Symbolbild: Evan Yang, unsplash

Geht mit der Mittel­schicht auch die Frei­wil­li­gen­ar­beit verloren?

Eine Studie von Potluka und von Schnurbein (2025) untersucht, welchen Beitrag die Schweizer Mittelschicht zwischen 2006 und 2019 zum formellen Freiwilligenarbeit geleistet hat – einem Zeitraum, der durch einen Rückgang der Mittelschicht und wachsende Bedenken hinsichtlich der sozialen Teilhabe gekennzeichnet war. Auf der Grundlage von vier Erhebungswellen der schweizerischen Freiwilligenbefragung untersuchen die Autoren, ob sich das Engagement der Mittelschicht in der formellen Freiwilligenarbeit verändert hat und was es fördert oder hemmt.

Wich­tige Erkenntnisse

Die Mittel­schicht bildet nach wie vor das Rück­grat des formel­len Frei­wil­li­gen­we­sens in der Schweiz. Obwohl ihr Anteil an der Gesamt­be­völ­ke­rung zurück­ge­gan­gen ist – von etwa 70 % im Jahr 2006 auf unter 60 % im Jahr 2019 –, stellt die Mittel­schicht weiter­hin die Mehr­heit der Frei­wil­li­gen. Ihr Enga­ge­ment schwankt zwar (81 % im Jahr 2006, 67 % im Jahr 2014, 71 % im Jahr 2019), lang­fris­tig ist jedoch kein signi­fi­kan­ter Rück­gang zu verzeich­nen. Im Vergleich zu einkom­mens­schwa­chen Grup­pen enga­giert sich die Mittel­schicht nach wie vor deut­lich häufi­ger formell in Verei­nen, Sport­clubs oder kultu­rel­len und sozia­len Organisationen.

Warum die Mittel­schicht wich­tig ist

Ange­hö­rige der Mittel­schicht verfü­gen in der Regel über eine gute Ausbil­dung, einen siche­ren Arbeits­platz und soziale Inte­gra­tion – Fakto­ren, die sowohl Human­ka­pi­tal (Fähig­kei­ten, Erfah­rung, Ressour­cen) als auch Sozi­al­ka­pi­tal (Vertrauen und Netz­werke) gene­rie­ren. Diese Eigen­schaf­ten machen sie zu attrak­ti­ven Frei­wil­li­gen für gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tio­nen. Aller­dings schrän­ken beruf­li­che Zeit­be­schrän­kun­gen ihre Verfüg­bar­keit zuneh­mend ein, sodass Zeit zur knapps­ten Ressource für Frei­wil­lige wird. Beruf­li­che Pflich­ten konkur­rie­ren mit bürger­schaft­li­chem Enga­ge­ment, obwohl diese Menschen starke Werte und die Bereit­schaft zum Mitwir­ken haben.

Prak­ti­sche Impli­ka­tio­nen für gemein­nüt­zige Organisationen

  1. Inves­tie­ren Sie in Vertrau­ens­bil­dung: Loka­les und orga­ni­sa­to­ri­sches Vertrauen sind wich­tige Prädik­to­ren für ehren­amt­li­ches Enga­ge­ment. Trans­pa­rente Kommu­ni­ka­tion, inte­gra­tive Entschei­dungs­fin­dung und stabile Netz­werke in der Gemein­schaft stär­ken das Enga­ge­ment von Freiwilligen.
  2. Ermög­li­chen Sie flexi­bles Enga­ge­ment: Zeit­man­gel ist ein gros­ses Hinder­nis. Mikro-Frei­wil­li­gen­ar­beit, kurz­fris­tige Projekte oder fami­li­en­freund­li­che Akti­vi­tä­ten können viel­be­schäf­tigte Berufs­tä­tige anziehen.
  3. Unter­stüt­zen Sie das Zeit­ma­nage­ment: Es kann hilf­reich sein, Frei­wil­lige darin zu schu­len, ihr Enga­ge­ment in ihren Zeit­plan zu inte­grie­ren, oder mit Arbeit­ge­bern im Bereich „Corpo­rate Volun­tee­ring” zusammenzuarbeiten.
  4. Nutzen Sie poli­ti­sches und bürger­schaft­li­ches Inter­esse: Menschen, die sich aktiv für bestimmte Anlie­gen einset­zen, sind poten­zi­elle Kandi­da­ten – insbe­son­dere für Aufga­ben im Bereich der Interessenvertretung.
  5. Gezielte Öffent­lich­keits­ar­beit: Gering­ver­die­nende Grup­pen sind nach wie vor unter­re­prä­sen­tiert; mass­ge­schnei­derte Initia­ti­ven könn­ten die Frei­wil­li­gen­ba­sis über die tradi­tio­nelle Mittel­schicht hinaus erweitern.

Trotz der Befürch­tung, die schrump­fende Mittel­schicht könnte das Ange­bot an Frei­wil­li­gen unter­gra­ben, ist die formelle Frei­wil­li­gen­ba­sis in der Schweiz stabil geblie­ben. Vertrauen, Bürger­kul­tur und insti­tu­tio­nelle Veran­ke­rung ermög­li­chen die Teil­nahme. Dennoch müssen sich gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tio­nen an neue Lebens­stile und Erwar­tun­gen anpas­sen – an episo­dischere, und zweck­ori­en­tierte Formen des Engagements.

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