Maja Spanu, Fondation de France

Jenseits von Gren­zen und Abgren­zun­gen: Stär­kung der euro­päi­schen Phil­an­thro­pie durch Dialog und Pluralismus

Im diesem Frühjahr diskutierten 25 Führungspersonen großer europäischer Stiftungen auf der ersten European Academy of Strategic Philanthropy (EASP) über die wichtigsten Themen des philanthropischen Sektors. Im Interview teilt Maja Spanu einige der wichtigsten Erkenntnisse der Veranstaltung und gibt ihre eigene Sicht auf die Philanthropie in Europa wieder. Maja Spanu ist Leiterin des Bereichs Philanthropie und internationale Angelegenheiten bei der Fondation de France, zusammen mit dem Centre for Philanthropy der Universität Genf Mitorganisatorin der EASP, und Lehrbeauftragte für internationale Beziehungen an der Universität Cambridge.

Sie haben in diesem Früh­jahr die erste Euro­pean Academy of Stra­te­gic Phil­an­throp veran­stal­tet. Was war das Ziel dieser Veranstaltung?

Maja Spanu: Im April 2022 fand die erste Euro­pean Academy of Stra­te­gic Phil­an­thropy (EASP) statt. Sie ist das Ergeb­nis einer engen Zusam­men­ar­beit zwischen der Fonda­tion de France, einer phil­an­thro­pi­schen Insti­tu­tion, und dem Genfer Zentrum für Phil­an­thro­pie der Univer­si­tät Genf (Geneva Centre for Phil­an­thropy GCP), einer akade­mi­schen Insti­tu­tion. Unsere Part­ner­schaft und insbe­son­dere diese Veran­stal­tung verfol­gen zwei Ziele: Einer­seits woll­ten wir die Perspek­ti­ven von Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen mitein­an­der verbin­den und den inter­dis­zi­pli­nä­ren Dialog fördern. Ande­rer­seits woll­ten wir eine Gruppe führen­der euro­päi­scher Stif­tun­gen zusam­men­brin­gen, um über die Gegen­wart und Zukunft der euro­päi­schen Phil­an­thro­pie nach­zu­den­ken und zu disku­tie­ren. 25 CEOs und Führungs­kräfte aus verschie­de­nen euro­päi­schen Ländern nahmen an der Akade­mie teil. Bewusst beschränk­ten wir uns auf eine rela­tiv kleine Gruppe, um vertiefte und berei­chernde Gesprä­che zu fördern. Wir hoffen, dass die EASP die bestehen­den euro­päi­schen Diskus­sio­nen und Initia­ti­ven ergän­zen kann, die auf Ad-hoc-Basis – zum Beispiel im Rahmen spezi­fi­scher Part­ner­schaf­ten – oder im Rahmen ande­rer grös­se­ren Veran­stal­tun­gen wie dem Jahres­kon­gress von Philea stattfinden. 

Was waren die wich­tigs­ten Themen, die disku­tiert wurden?

Die Akade­mie dauerte fast drei Tage. Der Austausch war äußerst dicht und berei­chernd. Es wurde ein brei­tes Spek­trum an Themen und Frage­stel­lun­gen disku­tiert. Ich würde sagen, dass sich diese um drei Kern­be­rei­che grup­pie­ren lassen. Erstens erör­ter­ten wir stif­tungs­in­terne Stra­te­gien in Bezug auf die Führung, die Bezie­hun­gen zu den Stif­tungs­rä­ten, die Entschei­dungs­pro­zesse und die Zeit­pläne. Zwei­tens haben wir die Bezie­hun­gen der Stif­tun­gen zu exter­nen Part­nern erör­tert. Dies können Part­ner­stif­tun­gen oder andere Akteure aus der Wissen­schaft, der Zivil­ge­sell­schaft und andere sein. Im Zusam­men­hang mit der zuneh­men­den Beschäf­ti­gung mit syste­mi­schen Ansät­zen wurden auch die Finan­zie­rung, das Vertrauen, die Dauer und die Art der Part­ner­schaf­ten diskutiert. 

Zudem sieht sich die Phil­an­thro­pie derzeit mit erheb­li­cher Kritik konfrontiert.

