Deborah Schibler, Geschäftsleitung FriedensFrauen Weltweit, Bild: zVg.

Frie­den ist mehr als die Abwe­sen­heit von Krieg

Wer sich für langfristige Friedensstrategien positioniert läuft heute Gefahr, als naiv bezeichnet zu werden. Deborah Schibler, Geschäftsleitungd FriedensFrauen Weltweit, sagt, weshalb sie es dennoch tut, wie die aktuellen Konflikte ihre Arbeit beeinflussen und welche Rolle NGOs in der Friedensarbeit einnehmen können.

In Europa ist Aufrüs­ten das Thema: Wie steht es um die Friedensbewegung?

Die Frie­dens­be­we­gung steht heute an einem kriti­schen Wende­punkt. Poli­ti­sche Entscheidungsträger:innen in Europa setzen im gros­sen Umfang auf mili­tä­ri­sche Sicher­heit und prägen die öffent­li­chen Narra­tive dahin­ge­hend, dass für die Bevöl­ke­rung jegli­che Alter­na­tive kaum vorstell­bar erscheint. Gerade deshalb sind die zivil­ge­sell­schaft­li­chen Stim­men, die lang­fris­tige und nach­hal­tige Frie­dens­stra­te­gien fordern, unab­ding­bar. Diese werden jedoch oft als naiv und unrea­lis­tisch verru­fen und zurück­ge­drängt oder sogar zum Verstum­men gebracht. Unsere Part­ne­rin­nen welt­weit machen jedoch deut­lich: Frie­den ist mehr als die Abwe­sen­heit von Krieg. Er entsteht dort, wo soziale Gerech­tig­keit, poli­ti­sche Teil­habe und wirt­schaft­li­che Sicher­heit gewähr­leis­tet sind. Die femi­nis­ti­sche Frie­dens­be­we­gung muss wach­sen, weil sie eine alter­na­tive Vision bietet – jenseits von Aufrüs­tung und Abschre­ckung, hin zu geschlech­ter­ge­rech­tem, inklu­si­vem und somit nach­hal­ti­gem Frieden.

Die Geschichte hat gezeigt, dass Waffen zwar teil­weise Kriege been­den können, aber keinen gerech­ten und nach­hal­ti­gen Frie­den schaffen.

Debo­rah Schi­b­ler, Geschäfts­lei­tung Frie­dens­Frauen Weltweit

Ist Frie­den nur erreich­bar als Gleich­ge­wicht der Abschreckung?

Abschre­ckung kann viel­leicht kurz­fris­tig eine gewisse Macht­ba­lance schaf­fen, wenn sie funk­tio­niert. Aber mehr Waffen bedeu­tet immer auch eine Mili­ta­ri­sie­rung der Gesell­schaft und somit im Endef­fekt mehr Gewalt, mehr Leiden und grös­sere Unsi­cher­heit. Die Geschichte hat gezeigt, dass Waffen zwar teil­weise Kriege been­den können, aber keinen gerech­ten und nach­hal­ti­gen Frie­den schaf­fen. So lange Macht ungleich verteilt ist – zwischen Staa­ten, inner­halb von Gesell­schaf­ten oder entlang von Geschlech­ter­li­nien – bleibt Frie­den fragil. Unsere Arbeit zeigt: Frie­dens­pro­zesse sind dann lang­fris­tig trag­fä­hig, wenn sie inklu­siv sind, wenn sie auf Dialog, Gerech­tig­keit und Vertrauen basie­ren – nicht auf mili­tä­ri­scher Über­le­gen­heit. Eine gene­ra­li­sierte Aufrüs­tung und deren undif­fe­ren­zierte Befür­wor­tung ohne Inves­ti­tio­nen in tatsäch­li­che, inklu­sive Frie­dens­ar­beit blei­ben nicht nur effekt­los , sondern haben lang­fris­tig schwer­wie­gende nega­tive Folgen.

Wie wirken sich die aktu­el­len Konflikte auf Ihre Arbeit aus?

