Guido Fluri, Initiator der Wiedergutmachungsinitiative, betonte, dass die Geschichte der Verdingkinder nach Jahrzehnten der Tabuisierung nun ein integraler Teil der Schweizer Geschichte sei. Verdingkinder seien heute keine Opfer mehr, sondern Zeitzeugen. Durch die kollektive Aufarbeitung hätten die Überlebenden ein neues Selbstbewusstsein erlangt. Fluri erklärte: «Heute haben rund 12’000 Betroffene eine offizielle Anerkennung für das erlittene Leid sowie einen Solidaritätsbeitrag erhalten.»
Die Bedeutung der öffentlichen Anerkennung
In seiner Rede wies Bundesrat Beat Jans auf die Bedeutung der öffentlichen Anerkennung und die Entrichtung der Solidaritätsbeiträge hin. Er sagte: «Die grosse Anzahl ehemaliger Verdingkinder und Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen hier am Sommerfest zeigt eindrücklich, dass Gesetze Gutes bewirken können.» Jans betonte weiter, dass der Schweizer Rechtsstaat nicht perfekt sei, aber die Chance biete, ihn zu verbessern. Er lobte die Aufarbeitung in der Schweiz als Vorbild für Europa und erinnerte daran, dass im Januar die parlamentarische Versammlung des Europarats für eine ähnliche Aufarbeitung früherer Missbrauchsfälle in Europa gestimmt habe.
Ein dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte
Bis 1981 waren in der Schweiz zehntausende Kinder und Erwachsene von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen oder Fremdplatzierungen betroffen. Verdingkinder wurden auf Bauernhöfen als billige Arbeitskräfte ausgebeutet und erlitten massive körperliche und psychische Gewalt, oft auch sexuellen Missbrauch. Die Wiedergutmachungsinitiative von Guido Fluri führte zu einer umfassenden Aufarbeitung dieser Verbrechen. Das Vorgehen findet inzwischen auch international Anerkennung.
Ein Vorbild für Europa
Bundesrat Jans lobte das Engagement der Guido Fluri Stiftung, die sich nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Europa für die Aufarbeitung dieser Missbrauchsfälle einsetzt. Gemäss einem kürzlich gefassten Beschluss des Europarats sollen die Mitgliedstaaten das Leid der Überlebenden von Kindsmissbrauch offiziell anerkennen, Wiedergutmachungszahlungen leisten und eine wissenschaftliche Aufarbeitung durchführen. «Ihrem Mut ist es zu verdanken, dass wir heute in der Schweiz ein Gesetz haben, das in ganz Europa als Vorbild gilt,» sagte Jans den Schweizer Überlebenden.
Ausblick und weitere Schritte
Die Veranstaltung in Thun zeigt eindrücklich, wie weit die Schweiz in der Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels ihrer Geschichte gekommen ist. Es bleibt jedoch noch viel zu tun. Die Guido Fluri Stiftung wird weiterhin daran arbeiten, das Bewusstsein für die Verbrechen an den Verdingkindern und anderen Missbrauchsopfern zu schärfen und die Aufarbeitung voranzutreiben. Die Anerkennung und der Solidaritätsbeitrag sind wichtige Schritte, doch es bedarf weiterer Masnahmen, um sicherzustellen, dass solche Ungerechtigkeiten nie wieder vorkommen.
Diese Ereignisse und Reden machen deutlich, wie wichtig es ist, aus der Vergangenheit zu lernen und gemeinsam für eine gerechtere Zukunft zu kämpfen. Die Geschichte der Verdingkinder und die heutige Anerkennung ihres Leids sind ein starkes Zeichen für den Fortschritt, den die Schweiz in den letzten Jahren gemacht hat.