Maja Spanu

Der dritte Bereich betraf den sozia­len und poli­ti­schen Kontext, in dem Stif­tun­gen exis­tie­ren und arbei­ten. Stif­tun­gen exis­tie­ren nicht in einem Vakuum. So disku­tier­ten wir die Rolle der euro­päi­schen Stif­tun­gen in Zusam­men­hang mit Fragen der sozia­len Gerech­tig­keit und des Einmar­sches in der Ukraine, der Gesund­heits­krise, der Umwelt oder des Aufstiegs der Rechts­extre­men in zahl­rei­chen demo­kra­ti­schen Staa­ten. Zudem sieht sich die Phil­an­thro­pie derzeit mit erheb­li­cher Kritik konfron­tiert. Dieser muss der Sektor mit Offen­heit und Trans­pa­renz begeg­nen. Auch Fragen der Legi­ti­mi­tät der Phil­an­thro­pie wurden thema­ti­siert. Beson­ders nütz­lich erwie­sen sich die Beiträge aus der Wissen­schaft. Sie brach­ten eine fundierte Perspek­tive und liefer­ten analy­ti­sche Instrumente. 

Würden Sie sagen, dass es eine gemein­same Stimme für die euro­päi­sche Phil­an­thro­pie gibt – oder mehrere?

Das ist eine inter­es­sante Frage. Ich kann auf jeden Fall sagen, dass es eindeu­tig gemein­same Anlie­gen in Bezug auf die Funk­ti­ons­weise von Stif­tun­gen gibt. Dazu gehö­ren Themen wie der Aufbau von Part­ner­schaf­ten, die Bezie­hun­gen zu Spender*innen, der Zivil­ge­sell­schaft und der Regie­rung, Risi­ko­be­reit­schaft und Trans­pa­renz. Bei den großen Stif­tun­gen mit Sitz in Europa scheint es auch weit­ge­hend ein gemein­sa­mes Verständ­nis dafür zu geben, was die wich­tigs­ten gesell­schaft­li­chen und ökolo­gi­schen Probleme sind, die ange­gan­gen werden müssen. Aller­dings sind die Antwor­ten sehr unter­schied­lich auf die Frage, wie diese Probleme ange­gan­gen werden soll­ten. Auch das Verständ­nis und die Konzep­tion der von der Phil­an­thro­pie unter­stütz­ten Anlie­gen sind jedoch sehr unter­schied­lich. Dies ist meines Erach­tens jedoch nicht so überraschend. 

Weshalb?

Stif­tun­gen haben unter­schied­li­che Geschichte, eigene Schwer­punkte, Manage­ment- und Funk­ti­ons­sys­teme sowie verschie­dene Posi­tio­nen zu bestimm­ten Themen. Letzt­lich verfü­gen sie auch über unter­schied­li­che Ressour­cen und Möglich­kei­ten, diese zu bear­bei­ten. Sie sind auch in verschie­de­nen geogra­fi­schen, sozio­po­li­ti­schen und kultu­rel­len Kontex­ten ange­sie­delt und spie­geln somit unter­schied­li­che Reali­tä­ten wider. Eine Stif­tung mit Sitz auf dem west­li­chen Balkan oder in Osteu­ropa wird sich nicht täglich mit densel­ben Proble­men beschäf­ti­gen wie eine Stif­tung in Frank­reich oder der Schweiz. Dies mag offen­sicht­lich klin­gen. Es ist aber ein wich­ti­ger Punkt, den es zu beden­ken gilt. Gerade deshalb sind Gefässe des Austauschs und für eine gemein­same Refle­xion wich­tig, um eine gemein­same Basis für gemein­sa­mes Handeln und gemein­same Perspek­ti­ven zu schaf­fen und gleich­zei­tig die Viel­falt der Stim­men zu wahren.

Die Teil­neh­men­den des Euro­pean Academy of Stra­te­gic Philanthropy.

Würden Sie sagen, dass diese Viel­falt an Stim­men und Perspek­ti­ven eine Stärke der euro­päi­schen Phil­an­thro­pie ist oder doch eine Schwäche?

Ich würde sagen, dass die Antwort weder das eine noch das andere ist, sondern eher eine Kombi­na­tion aus beidem. 

Das heisst?