Es ist drama­tisch zu sehen, wie stark, schnell und unauf­halt­bar sich die globale Konflikt­land­schaft verän­dert. Das IKRK bestä­tigte 2024 120 bewaff­nete Konflikte, drei­mal so viele wie um die Jahr­hun­dert­wende. Das dadurch verur­sachte Leiden verstärkt sich täglich und ist unerträglich.

Die bewaff­ne­ten Konflikte – in der Ukraine, im Sudan, in Gaza oder in Kolum­bien – erschwe­ren unsere Arbeit und machen sie gleich­zei­tig umso dring­li­cher. Durch unser globa­les Netz­werk «Femi­nists Connec­ting for Peace» stehen wir welt­weit in engem Austausch mit Frauen, die trotz Gewalt, Vertrei­bung und Repres­sion weiter für Frie­den und Gerech­tig­keit einste­hen. Die Risi­ken für Akti­vis­tin­nen nehmen zu, ebenso die Einschrän­kun­gen von zivil­ge­sell­schaft­li­chen Räumen. Gleich­zei­tig zeigt sich, wie unver­zicht­bar femi­nis­ti­sche Netz­werke sind, um Soli­da­ri­tät, Schutz und Sicht­bar­keit zu ermöglichen.

Klar ist auch, dass die Erhö­hung der Mili­tär­aus­ga­ben zulas­ten der Entwick­lungs­zu­sam­men­ar­beit den Druck auf die Frie­dens­ar­beit weiter verschärft hat.

Debo­rah Schibler

Klar ist auch, dass die Erhö­hung der Mili­tär­aus­ga­ben zulas­ten der Entwick­lungs­zu­sam­men­ar­beit den Druck auf die Frie­dens­ar­beit weiter verschärft hat. Dies wirkt sich auch nega­tiv auf die femi­nis­ti­sche Frie­dens­ar­beit aus, die bereits zuvor von chro­ni­scher und struk­tu­rel­ler Unter­fi­nan­zie­rung betrof­fen war. Auch wir sind davon betroffen.

Welche Rollen können NGOs in der Frie­dens­ar­beit einnehmen?

NGOs nehmen vermehrt die Rollen als Brücken­baue­rin­nen ein – zwischen loka­len Initia­ti­ven und inter­na­tio­na­len Insti­tu­tio­nen, zwischen Betrof­fe­nen und Entscheidungsträger:innen. Vor kurzem sagte mir eine staat­li­che Exper­tin: «Ihr von der Zivil­ge­sell­schaft seit den Entwick­lun­gen 20 Jahre voraus.» Dies ist möglich, weil wir an einer Zukunft arbei­ten, die sich viele andere noch gar nicht vorstel­len können.

Wir doku­men­tie­ren, vermit­teln, schu­len, stär­ken Alli­an­zen und fordern Rechen­schaft ein. Als femi­nis­ti­sche Frie­dens­or­ga­ni­sa­tion brin­gen wir Perspek­ti­ven in Frie­dens­pro­zesse ein, die sonst igno­riert werden: die Erfah­run­gen, Ideen und Forde­run­gen von Frauen, die bereit dazu sind, die Bedin­gun­gen für Frie­den zu schaf­fen, grund­le­gende Gesprä­che und Dialoge anzu­re­gen und sich lang­fris­tig zu engagieren.

Was gleich geblie­ben ist: Der Einsatz für Frie­den braucht Mut, Ausdauer und eine klare poli­ti­sche Haltung.

Debo­rah Schibler

Wer sich an die Proteste gegen den Viet­nam­krieg erin­nert oder an die Frie­dens­mär­sche vor 40 Jahren muss sich fragen: Was funk­tio­niert heute anders?

Früher war die Frie­dens­be­we­gung stark durch Massen­mo­bi­li­sie­rung geprägt. Heute hat sich das Enga­ge­ment plura­li­siert – es ist lokal veran­kert, global vernetzt und digi­tal sicht­bar. Vieles passiert in klei­nen, konti­nu­ier­li­chen Initia­ti­ven, getra­gen von Frauen und loka­len Gemein­schaf­ten. Was gleich geblie­ben ist: Der Einsatz für Frie­den braucht Mut, Ausdauer und eine klare poli­ti­sche Haltung. Was sich verän­dert hat: Die femi­nis­ti­sche Perspek­tive hat sich – zum Glück – verstärkt. Sie stellt die struk­tu­rel­len Ursa­chen von Gewalt ins Zentrum – und damit auch die Macht­ver­hält­nisse, die sie repro­du­zie­ren. Und sie fordert die Ausein­an­der­set­zung mit diesen Themen, um die Konflikte grund­le­gend anzu­ge­hen und echte und effek­tive Lösun­gen zu schaffen.

