Irène Inderbitzin, Geschäftsführerin Ombudsstelle Kinderrechte Schweiz

Kinder­om­buds­stelle: Vermitt­le­rin für die Rechte von Kindern

Vor zwei Jahren hat die Kinderombudsstelle ihre Arbeit aufgenommen. Geschäftsführerin Irène Inderbitzin sagt im Interview, weshalb die Geschichte der Stiftung bereits vor 16 Jahren begann, weshalb die Organisation eine Zwischenlösung ist und dass die Kinder selbst Auslöser für das Angebot waren.

Die Kinder­om­buds­stelle hilft Kindern, wenn ihre Rechte verletzt wurden. Wer meldet sich bei Ihnen?

In rund 30 Prozent der Bera­tun­gen sind es die Kinder selbst, die den Erst­an­ruf täti­gen. In 46 Prozent ist es ein Eltern­teil. Die rest­li­chen Anrufe kommen von Fach­per­so­nen, Pfle­ge­el­tern oder ande­ren nahe­ste­hen­den Perso­nen. Unser Ziel ist es immer, mit den Kindern zu spre­chen. Für Eltern gibt es genü­gend Anlauf­stel­len. Kinder können ihre Situa­tion sehr gut beschrei­ben, auch wenn es natür­lich Ausnah­men gibt wie Kleinkinder.

Ab welchem Alter melden sich Kinder bei Ihnen?

Das jüngste Kind, das uns ange­ru­fen hat, war sechs Jahre alt. Ab diesem Alter wollen wir die Kinder auch anspre­chen. In diesem Alter können sie schon sehr gut ausdrü­cken, wo das Problem liegt.

Wie finden die Kinder den Kontakt der Ombudsstelle?

Teils machen Fach­per­so­nen die Kinder und Jugend­li­chen auf unser Ange­bot aufmerk­sam. Andere finden uns im Inter­net und rund 20 Prozent werden über die Bera­tung des 147 an uns verwiesen.

Wir erfül­len keine Wünsche, sondern setzen das Recht der Kinder um.

Irène Inder­bit­zin, Geschäfts­füh­re­rin Ombuds­stelle Kinder­rechte Schweiz

Melden sich bei Ihnen Kinder in einer akuten Krise oder eher solche, die sich in einer nach­hal­tig belas­ten­den Situa­tion befinden?

Die Kinder, die sich bei uns melden, leben in Situa­tio­nen mit einer länge­ren Vorge­schichte. In diesen Fällen ist schon viel passiert. Die Situa­tion ist soweit eska­liert, dass sich die Kinder oder eine andere Person aus dem Umfeld bei uns meldet. Wir möch­ten eigent­lich errei­chen, dass die Kinder früher zu uns gelan­gen. Unser Ziel ist primär die Präven­tion. Wenn jemand reali­siert, dass das Kinds­wohl gefähr­det ist und Rechte verletzt werden, soll sie uns kontak­tie­ren. Wir vermit­teln dann zwischen dem Kind und Fach­per­so­nen, damit die Rechte sicher­ge­stellt werden und das Kind rasch geschützt wird.

Was wollen die Kinder, wenn sie sich melden?

Sie wollen das Recht, gehört zu werden. Die Kinder wenden sich mit wirk­lich ernst­haf­ten Frage­stel­lun­gen an uns. Oft geht es um ganz schwere Kampf­schei­dun­gen oder Fremd­plat­zie­run­gen im Kindes­schutz. Aber wir behan­deln alle Themen und decken alle Rechts­ge­biete ab, vom Jugend­straf­recht, über Asyl- und Auslän­der­recht oder auch Schulrecht.

Aber können Sie die Wünsche des Kindes erfüllen?

Die Inter­es­sen des Kindes stehen im Zentrum. Wir hatten ein Kind, das gemobbt wurde und nicht mehr in die Schule wollte. Aber ein Kind hat ein Recht auf Bildung. Dies gilt es im Inter­esse des Kindes zu schüt­zen. Wenn man dem Willen des Kindes nicht entspre­chen kann, ist es wich­tig, dass das Kind gehört wird, wenn die nächs­ten Schritte einge­lei­tet werden. Es muss sich einbrin­gen können, damit eine gute Lösung gefun­den werden kann. Wir wollen die Resi­li­enz der Kinder erhöhen.

