The Philanthropist: Die Honigbiene ist bedroht. Sie sagen wir müssen jetzt handeln.
André Wermelinger: Zunächst muss ich präzisieren, was genau bedroht ist. Die Honigbiene Apis mellifera hat nämlich zwei höchst unterschiedliche Wesensausprägungen: Einerseits ist sie Wild- und Waldtier, andererseits Nutztier in der Imkerei. Als Wildtier ist die Honigbiene bis auf ganz wenige Einzelvölker, die weiterhin in der Natur leben, fast ausgestorben. Dass sie trotzdem nicht geschützt wird, erstaunt! Schlimmer noch, wildlebende Honigbienenvölker werden bis heute sogar von übereifrigen Bieneninspektoren und Imkern «präventiv» vernichtet. Als Grund werden faktisch nicht korrekte Ängste vor potentiellen Seuchenherden genannt.
… und als Nutztier
Als Nutztier hat die Honigbiene einen riesigen Stellenwert in der Landwirtschaft. Sie erscheint in der Reihenfolge der Wichtigkeit an dritter Stelle nach der Kuh und dem Schwein, noch vor dem Geflügel. Diese Relevanz hat sie nicht des Honigs, sondern ihrer Bestäubungsleistung wegen. Die Honigbiene wird ähnlich stark bewirtschaftet, wie wir das aus der Viehzucht kennen: Massentierhaltung, Medikamentenmissbrauch, künstliche Vermehrung, etc. Entsprechend hoch sind die jährlichen Verlustraten, der Behandlungs- und Betreuungsaufwand steigt laufend an.
Was können wir tun?
Wir müssen die Honigbiene in der Natur schützen und fördern. Nur der natürlichen Selektion ausgesetzt, ist sie in der Lage, sich an ihre aktuelle Umwelt und an zukünftige Umweltveränderungen anzupassen. Überall dort, wo die Honigbiene in der Natur nicht mehr allein überleben kann, bspw. in weiten Teilen des landwirtschaftlich dominierten Mittellandes, sind Lebensraumaufwertungen notwendig. In erster Linie profitiert die Honigbiene von einer reicheren Blütenvielfalt und von zusätzlichen Baumhöhlen, die ihr als Habitat dienen. Aber natürlich auch von einer Verminderung der Umweltgifte.
Was müsste sich bei der Imkerei ändern?
Die Imkerei muss lernen, die Bienen artgerechter zu halten und nachhaltiger zu bewirtschaften. Hier geht es insbesondere auch darum, den echten Wert der Imkerei zu erkennen: Der ökonomische, wie auch der ökologische Wert der Bestäubungsleistung ist um Längen grösser als jener von Honig. Und gerade die Bestäubungsleistung liesse sich durch die Imkerschaft sehr viel naturnäher erbringen, als wir das aus der aktuell sehr intensiven Honigimkerei kennen.
Was unterscheidet die Honigbiene von einer Wildbiene?
In der Schweiz gibt es aktuell um die 550 Bienenarten. Die Westliche Honigbiene Apis mellifera ist nur eine davon. Im Volksmund und auch in Fachkreisen trennen wir grobschlächtig in Wildbienen und Honigbienen, obwohl diese Unterscheidung biologisch betrachtet nicht korrekt ist. Während die meisten Wildbienenarten solitär leben und auch als Einsiedlerbienen bezeichnet werden, lebt und überwintert die Honigbiene im Staat. Gerade die Überwinterung im Staat erfordert einiges an Erfindergeist von der Natur. Um den Kern des Bienenvolkes auch im kältesten Winter immer auf rund 20 Grad Celsius halten zu können, legen Honigbienen vom Frühling bis zum Spätsommer bis zu 20 Kilogramm Honigreserven an, die den Winter über zurückgefressen werden und dem Volk als Heizstoff dienen.
Wie sieht es mit der Wildbienenpopulation in der Schweiz aus?
