The Philanthropist: Sie sind seit Anfang des Jahres neue Geschäftsführerin der Hear the World Foundation. Konnten Sie sich bereits ein umfassendes Bild machen?
Joëlle Pianzola: Ja, dank meines Teams habe ich mittlerweile einen guten Überblick gewonnen. In solch aussergewöhnlichen Zeiten war es definitiv eine neue Erfahrung – zu Beginn haben wir uns ausschliesslich über Video-Konferenzen ausgetauscht und kennengelernt. Persönlich treffen konnten wir uns das erste Mal erst nach drei Monaten, als die Pandemielage etwas besser wurde. Mit dem Stiftungsrat haben wir uns dieses Jahr mehrmals persönlich getroffen und ausgetauscht. Mit dem internationalen Beirat der Stiftung und den Projektpartnern geschieht das weiterhin virtuell. Ich wurde sehr herzlich von allen empfangen und konnte mir in den letzten Monaten bereits ein gutes Netzwerk im neuen Umfeld aufbauen.
Was beeindruckt sie am meisten an Ihrer neuen Arbeit? Sind es solche Geschichten wie jene des Mädchens Praise, das plötzlich in einer weiteren Dimension wahrnehmen kann?
Es ist äusserst beeindruckend zu sehen, was moderne Hörlösungen ermöglichen und welche positiven Auswirkungen sie im Alltag von Menschen mit Hörverlust haben. Unser Ziel ist es, einer grösstmöglichen Anzahl von Kindern mit einer Hörminderung den Zugang zu einer guten Hörversorgung zu ermöglichen. Schlussendlich sind es aber immer die persönlichen Geschichten der Kinder, wie zum Beispiel von Praise aus Malawi, die uns alle tief berühren und inspirieren. Zu erfahren, wie Praise dank Hörgeräten sprechen gelernt hat und eine reguläre Schule besucht, ist einer von vielen wunderbaren Eindrücken, die immer wieder aufs Neue die Sinnhaftigkeit unserer Tätigkeit sichtbar machen. Diese Überzeugung spüre ich nicht nur in der Stiftung, sondern auch allgemein bei Sonova.
Schlussendlich sind es aber die persönlichen Geschichten der Kinder, die uns alle tief berühren und inspirieren.
Joëlle Pianzola, Direktorin Hear the World Foundation
Was treibt Sie persönlich an, sich für gutes Hören einzusetzen?
Bei Kindern hat vermindertes Hören eine enorme Auswirkung auf ihre Kommunikationsfähigkeiten und damit auf ihren Alltag, die soziale Integration und die Zukunftsperspektiven. Mit unserer Arbeit bauen wir wichtige Hürden für die betroffenen Kinder ab. Sich für Chancengleichheit und die Verringerung von Ungleichheiten einzusetzen, liegt mir persönlich sehr am Herzen.
Das 2021 geht langsam, aber sicher zu Ende. Es war ein weiteres von der Coronapandemie geprägtes Jahr. Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit ihren Projektpartnern?
Die Coronapandemie hinterlässt starke Spuren. Leider sind gerade Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen noch stärker davon betroffen. Viele unserer Projektpartner mussten ihre Tätigkeiten vorübergehend einstellen, da Kindergärten und Schulen geschlossen wurden. Also genau die Orte, an denen Hörscreenings bei Kindern durchgeführt werden. Familien aus abgelegenen Orten konnten nicht mehr zu den Behandlungszentren reisen und Gesundheitspersonal ist krankheitsbedingt länger ausgefallen. Trotz dieser Schwierigkeiten setzen unsere Partner alles daran, die Projekte fortzuführen. Vor diesem Hintergrund hat beispielsweise das Team in Peru umfragebasierte Hörscreenings entwickelt. Eltern werden dabei gebeten, das Verhalten ihrer Kinder zu Hause genau zu beobachten und festzuhalten, um einen potentiellen Hörverlust zu identifizieren. Dieser Ansatz war so erfolgreich, dass er von nun an standardisiert vom Projektpartner angeboten wird.
In welchen Wirkungsfeldern – Programme für Kinder, Ausbildung von Experten, Prävention von Hörverlust, Programme für Eltern und Familien – sind sie zurzeit besonders gefordert?
