Lars Bünger, Präsident von Libereco

Gegen das Vergessen

Seit 2009 engagiert sich Libereco für die politischen Gefangenen in Belarus. Präsident Lars Bünger spricht über die Situation der Gefangenen unter dem repressiven System und wie sie ihnen helfen können.

Wie kam es dazu, dass sich Libe­reco in Bela­rus engagiert?

Wie andere Grün­dungs­mit­glie­der von Libe­reco auch, war ich zuvor für Amnesty Inter­na­tio­nal aktiv. Als Student enga­gierte ich mich in der Bonner Amnesty Hoch­schul­gruppe. Damals hatten wir einen Schwer­punkt zu Bela­rus. Nach dem Studium hatten einige von uns das Bedürf­nis, sich noch fokus­sier­ter für Bela­rus zu enga­gie­ren. Wir woll­ten mehr machen, als dies im Rahmen unse­res Enga­ge­ments für eine global ausge­rich­tete Orga­ni­sa­tion wie Amnesty möglich war.

Was kann ein klei­ner Verein besser?

Neben dem geogra­fi­schen Fokus haben wir auch thema­tisch einen klaren Schwer­punkt. Wir enga­gie­ren uns für die klas­si­schen Frei­heits­rechte und poli­ti­schen Menschen­rechte. Diese können wir vertieft behandeln.

Die Erfah­rung dieser Ungleich­heit hat mich angetrieben. 

Lars Bünger, Präsi­dent Libereco

Deswe­gen haben Sie Libe­reco gegründet?

Es war nahe­lie­gend, einen neuen Verein zu grün­den, nicht als Konkur­renz sondern als Ergän­zung. Das haben wir 2009 getan. Es war uns damals schon bewusst, dass es sich bei Bela­rus um eine üble Dikta­tur mitten in Europa handelt, in der die Menschen leiden – und das woll­ten und können wir bis heute als über­zeugte Demo­kra­ten nicht still­schwei­gend hinnehmen.

Wie eng ist Ihre Verbin­dung zu Belarus?

Viele von uns sind regel­mäs­sig nach Bela­rus gereist. Wir hatten schnell direk­ten Kontakt mit Oppo­si­tio­nel­len und  konn­ten mit Menschenrechtler:innen vor Ort spre­chen. Wenn ich nach Bela­rus reiste oder an Work­camps teil­nahm, hatte ich immer das Gefühl: Hey, unsere Freunde ticken gleich wie wir. Sie hören dieselbe Musik, teilen die glei­che Kultur und haben sehr ähnli­che Vorstel­lun­gen wie wir. Nur wenn sie sich für Demo­kra­tie und Menschen­rechte einset­zen, dann riskie­ren sie, deshalb im Gefäng­nis zu landen. Das Gefühl, meine Freunde haben Pech, dass sie in einer Dikta­tur leben und wir Glück, dass wir in einer Demo­kra­tie zu Hause sind: Die Erfah­rung dieser Ungleich­heit hat mich ange­trie­ben. Das ist Teil unse­rer Grün­dungs­ge­schichte, geprägt von einer Mischung aus Freun­des­kreis, Reise­er­fah­rung und dem Bewusst­sein, dort gibt es eine repres­sive Dikta­tur in einem Land ganz in unse­rer Nähe.

Sie arbei­ten stark mit Part­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen vor Ort zusammen?

Wir pfle­gen direkte Kontakte zu Part­nern, die seit unse­rer Grün­dungs­zeit und bis nach 2020 alle in Bela­rus vor Ort aktiv waren. Wir woll­ten von Beginn an mit diesen gemein­sam etwas bewe­gen. Heute arbei­ten wir in Bela­rus und der Ukraine, unse­rem zwei­ten Schwer­punkt­land, mit einem Dutzend Part­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen zusam­men – daher auch unser Namens­zu­satz «Part­ner­ship for Human Rights». Die part­ner­schaft­li­che direkte Zusam­men­ar­beit auf Augen­höhe war uns von Beginn an sehr wich­tig. Bei Bela­rus hat sich die Situa­tion aller­dings dras­tisch verän­dert. Unter­des­sen müssen alle unsere bela­ru­si­schen Part­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen aus dem Exil agie­ren. So gut wie alle meine Freunde und Bekann­ten aus Bela­rus sind heute entwe­der im Gefäng­nis oder im Exil.