Von ursprünglich über 600 Wildbienenarten in der Schweiz haben wir mindestens 10 Prozent schon verloren und 45 Prozent sind gefährdet. An oberster Stelle für diese hohen Verluste steht der Habitatverlust, danach folgt die Belastung durch Umweltgifte. Beide Faktoren sind stark beeinflusst durch unsere intensive Produktionsweise in der Landwirtschaft. Der Klimawandel kann hierbei praktisch vernachlässigt werden, es gibt unter den Bienen sogar Gewinner, die von den wärmeren Temperaturen profitieren, das geht in der hitzigen und politisch aufgeladenen Diskussion gerne vergessen.
… und bei den Honigbienen
Absurd ist, dass wir heute in der Schweiz mehr Honigbienen halten, als es in der ursprünglichen Schweizer Natur je gegeben hat. Wir haben mit der intensiven Honigimkerei eine übermässige Honigbienendichte erzeugt, die Krankheitsübertragungen unter den Honigbienenvölkern begünstigt und sogar in Konkurrenz zu den anderen Wildbienen steht! Auch erste Übertritte von Krankheiten und Parasiten der Honigbiene auf Wildbienen sind dokumentiert. Gerade am Bienenstand eines konventionell arbeitenden Schweizer Imkers, die wunderschön anmutenden Bienenhäuschen der Deutschschweiz, sind die Bienendichten absurd hoch!
Sie betonen, dass Sie frei von Imkerinteressen sind …
Wir beobachten immer wieder, wie schnell sich Menschen und ganze Organisationen durch Partikularinteressen abhängig machen und die Wahrheit verzerren. Bis auf ganz wenige Ausnahmen zeigen fast alle Honigbienenorganisationen Europas einen starken Hang hin zur Honigproduktion. Die gesamtökologischen und sogar die gesamtökonomischen Aspekte werden in ihren Situationsanalysen und Lösungsvorschlägen ausser Acht gelassen. Die vermeintlich vorgebrachten Lösungsansätze sind meist nicht ausgereift und erzeugen, wenn überhaupt, nur Teilnutzen. Im Zentrum steht das Erhalten und Maximieren von Honigerträgen, also das reine Produktionsdenken, obwohl die Imkerei oft nur als Hobby betrieben wird.
Was ist Ihr Interesse?
FREETHEBEES und ich selbst sind an wahrhaftigen und nachhaltigen Lösungen interessiert. Lösungen, die im weiteren Umfeld «Mensch und Natur» dienen sollen. Lösungen, die realistisch umsetzbar und auch die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen miteinschliessen. Einer unserer obersten Werte ist die möglichst weitgehende und konsequente Unabhängigkeit, welche FREETHEBEES auch von den Menschen in der Organisation einfordert. Wir bringen eine grosse Portion Idealismus mit und die Bereitschaft, uns bis zu unseren eigenen Leistungsgrenzen zu verausgaben. Dies zumindest so lange, wie wir Kraft aus der Bevölkerung erhalten, um weitere Projekte umzusetzen, die konkret Wirkung erzeugen.
Wie überwachen Sie die Entwicklung der Honigbienenvölker?
Mittels eines Citizen Science Projektes überwachen wir aktuell mehr als 100 freilebende Bienenvölker und sammeln minutiös Daten. Uns geht es in einer ersten Phase um die Klärung der Frage, wie gut die Bienen in der Natur überleben und wie viele von ihnen sich nach einem überlebten Winter über den Schwarmtrieb teilen. Später werden dann weitere Faktoren dazukommen, beispielsweise die Analyse von genetischen Faktoren oder auch Vergleiche des Gesundheitszustandes der freilebenden Honigbienen und jenen aus der Imkerei.Aktuell sind für das Monitoring mehrere Dutzend Personen zuständig, insbesondere deshalb, weil die Daten von allen Bienenvölkern in einem ziemlich eng gesteckten Zeitraum praktisch gleichzeitig gesammelt werden müssen. Später könnte man sich die Datensammlung auch automatisch und elektronisch vorstellen, aber so weit sind wir aktuell noch nicht.