Einer­seits würde eine stär­kere und geeinte Stimme bei wich­ti­gen Themen, bwps. im Bereich der sozia­len Gerech­tig­keit, eine unglaub­li­che Kraft für den sozia­len Wandel darstel­len. Ande­rer­seits bin ich über­zeugt, dass eine Viel­falt der Stim­men und Ansätze den Sektor und den demo­kra­ti­schen Dialog stärkt – auch wenn wir dann nicht von einer «einheit­li­chen» euro­päi­schen Phil­an­thro­pie spre­chen können. Diese Viel­falt ermög­licht die Ausein­an­der­set­zung mit unter­schied­li­chen Perspek­ti­ven um einen Dialog zu führen und so Verän­de­run­gen herbei­zu­füh­ren. Wenn auf loka­ler, natio­na­ler und inter­na­tio­na­ler Ebene so viele verschie­dene Projekte und Orga­ni­sa­tio­nen mit unter­schied­li­chen Zielen und Ambi­tio­nen unter­stützt werden, dann gerade deshalb, weil die Stif­tun­gen über unter­schied­li­che Perspek­ti­ven und Erfah­run­gen verfü­gen, die es ermög­li­chen, alle Berei­che des sozia­len und poli­ti­schen Lebens, der Umwelt und des Klimas, der Kunst und Kultur, der Forschung, der Bildung und so weiter abzu­de­cken. Es kommt also darauf an, dass die Gesprä­che und der Austausch fort­ge­setzt werden. Damit kann sich die Phil­an­thro­pie weiter anpas­sen. So kann sie besser auf gesell­schaft­li­che Reali­tä­ten und externe Bedürf­nisse reagie­ren. Genau aus diesem Grund sind Gele­gen­hei­ten wie die EASP so wertvoll.

Ande­rer­seits bin ich über­zeugt, dass eine Viel­falt der Stim­men und Ansätze den Sektor und den demo­kra­ti­schen Dialog stärkt.

Maja Spanu

Gab es während der EASP spezi­fi­sche Möglich­kei­ten und Gren­zen, die disku­tiert wurden, oder Themen, die sich heraus­kris­tal­li­siert haben, denen Stif­tun­gen beson­dere Aufmerk­sam­keit widmen sollten?

Henry Peter, von unse­rer Part­ner­insti­tu­tion, der Univer­si­tät Genf, hat einen sehr inter­es­san­ten Bericht über die EASP veröf­fent­licht. Darin hebt er sechs Schlüs­sel­the­men hervor, die sich aus der EASP erge­ben haben. Erstens: die Rolle und der Wirkungs­be­reich von Stif­tun­gen in demo­kra­ti­schen Staa­ten, zum Beispiel im Verhält­nis zu ande­ren Akteu­ren. Zwei­tens: die Art und Weise, wie Stif­tun­gen mit der Zeit umge­hen (lang­fris­ti­ges Handeln versus sofor­tige Reak­tio­nen, Lebens­dauer von Stif­tun­gen). Drit­tens: die Risi­ko­be­reit­schaft in der Phil­an­thro­pie in Bezug auf die unter­stütz­ten Projekte. Vier­tens: die Bedeu­tung von Part­ner­schaf­ten für Stif­tun­gen. Fünf­tens: Trans­pa­renz und Zugang zu Daten in Bezug auf die Akti­vi­tä­ten und Aufga­ben von Stif­tun­gen, was umso wich­ti­ger erscheint, wenn man mit Kritik konfron­tiert wird. Sechs­tens: die Notwen­dig­keit, Bildung und Forschung im Bereich der Phil­an­thro­pie zu unter­stüt­zen – hier möchte ich anfü­gen, auch der verschie­de­nen Themen, mit denen sich Stif­tun­gen befas­sen. Ein weite­rer Aspekt, der viel­leicht erwähnt werden könnte ist die Kohä­renz. Sie wurde nicht direkt während der EASP ange­spro­chen. Aber sie stellte sich als roter Faden in all unse­ren Diskus­sio­nen heraus. 

Laeti­tia Gill, Henry Peter, Axelle Dave­zac, Maja Spanu

Was ist damit gemeint?