Im Menschen­rechts­zen­trum Viasna in Minsk traf Lars Bünger 2016 Ales Biali­at­ski. 2022 erhielt Biali­at­ski den Frie­dens­no­bel­preis. Ein Jahr später wurde er zu zehn Jahren Haft verurteilt. 

Und wie können Sie selbst heute in Bela­rus aktiv sein?

In Bela­rus kann heute niemand vor Ort aktiv sein. 2020 und vor allem 2021 hat das Regime in Bela­rus wirk­lich alles rest­los zerstört, was es an Oppo­si­tion, an Zivil­ge­sell­schaft und an freien Medien gab. Zuvor gab es im Land aktive Menschen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen, auch wenn sie teils verbo­ten waren. 

Sie können in Bela­rus selbst nicht mehr aktiv sein?

Wenn über­haupt ginge dies nur, wenn wir direkt mit staat­lich kontrol­lier­ten regime­treuen Orga­ni­sa­tio­nen zusam­men­ar­bei­ten würden.

Es sind insge­samt aber immer mehr Einzel­schick­sale betrof­fen, immer mehr Menschen, die über Jahre hinweg unschul­dig wegge­sperrt werden und unter Folter oder Miss­hand­lun­gen leiden müssen.

Lars Bünger

Wie können Sie über­haupt arbeiten?

Wir haben über unsere bela­ru­si­schen Part­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen natür­lich weiter­hin Kontakte vor Ort. Solange die Menschen im Gefäng­nis sind, ist direkte Hilfe jedoch nicht möglich. Aber es kommen immer wieder poli­ti­sche Gefan­gene frei, denen nach ihrer Frei­las­sung gehol­fen werden kann und muss. 

Von wie vielen spre­chen wir?

Im laufen­den Jahr gab es von Januar bis Septem­ber ca. 330 Frei­las­sun­gen von poli­ti­schen Gefan­ge­nen, die ihre Haft verbüsst hatten. Seit Juni kam es zu ca. 70 weite­ren Frei­las­sun­gen in Zusam­men­hang mit Verhand­lun­gen des Lukaschenko-Regimes mit der Trump-Admi­nis­tra­tion. Gleich­zei­tig gab es aber in dieser Zeit ca. 320 neu von Menschen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen aner­kannte poli­ti­sche Gefan­gene. Man rech­net heute mit über 1200 poli­ti­schen Gefan­ge­nen, wobei die Dunkel­zif­fer noch­mals deut­lich höher liegen wird. Trotz der Frei­las­sun­gen bleibt die Gesamt­zahl der poli­ti­schen Gefan­ge­nen also leider fast unver­än­dert. Es sind insge­samt aber immer mehr Einzel­schick­sale betrof­fen, immer mehr Menschen, die über Jahre hinweg unschul­dig wegge­sperrt werden und unter Folter oder Miss­hand­lun­gen leiden müssen. Einer von ihnen ist unser lang­jäh­ri­ger Freund, der Frie­dens­no­bel­preis­trä­ger Ales Biali­at­ski, Vorsit­zen­der des Menschen­rechts­zen­trums Viasna, unse­rer bela­ru­si­schen Partnerorganisation.

Wie ist die Situa­tion der Freigelassenen?

Oft werden sie gleich wieder von den Behör­den bedroht: soll­ten sie sich gegen das Regime wenden, würde man sie sofort wieder ins Gefäng­nis werfen. Trotz ihrer Frei­las­sung blei­ben sie Gefan­gene des bela­ru­si­schen Regimes. Nach ihrer poli­tisch moti­vier­ten Haft­strafe stehen sie unter präven­ti­ver Beob­ach­tung, sind Restrik­tio­nen ausge­setzt und werden regel­mäs­sig kontrol­liert. Ein kleins­tes Verge­hen kann zu einer erneu­ten Gefäng­nis­strafe führen. Wir kennen Fälle von Entlas­se­nen, die Bela­rus deshalb möglichst schnell verlas­sen muss­ten – und wollten.