Was die Überwachung von Honigbienenvölkern aus der Imkerei angeht, beziehen wir uns auf wissenschaftliche Studien und behördlich veröffentlichtes Zahlenmaterial aus der Schweiz, aber auch international. Und wir behalten weiter auch die Entwicklung von Insekten und Bienen ganz allgemein in unserem Blickfeld.
Sie bieten Schulungen an. An wen richten sich diese Schulungen?
Wir haben von Vorträgen für die breite Bevölkerung über fachlich spannende Konferenzen mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen bis zu reinen Imkerkursen ein vielfältiges Eventprogramm. Traditionsgemäss wendet sich aktuell noch immer der Grossteil unserer Kurse und Konferenzen an die Imkerschaft. Aber zunehmend haben wir auch Angebote für Natur- und Bienenschützer ganz allgemein, welche etwas für Bienen tun wollen, ohne aber in die Imkerei einzusteigen. Beispielsweise, in dem sie Baumhöhlen als natürliche Habitate für Honigbienen platzieren.
Welche Imker*innen besuchen Ihre Kurse?
Unsere Imkerkurse besuchen insbesondere jene Imker*innen, die sich mit der konventionellen Imkerei in der Schweiz nicht anfreunden können. Viele blicken schon hinter die Bühne, bevor sie die konventionellen Kurse gemacht haben und landen, auf der Suche nach Alternativen, direkt bei uns. Andere merken über die Zeit, dass Ihnen die konventionelle Bienenhaltung keine Antwort auf kritische Fragen geben kann und lassen sich bei uns umschulen, hin zu einer naturnäheren Bienenhaltung.
Können Sie schon einen positiven Trend erkennen?
Ich würde hier liebend gerne von einem positiven Trend reden, aber das wäre vermessen. Meines Erachtens sind wir eher in einem schadensbegrenzenden Modus unterwegs. Bis wir unsere Vision von einer Schweiz mit einer resilienten und gesunden, wildlebenden Honigbienenpopulation und einem verantwortungsvollen und nachhaltigen Umgang mit der Biene in der Imkerei erreicht haben werden, gibt es noch viel zu tun!
Das wäre?
Vor uns liegt eine Herausforderung, die wir nur mittel- und langfristig und insgesamt als Gesellschaft lösen können und lösen müssen. Wir betrachten die Honigbiene als optimalen Bio-Indikator. Ihr Gesundheits‑, Überlebens- und Vermehrungsstatus zeigt uns sehr viel über den lokalen Status der Umwelt. Im freilebenden Bienenvolk können wir nicht nur Umweltgifte analysieren, sondern auch die Blütenvielfalt am Standort. Und wo die Honigbiene ohne Imker nicht mehr überleben kann, ist ein grosser weiterer Anteil an Tier- und Pflanzenarten ebenfalls nichtexistierend oder zumindest gefährdet. Sogar direktdemokratische Prozesse lassen sich am Bienenvolk erklären. Wir täten als Gesellschaft gut daran, von der Natur und explizit von der wunderbaren Welt eines Bienenvolkes zu lernen. Eine einzelne Honigbiene ist nicht überlebensfähig und hat nur begrenzte Intelligenz. Das Volk insgesamt besitzt theoretisch das ewige Leben und hat Fähigkeiten entwickelt, die jene von Säugetieren übersteigen. Die Honigbiene lehrt uns, unseren Egoismus und Individualismus zurückstellen und unsere Kraft und Energie den Interessen und dem Überleben des Volkes unterzuordnen.
Was kann ich als Privatperson ganz konkret tun, wenn ich einen Garten habe?
