Sie haben in diesem Frühjahr die erste European Academy of Strategic Philanthrop veranstaltet. Was war das Ziel dieser Veranstaltung?
Maja Spanu: Im April 2022 fand die erste European Academy of Strategic Philanthropy (EASP) statt. Sie ist das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit zwischen der Fondation de France, einer philanthropischen Institution, und dem Genfer Zentrum für Philanthropie der Universität Genf (Geneva Centre for Philanthropy GCP), einer akademischen Institution. Unsere Partnerschaft und insbesondere diese Veranstaltung verfolgen zwei Ziele: Einerseits wollten wir die Perspektiven von Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen miteinander verbinden und den interdisziplinären Dialog fördern. Andererseits wollten wir eine Gruppe führender europäischer Stiftungen zusammenbringen, um über die Gegenwart und Zukunft der europäischen Philanthropie nachzudenken und zu diskutieren. 25 CEOs und Führungskräfte aus verschiedenen europäischen Ländern nahmen an der Akademie teil. Bewusst beschränkten wir uns auf eine relativ kleine Gruppe, um vertiefte und bereichernde Gespräche zu fördern. Wir hoffen, dass die EASP die bestehenden europäischen Diskussionen und Initiativen ergänzen kann, die auf Ad-hoc-Basis – zum Beispiel im Rahmen spezifischer Partnerschaften – oder im Rahmen anderer grösseren Veranstaltungen wie dem Jahreskongress von Philea stattfinden.
Was waren die wichtigsten Themen, die diskutiert wurden?
Die Akademie dauerte fast drei Tage. Der Austausch war äußerst dicht und bereichernd. Es wurde ein breites Spektrum an Themen und Fragestellungen diskutiert. Ich würde sagen, dass sich diese um drei Kernbereiche gruppieren lassen. Erstens erörterten wir stiftungsinterne Strategien in Bezug auf die Führung, die Beziehungen zu den Stiftungsräten, die Entscheidungsprozesse und die Zeitpläne. Zweitens haben wir die Beziehungen der Stiftungen zu externen Partnern erörtert. Dies können Partnerstiftungen oder andere Akteure aus der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und andere sein. Im Zusammenhang mit der zunehmenden Beschäftigung mit systemischen Ansätzen wurden auch die Finanzierung, das Vertrauen, die Dauer und die Art der Partnerschaften diskutiert.
Zudem sieht sich die Philanthropie derzeit mit erheblicher Kritik konfrontiert.
Maja Spanu
Der dritte Bereich betraf den sozialen und politischen Kontext, in dem Stiftungen existieren und arbeiten. Stiftungen existieren nicht in einem Vakuum. So diskutierten wir die Rolle der europäischen Stiftungen in Zusammenhang mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit und des Einmarsches in der Ukraine, der Gesundheitskrise, der Umwelt oder des Aufstiegs der Rechtsextremen in zahlreichen demokratischen Staaten. Zudem sieht sich die Philanthropie derzeit mit erheblicher Kritik konfrontiert. Dieser muss der Sektor mit Offenheit und Transparenz begegnen. Auch Fragen der Legitimität der Philanthropie wurden thematisiert. Besonders nützlich erwiesen sich die Beiträge aus der Wissenschaft. Sie brachten eine fundierte Perspektive und lieferten analytische Instrumente.
Würden Sie sagen, dass es eine gemeinsame Stimme für die europäische Philanthropie gibt – oder mehrere?
Das ist eine interessante Frage. Ich kann auf jeden Fall sagen, dass es eindeutig gemeinsame Anliegen in Bezug auf die Funktionsweise von Stiftungen gibt. Dazu gehören Themen wie der Aufbau von Partnerschaften, die Beziehungen zu Spender*innen, der Zivilgesellschaft und der Regierung, Risikobereitschaft und Transparenz. Bei den großen Stiftungen mit Sitz in Europa scheint es auch weitgehend ein gemeinsames Verständnis dafür zu geben, was die wichtigsten gesellschaftlichen und ökologischen Probleme sind, die angegangen werden müssen. Allerdings sind die Antworten sehr unterschiedlich auf die Frage, wie diese Probleme angegangen werden sollten. Auch das Verständnis und die Konzeption der von der Philanthropie unterstützten Anliegen sind jedoch sehr unterschiedlich. Dies ist meines Erachtens jedoch nicht so überraschend.