Für uns sind alle vier Themenfelder gleichermassen wichtig, um einen ganzheitlichen Ansatz in der Projektarbeit zu verfolgen. Der Fokus unserer Arbeit liegt klar bei den Kindern. Denn je früher ein Hörverlust erkannt und behandelt wird, desto grösser ist die positive Wirkung auf das Leben eines Menschen. Doch auch die Aus- und Weiterbildung von Experten vor Ort ist von entscheidender Bedeutung. Wir müssen sicherstellen, dass unser Engagement nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft wirkt und dass die Partner im jeweiligen Land die Projektarbeit selbstständig fortsetzen können. Die Präventionsarbeit findet vor allem in Schulen und bei den Familien selbst statt. Wir klären darüber auf, wodurch ein Hörverlust verursacht und wie er vermieden werden kann. Eltern spielen eine zentrale Rolle in der erfolgreichen Behandlung von Kindern mit Hörverlust. Nachdem eine Hörminderung erkannt und versorgt wurde, gilt es zu schauen, dass das betroffene Kind sein Hörgerät auch regelmässig trägt. Es ist wichtig, sich intensiv mit dem Kind zu beschäftigen, um seine Kommunikationsfähigkeiten, die bis anhin häufig wenig ausgeprägt waren, zu fördern. Nicht zu vergessen ist auch die Begleitung des Kindes zur Sprachtherapie. Die Eltern haben eine sehr grosse Verantwortung und wir versuchen, ihnen die wichtigsten Informationen mit auf den Weg zu geben.
Als Kompass nennt Arnd Kaldowski, Präsident der Hear the World Foundation, die Fünf-Jahres-Strategie. Was beinhaltet diese Strategie und konnten sie trotz Corona auf Kurs bleiben?
Die Fünf-Jahres-Strategie hat zum Ziel, mit unseren Tätigkeiten eine nachhaltige soziale Wirkung zu erzielen. Das heisst, dass wir Projekte zur Umsetzung bringen, die eine qualitative und langfristige Hörversorgung lokal aufbauen und gewährleisten, und deren Wirkung nachweisbar ist. Damit verfolgen wir zukünftig einen starken evidenzbasierten Ansatz, sowohl in der Auswahl als auch in der Umsetzung der Projekte. Den Aufbau dieses auf soziale Wirkung ausgerichteten Managements haben wir in diesem Jahr stark vorangetrieben und werden diesen Ansatz demnächst mit unseren Projektpartnern in Pilotprojekten umsetzen.
Haben Sie sich gewisse Schwerpunkte für das kommende Jahr vorgenommen?
Im ersten Quartal des Jahres entscheidet der Stiftungsrat, welche Projekte neu gefördert werden. Ein Schwerpunkt ist daher für uns, ein wirkungsstarkes Portfolio aufzustellen. Zudem prüfen wir eine Dezentralisierung unserer Stiftungstätigkeit, um räumlich näher bei unseren Projektpartnern tätig zu sein. Neben den Förderprogrammen wird ein weiterer Schwerpunkt beim Fundraising liegen. Um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, braucht es auch mehr Mittel. Deshalb suchen wir im kommenden Jahr verstärkt nach weiteren Unterstützern unserer Stiftungsarbeit. Darüber hinaus werden wir unseren Tätigkeitsbereich rein digital umsetzen und unseren Online-Aufritt modernisieren.
Wie kann ich mir die Zusammenarbeit mit ihren Projektpartner vor Ort vorstellen?
Unsere Programm-Manager im Schweizer Stiftungsteam arbeiten eng mit den Projektpartnern in Asien, Lateinamerika, Afrika, Europa und im Mittleren Osten zusammen. Die Programm-Manager stellen unsere finanzielle und technologische Unterstützung vor Ort sicher und managen die Projektzusammenarbeit mit den Partnern. Mit unseren Sonova Experten organisieren wir zudem regelmässige Trainings für unsere Projektpartner zu unterschiedlichen audiologischen Themen. Uns ist es auch ein wichtiges Anliegen, den Austausch zwischen den verschiedenen Projektteams in den verschiedenen Ländern zu fördern. Trotz regionaler Unterschiede stehen sie doch häufig vor ähnlichen Herausforderungen und können sich gut gegenseitig unterstützen. Bald wird es auch eine Online-Partnerplattform geben, die den Austausch von Dokumenten, Präsentationen und weiteren Informationen systematisch fördert. Auch im Bereich Kommunikation findet ein enger Austausch zwischen den Projektpartnern und unserer Kommunikationsverantwortlichen statt, damit wir über die Erfahrungen und Ergebnisse berichten können.
Bei der Sonova arbeiten viele Expertinnen und Experten. Inwiefern werden die Mitarbeitenden in die Stiftungsarbeit mit einbezogen?
Wir haben ein umfangreiches Freiwilligenprogramm bei der Hear the World Foundation. Entsprechend den Bedürfnissen unserer Partner wählen wir geeignete Expertinnen und Experten innerhalb der Sonova Gruppe für Projekteinsätze aus. Vor der Pandemie, als Reisen in andere Länder jederzeit möglich waren, fanden die Einsätze primär vor Ort statt. So konnten sich die Experten von Sonova mit den Partnern direkt im persönlichen Gespräch austauschen und ihnen mit Wissenstransfers zur Verfügung stehen. Nach dem Beginn der Pandemie haben wir dann fast alle Einsätze virtuell durchgeführt und sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Auch in Zukunft werden wir unsere Projektpartner je nach Bedarf und jeweiliger Situation entweder vor Ort oder virtuell unterstützen.