Alle Personen können etwas tun, Gartenbesitzer natürlich ganz besonders. In einem ersten Schritt geht es einmal darum, die weitere Verbreitung von Pestiziden zu beschränken, beispielsweise indem man nachhaltig erzeugte Produkte einkauft und natürlich im eigenen Garten auf Pestizide verzichtet. Und dann zählt jede Blume, die ausserhalb der Haupttracht im Wonnemonat Mai blüht!
Das heisst von Ende Winter bis tief in den Herbst?
Genau, Honigbienenvölker können sich nur richtig entwickeln, wenn sie über die ganze Bienensaison von März bis September möglichst immer Pollen und Nektar finden. Im Frühling, bevor dann im Monat Mai alle Obstbäume und Felder blühen, fehlen im Mittelland meist Blühpflanzen wie beispielsweise Krokusse. Nach dem Verblühen der Obstbäume und der Felder, gegen Mitte Mai, und oft über den Monat Juni, herrscht eine sogenannte Trachtlücke, in welcher die Bienen fast keinen Nektar finden. Das ist just die Zeit, in welcher sie sich über den Schwarmtrieb teilen möchten und sehr viel Energie bräuchten. Aber auch über den ganzen Sommer, ist die Blütenpracht vielerorts eingeschränkt und könnte erhöht werden. Und überaus wichtig ist, dass die Honigbiene ihr ursprüngliches Habitat, die Baumhöhle, fast verloren hat. Ein Bienenvolk braucht eine Baumhöhle von mindestens 20cm Durchmesser, lieber mehr. Solche Baumhöhlen gibt es nur in alten, dicken Bäumen. Und gerade diese älteren Bäume sind in unseren auf Holzwirtschaft getrimmten Wäldern sehr rar geworden. Auch ohne Pestizide und bei genügend Nektarvielfalt hätten Bienenvölker heute ein Problem, weil ihnen weiterhin eine genügende Anzahl Habitate fehlen würde.
Braucht es bestimmte Pflanzen?
Im Bereich der Blühpflanzen verlinken wir auf unserer Webseite auf einen Trachtpflanzenkalender. Damit lassen sich sehr spezifisch Pflanzen mit dem grösstmöglichen Nutzen ausbringen. Und dann gibt es ebenfalls auf unserer Webseite Baumhöhlenimitate, die sogenannten Swiss Trees. Diese dienen nicht nur den Honigbienen als Habitat, sondern auch gleich allen anderen Tierarten, die auf Baumhöhlen angewiesen sind. Über die Zeit können dort neben der Honigbiene auch Vögel, Fledermäuse, Hornissen, etc. einziehen. Allein mit der Honigbiene zusammen leben bereits 30 weitere Insektenarten, 170 Milbenarten und 8000 Arten von Mikroorganismen in der Baumhöhle. Das ist Biodiversität pur, wenn man richtig hinschaut!
Gibt es eine Möglichkeit, sich niederschwellig mit anderen Interessierten auszutauschen?
Das niederschwelligste Angebot zum Austausch ist unsere monatliche Online-Community, wo man sich frei austauschen kann. Jeder bringt seine Fragen und Themen mit ein, die er gerne diskutieren würde. Die Community wird von einem unserer Experten moderiert und kann über unsere Webseite genauso wie die Kurse gebucht werden. Und natürlich freut es uns, möglichst viele Personen als Mitglied aufnehmen zu dürfen. Die grosse Anzahl umfangreicher Projekte wären ohne finanzielle Unterstützung zahlreicher Gönner schon längst nicht mehr möglich. Die höherstufigen Mitgliederstatus ermöglichen den rabattierten Zugang zu unseren Kursen, bis hin zum vollständig freien Eintritt. Alle Module bieten wir grundsätzlich in Deutsch und in Französisch an. Die Zweisprachigkeit ist zwar aufwändig, aber wir erachten diese als Schweizer Organisation als eine Art Pflicht. Unsere Flexibilität erlaubt es uns auch, personalisierte Angebote zu entwerfen, beispielsweise Vorträge für Firmen im Rahmen von Corporate Social Responsibility Programmen.