Ein Förderbereich der Beisheim Stiftung ist Gesundheit. Wie legen Sie den Begriff Gesundheit ganzheitlich verstehen aus?
Wir verstehen Gesundheit ganzheitlich: Es geht um das körperliche, geistige und soziale Wohlergehen und nicht nur um die Abwesenheit von Krankheit. Gesundheit ist eine wesentliche Grundlage dafür, dass Menschen ihr Potenzial entfalten und ihr Leben selbstbestimmt gestalten können. Deshalb unterstützen wir Projekte, die die mentale Gesundheit stärken und einen gesunden Lebensstil fördern.
Sie fördern viele Projekte im Bereich mentale Gesundheit. Gibt es eine übergeordnete Strategie, die all diese Initiativen verbindet?
Ja, wir möchten dazu beitragen, dass Menschen mental gesund bleiben oder trotz gesundheitlicher Einschränkungen ein gutes Leben führen können. Unser Ziel ist es, die mentale Gesundheit in allen Lebensphasen zu stärken – auch in kritischen Übergängen, die mit einer erhöhten psychischen Belastung einhergehen können.
Welches sind kritische Übergänge?
Kritische Übergänge sind etwa die Lehrstellensuche bei Jugendlichen, die Gründung einer Familie und damit verbundene Herausforderungen, Karriereveränderungen in der Lebensmitte, die Pensionierung, weil eine zentrale Identitätsquelle wegfällt, oder der Verlust von Lebenspartner:innen im Alter.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Unser Fokus liegt in allen Lebensphasen auf Projekten, die Wissen zu mentaler Gesundheit vermitteln, eigene Ressourcen stärken und unterstützende Umfelder für Betroffene und betreuende Angehörige schaffen. So fördern wir beispielsweise das niederschwellige Angebot, «malreden». Es gibt älteren Menschen, die sich einsam fühlen, die Möglichkeit, sich am Telefon mit einem Gegenüber einfach mal auszutauschen.
Unser Ziel ist es, die mentale Gesundheit in allen Lebensphasen
Thérèse Flückiger, Beisheim Stiftung
zu stärken.
Inwiefern greifen Ihre vier Förderbereiche Bildung, Gesundheit, Kultur und Sport ineinander?
Die vier Förderbereiche sind aus unseren Stiftungszwecken hervorgegangen. Sie sind eigenständig, können sich aber überschneiden oder ergänzen. So unterstützen wir auch Projekte, die auf zwei oder mehr Bereiche einzahlen, wie «Les Concerts du Coeur» oder «MusikSpitex». Beide Angebote bringen hochwertige Musikerlebnisse zu Menschen, die nicht mobil sind: Les Concerts du Coeur unter anderem mit Konzerten für Bewohnende von Institutionen wie Alters- und Pflegeheimen, die MusikSpitex spielt persönliche Konzerte für einzelne Personen im individuellen Kontext. Mit diesen Engagements fördern wir nicht nur die kulturelle Teilhabe, sondern auch das mentale Wohlbefinden und die soziale Verbundenheit. Schön ist auch, dass eines dieser Projekte aus der Romandie kommt und eines aus der Deutschschweiz.
Wie muss ich mir die Les Concerts du Coeur vorstellen?
Bei Les Concerts du Coeur durfte ich im Wallis einmal mit dabei sein. Ich bekam Hühnerhaut, als ich gesehen habe, wie die älteren Menschen, teilweise mit fortgeschrittener Demenz, zum Takt mitwippten oder sogar mitsangen. Das war sehr berührend. Ein Pianist und zwei Sängerinnen, allesamt Profimusiker:innen, haben in diesem Konzert vor allem lokale Volkslieder gespielt und so den Zugang zu ihren Zuhörer:innen gefunden. Es gibt aber verschiedenste Stilrichtungen. Die Künstler:innen sind für dieses Setting geschult und sie interagieren ganz bewusst mit den Menschen.
Die gesellschaftlichen Herausforderungen bei der mentalen Gesundheit sind enorm. Werden Sie diesen Schwerpunkt künftig noch weiter ausbauen?
Wir haben uns bereits 2016 für diesen Schwerpunkt entschieden – damals war das Thema in der Förderlandschaft noch eine Nische. Angesichts der steigenden psychischen Belastungen in unserer Gesellschaft bleibt das Thema wichtig und wir werden unser dezidiertes Engagement in diesem Bereich fortführen. Dabei möchten wir uns noch stärker in Projekten engagieren, die eine überregionale oder nationale Wirkung entfalten beziehungsweise das Potenzial dazu haben.
Sie fördern auch gemeinsam mit anderen Stiftungen in Stiftungskonsorzien.
