Beginnen wir mit einem der Kernthemen Ihrer Zusammenarbeit: der Digitalisierung. Wozu digital, wenn es auch analog geht?
Katja Schönenberger (SwissFoundations): Die Digitalisierung ermöglicht es uns, effizienter und effektiver zu arbeiten. Sie bringt viel positive Veränderungen und neue Möglichkeiten. Zusammengefasst: eine Minimierung des Aufwands und gleichzeitig eine Maximierung der Wirkung. Davon profitieren alle Sektoren und selbstverständlich macht die Digitalisierung auch vor unserem Sektor nicht Halt.
Trotzdem ist gerade in der Philanthropie auch viel Skepsis spürbar …
Stefan Schöbi (StiftungSchweiz): Zu Recht! Mit der Digitalisierung wird nicht automatisch alles besser, gerade im Bereich des Gesuchswesens. Früher hat ein Nonprofit einmal ein sauberes Dossier erstellt, heute muss es dreissig unterschiedliche Formulare ausfüllen. Entscheidend ist deshalb, dass wir in der Philanthropie richtig digitalisieren und Lösungen entwickeln, die den Alltag aller Akteur:innen erleichtern.
Wie gehen Sie dabei vor?
Katja Schönenberger: Wir haben uns zum Ziel gesetzt, uns gemeinsam für eine starke digitale Philanthropie einzusetzen. Wie genau diese aussieht, das ist eine offene Frage – wir verstehen sie als Experiment, das wir gemeinsam angehen. SwissFoundations bringt als Verband der Schweizer Förderorganisationen die entscheidende Expertise der Förderorganisationen ein, StiftungSchweiz als digitale Plattform die nötige technologische Kompetenz in dieses Vorhaben. Viele der konkreten Angebote, die auf der Plattform von StiftungSchweiz lanciert werden, gestalten wir gemeinsam. Und unsere Mitglieder sind dank einer erleichterten Registrierung nun mit wenigen Klicks an Bord.
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, uns gemeinsam für eine starke digitale Philanthropie einzusetzen.
Katja Schönenberger, SwissFoundations
Gibt es neben den Gemeinsamkeiten auch Unterschiede?
Katja Schönenberger: Weniger in unseren Zielen, umso mehr dafür in unserer Governance-Struktur. Als Verband der Förderstiftungen mit einer starken Vernetzung in Politik und Verwaltung ist SwissFoundations zuerst eine Interessensvertretung ihrer Mitglieder und vertritt damit die Perspektive der Förderorganisationen. Rechtlich ist SwissFoundations ein Verein.
Stefan Schöbi: StiftungSchweiz ist als Aktiengesellschaft aufgestellt, die darauf ausgerichtet ist, ihre digitalen Dienstleistungen kundenorientiert und kostendeckend zu erbringen, notabene nicht nur für Förderstiftungen, sondern auch für Nonprofits. Wir sind also spezialisiert auf das Matching der beiden Seiten der Philanthropie. Sollten aus diesem Tätigkeitsfeld eines Tages Gewinne resultieren, so fliessen diese nach dem Willen unserer Aktionäre wieder zurück in den Sektor (Anm. der Redaktion: siehe The Philanthropist, Ausgabe 1/23). Auch SwissFoundations und einige der Mitgliederorganisationen sind übrigens Teil des Aktionärspools.
Katja Schönenberger: Aus dieser eigenständigen Positionierung entstehen unterschiedliche Kernkompetenzen und Rollen, die sich jedoch gegenseitig optimal ergänzen. Das Kernanliegen unserer Kooperation, die Digitalisierung des Sektors, können wir miteinander viel kraftvoller angehen.
Wo setzt die Kooperation inhaltlich an?
Stefan Schöbi: In einem Workshop haben wir kürzlich drei Prioritäten definiert, nämlich die digitale Vernetzung, das Gesuchsmanagement und das Mapping der Akteur:innen der Schweizer Philanthropie.
Beginnen wir bei den Netzwerken.
Katja Schönenberger: Unsere Arbeitskreise sind eines der wichtigsten und seit langem etablierten Austauschgefässe bei SwissFoundations. Mit den Netzwerken hat StiftungSchweiz ein digitales Werkzeug eingeführt, um einen solchen Erfahrungsaustausch zu unterstützen. Die Arbeitskreise profitieren damit von einer digitalen Ergänzung und erweiterten Interaktionsmöglichkeiten. Das fördert nicht nur den Austausch von Best Practices, sondern erleichtert auch die gemeinsame Projektarbeit. SwissFoundations spielt hier eine führende Rolle, indem es die Struktur und die thematischen Schwerpunkte der Schweizer Philanthropie begleitet.
Stefan Schöbi: Die Netzwerke sind ein Kernelement der Plattform, da sie äusserst vielseitig eingesetzt werden können. Als Inspiration und zum Blick über den Tellerrand. Für den strategischen Austausch und Abgleich unter Organisationen, die ähnliche Themen bearbeiten, sei es als Funder oder Nonprofit. Als gemeinsames Journal und Ablage für die organisationsübergreifende Zusammenarbeit. Zur vertraulichen Koordination unter Förderorganisationen. Oder als gesicherter, sauber dokumentierter Kommunikationskanal für eine Förderbeziehung, in dem die Arbeitsschritte und Reportings zentral abgelegt und archiviert werden können.