Welche Erwar­tun­gen haben die Kinder?

Wir erfül­len keine Wünsche, sondern setzen das Recht der Kinder um. Als Ombuds­stelle vermit­teln wir. So sind wir immer wirkungs­voll. Natür­lich haben die Kinder Wünsche und Erwar­tun­gen. In jeder Bera­tung steht aber immer zuerst das Recht auf Infor­ma­tion. Meist ist dieses Recht verletzt worden. Es fehlt dem Kind an Infor­ma­tio­nen. Wir hatten eine suizid­ge­fähr­dete Jugend­li­che. Nach sechs Wochen in einer psych­ia­tri­schen Insti­tu­tion hat sie uns ange­ru­fen, weil sie nicht verstan­den hat, weshalb sie in einer geschlos­se­nen Abtei­lung war. Wir konn­ten die Situa­tion einord­nen – die Einwei­sung an sich war nicht in Frage gestellt. Nach vier Wochen waren aber noch nicht alle Abklä­run­gen abge­schlos­sen, weswe­gen es eine Verlän­ge­rung brauchte. Wir konn­ten errei­chen, dass eine Beistän­din einge­setzt wurde, welche abklärte, wie die zukünf­tige Wohn­si­tua­tion ausse­hen soll und wo die Jugend­li­che ihre Ausbil­dung absol­vie­ren kann.

Es geht um eine rasche Lösungs­fin­dung für das Kind.

Irène Inder­bit­zin, Geschäfts­füh­re­rin Ombuds­stelle Kinder­rechte Schweiz

Wie ist die Reso­nanz der invol­vier­ten Parteien? Akzep­tie­ren sie die Kinder­om­buds­stelle als hilf­rei­che Vermittlerin?

In der Zwischen­zeit haben wir eine breite Akzep­tanz. Es geht um eine rasche Lösungs­fin­dung für das Kind. Wir vermit­teln zwischen den Fach­per­so­nen und den Kindern und stel­len Recht her.

Die Kinder­om­buds­stelle hat vor zwei Jahren die Arbeit aufge­nom­men. Was war der Auslöser?

Das waren die Kinder selbst. Aller­dings liegt der Ursprung für das Konzept der Kinder­om­buds­stelle eigent­lich bereits 16 Jahre zurück. Die Situa­tion von Heim- und Pfle­ge­kin­dern stand am Anfang. Sie haben keine Eltern, die sich für sie wirk­sam einset­zen können. Der Staat macht vieles für sie, und vieles hat er sehr gut gemacht. Aber wenn nicht, konn­ten die Kinder sich nicht selbst verteidigen.

Was waren dies für Situationen?

Bspw. wenn Verfah­rens­rechte wie das Recht auf Gehör nicht einge­hal­ten wurden, konn­ten die Kinder nicht selbst für sich einste­hen und dieses Recht einfor­dern. Gerade auch bei Fremd­plat­zie­rung benö­tigt es zwin­gend Rechtsvertreter:innen, die für das Thema quali­fi­ziert sind.

Welche Quali­fi­ka­tion ist gefragt?

