Pool von aufnah­me­be­rei­ten Bauern­fa­mi­lien kann aber gerne noch grös­ser werden. Damit wird die Viel­falt in den Berei­chen Region, Betriebs­struk­tur und fami­liäre Situa­tion grösser.

Wie beglei­ten und unter­stüt­zen Sie die Bauernfamilien?

Jede Bauern­fa­mi­lie hat eine:n Berater:in der LuB als feste Ansprech­per­son für alle auftau­chen­den Themen. Sie brin­gen ihr Wissen aus einer agogi­schen oder sozi­al­ar­bei­te­ri­schen Ausbil­dung und Erfah­rung aus der Arbeit mit beein­träch­tig­ten Perso­nen ein. Die LuB-Berater:innen führen mindes­tens vier Stand­ort­ge­sprä­che pro Jahr direkt auf dem Bauern­hof durch. Alle Betei­lig­ten, oft auch die Ange­hö­ri­gen und manch­mal auch die Beistände, sitzen am Tisch und jeder bringt seine Anlie­gen zur Spra­che. Der oder die Berater:in klärt und vermit­telt. Zudem wird das weitere Vorge­hen vereinbart. 

Es ist aber wich­tig, dass für Menschen mit Beein­träch­ti­gun­gen viel­fäl­tige und verschie­dene Ange­bote zur Verfü­gung stehen.

Susann Stei­ner

LuB versucht den betreu­en­den Bauern­fa­mi­lien so viel Admi­nis­tra­tion wie möglich abzu­neh­men. Sei es durch allge­mein gültige Unter­la­gen wie Konzepte und Vorla­gen oder durch die Rech­nungs­stel­lung an die Perso­nen mit Beein­träch­ti­gung und die Auszah­lung des Betreu­ungs­gelds an die Bauernfamilien. 

Bereits genannt habe ich das Wochen­end- und Feri­en­an­ge­bot der LuB, welches den Betreu­er­fa­mi­lien ermög­licht, sich von der Betreu­ungs- und Beschäf­ti­gungs­auf­gabe zu rege­ne­rie­ren und das Weiter­bil­dungs­an­ge­bot der LuB. Nicht nur der Wissens­er­werb, sondern auch der Austausch unter­ein­an­der wird sehr geschätzt.

Sind die Berater:innen von Anfang an involviert?

Der oder die Berater:in vermit­telt Perso­nen, die für ein fami­liä­res Setting und die Mitar­beit auf dem Bauern­hof geeig­net erschei­nen. Die Vermitt­lung, die Beglei­tung und der Abschluss liegen in einer Hand. Auch in Krisen sind wir erreichbar.

Sie bieten für Menschen mit Beein­träch­ti­gung im erwerbs­fä­hi­gen Alter unter ande­rem Dauer­plat­zie­run­gen. Wie lange blei­ben sie norma­ler­weise in einer Familie?

Für die aktu­el­len Perso­nen mit Beein­träch­ti­gung aus dem Kanton Bern haben wir gerade die genauen Zahlen der durch­schnitt­li­chen Aufent­halts­dauer parat. Es sind 11,6 Jahre. Eine Person ist dabei mit 29 Aufent­halts­jah­ren und somit seit der Stif­tungs­grün­dung dabei. Das wird in ande­ren Kanto­nen ähnlich sein.

Die beruf­li­chen Mass­nah­men sind befris­tet auf zwei oder drei Jahre je nach Niveau IV-Anlehre, Hofmit­ar­bei­ter, EBA (Eidge­nös­si­sches Berufs­at­test) oder EFZ (Eidge­nös­si­sches Fähigkeitszeugnis).

Wo sehen Sie den Vorteil, den ein Bauern­hof gegen­über ande­ren Insti­tu­tio­nen hat, die Ange­bote für Menschen mit Beein­träch­ti­gun­gen haben?

Ein Bauern­hof ist ein abwechs­lungs­rei­cher Arbeits­platz in der Natur, mit Tieren und dem Wech­sel der Jahres­zei­ten. Die Land­wirt­schaft bietet noch viel Hand­ar­beit und wieder­keh­rende Aufga­ben, für die Verant­wor­tung über­nom­men werden kann. Ein weite­rer Vorteil ist, dass wir eine oder maxi­mal zwei Perso­nen mit Beein­träch­ti­gung auf den glei­chen Land­wirt­schafts­be­trieb vermit­teln. Es kann dadurch indi­vi­du­el­ler betreut werden. Die Notwen­dig­keit der Erle­di­gung der Arbeit und die gemein­same Bewäl­ti­gung in der Hofge­mein­schaft tragen zu einer gros­sen Iden­ti­fi­ka­tion und Berufs­stolz bei.

Es ist aber wich­tig, dass für Menschen mit Beein­träch­ti­gun­gen viel­fäl­tige und verschie­dene Ange­bote zur Verfü­gung stehen. Alle Ange­bote haben ihre Berech­ti­gung auf Grund der verschie­de­nen Bedürfnisse.

Träger der Stif­tung sind der Schwei­zer Bauern­ver­band und insieme Schweiz. Welchen Einfluss haben die beiden Orga­ni­sa­tio­nen auf die Stiftung?

In unse­rem Stif­tungs­rat müssen jeweils zwei Perso­nen vom Schwei­zer Bauern­ver­band und zwei Perso­nen von Insieme sein. So werden die Inter­es­sen von Perso­nen mit Beein­träch­ti­gung und die Inter­es­sen der Bauern­fa­mi­lien ausge­wo­gen vertre­ten. Wir versu­chen immer ein Win-Win-Verhält­nis aufzu­bauen. Der Stif­tungs­rat beein­flusst die stra­te­gi­sche Ausrich­tung der LuB und verant­wor­tet Jahres­be­richte und Finanzen.

Wie heraus­for­dernd ist das Span­nungs­feld zwischen Land­wirt­schaft und Betreuungsangebot?

Das ist kein Span­nungs­feld. Es gibt Bauern­fa­mi­lien, die gerne einer Person mit Behin­de­rung einen Platz in ihrem fami­liä­ren Rahmen und ein Arbeits­ge­biet auf ihrem Hof anbie­ten. Es gibt Perso­nen mit Beein­träch­ti­gung, die sehr gerne in der Land­wirt­schaft arbei­ten und die den Fami­li­en­an­schluss schät­zen. Wir erle­ben, dass die Perso­nen mit Beein­träch­ti­gung in die Fami­lie inte­griert sind und zur Hofge­mein­schaft gehö­ren. Sie schät­zen ihren Arbeits­platz auf dem Hof und leis­ten im Rahmen der indi­vi­du­el­len Möglich­kei­ten ihren Beitrag. Das führt zu Verbun­den­heit, Stolz und Selbst­be­wusst­sein. Das heisst nicht, dass es keine Heraus­for­de­run­gen gibt. Die gute Zusam­men­ar­beit mit den Bauern­fa­mi­lien, die zufrie­de­nen Gesich­ter unser betreu­ten Mitar­bei­ten­den und unsere Über­zeu­gung vom Nutzen unse­res Ange­bots sind uns immer aufs Neue Moti­va­tion, passende Lösun­gen zu suchen.

StiftungSchweiz engagiert sich für eine Philanthropie, die mit möglichst wenig Aufwand viel bewirkt, für alle sichtbar und erlebbar ist und Freude bereitet.

Folgen Sie StiftungSchweiz auf

-
-