Stichwort Gesuchsmanagement
Katja Schönenberger: Schon seit langem ist der Bedarf nach einer einfachen Lösung für das digitale Gesuchsmanagement bekannt. Gerade für kleinere Stiftungen sind die meisten Lösungen gemessen an ihrem Förderbudget teuer. Hinzu kommt: Jede Förderstiftung weiss, dass die Einführung einer Software auch bedeutet, dass über Jahre eingespielte Prozesse neugestaltet werden müssen. Mit gutem Grund wägen Stiftungen diesen Schritt daher sorgfältig ab. Gleichzeitig sind wir überzeugt: Es lohnt sich, ihn anzugehen und nicht länger hinauszuzögern.
Wie begleiten Sie die Transformation?
Stefan Schöbi: Wir haben dieses Bedürfnis der Förderorganisationen verstanden und begleiten den Schritt ins digitale Zeitalter deshalb sorgfältig und persönlich. Zusätzlich haben wir auch unser Angebot an Webinaren und Trainings mit einer Reihe zusätzlicher «Essentials» und «Bootcamps» erweitert. Die Formate konzentrieren sich auf die wesentlichen digitalen Kompetenzen, zum Beispiel ein effektives Stiftungsmanagement. Zahlreiche dieser Formate entwickeln wir in Zusammenarbeit mit Partnern wie SwissFoundations. So stellen wir sicher, dass sie die Bedürfnisse der Förderorganisationen präzise adressieren.
Wir haben dieses Bedürfnis der Förderorganisationen verstanden und begleiten den Schritt ins digitale Zeitalter deshalb sorgfältig und persönlich.
Stefan Schöbi, StiftungSchweiz
Katja Schönenberger: In unserem gemeinsamen Essential «Digitale Philanthropie für Funders», das nächstes Mal Ende August durchgeführt wird, zeigen wir zum Beispiel konkret auf, dass die Digitalisierung mit dem richtigen Ansatz für alle Beteiligte eine Erfolgsgeschichte ist. Das Bootcamp «Als Stiftungsrat am Start …» im Herbst bietet in kompakter Form die Gelegenheit, die eigene Governance zu überprüfen und fit für die Zukunft zu machen.
Grosse Organisationen sind längst digital – hat StiftungSchweiz auch ihnen etwas zu bieten?
Stefan Schöbi: Und ob! Denn gerade grosse Organisationen sind in punkto Vernetzung in der Poleposition, weil sie deutlich mehr Ressourcen für die Programmentwicklung und Themenarbeit haben. Das Gesuchssystem von StiftungSchweiz lässt sich zudem auch als Vorgesuchssystem nutzen, welches den Aufwand der Gesuchssteller:innen für den wichtigen ersten Schritt minimiert. Hier spüren wir ein grosses Interesse an unserem Angebot, was uns sehr freut.
Spielt ihre Kooperation künftig auch direkt in die Produktentwicklung hinein?
Stefan Schöbi: Selbstverständlich, und das nicht erst in Zukunft. So ist das Netzwerk-Modul eine Erweiterung, die gezielt auf die Bedürfnisse von SwissFoundations-Mitgliedern eingeht, die im Herbst 2022 systematisch erfasst wurden.
Katja Schönenberger: Auch im Bereich der Künstlichen Intelligenz arbeiten StiftungSchweiz, die Universität Genf und SwissFoundations eng zusammen, um einen sinnstiftenden und verantwortungsvollen Einsatz von KI zu gestalten. Aus dieser gemeinsamen Reise sind konkrete KI-Assistenten entstanden, die im Alltag der Philanthropie zur Verfügung stehen und im Rahmen der Kooperation von allen SwissFoundations Mitgliedern kostenlos genutzt werden können.
Sie spielen auf die AI Learning Journey an – ist die Reise gut ins Ziel gekommen?
Katja Schönenberger: Noch nicht ganz, einer von fünf Workshops steht noch bevor. Was wir aber bereits wissen: Es lohnt sich, die Ansätze und Instrumente der digitalen Philanthropie gemeinsam mit einer vielfältigen Gruppe von Praktiker:innen weiterzuentwickeln. Die insgesamt fast fünfzig Teilnehmenden in den beiden Kohorten – eine live vor Ort in Basel, eine online und zeitversetzt – engagieren sich tatkräftig, vom Aufstellen von Grundsätzen bis hin zur Entwicklung von Prototypen für konkrete Anwendungsfälle. Gemeinsam sind wir der Überzeugung, dass wir das Feld der Technologie-Gestaltung nicht einfach den amerikanischen Konzernen überlassen sollten, sondern im Gegenteil als Sektor selbst entscheiden wollen, wieviel und welche Technologie wir einsetzen. Diesen Prozess hat die AI Learning Journey über ein Dreivierteljahr eng begleitet und dabei beeindruckende Ergebnisse erarbeitet.