Weshalb?
Stiftungen haben unterschiedliche Geschichte, eigene Schwerpunkte, Management- und Funktionssysteme sowie verschiedene Positionen zu bestimmten Themen. Letztlich verfügen sie auch über unterschiedliche Ressourcen und Möglichkeiten, diese zu bearbeiten. Sie sind auch in verschiedenen geografischen, soziopolitischen und kulturellen Kontexten angesiedelt und spiegeln somit unterschiedliche Realitäten wider. Eine Stiftung mit Sitz auf dem westlichen Balkan oder in Osteuropa wird sich nicht täglich mit denselben Problemen beschäftigen wie eine Stiftung in Frankreich oder der Schweiz. Dies mag offensichtlich klingen. Es ist aber ein wichtiger Punkt, den es zu bedenken gilt. Gerade deshalb sind Gefässe des Austauschs und für eine gemeinsame Reflexion wichtig, um eine gemeinsame Basis für gemeinsames Handeln und gemeinsame Perspektiven zu schaffen und gleichzeitig die Vielfalt der Stimmen zu wahren.
Würden Sie sagen, dass diese Vielfalt an Stimmen und Perspektiven eine Stärke der europäischen Philanthropie ist oder doch eine Schwäche?
Ich würde sagen, dass die Antwort weder das eine noch das andere ist, sondern eher eine Kombination aus beidem.
Das heisst?
Einerseits würde eine stärkere und geeinte Stimme bei wichtigen Themen, bwps. im Bereich der sozialen Gerechtigkeit, eine unglaubliche Kraft für den sozialen Wandel darstellen. Andererseits bin ich überzeugt, dass eine Vielfalt der Stimmen und Ansätze den Sektor und den demokratischen Dialog stärkt – auch wenn wir dann nicht von einer «einheitlichen» europäischen Philanthropie sprechen können. Diese Vielfalt ermöglicht die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven um einen Dialog zu führen und so Veränderungen herbeizuführen. Wenn auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene so viele verschiedene Projekte und Organisationen mit unterschiedlichen Zielen und Ambitionen unterstützt werden, dann gerade deshalb, weil die Stiftungen über unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen verfügen, die es ermöglichen, alle Bereiche des sozialen und politischen Lebens, der Umwelt und des Klimas, der Kunst und Kultur, der Forschung, der Bildung und so weiter abzudecken. Es kommt also darauf an, dass die Gespräche und der Austausch fortgesetzt werden. Damit kann sich die Philanthropie weiter anpassen. So kann sie besser auf gesellschaftliche Realitäten und externe Bedürfnisse reagieren. Genau aus diesem Grund sind Gelegenheiten wie die EASP so wertvoll.
Andererseits bin ich überzeugt, dass eine Vielfalt der Stimmen und Ansätze den Sektor und den demokratischen Dialog stärkt.
Maja Spanu
Gab es während der EASP spezifische Möglichkeiten und Grenzen, die diskutiert wurden, oder Themen, die sich herauskristallisiert haben, denen Stiftungen besondere Aufmerksamkeit widmen sollten?
Henry Peter, von unserer Partnerinstitution, der Universität Genf, hat einen sehr interessanten Bericht über die EASP veröffentlicht. Darin hebt er sechs Schlüsselthemen hervor, die sich aus der EASP ergeben haben. Erstens: die Rolle und der Wirkungsbereich von Stiftungen in demokratischen Staaten, zum Beispiel im Verhältnis zu anderen Akteuren. Zweitens: die Art und Weise, wie Stiftungen mit der Zeit umgehen (langfristiges Handeln versus sofortige Reaktionen, Lebensdauer von Stiftungen). Drittens: die Risikobereitschaft in der Philanthropie in Bezug auf die unterstützten Projekte. Viertens: die Bedeutung von Partnerschaften für Stiftungen. Fünftens: Transparenz und Zugang zu Daten in Bezug auf die Aktivitäten und Aufgaben von Stiftungen, was umso wichtiger erscheint, wenn man mit Kritik konfrontiert wird. Sechstens: die Notwendigkeit, Bildung und Forschung im Bereich der Philanthropie zu unterstützen – hier möchte ich anfügen, auch der verschiedenen Themen, mit denen sich Stiftungen befassen. Ein weiterer Aspekt, der vielleicht erwähnt werden könnte ist die Kohärenz. Sie wurde nicht direkt während der EASP angesprochen. Aber sie stellte sich als roter Faden in all unseren Diskussionen heraus.