Bisher haben 450 euro­päi­sche Abge­ord­nete eine symbo­li­sche Paten­schaft für poli­ti­sche Gefan­gene in Bela­rus übernommen. 

Lars Bünger

Und diesen Menschen helfen Sie?

Wir fokus­sie­ren uns mit unse­rer Arbeit auf diese Frei­ge­las­se­nen, um sie medi­zi­nisch und psycho­lo­gisch zu betreuen. Oft sind sie nach jahre­lan­ger Haft unter menschen­un­wür­di­gen Bedin­gun­gen psychisch, aber auch physisch in einem sehr schlech­ten gesund­heit­li­chen Zustand.

Und für die Menschen im Gefäng­nis können Sie nichts machen?

Wir können einzig ihre Frei­las­sung fordern. Das ist wenig und viel zugleich. Das machen wir auf vielen Wegen seit Früh­jahr 2020 mit all unse­rer Kraft. So haben bisher 450 euro­päi­sche Abge­ord­nete eine symbo­li­sche Paten­schaft für poli­ti­sche Gefan­gene in Bela­rus über­nom­men. Insge­samt konn­ten wir in den vergan­ge­nen fünf Jahren mehr als 560 solcher Paten­schaf­ten für poli­ti­sche Gefan­gene in Bela­rus vermit­teln und damit ein klares Zeichen setzen, dass wir die unschul­dig inhaf­tier­ten Menschen in Bela­rus nicht vergessen.

Mit einer Ihrer Aktio­nen laden Sie Menschen hier ein, einem oder einer Gefan­ge­nen Briefe zu schrei­ben. Kommen diese über­haupt an?

Jeder Brief, den man schickt, ist wich­tig. Denn egal ob jeder einzelne Brief die Gefan­ge­nen erreicht: Die bela­ru­si­chen Behör­den nehmen das wahr. Wenn sie merken, da setzen sich viele Menschen für diesen Gefan­ge­nen ein, man weiss von ihm oder ihr, dann trägt dies zum Schutz des Gefan­ge­nen oder der Gefan­ge­nen bei.

Jeder Brief, den man schickt, ist wichtig.

Lars Bünger

Aber die Gefan­ge­nen selbst erfah­ren kaum davon?

Wir wissen von Frei­ge­las­se­nen, dass sie in Haft wirk­lich auch Briefe erhal­ten haben. Oder sie haben teils auch Hinweise von Gefäng­nis­wär­tern oder Ange­hö­ri­gen erhal­ten, die ihnen mitge­teilt haben, dass Briefe für sie gekom­men seien, auch wenn sie diese nicht weiter­ge­ben durf­ten. Das macht den Gefan­ge­nen Mut und ist eine nicht zu unter­schät­zende mora­li­sche Stütze. Und manch­mal bekom­men Inhaf­tierte bei der Entlas­sung einen Stapel Briefe über­reicht. Diese Bestä­ti­gun­gen zeigen uns, dass Briefe sehr wich­tig sind.

Bela­rus ist im Ukrai­ne­krieg Verbün­de­ter von Russ­land. Was bedeu­tet dies für Ihre Arbeit in der Schweiz, für das Spendensammeln?

Durch unser Enga­ge­ment in der Ukraine haben uns seit 2022 sehr viele Menschen kennen­ge­lernt. Denn als eine der weni­gen Schwei­zer NGOs arbei­ten wir bereits seit 2014 in der Ukraine. Neben bela­ru­si­schen Diaspora-Orga­ni­sa­tio­nen, die sich stark enga­gie­ren, gehö­ren wir sicher zu den rele­van­tes­ten Orga­ni­sa­tio­nen in der Schweiz und welt­weit, die sich für Bela­rus enga­gie­ren. Und Menschen, die unser Enga­ge­ment in der Ukraine kennen, spen­den auch für Belarus.


So funk­tio­niert die Briefaktion

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