Das bedeu­tet, dass man sich stets darum bemü­hen sollte, die exter­nen Maßnah­men der Stif­tun­gen und ihre Unter­stüt­zung für bestimmte Werte mit ihrer inter­nen Iden­ti­tät und Funk­ti­ons­weise in Einklang zu brin­gen. Ob sich eine Stif­tung für die Umwelt, für Viel­falt und Inte­gra­tion, für Nach­hal­tig­keit, für die Förde­rung von Wissen und Bildung usw. einsetzt: Dies sind Dimen­sio­nen, die sich auch intern so weit wie möglich wider­spie­geln soll­ten. Dies ist sicher­lich eine Heraus­for­de­rung. Diese wollen die euro­päi­schen Stif­tun­gen jedoch aktiv ange­hen. Sie wollen sicher­stel­len, dass sie sowohl ihre Vita­li­tät als auch ihre gesell­schaft­li­che Rele­vanz bewahren.

Sie haben erwähnt, dass es Diskus­sio­nen über die Rolle der euro­päi­schen Stif­tun­gen im aktu­el­len gesell­schafts­po­li­ti­schen Kontext gibt. Können Sie dies aufführen?

Ich habe ein beson­de­res Inter­esse an dieser Frage, da ich einen Hinter­grund in inter­na­tio­na­len Ange­le­gen­hei­ten habe und dies das Thema eines Panels war, das ich während der EASP leitete. In den vergan­ge­nen Jahren haben Europa und die Welt zahl­rei­che drama­ti­sche soziale, poli­ti­sche und gesund­heits­be­zo­gene Ereig­nisse erlebt. Von der scho­ckie­ren­den Erkennt­nis der Umwelt­ka­ta­stro­phe, die uns umgibt, über den Aufstieg der Rechts­extre­men, die globale Pande­mie, welche tief­grei­fen­den globa­len Ungleich­hei­ten aufzeigte, bis hin zu zahl­rei­chen Konflik­ten – einschließ­lich aktu­ell in Europa des Einmar­sches in die Ukraine. Das soll nicht heißen, dass Krisen, drama­ti­sche Ereig­nisse und tief­grei­fende Verän­de­run­gen etwas Neues sind. Ganz im Gegen­teil. In unse­ren Diskus­sio­nen wurde jedoch hervor­ge­ho­ben, wie euro­päi­sche Stif­tun­gen sich darauf einstel­len und darauf reagie­ren, sowohl stra­te­gisch als auch gesellschaftlich. 

Ein weite­rer Aspekt, der viel­leicht erwähnt werden könnte ist die Kohärenz.

Maja Spanu

Mir scheint, dass während der EASP drei Kern­fra­gen in Bezug auf dieses wich­tige Thema aufge­wor­fen wurden. Die erste bezog sich auf die Rolle der euro­päi­schen Stif­tun­gen in und für die Gesell­schaf­ten, sei es in Europa oder in ande­ren loka­len und globa­len Kontex­ten. Dazu gehö­ren auch alle sich daraus erge­ben­den Impli­ka­tio­nen, welche die Aner­ken­nung dieser Rolle haben kann, insbe­son­dere im globa­len Süden. Die zweite Frage bezog sich auf den Hand­lungs­spiel­raum von Stif­tun­gen in diesen unter­schied­li­chen Kontex­ten. Die dritte Frage schließ­lich ließe sich wie folgt zusam­men­fas­sen: Tragen Stif­tun­gen eine beson­dere Verant­wor­tung gegen­über den Gesell­schaf­ten, in denen oder mit denen sie arbei­ten? Dies sind eigent­lich Schlüs­sel­fra­gen, die weiter­ge­hende Themen wie Trans­pa­renz, Werte­bil­dung und ‑teilung, demo­kra­ti­sche Betei­li­gung, Legi­ti­mi­tät und Kohä­renz anspre­chen. Während der EASP herrschte ein allge­mei­nes Einver­neh­men darüber, dass dies zentrale Fragen sind, die behan­delt werden soll­ten. Die Art unse­res Austauschs hat die Viel­falt der Ansätze und Antwor­ten auf diese Fragen deut­lich gemacht. Das unter­streicht wiederum die Viel­falt des phil­an­thro­pi­schen Sektors in Europa.

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