Was ist damit gemeint?
Das bedeutet, dass man sich stets darum bemühen sollte, die externen Maßnahmen der Stiftungen und ihre Unterstützung für bestimmte Werte mit ihrer internen Identität und Funktionsweise in Einklang zu bringen. Ob sich eine Stiftung für die Umwelt, für Vielfalt und Integration, für Nachhaltigkeit, für die Förderung von Wissen und Bildung usw. einsetzt: Dies sind Dimensionen, die sich auch intern so weit wie möglich widerspiegeln sollten. Dies ist sicherlich eine Herausforderung. Diese wollen die europäischen Stiftungen jedoch aktiv angehen. Sie wollen sicherstellen, dass sie sowohl ihre Vitalität als auch ihre gesellschaftliche Relevanz bewahren.
Sie haben erwähnt, dass es Diskussionen über die Rolle der europäischen Stiftungen im aktuellen gesellschaftspolitischen Kontext gibt. Können Sie dies aufführen?
Ich habe ein besonderes Interesse an dieser Frage, da ich einen Hintergrund in internationalen Angelegenheiten habe und dies das Thema eines Panels war, das ich während der EASP leitete. In den vergangenen Jahren haben Europa und die Welt zahlreiche dramatische soziale, politische und gesundheitsbezogene Ereignisse erlebt. Von der schockierenden Erkenntnis der Umweltkatastrophe, die uns umgibt, über den Aufstieg der Rechtsextremen, die globale Pandemie, welche tiefgreifenden globalen Ungleichheiten aufzeigte, bis hin zu zahlreichen Konflikten – einschließlich aktuell in Europa des Einmarsches in die Ukraine. Das soll nicht heißen, dass Krisen, dramatische Ereignisse und tiefgreifende Veränderungen etwas Neues sind. Ganz im Gegenteil. In unseren Diskussionen wurde jedoch hervorgehoben, wie europäische Stiftungen sich darauf einstellen und darauf reagieren, sowohl strategisch als auch gesellschaftlich.
Ein weiterer Aspekt, der vielleicht erwähnt werden könnte ist die Kohärenz.
Maja Spanu
Mir scheint, dass während der EASP drei Kernfragen in Bezug auf dieses wichtige Thema aufgeworfen wurden. Die erste bezog sich auf die Rolle der europäischen Stiftungen in und für die Gesellschaften, sei es in Europa oder in anderen lokalen und globalen Kontexten. Dazu gehören auch alle sich daraus ergebenden Implikationen, welche die Anerkennung dieser Rolle haben kann, insbesondere im globalen Süden. Die zweite Frage bezog sich auf den Handlungsspielraum von Stiftungen in diesen unterschiedlichen Kontexten. Die dritte Frage schließlich ließe sich wie folgt zusammenfassen: Tragen Stiftungen eine besondere Verantwortung gegenüber den Gesellschaften, in denen oder mit denen sie arbeiten? Dies sind eigentlich Schlüsselfragen, die weitergehende Themen wie Transparenz, Wertebildung und ‑teilung, demokratische Beteiligung, Legitimität und Kohärenz ansprechen. Während der EASP herrschte ein allgemeines Einvernehmen darüber, dass dies zentrale Fragen sind, die behandelt werden sollten. Die Art unseres Austauschs hat die Vielfalt der Ansätze und Antworten auf diese Fragen deutlich gemacht. Das unterstreicht wiederum die Vielfalt des philanthropischen Sektors in Europa.