KI ist also bereits im Einsatz?
Stefan Schöbi: Seit kurzem, ja. Künstliche Intelligenz ist aber nur das neueste und mit Abstand leistungsfähigste Kapitel der Technologieentwicklung. Es schafft niederschwelligen Zugang und unterstützt die Stakeholder im Alltag optimal, so dass sie sich auf das Wesentliche konzentrieren können. Auf stiftungschweiz.ch nutzen Sie dazu seit einigen Monaten erste KI-Assistenten, sei es beim Verfassen eines Begleitbriefs oder der Verbesserung eines Projektdossiers. Und das ist sicher erst der Anfang.
Haben Stiftungen nicht auch Bedenken im Hinblick auf künstliche Intelligenz?
Katja Schönenberger: Berechtigterweise! In der Philanthropie steht der Mensch im Mittelpunkt und künstliche Intelligenz soll sorgfältig und auf ethische Weise zum Einsatz kommen. Gerade dieses Anliegen hat die Learning Journey sehr ernst genommen. So wurde schon im ersten Workshop strenge Kriterien für den Datenschutz aufgestellt und technische Vorkehrungen getroffen, durch welche die Risiken – etwa im Vergleich zur Nutzung von ChatGPT oder anderer amerikanischer Dienstleistungen – weitgehend reduziert werden können. Zudem haben die Teilnehmer:innen der Journey beschlossen, alle Rulebooks, also die «Anleitungen» für die KI-Assistenten, konsequent zu publizieren. StiftungSchweiz hat diesen Beschluss innert Wochenfrist umgesetzt – solch konsequent gelebte Transparenz ist im Technologiesektor heute noch sehr selten anzutreffen.
Stefan Schöbi: Aktuell arbeiten die beiden Kohorten der Learning Journey an einem Leitfaden für einen verantwortungsvollen Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Philanthropie, der praktische Empfehlungen bspw. für Transparenz, Datenschutz oder auch Umweltaspekte umfasst. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Verantwortlichkeit, also der ethischen und rechtlichen Pflicht von Organisationen, insbesondere hinsichtlich automatisierter Entscheidungen.
Wann ist die Reise der Learning Journey am Ziel?
Stefan Schöbi: Ganz zu Ende ist sie noch lange nicht, das wäre auch gar nicht die Absicht. Ein Etappenziel erreicht sie aber Ende Juni mit dem fünften und vorerst letzten Workshop. Übrigens: Schon Anfang 2023 haben wir bei StiftungSchweiz dazu eingeladen, Philanthropie gemeinsam zu gestalten. Diesen Aufruf meinen wir ernst und richten ihn an sämtliche Akteur:innen des Sektors, von Verbänden über akademischen Partnern bis hin zu Behörden wie der Stiftungsaufsicht oder den Steuerämtern!
Wie geht die gemeinsame Reise weiter?
Katja Schönenberger: Der dritte Schwerpunkt unserer Kooperation ist ein besseres Mapping des Sektors. Hier setzen wir aktuell einen Fokus mit zwei Pilotprojekten in unseren Arbeitskreisen «Bildung» und «Forschung». Wir stellen uns die Frage, wie wir als Sektor insgesamt eine bessere Datenbasis für Entscheidungen schaffen können.
Stefan Schöbi: StiftungSchweiz hat hier in den vergangenen Jahren das «Stiftungsbarometer» etabliert, das jährlich Stimmungen, Strategien und Trends in der Schweizer Stiftungs- und Vereinslandschaft erhebt. Wir möchten das Barometer schrittweise zu einem starken Panel für den gesamten Nonprofitsektor weiterentwickeln. Die Basis dazu ist mit den Organisationsprofilen auf stiftungschweiz.ch nämlich schon gelegt.
Hand aufs Herz, fällt Ihnen Kooperation immer leicht?
Katja Schönenberger: (lacht) Sie fällt uns zumindest immer leichter. Im Ernst: Kooperation ist nie ein Selbstläufer, sie ist immer eine Investition. Zu Beginn mussten wir die Ziele und Grundsätze dieser Zusammenarbeit erst schrittweise entwickeln. Seither begleiten wir sie sorgfältig und arbeiten dazu auch an einer soliden kulturellen Grundlage in den Teams. Vor kurzem haben wir sogar ein Branding eingeführt, das die gemeinsamen Initiativen kennzeichnet und zeigt, dass wir es ernst meinen …
Stefan Schöbi: … und auch die zusammen erarbeiteten Resultate als solche sichtbar machen wollen. Zum Glück sind wir beide der Auffassung, dass es keine Alternative zu dieser engen Kooperation zwischen StiftungSchweiz und SwissFoundations gibt. Es ist also keine Frage des «Ob», sondern lediglich des «Wie». Und da haben wir uns bisher immer gefunden, manchmal überraschend schnell, manchmal erst nach zähem Ringen – aber immer auf eine faire Art und Weise. Das nenne ich eine perfekte Kooperation.