Die Geschichte von Frie­dens­frauen begann vor 20 Jahren. Die Bewe­gung ist aus der Initia­tive «1000 Frauen für den Frie­dens­no­bel­preis 2005» entstan­den. Wo stehen wir heute?

Die Initia­tive von 2005 war ein Meilen­stein für die Sicht­bar­keit der Frie­dens­ar­beit von Frauen und ist auch heute noch als solche aner­kannt. Sie hat mit Sicher­heit dazu beigetra­gen, dass gewisse Debat­ten anders geführt werden und der Frie­dens­no­bel­preis seit­her an 7 Frauen (von insge­samt 17) verlie­hen wurde. Die Initia­tive hatte vielen Frauen damals zusätz­li­che Kraft und Bestimmt­heit, und teil­weise auch Schutz, verlie­hen. Doch die Arbeit ist leider noch lange nicht getan.

Unsere Arbeit beruht weiter­hin auf unse­rer DNA als inter­na­tio­na­les Netz­werk mit Part­ne­rin­nen in über 20 Ländern und lang­fris­ti­gen frie­dens­för­dern­den Program­men in fünf Ländern. Aus einer bahn­bre­chen­den Initia­tive ist eine nach­hal­tige Orga­ni­sa­tion entstan­den, die konkrete Frie­dens­ar­beit leis­tet: Wir stär­ken die Teil­habe von Frauen in Frie­dens­pro­zes­sen, bauen Alli­an­zen, beglei­ten Versöh­nungs­ar­beit, schaf­fen poli­ti­sche Räume und brin­gen femi­nis­ti­sche Perspek­ti­ven in unter­schied­li­che Gremien ein. Die Vision ist dieselbe geblie­ben – und unsere Struk­tu­ren und Wirkungs­weise sind profes­sio­nell, stra­te­gisch und poli­tisch verankert.

Ich möchte mich hier jedoch davon distan­zie­ren, dass die Anzahl Frauen an einem Tisch oder auf einem Foto allein den Ausschlag für Frie­den gibt.

Debo­rah Schibler

Wer die Bericht­erstat­tung über die aktu­el­len Konflikte verfolgt, stellt fest, dass in diesen prak­tisch nur Männer an den entschei­den­den Posi­tio­nen sind. Würden diver­sere Führungs­gre­mien Konflikte anders lösen?

Abso­lut. Ich möchte mich hier jedoch davon distan­zie­ren, dass die Anzahl Frauen an einem Tisch oder auf einem Foto allein den Ausschlag für Frie­den gibt. Frauen sind nicht biolo­gisch fried­li­chere Menschen. Ihre Diver­si­tät, die sich in ihren Netz­wer­ken zeigt, und ihre Bereit­schaft, schwie­rige, grund­sätz­li­che Themen anzu­ge­hen und struk­tu­relle Ände­run­gen zu fordern, sind jedoch rele­vant, um einen funk­tio­nie­ren­den Frie­den zu schaf­fen. Studien und Erfah­run­gen zeigen klar: Wenn Frauen mitent­schei­den, werden Frie­dens­ab­kom­men eher unter­zeich­net, halten länger und berück­sich­ti­gen brei­tere Bedürf­nisse der Gesell­schaft. Diver­sere Führung bedeu­tet auch, andere Fragen zu stel­len: Wer trägt die Kosten des Krie­ges? Was bedeu­tet Sicher­heit für unter­schied­li­che Bevöl­ke­rungs­grup­pen? Wenn wir wirk­lich Frie­den wollen, müssen wir Macht teilen – auch und gerade in poli­ti­schen und mili­tä­ri­schen Verhandlungsräumen.

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