Wir sprechen lieber von Allianzen. In Kooperationen mit anderen Förderstiftungen bündeln wir Ressourcen und Kompetenzen, um gemeinsam gesellschaftliche Herausforderungen effektiver anzugehen. Ausserdem schaffen gemeinsame Förderungen Synergien und reduzieren den administrativen Aufwand für die Projektträger. Ganz grundsätzlich lassen sich komplexe Themen wie die mentale Gesundheit nur durch die Zusammenarbeit von Akteuren aus verschiedenen Bereichen – Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft – nachhaltig vorantreiben.
Wie sieht eine Allianz aus?
Ein gutes Beispiel einer Förderallianz ist die gemeinsame Unterstützung mit anderen Stiftungen des «Kompetenzzentrums Leaving Care» und der Betroffenenorganisation «Careleaver Schweiz». Careleaver sind junge Menschen, die in Heimen oder Pflegefamilien aufgewachsen sind und mit Erreichen der Volljährigkeit den Übergang in ein eigenständiges Leben bewältigen müssen. Ziele der beiden Organisationen sind Chancengleichheit und bessere Rahmenbedingungen in dieser anspruchsvollen Lebensphase der Betroffenen beziehungsweise konkrete Unterstützungsangebote, um ein unterstützendes Umfeld zu schaffen, das hilft, ihre eigenen Ressourcen zu stärken und ihre psychische Belastung zu mindern. Es gibt Stiftungen, die nur das Kompetenzzentrum, das auch Advocacy-Arbeit betreibt, unterstützen und andere wieder nur Careleaver Schweiz. Wichtig ist: Als Förderallianz unterstützen alle miteinander die gleichen Projektziele.
Die Beisheim Stiftung fördert grosse Programme für die breite Bevölkerung und kleine, zielgruppenspezifische Initiativen. Welche Strategie verfolgen Sie damit?
Durch diese Kombination möchten wir eine möglichst breite gesellschaftliche Wirkung erreichen. Es gibt Projekte, die für eine grosse Zielgruppe aufgesetzt sind. Ich denke dabei an die «ensa»-Kurse – ein sehr breit ausgerichtetes Programm mit Fokus Früherkennung der Stiftung Pro Mente Sana: Die Erste-Hilfe-Kurse für psychische Gesundheit richten sich an Laien – von Jugendlichen bis Erwachsene – und wurden von der Beisheim Stiftung mitinitiiert.
Und für kleine Zielgruppen?
Es gibt sehr spezifische Zielgruppen mit besonderen Herausforderungen. Wir fördern beispielsweise zwei Organisationen, die Kinder und Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil unterstützen: die «Fondation As’trame», die in der gesamten Westschweiz tätig ist, und das «Institut Kinderseele Schweiz» in der Deutschschweiz. Beide begleiten und beraten betroffene Kinder, Jugendliche und Familien in diesen schwierigen Lebensphasen.
Wie evaluieren Sie den Impact dieser unterschiedlichen Ansätze?
Wir setzen auf eine wirkungsorientierte Herangehensweise. Das bedeutet, dass wir viele Projekte von der Analyse der Herausforderungen bis zu den «Lessons Learned» eng begleiten und mit unserem Wissen unterstützen. Dazu gehören auch qualitative sowie quantitative Methoden zur Wirkungsmessung, die unsere Projektpartner regelmässig einsetzen. Gemeinsam mit anderen Stiftungen bieten wir zudem kostenlose Workshops zu wirkungsorientierter Projektarbeit an.
Nach welchen Kriterien entscheidet die Beisheim Stiftung, ob sie sich langfristig an einem Projekt beteiligt?
Drei Faktoren sind entscheidend: gesellschaftliche Relevanz, Skalierbarkeit und nachhaltige Wirkung. Uns interessiert, ob ein Projekt national oder überregional Wirkung entfaltet, wie es die Zielgruppe erreicht und ob es langfristig tragfähig ist. Innovative und wissenschaftlich fundierte Ansätze spielen ebenfalls eine Rolle.
Wie sieht eine typische Förderpartnerschaft mit Ihnen aus?
Unsere Partnerschaften basieren auf Augenhöhe, Dialog und Transparenz. Bei vielen Projekten besteht schon vor Beginn der Förderpartnerschaft ein persönlicher Kontakt, beispielsweise durch eine Voranfrage oder ein Vorgespräch zu einem Projektantrag. Nach der Förderzusage finden regelmässige Austausche, Projektbesuche oder ‑steuergruppen statt, die sich je nach Projektgrösse und ‑dauer unterschiedlich ausgestalten. Gibt es einen Bedarf, begleiten wir unsere Partner:innen auch strategisch, vernetzen sie mit anderen Organisationen oder öffnen ihnen Türen zu anderen Stiftungen.
Wichtig ist: Bei komplexen Themen braucht es wirklich alle für eine Breitenwirkung in der Gesellschaft. Stiftungen können helfen, etwas zügig auf den Weg zu bringen und auch einmal etwas auszuprobieren.