Sie müssen in der Gesprächs­füh­rung mit Kindern ausge­bil­det sein. Sie brau­chen die Quali­fi­ka­tion in der Entwick­lungs­psy­cho­lo­gie von Kindern. So ist Kinder­an­walt­schaft Schweiz als Vorgän­ger­or­ga­ni­sa­tion entstan­den. Um zu erläu­tern, mit welchen Frage­stel­lun­gen sie sich befasst, lassen sie mich die Situa­tion von zwei Halb­ge­schwis­tern erzäh­len. Weil sie die Mutter gleich nach der Geburt zur Adop­tion frei­ge­ge­ben hat, wurden beide fremd­plat­ziert, aber in verschie­de­nen Pfle­ge­fa­mi­lien. So waren sie einfa­cher für die Adop­tion zu vermit­teln. Für den Staat war dies inter­es­san­ter, weil er weni­ger lange zahlen musste. Aber dieses Vorge­hen war einfach nicht rechts­kon­form. Geschwis­ter haben das Recht gemein­sam aufzu­wach­sen. Jemand musste sich für die Rechte der Klein­kin­der einset­zen. In einer ande­ren Situa­tion hat eine Heim­lei­te­rin eine Jugend­li­che auf uns aufmerk­sam gemacht. Sie war aus nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den fremd­plat­ziert. Aber sie wurde nicht ange­hört. Man hatte nicht mit ihr nach einer Lösung gesucht. Das führte zu einer Eska­la­tion bis zur Suizid­ge­fähr­dung. Wir haben das Gesche­hene neu aufge­rollt. Die Jugend­li­che erhielt eine Rechts­ver­tre­tung und wurde ange­hört. Schliess­lich konnte eine Pfle­ge­fa­mi­lie in der Nähe der Mutter gefun­den werden. Es sind schwere Entscheide, die das Leben eines Kindes mass­geb­lich beein­flus­sen, wobei den Kindern die Mittel fehlen, ihr Recht einzu­for­dern. Aufgrund solcher Situa­tio­nen wurde Kinder­an­walt­schaft Schweiz gegrün­det. 2008 war sie opera­tiv und schon bald haben die Kinder selbst angerufen.

Die Kinder haben sich selbst gemeldet?

Genau. Deswe­gen sage ich, dass es die Kinder selbst waren. Das hat uns auf die Lücke im System hinge­wie­sen. Bei Kinder­an­walt­schaft Schweiz stand die Quali­fi­ka­tion der Rechts­ver­tre­tung im Fokus. Aber wenn ein Kind anruft, können sie nicht einfach aufhän­gen. So haben wir sie bera­ten. Und wir haben eine Stra­te­gie erar­bei­tet für eine Kinder­om­buds­stelle. Zu dieser Stra­te­gie gehört auch das poli­ti­sche Enga­ge­ment. Wir waren der Ansicht, es braucht eine öffent­lich-recht­li­che Lösung.

Und wo stehen wir?

Das Ziel war, bis 2020 diese Lösung gefun­den zu haben. Zwar ist dank unse­rem Enga­ge­ment die Motion von Ruedi Noser 2019 zustande gekom­men. Aber es hat sich gezeigt, dass mit dem Gesetz­ge­bungs­pro­zess erst ab 2026 mit einer Lösung zu rech­nen ist. Deswe­gen haben wir die Ombuds­stel­len-Aufga­ben ganz aus Kinder­an­walt­schaft Schweiz heraus­ge­löst. Schliess­lich sollte ein Kind sich auch an uns wenden können, wenn es sich von der Rechts­ver­tre­tung nicht korrekt vertre­ten fühlt.

Wir woll­ten bewusst ganz unab­hän­gig sein.

Irène Inder­bit­zin, Geschäfts­füh­re­rin Ombuds­stelle Kinder­rechte Schweiz

Weshalb haben sie für diese neue Orga­ni­sa­tion die Form einer Stif­tung gewählt?

Kinder­an­walt­schaft Schweiz war die Grün­de­rin. Aber wir woll­ten bewusst ganz unab­hän­gig sein. Der Vorstand und das ganze Team sind in die Kinder­om­buds­stelle gewech­selt, während die Posi­tio­nen bei Kinder­an­walt­schaft Schweiz neu besetzt wurden. So können wir auch nach­wei­sen, dass es dieses Ange­bot braucht.

Die heutige Stif­tung ist somit eine Zwischen­lö­sung. Wie wird die öffent­lich-recht­li­che Lösung ihre Arbeit weiterführen?

Unse­ren Finanzgeber:innen ist es sehr wich­tig, dass die Finan­zie­rung nach­hal­tig ist. Das heisst, alles Wissen, der ganze Aufbau unse­res Ange­bots soll erhal­ten blei­ben. Wenn es eine Verwal­tungs­lö­sung gibt, soll dies in die neue Orga­ni­sa­tion über­führt werden. Wenn es eine Mandats­lö­sung gibt, muss dieses ausge­schrie­ben werden. Dann kann es sein, dass wir uns bewer­ben. In jedem Fall wird das Wissen an den neuen Anbie­ter trans­fe­riert werden.

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